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wurde. Ob dieses Schutzrecht die Bedeutung einer wahren Oberlandesherrlichkeit im staatsrechtlichen Sinne gehabt hat, was die meisten deutschen Schriftsteller, die auf Seiten des Kaisers stehen, behaupten, ist mir sehr zweifelhaft. Es ist auch gar nicht wahrscheinlich, daß so fromme Fürsten eine eigentliche Herrschaft über einen Mann beansprucht haben, von dessen Heiligkeit sie so fest überzeugt waren; oder daß sie in den von ihnen der Kirche geschenkten Gütern sich mehr Rechte vorbehalten haben, als zu einer wirksamen Beschützung nöthig waren. Ich möchte daher lieber glauben, daß eine Art von Bundesverhältniß, das dem einer wirklichen Unterwerfung bald näher kam, bald sich weiter von ihm entfernte, zwischen dem römischen Stuhle und Karl bestand. Das ganze Verhältniß scheint darauf hinausgelaufen zu sein, daß Karl sich verplichtete, den römischen Stuhl und seine Besitzungen gegen Angriffe von außen oder Unruhen im innern zu schützen. Auf der anderen Seite hatte Rom die Hoheit Karls gebührend zu achten und war in der Beschlußnahme über wichtige Angelegenheiten an seine Zustimmung gebunden; insbesondere durfte keine ihm mißliebige Persönlichkeit den päpstlichen Stuhl besteigen.

Es ergiebt sich daraus, daß Rom seit jener Zeit einen besonderen Staat gebildet hat und nicht mit dem fränkischen Reiche zu einem Staatswesen, im eigentlichen Sinne des Wortes, verschmolzen ist. Daher waren der römische Stuhl und seine Güter Karl weder unterthan, noch stand dem Kaiser hier eine eigentliche Regierungsgewalt zu, wie sie sich in der Gesetzgebung, Steuererhebung, Beamtenernennung und Rechtsprechung äußert. Wohl hatte er den zu vertreiben, der sich etwa auf illegale Weise des päpstlichen Stuhles bemächtigt hatte, hatte er Anschläge zu vereiteln, welche die Kirche an Ehre und Gut zu schädigen drohten, hatte er alle Feinde des Papstes, äußere und innere, niederzuhalten, wohl durfte er endlich für die hierauf verwendeten Unkosten sich aus den Gütern der Kirche entschädigen – aber das alles geht nicht über die Befugnisse eines Schirmherrn hinaus.

Uebrigens scheinen Karl und viele seiner Nachfolger auf den Kaisertitel stolz gewesen zu sein, und nahmen deswegen einen Vorrang vor den übrigen Königen, die vergeblich sich dagegen sträubten, in Anspruch. Das fränkische Reich dagegen wurde, so viel mir bekannt ist, unter der Herrschaft der Karolinger nie als römisches Kaiserreich bezeichnet.

§. 13. Erneuerung des Kaiserthums durch Otto I.

Als der karolingische Stamm seinem Untergange nahe war, trennte sich der deutsche Staat vom Frankenreiche, und in Italien entstanden schwere Kämpfe, indem aus den Trümmern des alten Reiches neue sich zu bilden begannen. Dieser Unruhen halber, welche die Lage des Papstthums nicht als ganz gesichert erscheinen ließen, schien es dem Papste gerathen, nachdem der deutsche König Otto I. Berengar besiegt und sich das Königreich Italien unterworfen hatte, diesen als Schirmvogt anzunehmen, ungefähr mit denselben Befugnissen, wie einst Karl. Seitdem war die Schirmvogtei über den römischen Stuhl mit dem deutschen Reiche untrennbar verbunden, so daß der deutsche König eo ipso auch dieses Schutzrecht erlangte. Uebrigens haben nicht wenige von den alten deutschen Königen von diesem Schutzrechte einen ziemlich weitgehenden Gebrauch gemacht; und

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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)