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hören. Man sagte, der Kaiser, der sonst den Reichstag sehr ungern versammelt sehe, sei durch den Türkenkrieg zur Berufung der Stände veranlaßt worden, weil er gehofft hätte, bedeutende Geldsnmmen bewilligt zu erhalten. Aber die Stände hätten statt Geld Soldaten angeboten, und da die kaiserlichen Räthe eine solche Bewilligung für wenig einträglich gehalten hätten, sei schneller, als beabsichtigt war, ein Frieden mit den Türken abgeschlossen. Nun sei man aber über den Reichsabschied in Verlegenheit gewesen: da man nicht mehr, wie in früheren Jahren, in den Berathungen über Türkenhilfe den reichsten Stoff für Verhandlungen und Beschlüsse finden konnte. Und doch seien viele Leute neugierig genug, wissen zu wollen, was die vielen Gesandten das Jahr über gethan hätten, und wem zum Nutzen man eigentlich Vormittags spanischen, Nachmittags aber Rhein- und Moselwein getrunken hätte. Da habe man denn diese verwickelte Frage gefunden, und könne nun nach langen vergeblichen Verhandlungen ruhig schwören, man sei nicht müßig gewesen, ja aus den vielen leeren Streitigkeiten, deren Entscheidung man auf den nächsten Reichstag verschieben könne, werde sich vielleicht eine Art von Reichsabschied zusammenstoppeln lassen.

§. 3. Nutzen der Wahlcapitulation.

Wie dem nun auch sei, es ist jedenfalls eine sehr zweckmäßige Einrichtung, daß die kaiserlichen Befugnisse und ihre Beschränkungen in den Capitulationen fest und klar bestimmt sind. Auch ist es für den Ruf der Stände nur von Nutzen, da sie sich doch nicht so beherrschen lassen, wie die Unterthanen in den übrigen Reichen, wenn die Welt erfährt, daß ihre Rechte nicht auf Usurpation beruhen, sondern daß der Kaiser selbst diesen Beschränkungen zugestimmt hat. Und die Freiheit der Stände wird durch die Capitulation gesichert, indem man den Kaiser an präcise, auf rechtlichem Wege nicht zu beseitigende Beschränkungen bindet. Aber auch der Kaiser hat keinen Grund, sich zu beklagen, daß er nicht, wie die übrigen Monarchen, mit denen verfahren kann, welche sich so gern seine gehorsamen Unterthanen nennen. Denn im Anfang der Capitulation bekennt der Kaiser selbst, er habe unter den nachfolgenden Bedingungen die Krone erhalten und habe über sie mit den Kurfürsten in ihrem eigenen Namen und in dem der anderen Stände, einen Vertrag geschlossen. Wenn ihm die Bedingungen mißfielen, konnte er ja die Krone ausschlagen, oder den Kurfürsten beweisen, daß die Capitulation ungerechte oder thörichte Bestimmungen enthalte, deren Aenderung die Kurfürsten natürlich gern gestatten würden. Hat aber der Kaiser einmal die beschränkte Gewalt übernommen, so versündigt er sich, wenn er nach voller königlicher Gewalt über die Stände strebt, und diese brauchen ihm, sobald er derartige Versuche macht, nicht mehr zu gehorchen. Daß es aber überhaupt möglich ist, die königliche Gewalt an gewisse Beschränkungen zu binden, daran zweifelt in Deutschland kein einsichtiger Politiker. Davon unterschieden ist aber - und auch daran zweifeln scharfsinnige Politiker nicht - noch die Stellung eines Bundesoberhaupts,[1] die sich schon äußerlich von voller königlicher Herrschaft unterscheidet.

  1. P.’s Ansicht ist, daß dem Kaiserthum eigentlich nur diese Bedeutung, die eines Bundesoberhaupts, zukommt. Dies ist im 6. Capitel ausgeführt.
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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/73&oldid=- (Version vom 1.8.2018)