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Doch ist es bekannt, daß sie von diesem Rechte gegen Wenzel Gebrauch gemacht haben, also gegen den Sohn desselben Karl IV., dem alle die, welche den Vorrang der Kurfürsten mit scheelem Auge ansehen, es laut genug vorwerfen, er habe nur, um seinem Sohne die Nachfolge im Reiche zu sichern, die goldene Bulle erlassen und die Kurfürsten durch seine Freigebigkeit zu gewinnen versucht.[1] Auch Heinrich IV. abzusetzen haben einige Fürsten versucht. In beiden Fällen sollen übrigens hauptsächlich die Kurfürsten von Mainz, denen die betreffenden Kaiser sehr wenig wohl wollten, für das Recht, den Kaiser abzusetzen, eingetreten sein.

§. 7. Vorrechte der Kurfürsten.

Uebrigens haben die Kurfürsten noch andere Vorrechte vor den übrigen Fürsten. Sie können nicht nur allein für sich Kurtage halten und ohne Zuziehung der übrigen Fürsten über die wichtigsten Angelegenheiten berathen, sondern sie sind auch die obersten Beamten des Reiches. Und zwar sind die drei Erzbischöfe Erzkanzler, der Mainzer für Deutschland, der Trierer für Gallien und das arelatische Reich (darunter ist der im 11. Jahrhundert mit Deutschland vereinigte Theil des burgundischen Reiches zu verstehen), und der von Köln für Italien. Doch ist diese Würde bei Köln und Trier nur ein Titel ohne Bedeutung.[2] Der König von Böhmen ist Erzschenk und reicht bei einem feierlichen Mahle dem Kaiser den ersten Becher, der Baier ist Erztruchseß und trägt bei dem Krönungszuge den Reichsapfel, der Sachse als Erzmarschall trägt dem Kaiser das gezückte Schwert voran, der Brandenburger als Erzkämmerer reicht dem Kaiser das Wasser und trägt ihm das Scepter voran, der rheinische Pfalzgraf endlich als Erzschatzmeister streut im Krönungszuge goldene und silberne Münzen unter das Volk aus. Die weltlichen Kurfürsten aber haben Stellvertreter in diesen Aemtern, der Böhme die Schenken von Limburg, der Baier die Truchsessen von Waldburg, der Sachse die Marschälle von Pappenheim, der Brandenburger die Grafen von Hohenzollern, der Pfälzer die Grafen von Sinzendorf.

Einige andere Rechte, welche den Kurfürsten in der goldenen Bulle garantirt sind, kommen heute fast allen Fürsten zu. Als Vorrechte der ersteren wären nur anzuführen, daß gegen ihre Gerichte nicht an Reichsgerichte appellirt werden darf, daß sie ihre Lehen nicht erneuern zu lassen brauchen u. dgl.

  1. Die Ed. posth. fährt hier so fort: „Wenn übrigens auch Wenzel freiwillig auf das Reich verzichtet zu haben scheint, so möchte ich doch nicht behaupten, daß gegen Heinrich IV. den Vorschriften des Rechts gemäß verfahren sei. Daß aber die Mainzer Erzbischöfe die Absetzung beider Kaiser, die ihnen nicht wohlwollten, anstrebten, lag im Geiste jener Zeiten, in denen die Päpste mit Hilfe des deutschen Clerus sich der Obmacht der Kaiser zu entziehen strebten.“
  2. Mainz dagegen als Reichserzkanzler hatte u. a. das wichtige Vorrecht des Directoriums im Kurfürstenrath, das ihm auf die Beschlüsse des Reichstags, bei dem Mangel einer festen Geschäftsordnung, einen oft maßgebenden Einfluß gewährte.
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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/68&oldid=- (Version vom 20.8.2019)