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Zeit der Ottonen wird dann die Bezeichnung Ostfranken allmälich ungebräuchlich.

Auch die Sprache Karls des Großen beweist nicht viel. Die den Römern unterworfenen Gallier hatten allmälich auch die Sprache ihrer Herrscher angenommen, so daß zuletzt kaum noch Spuren der keltischen Sprache übrig blieben. Die Franken dagegen haben in Gallien sicher nicht gleich ihre deutsche Mundart vergessen. Nun haben die Franken die Bewohner Galliens weder völlig vernichtet, noch aus ihren Wohnsitzen vertrieben, sondern sie nur ihrer Herrschaft unterworfen. Die Franken nahmen daher im Staate die erste Stelle ein, während die alten Gallier, als Besiegte, sich mit einer untergeordneten Stellung begnügen mußten. Wie nun aber, wenn zwei Flüsse von verschiedener Farbe zusammenstießen, ein jeder eine Zeit lang seine Farbe in dem gemeinsamen Bette beibehält, bis schließlich beide in einander übergehen, so behielten eine Zeit lang Gallier und Franken ihre eigene Sprache bei, bis schließlich eine Mischsprache entstand, in der aber das lateinische Element vorherrschte. Und letzteres war deshalb der Fall, weil ohne Zweifel die Gallier weit zahlreicher als die Franken waren, und es für erstere viel schwieriger war deutsch, als für letztere lateinisch zu lernen: habe ich doch an mir selbst erfahren, wie sehr sich ein Ausländer abzumühen hat, um des Deutschen mächtig zu werden. Daher nennen auch die alten fränkischen Schriftsteller das Latein, wie es das gemeine Volk sprach, die Bauernsprache, denn während die vornehmeren Deutschen ihre Sprache beibehielten, verstanden die Bauern und die große Masse des Volkes nur Latein. So verstehen ja auch heute in Livland und Kurland, wo doch die alten Einwohner des Landes von den Deutschen in den Stand abhängiger Bauern herabgedrückt sind, fast alle Adligen und die Bewohner der Städte die Bauernsprache, aber kaum der zehnte Theil der Bauern die deutsche.

So konnte Karl Deutsch verstehen, theils weil die deutsche Sprache unter den Franken noch vielfach in Gebrauch war, theils weil schon seine Vorfahren einen großen Theil, er selbst aber ganz Deutschland beherrschte, und weil man in jener ungebildeten Zeit überhaupt nicht hätte mit den Deutschen verkehren können, wenn man nicht ihre Sprache verstanden hätte.

Den ganzen Streit wird man aber am besten schlichten können, wenn man die verschiedenen Fragen, die hier mit einander vermischt sind, wohl auseinander hält. Fragt man nämlich, ob Karl zum gallischen oder germanischen Stamm gehöre, so wird ohne Zweifel die Antwort sein, zum germanischen oder fränkischen. Fragt man dagegen nach seinem Vaterlande, so wird man ihm Frankreich und nicht Deutschland zuweisen und ihn deshalb nicht als einen Deutschen, sondern als einen Franzosen bezeichnen müssen.

Fast scheine ich meinen Lesern zu wenig zuzutrauen, wenn ich bei einer so einfachen Sache noch länger verweile. Aber ich will doch noch ein den Deutschen geläufiges Beispiel hinzufügen. Wenn man in Deutschland einen Edlen aus Livland trifft und ihn fragt, was er für ein Landsmann sei, wird er antworten, ein Livländer und nicht ein Deutscher, fragt man ihn aber weiter, welchem Stamme er angehöre, wird er sagen, dem germanischen und nicht dem lettischen.

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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)