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Verdacht, gegenseitiges Mißtrauen und Ränke aller Arte auf der einen Seite, um die Erweiterung der kaiserlichen Befugnisse zu hindern, auf der anderen, um die Macht der Fürsten zu brechen; und so wird das sonst so mächtige deutsche Reich zu Angriffs- oder Eroberungskriegen fast ganz unfähig, da die Stände dem Kaiser keinen Machtzuwachs gönnen und das neu erworbene Gebiet doch nicht unter alle gleichmäßig vertheilt werden kann. Wie monströs ist schon allein das Ergebniß aller dieser Verhältnisse, das nämlich, daß im Reiche die Politik des Hauptes von der der Glieder sich völlig unterscheidet.

Außerdem aber bestehen unter den einzelnen Ständen selbst mannigfache Gegensätze, welche Deutschland nicht einmal als einen in sich geschlossenen Bundesstaat erscheinen lassen. Zunächst ist es schon bedenklich, daß die Verfassungsform nicht in allen Gliedern des Bundes dieselbe ist, sondern daß dieselben theils Monarchieen, theils Republiken sind. So sehen die Fürsten scheelen Auges auf die durch Handel reich gewordenen Städte, zumal ein großer Theil des Reichthums derselben aus den fürstlichen Territorien selbst herstammt, wie es denn auch unbestreitbar ist, daß viele Städte, Schmarotzerpflanzen vergleichbar, die benachbarten fürstlichen Territorien fast völlig ausgesogen haben. Der Adel pflegt ferner ja immer den Bürgerstand gering zu achten, während dieser doch auf sein Geld nicht weniger zu pochen liebt, als jener auf seine Ahnenbilder oder seine verarmten Besitzungen. Einige Fürsten glauben auch, daß die Städte einen schlechten Einfluß auf ihre Unterthanen ausüben, und daß diese um so widerwilliger sich in’s Joch der Herrschaft schmiegen, je näher ihnen ein Vergleich mit der freieren Entfaltung des Bürgerthums in den benachbarten Städten liegt. So entstehen überall gegenseitiger Neid und Haß, gegenseitiges Mißtrauen, gegenseitige Vorsicht und gegenseitige Ränke. Am häufigsten und offenkundigsten aber treten diese Gegensätze zu Tage zwischen den Bischöfen und den Städten, in welchen die Haupt- oder Cathedralkirchen der ersteren belegen sind. Selbst auf dem Reichstage zeigen die Fürsten unverholen ihre Abneigung gegen das Collegium der Städte, während der Kaiser letzteren geneigt ist, da er auf sie einen größeren Einfluß auszuüben vermag, als auf die anderen Stände.

Aber auch die geistlichen und die weltlichen Fürsten sind einander nicht sehr wohl geneigt. Erstere beanspruchen für sich einen höheren Rang um ihres priesterlichen Amtes willen,[1] und weil ohne Zweifel der Glorienschein der Gottheit sich reichlicher über eine Glatze ergießt, als über ein Haupt mit vollem Haarwuchs. Einst in den barbarischen Zeiten des Mittelalters überwogen sie auch an Einfluß und Ansehen. Den weltlichen Fürsten aber ist es nicht angenehm, jene, die doch meist aus dem niederen Adel stammen, plötzlich als ihres Gleichen anerkennen oder ihnen wohl gar einen höheren Rang zugestehen zu müssen und sie auf ihr Gottesgnadenthum sich berufen zu hören. Dazu kommt noch, daß ja die geistlichen Fürsten ihr Amt nicht ihren Nachkommen hinterlassen können und daß ihre Familie in ihrem früherem Stande verbleibt, wenn auch

  1. Ed. posth. fährt statt des folgenden ironischen Satzes fort: das freilich seiner anfänglichen Bestimmung und seinem ursprünglichen Charakter nach nichts fürstliches an sich hatte. Den weltlichen u. s. w.
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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/118&oldid=- (Version vom 1.8.2018)