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anbelangt, so passt es sehr gut zu der verehrung, die die schlange in Indien geniesst. Sie ist geradezu vergöttert worden. Der schlangenkultus ist in Indien überhaupt mächtig und spielt insbesondere in dem buddhistischen leben und schriften eine sehr hervorragende rolle[1]. Auch der zaubergegenstand selbst ist jenes in so vielen buddhistischen legenden vorkommende sanskritische cintâmani, d. h. ein juvel, durch welches man alles erhält, was man sich denkt[2].

Diese umstände genügen natürlich noch nicht, um die indische herkunft des märchens zu beweisen – und in besonders guter form ist das märchen z. b. in Arabien aufgezeichnet –, orientalisch aber ist es unzweifelhaft. Die wanderung
nach Europa.
Benfey sagt[3]: „Es ist verhältnissmässig früh nach Europa gekommen, wahrscheinlich durch die mongolische Herrschaft in Russland, von wo es sich dann theils durch Übergang ins Volk überhaupt, theils durch die vielfachen kaufmännischen Verbindungen mit dem Innern und dem Süden von Russland nach dem Westen verbreitete“. Es ist nach dem allgemeinen vorkommen des märchens in einem grossen teil von Europa und seinem auftreten in dem alten italienischen Pentamerone zu urteilen wahrscheinlich, dass es schon früh nach dem occident gelangt ist, und möglicherweise hat auch der aufenthalt der mongolen in Europa seiner verbreitung vorschub geleistet, nichts berechtigt aber zu der annahme, dass es die mongolen mitgebracht hätten. Das märchen kann jederzeit mündlich nach Russland gekommen sein. Unserer ansicht nach wird den zügen der mongolen nach Europa eine zu grosse bedeutung für die verbreitung der märchen beigemessen. Die märchen wandern sehr leicht von land zu land und von volk zu volk, dazu sind keine völkerwanderungen nötig. Und ausserdem weiss man nicht, ob die mongolen bei ihrer ankunft in Europa dieses märchen überhaupt gekannt haben.

Auch darf nicht vergessen werden, dass dem märchen noch ein anderer weg nach Europa als der über Russland offengestanden hat, der von Südwest-Asien nach dem Balkan, und es unterliegt


  1. Benfey, I, s. 359.
  2. Ders., I, s. 212 und 214.
  3. Ders., I, s. 213.
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Antti Aarne: Vergleichende Märchenforschungen. Société Finno-ougrienne, Helsingfors 1908, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aarne_Vergleichende_M%C3%A4rchenforschungen.djvu/100&oldid=- (Version vom 31.7.2018)