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§. 8. Der Charakter des Katholicismus.

Der Charakter des Katholicismus nun ist grundverschieden von dem jener neuen Lehren. Letztere betrachten die Geistlichen als Diener der Obrigkeit und des Volkes und sehen es als deren Aufgabe an, Allen einen frommen Lebenswandel zu lehren und sie so auf den Weg zum ewigen Leben zu leiten. Dem Katholizismus dagegen liegt weniger daran, die Menschen fromm und brav zu machen, als daran, die Macht, den Reichthum und das Ansehen der Geistlichkeit ins Unermeßliche zu steigern. Deshalb habe ich mich schon seit langer Zeit darüber verwundert, wie thöricht unsere Priester verfahren, wenn sie ihre Streitigkeiten mit den sogenannten Ketzern aus der heiligen Schrift entscheiden wollen; denn es giebt eine viel einfachere und klarere Art, alles mit mathematischer Bestimmtheit zu demonstriren. Denn stellt man einmal das als Prinzip hin, was ich als Zweck des Katholicismus soeben bezeichnet habe, daß es nämlich nur auf Vermehrung des Ansehens und der Macht der Geistlichkeit ankommt, so müßten die Gegner wahnsinnig sein, wollten sie in Zukunft auch nur mit einem Worte die Dogmen bekämpfen, in Betreff welcher bis jetzt so viel Papier unnütz verbraucht ist. Ich will nur ein oder das andere Beispiel geben.

Man nennt die heilige Schrift dunkel und verbietet den Laien sie zu lesen, damit die Pfaffen allein das Recht behalten, sie auszulegen und die Laien daraus nichts entnehmen können, was den Geistlichen unbequem sein könnte. Weiter wird neben der heiligen Schrift die Tradition deshalb zu Hülfe genommen, damit man aus dieser leicht ergänzen kann, was an für die Geistlichen erwünschten Lehren etwa in der Schrift fehlt. Ferner hat man deshalb den Cultus mit so zahlreichen und glänzenden Ceremonien ausgestattet, um dadurch den Sinn des Volkes zu überwältigen und zu begeistern und es nicht zu dem Gedanken einer wahren und einfachen Frömmigkeit kommen zu lassen. Ebenso wäre es nicht einträglich gewesen, Gott allein die Vergebung der Sünden zu überlassen; man räumte daher den Geistlichen die Befugniß dazu ein und diesen konnte es natürlich nicht angebracht erscheinen, von einem so nutzbaren Rechte verschwenderischen Gebrauch zu machen und sich mit einer allgemeinen Beichte und einem von der Freigebigkeit der Beichtenden selbst zu bestimmenden Geschenke zu begnügen. Daher verlangt man eine genaue Aufzählung aller einzelnen Sünden und stellt es dem Gutdünken der Priester anheim, dieselben abzuschätzen. Ist das Beichtkind reich, so ist der Gewinn groß, auch wenn die Absolution gratis ertheilt wird – denn wer sollte einem so gütigen Vater gegenüber nicht überaus freigebig sein –; ist der Beichtende dagegen arm, so darf man getrost von jenem Schätzungsrechte Gebrauch machen. Und wie wichtig ist es für die Geistlichkeit, alle Geheimnisse zu kennen! und wer ehrt nicht seinen Beichtvater, den Richter seines Herzens! Weiter ist auch die Messe ein prächtiges Mittel, Macht und Ansehen der Geistlichkeit zu mehren. Denn wer könnte dem Spender des Heiles die Belohnung weigern; oder wer den Menschen Anbetung versagen, die durch bloßes Wort das heiligste Opfer Christi zu erneuern vermögen. Fest muß man halten an der Versagung des Kelches für die Laien – damit die Pfaffen nicht einen Irrthum einzugestehen haben. Und wie an

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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)