Unter welchen Umständen und wodurch die deutschen Fürsten zu einer so bedeutenden Machtstellung gelangt sind, die sich mit einer monarchischen Staatsverfassung kaum verträgt, ist oben gezeigt worden. Ebenso ist erwähnt, daß den Fürsten nachdem sie einmal das Recht, den König frei zu wählen, erworben hatten, vor allem daran lag, ihre Befugunisse sich zu sichern. So wurde den Königen das Recht genommen, in den wichtigsten Reichsgeschäften nach Gutdünken zu entscheiden, indem man ihnen die Verpflichtung auferlegte, in solchen Angelegenheiten die Zustimmung der Fürsten einzuholen, so daß die Könige nicht so viel durch eigentliche Befehle, als durch ihre Autorität durchzusetzen vermochten. Es ist auch wohl möglich, daß in den Eid, welchen alle christlichen Könige bei ihrem Regierungsantritt zu leisten pflegen, schon früh von den Großen Deutschlands eine Clausel eingefügt ist, worin der König sich verpflichtet, die Rechte jedes einzelnen Deutschen zu schützen und die löblichen und hergebrachten Gewohnheiten des Reiches zu beobachten. Ob aber im Laufe der Zeit hier noch besondere Bedingungen hinzugefügt und schriftlich aufgezeichnet sind, steht nicht ganz fest. Auch ist keine sogenannte Wahlcapitulation aus der Zeit vor Karl V. bekannt, und wenn einige Schriftsteller sich auf eine solche berufen, so verdienen sie wenig Glauben.</ref>Noch Goldast hatte die Existenz einer Wahlcapitulation Maximilians I. behauptet, auf diese freilich schon längst widerlegte Ansicht bezieht sich P.</ref> Wenn aber in der goldenen Bulle dem Kaiser die Pflicht auferlegt wird, Rechte, Privilegien und Freiheiten der Kurfürsten mit Brief und Siegel zu bestätigen, so ist diese Bestimmung doch eben nur auf die Kurfürsten beschränkt, und eine Wahlcapitulation, welche die Rechte des ganzen Reiches garantirt, ist etwas ganz anderes. Veranlaßt aber wurden die Kurfürsten, Karl V. an eine bestimmte und ausführliche Capitulation zu binden, weil sie die Macht, das jugendliche Alter und den hohen Sinn des Königs kannten, der sich schon durch seinen Wahlspruch plus ultra zu erkennen gab, weil sie befürchteten, er werde seine große Hausmacht benutzen, um die Rechte der
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/71&oldid=- (Version vom 1.8.2018)