Seite:Über die Verfassung des deutschen Reiches.djvu/116

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Zeit etwas lauer geworden, und Frankreich hat es für rathsamer gehalten, einige deutsche Fürsten, besonders rheinische, für jährliche Subsidien, wie man sich erzählt, an sich zu fesseln. Dabei zeigt es sich im allgemeinen für das Wohl Deutschlands besorgt, spielt in Streitigkeiten deutscher Fürsten gern den Schiedsrichter, unterstützt die, welche eine Hilfe nachsuchen, mit Geld und Truppen, und sucht so jeden, der Unterstützung braucht, zu überzeugen, daß er sie leichter in Frankreich, als bei Kaiser und Reich finden würde. Man[1] müßte thöricht sein, wenn man nicht bemerkte, daß dies der leichteste Weg ist, Deutschlands Freiheit zu untergraben, besonders wenn einmal der österreichische Mannsstamm aussterben sollte.

§. 7. Deutschlands Krankheiten im Inneren.

Aber die Macht des deutschen Reiches, welche durch eine regelmäßige Staatsverfassung zusammengehalten, ganz Europa furchtbar sein würde, ist durch innere Krankheiten und Umwälzungen so geschwächt, daß sie sich kaum selbst vertheidigen kann. Schuld daran ist hauptsächlich, wie gesagt, die zusammenhangslose, schlecht geordnete Verfassung; denn eine Menge von Menschen, mag sie auch noch so zahlreich sein, ist nicht stärker, als ein Mann, so lange jeder seine besonderen Zwecke verfolgt. Und wenn auch mehrere Menschen nicht zu einem natürlichen Körper zusammenwachsen können, so werden doch ihre Kräfte geeinigt, wenn sie von einem Willen, wie von einem Geiste, gelenkt werden. Je enger und geschlossener diese Vereinigung, um so kräftiger ist sie. Schwächen und Krankheiten dagegen sind die Folgen einer losen und schlaffen Verbindung der Glieder. Die vollkommenste Vereinigung, welche zu einer dauerhaften Machtentwickelung am meisten fähig ist, zeigt sich in einer gut geordneten

  1. Statt der folgenden Worte heißt es in der Ed. posth. so: Bald aber fing Frankreich an, durch beständige Erfolge übermüthig geworden, durch Verrath, unter den absurdesten Vorwänden oder mit offener Gewalt, alles in Besitz zu nehmen, was ihm wohlgelegen schien; das linke Rheinufer wurde zum größten Theil annectirt und durch furchtbare Werke befestigt, so daß eine Invasion in Frankreich fast unmöglich war, die Franzosen dagegen, so oft es ihnen beliebte, in Deutschland einfallen und das Land furchtbar verheeren konnten. Deshalb sind Alle, die Frankreich unterstützen, offene Vaterlandsverräther; diejenigen aber, welche die gemeinsame Gefahr abzuwehren zu feige sind, verdienten die französische Knechtschaft vollkommen, wenn nur nicht ihre unglücklichen Unterthanen ihr Loos zu theilen hätten. Besonders aber müssen die deutschen Fürsten sich hüten, das Bündnißrecht zum Schaden des Vaterlandes zu mißbrauchen, und es wäre zu wünschen, daß ein Mittel gefunden würde, diesen Mißbrauch zu verhüten. Freilich, wären die Fürsten einsichtig, so müßte schon die Erwägung ausreichen, daß nach der Sprengung des Reichs auch ihre Macht zu Boden geworfen und von dem französischen Uebermuthe zertrümmert werden würde. Dabei mögen sie an den Ausspruch jenes französischen Ministers denken, der dem Gesandten eines deutschen Kurfürsten erwiderte, als dieser bei Unterhandlungen über ein Bündniß um Frankreich die Verpflichtungen seines Herrn gegen das Reich gewahrt wissen wollte: - „Wozu bedarf es der Worte, wenn Dein Herr nicht ein Kurfürst des römischen Reiches ist, so ist er nichts.“
Empfohlene Zitierweise:
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)