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Siebentes Capitel.
Deutschlands Macht und Deutschlands Schwäche.[1]
§. 1. Die Einwohner Deutschlands.

Die Macht eines Staates kann entweder an und für sich oder in ihrer Zusammenfassung durch eine angemessene Regierungs- und Verfassungsform betrachtet werden. An und für sich betrachtet, beruht sie auf der Bevölkerung und auf deren Besitzthümern.

Was nun die Bevölkerung angeht, so hat Deutschland sich zahlreicher und hochbegabter Einwohner zu rühmen. Der hohe Adel ist so zahlreich und so glänzend, wie in keinem anderen Lande der Erde. Der niedrigen Adligen sind nicht allzu viele für die Größe des Reiches, und deshalb ist der niedere Adel in Deutschland nicht, wie in anderen Reichen, wo seine Zahl zu groß ist, gezwungen, sich einer unritterlichen Lebensweise zu widmen. Der Gelehrtenstand ist vielleicht zahlreicher, als gut wäre; denn viele streben nach dem Lorbeer, aber nur wenige erreichen ihn. Kaufleute und Handwerker sind in genügender Anzahl vorhanden; nur Bauern giebt es jetzt für die Ausdehnung des ackerbaren Landes zu wenig. Daran ist theils der dreißigjährige Krieg Schuld, der Deutschland entsetzlich verheert hat[2], theils der Umstand, daß alle Bauern, wenn ihre Vermögensverhältnisse es irgend gestatten, ihre Söhne sofort ein Handwerk erlernen lassen, da sie Alle glücklich preisen, denen es vergönnt ist, in der Stadt zu leben.

Obgleich kaum irgend Jemand die Zahl der Städte und Dörfer in Deutschland genau kennt, glaube ich, wird man doch kaum der Uebertreibung

  1. Das siebente Capitel, in welchem P. eine vortreffliche Uebersicht über die deutschen Machtverhältnisse und die Umstände giebt, welche diese Macht nicht zu ihrer vollen Betätigung kommen ließen, mag in gewisser Beziehung als das beste der ganzen Schrift betrachtet werden. Hier ist er auch, während wir ihn in den ersten fünf Capiteln meist Conring folgen sahen, nach dem eigenen Zugeständniß des Letzteren ganz selbstständig, was selbstverständlich auch vom sechsten und achten Capitel gilt.
  2. Doch waren die Folgen des dreißigjährigen Krieges für die städtische Bevölkerung kaum minder verderblich. Vgl. z. B. für Berlin, Cöln und Prenzlau die Angaben bei Droysen, Preuß. Politik III., 3, 215, für Eßlingen, Zeitschr. für deutsche Culturgeschichte 1858, S. 1 ff., für Hennebergische Städte und Dörfer, ebenda 1857, S. 207. ff. u. a.
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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/107&oldid=- (Version vom 1.8.2018)