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nicht, daß in allen Königreichen zur Zeit eines Interregnums die Souveränetät ans Volk oder die dasselbe vertretenden Stände zurückfällt. Weiter, wenn ich mich verpflichtet fühle, Jemandem Rechenschaft von meiner Handlungsweise abzulegen, so erkenne ich ihn doch darum noch nicht als meinen Vorgesetzten an. Rechenschaft kann man zwar dem ablegen, von dem man zur Verantwortung gezogen werden kann, man kann aber auch dazu durch vertragsmäßige Bestimmung verpflichtet sein; man kann sie endlich ablegen, weil man die gute Meinung eines anderen nicht verlieren will. So pflegen ja Könige, ehe sie einen Krieg beginnen, durch Manifeste der ganzen Welt Rechenschaft abzulegen. – Auch wer befugt ist, Jemanden eines Amtes zu entsetzen, ist darum noch nicht immer sein Oberherr, oder sein Vorgesetzter. Denn es ist möglich, daß Jemand nach vertragsmäßiger Bestimmung die Angelegenheiten eines anderen mit zu verwalten hat. Wird nun diese Verwaltung schlecht geführt, so kann sie ihm entzogen werden, ganz so wie man einen Vertrag brechen darf, wenn der andere contrahirende Theil nicht alle Bestimmungen erfüllt hat. Freilich daran würde man guten Grund haben zu zweifeln, ob das Verfahren der Fürsten gegen Heinrich IV. und Adolf von Nassau rechtlich begründet war: wenn es nicht bekannt wäre, daß die ehrwürdigen Bischöfe beide Mal die Hauptrolle dabei gespielt haben[1]. – Hippolith’s weitläufige Ausführungen über den Reichstag sind zwar richtig, beweisen aber nicht das, was er behauptet. Denn wenn auch der Kaiser ohne Genehmigung der Stände keine Gesetze erlassen darf, so wäre es doch ebenso unerhört, wenn diese ohne Genehmigung des Kaisers Verordnungen erließen. – Freilich schreiben die Kurfürsten in der Wahlcapitulation vor, was der Kaiser zu thun, und was er zu unterlassen hat, aber nicht kraft einer Herrschaft über ihn, sondern nach Art eines Contractes, dessen Bedeutung die ist, daß die Stände gegen die Bestimmungen der Wahlcapitulation erlassenen Verordnungen des Kaisers nicht nachzukommen verbunden sind. Das aber kommt bei allen Verträgen vor und beweist keine Oberhoheit der Stände über den Kaiser.

Mehr Beweiskraft scheint der Umstand zu haben, daß nach althergebrachtem, durch die goldene Bulle bestätigten Recht der Kaiser, wenn er verklagt wird, vor dem Pfalzgrafen Recht zu nehmen hat, und es ist ja bekannt, wie die drei geistlichen Kurfürsten Albrecht I. aufgefordert haben, vor dem Pfalzgrafen sich zu vertheidigen: ein Fall, in dem übrigens nicht sowohl ein gerichtliches Urtheil, als vielmehr die Gewalt der Waffen für die Kläger entschieden hat. Aus der Zeit nach der goldenen Bulle ist übrigens kein Fall eines solchen gerichtlichen Verfahrens gegen den Kaiser vor dem Pfalzgrafen bekannt. Dies Recht des Pfalzgrafen ist ohne Zweifel aus den Befugnissen entstanden, die er in alter Zeit wie der Major domus[2] am Hofe ausübte. Denn wie diesem die Gerichtsbarkeit über alle Hofleute zukam, so hatte über zweifelhafte civilrechtliche Ansprüche an den König der Pfalzgraf eine Untersuchung anzustellen. Seinem Urtheil

  1. Dieser Satz fehlt in der Ed. posth.
  2. Diese Worte sind wohl so verstanden worden, als ob P. den Pfalzgrafen für identisch mit dem Major domus gehalten habe. Der Wortlaut schloß das allerdings nicht aus; doch ist es auch möglich, sowie im Texte geschehen ist, zu übersetzen; und das ist jedenfalls vorzuziehen.
Empfohlene Zitierweise:
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/103&oldid=- (Version vom 6.5.2018)