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Voraussetzungen ausgehend Hr. Einstein[1] jüngst zu Resultaten gelangt, die in ihren der Beobachtung zugänglichen Folgerungen mit den Lorentzschen übereinstimmen, bei denen aber die eben erwähnten Schwierigkeiten erkenntnistheoretischer[WS 1] Art vermieden sind. Hr. Einstein führt das Prinzip der Relativbewegung, wenigstens soweit es sich um Translationen handelt, als Postulat ein. Er stellt also den Satz an die Spitze, daß die innerhalb irgend eines starren Systems beobachtbaren physikalischen Erscheinungen unabhängig davon sein müssen, ob das System sich mit samt dem Beobachter relativ zu irgend einem anderen System bewegt. Hieraus ergibt sich sofort durch Anwendung auf die Fortpflanzung des Lichtes eine neue Definition der Zeit und des Begriffs „gleichzeitig“ für zwei räumlich getrennte Punkte, und zwar sind für einen Beobachter in einem System , das sich relativ zu einem anderen Normalsystem bewegt, zwei an verschiedenen Punkten erfolgende Ereignisse dann gleichzeitig, wenn für einen in ruhenden Beobachter zwei Größen gleich werden, die formell identisch sind mit der von Hrn. Lorentz eingeführten „Ortszeit“. Ferner ergibt sich, wenn für einen mitbewegten, also in ruhenden Beobachter dem obigen Postulat entsprechend alle Eigenschaften, also auch die geometrischen Dimensionen unverändert bleiben, daß dann für einen in ruhenden Beobachter die von aus betrachteten „gleichzeitigen“ Abmessungen eines Gebildes gerade in der Weise verändert erscheinen müssen, wie es bei Lorentz als hypothetische Grundannahme eingeführt wird. Ferner wird die völlige Reziprozitat aller gefundenen Gesetze, d. h. die Vertauschbarkeit der Systeme und , des „ruhenden“ und des „bewegten“ Systems nachgewiesen. Die der Beobachtung zugänglichen Resultate sind also bei beiden Verfassern dieselben; während aber Lorentz nur zeigt, daß seine Hypothesen zu dem verlangten Resultat führen, ohne dadurch auszuschließen, daß auch auf andere Weise dasselbe erreichbar, zeigt Hr. Einstein, daß, wenn man das verlangte Resultat, nämlich das Prinzip der Relativbewegung für die gesamte Physik an die Spitze stelle, dann notwendig die Kinematik des starren


  1. A. Einstein, Ann. d. Phys. (4) 17. p. 891. 1905.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erkennistheoretischer
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Walter Kaufmann: Über die Konstitution des Elektrons. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1906, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Konstitution_des_Elektrons_(1906).djvu/6&oldid=- (Version vom 20.8.2021)