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der König von Schweden für seine deutschen Lande (Westfäl. Frieden, Cap. 10 §. 12), für welche ein höchstes Gericht in Wismar besteht, das über die sonst[1] nach Speyer oder an den Hofrath gehenden Appellationen entscheidet[2] (Capitulation Leopolds, Cap. 27. 28). Für alle Stände dagegen besteht die Bestimmung, daß von ihren Gerichten an die Reichstribunale nur appellirt werden darf, wenn der Werth des Prozesses eine bestimmte, hier größere, dort kleinere Summe übersteigt[3]. Die Kriminalgerichtsbarkeit endlich üben nicht nur alle Reichsstände, sondern auch viele Landstädte und Adligen aus.

§. 19. Fortsetzung. Austräge.

Die Streitigkeiten der Stände unter einander entscheiden in erster Instanz die Schiedsrichter in den Austrägalgerichten. Diese sind theils durch Verträge der Stände unter einander eingesetzt, theils bestehen sie kraft gemeinsamer staatsrechtlicher Bestimmungen. Ihr erster Ursprung ist dunkel, aber man wird kaum irren, wenn man sie, wie schon erwähnt, auf die Zeit Friedrichs II. und des großen Interregnums zurückführt. Die Austrägalgerichte verdanken also nicht, wie einige wollen, Maximilian I. ihre Einsetzung, wenn auch dieser in der Wormser Kammergerichtsordnung von 1495 das Verfahren neu geregelt hat. Unter den verschiedenen dort aufgezählten Arten von Austrägen, kommen zwei am häufigsten vor: entweder nämlich schlägt der Beklagte drei Fürsten oder Stände vor, von denen der Kläger einen mit dem Schiedsspruch betraut, oder der Kaiser ernennt einen oder mehrere Commissäre. Doch kommen gewisse Arten von Processen – das Nähere darüber steht in allen Handbüchern – gar nicht vor die Austrägalgerichte, sondern gehen direct an’s Kammergericht oder an den Hofrath.

Unpraktisch bei der Institution der Austräge ist, daß gegen sie die Berufung ans Kammergericht oder den Hofrath verstattet ist; deshalb kommen auch nur wenige Sachen bei ihnen zur endgiltigen Entscheidung. Auch sind sie kostspielig, da viel Geld auf die Bestechung der Commissäre der zu Schiedsrichtern ernannten Fürsten verwandt werden muß. Dazu kommt noch, daß für die Austräge eine Frist von sechs Monaten oder einem Jahre bestimmt ist, während es doch ein Wunder wäre, wenn in Deutschland ein wichtigerer Proceß in so kurzer Zeit entschieden würde.

§. 20. Fortsetzung. Das Kammergericht.

Das höchste Tribunal in Deutschland ist also das Kammergericht in Speyer, das unter Zustimmung der Stände 1495 von Maximilian I. errichtet

  1. Die Ed. posth. schiebt ein: „an die früheren Herren oder“
  2. Auch andere Stände hatten dies sogenannte Privilegium de non evocando, so z. B. schon seit 1363 (Droysen, Preuß. Pol. I., 127) der Burggraf von Nürnberg.
  3. Das ist nicht ganz richtig. Schon die Kammergerichtsordnung hat die allgemeine Bestimmung, daß in Processen unter 50 Gulden (diese Summe ist später erhöht) das Kammergericht nicht einschreiten soll. Dagegen ist für viele Stände durch besondere Privilegien diese Summe noch erhöht und hier allerdings in verschiedenem Maße.
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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/88&oldid=- (Version vom 21.11.2023)