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Folgende: „Da jener vielgereiste Herr einen Gegenstand berührt hat, über den ich selbst oft nachgedacht habe, so will ich darlegen, was sich mir schließlich ergeben hat. Denn wir sind grade nicht sehr beschäftigt und ich werde doch erst dann von der Richtigkeit meiner Ansichten überzeugt sein können, wenn sie dem verständigen Urtheil der Anwesenden auch so erscheinen.“ Er holte dann weit aus und erzählte von den vielen Ketzereien, die anfangs die Einheit der christlichen Kirche gespalten hätten, von denen aber die meisten im Laufe der Zeit verschwunden seien. Kein Schisma aber habe es gegeben welches der Kirche gefährlicher sei, und welches sogar ganze Reiche ergriffen habe, als dasjenige, welches im vorigen Jahrhundert einige wenige Gelehrte in Deutschland hervorgerufen hätten. Mit großem Scharfsinn, aber auch mit erbittertem Haß sei von beiden Seiten gekämpft worden, und noch sei keine Hoffnung auf gütliche Beilegung vorhanden. Es sei nicht seine Sache, den innersten Grund der Dinge zu erforschen, aber zu versuchen das zu erforschen, was dem menschlichen Verstande erschlossen sei, komme seinem geistlichen Stande ganz wohl zu.

§. 6. Fortsetzung.

Zwei Dinge sind es nun, fuhr er fort, die besonders heftig die Menschen gegen einander erbitterten: Verachtung und Egoismus. Ich meine nicht jene Verachtung, in der wir über eines anderen Ruf und Ehre geringschätzig denken, sondern ich spreche von dem Gefühle, das uns um so mehr ergreift, je heißblütiger wir sind, und das in uns entsteht, wenn ein Anderer nicht unserer Meinung ist. Denn alle Menschen sind dieser Schwäche unterworfen: nicht nur, wenn ihre Ansicht bestritten, sondern schon dann, wenn sie nicht anerkannt wird, verdrießt es sie; denn wer uns nicht zustimmt, von dem glauben wir, er bezüchtige uns stillschweigend des Irrthums, und wer gar unsere Meinung in vielen Punkten angreift, der scheint uns für Thoren zu halten.

Ganz besonders aber leiden an dieser Schwäche die Leute von der Studirstube, welche im Schulstaube herangewachsen sind und seitdem meist ihren eigenen Gedanken nachhängen. Sie halten den für ihren Todfeind, der ihre Ansichten nicht als Orakelsprüche ehrte und so haben die Gelehrten oft ebenso heftig um Silben und Buchstaben gekämpft, wie die Punier mit den Römern um die Weltherrschaft gestritten haben. Mindestens ebenso starrsinnig, wenn nicht noch mehr, sind in dieser Beziehung die Geistlichen (so durfte der Redner sich äußern, da ihm der Nuncius stillschweigend Erlaubniß zugewinkt hatte). Jeder von ihnen glaubt unter dem besonderen Schutze der Gottheit zu stehen. Wer daher anderen Glaubens ist als sie, der beleidigt sie nicht nur durch Geringschätzung ihrer Autorität, sondern sie beschuldigen ihn auch der Gottlosigkeit, denn, sagen sie, er sieht seinen Irrthum ein, aber aus Verachtung der himmlischen Wahrheit oder aus weltlichem Starrsinn, um nicht einräumen zu müssen, daß er eines besseren belehrt ist, weigert er sich, ihn abzulegen. Und es ist in der That ein Wunder, daß Diejenigen, welche Anderen christliche Liebe und Sanftmuth predigen selbst von so heftig sprudelnden Leidenschaften erfüllt sind. Ich kenne wenigstens keinen anderen Stand, in welchem Ehrgeiz, Habsucht, Neid, Jähzorn und Starrsinn mehr vertreten sind, keinen anderen, in welchem Jeder sich für so unfehlbar hält, daß er

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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/128&oldid=- (Version vom 1.8.2018)