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durfte? So wurden Oesterreich, Steiermark, Kärnthen, die Wendische Mark und einige andere Gebiete erworben. Anderes kam durch Verleihung anderer Kaiser hinzu, wie es ja überhaupt leichter ist, eine bestehende Macht zu erweitern, als eine neue zu gründen. Fürsten mit so ausgedehnten Erblanden konnte es dann auch nicht schwer werden, reiche Heirathen abzuschließen. Weil nun, um junge Prinzessinnen zu gewinnen, nicht nur Macht und Reichthum, sondern auch Rang und Würde nöthig sind, so konnte auch von einem sonst strengen Vater der Sohn leicht die Vergünstigung erhalten, durch einen besonderen Titel, den erzherzoglichen, vor den anderen Fürsten ausgezeichnet zu werden. Uebrigens sind in dieser Angelegenheit die Oesterreicher mit bemerkenswerther Klugheit vorgegangen.

Denn die alten Fürsten wären gewiß nur schwer und durch gehässige Maßregeln zu bewegen gewesen, dem neuen Fürstenhause einen höheren Rang auf dem Reichstage einzuräumen. Deshalb setzten die Oesterreicher sich auf die Bank der geistlichen Fürsten, und hier erhielten sie leicht den ersten Platz. Denn von diesen, die meist nicht aus fürstlichem Geschlechte stammen und gewöhnlich erst durch ihr Amt Fürsten werden, waren keine großen Schwierigkeiten zu erwarten. Außerdem bekam Oesterreich so, alternirend mit dem Erzbischof von Salzburg, den Vorsitz im Fürstenrath. Uebrigens darf man den Oesterreichern wegen dieses Verfahrens keine Vorwürfe machen, vielmehr wäre es die größte Thorheit gewesen, wenn sie die günstige Gelegenheit zu benützen versäumt hätten.

Jetzt umfaßt das österreichische Gebiet den größten Theil des östlichen Deutschlands. Dazu kommt noch das Königreich Ungarn, das den Habsburgern fast erblich gehört, und das den übrigen österreichischen Landen als Außenwerk gegen die Türkeneinfälle dient, die dann wieder einen passenden Vorwand abgeben, von den Deutschen Geld zusammenzubetteln.

§. 4. Fortsetzung.

Zu beachten ist nun, daß die Kaiserwürde nicht nur deswegen dem österreichischen Hause so lange verblieben ist, weil kaum ein anderes deutsches Fürstenhaus fähig war, das Kaiserthum aus eigenen Mitteln hinreichend zu repräsentiren, sondern namentlich deshalb, weil Oesterreich, Dank seiner schlauen Politik, ohne Schwierigkeit einen besonderen Staat würde bilden können, wenn einmal ein anderer zum Kaiserthron gelangte. Denn die Oesterreicher haben sich[1] mit solchen Privilegien ausgestattet, daß sie, wenn es ihnen nicht gefällt, die Hoheit eines anderen Kaisers anzuerkennen, gleich sagen können, sie hätten mit dem deutschen Reiche nichts gemein, ihr Gebiet bilde einen besonderen Staat, oder mindestens brauchten sie nur bedingungsweise und so weit es ihnen selbst passe, sich dem Kaiser zu unterwerfen.[2] Ein solcher Schritt würde aber nicht nur

  1. Die Ed. posth. sagt mildernd: Die Oesterreicher sind mit solchen Privilegien ausgestattet.
  2. Die hier berührte Frage der österreichischen Privilegien ist seitdem viel besprochen worden. Ich verweise nur auf die letzte, alle früheren zusammenfassende Arbeit des Dr. A. Huber in Sitzungsberichten der Wiener Akademie XXXIV, S. 17 ff. Seitdem steht es nun fest, daß der ausgedehnteste dieser Freiheitsbriefe, das sogenannte Privilegium Majus vom 17. September 1156, [44] außerdem aber noch mehrere andere der österreichischen Privilegien um die Mitte des 14. Jahrhunderts gefälscht sind. Natürlich entbehrten auch alle späteren Bestätigungen dieser falschen Privilegien und somit auch die Karls V. d d. Augsburg, 8. September 1530 eigentlich der rechtlichen Giltigkeit, und die ganze Stellung Oesterreichs im Reiche beruht eigentlich auf einer Fälschung. Freilich war dies Resultat der neueren Forschung zu P’s. Zeit noch nicht bekannt.
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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/42&oldid=- (Version vom 9.12.2021)