Sehenswürdigkeiten der Ausstellungen 1896
Sehenswürdigkeiten der Ausstellungen 1896.
Trotz aller Klagen, die so laut über die zu häufige Wiederholung der Ausstellungen erhoben werden, kehren die Ausstellungen doch alle Jahre wieder. Die schaulustige Menge drängt sich zu ihrem Besuch und die „ausstellungsmüde“ Industrie verfehlt nicht, sie zu beschicken. Es geht nicht anders! Die Ausstellungen sind unentbehrlich geworden. Mögen sie diesen und jenen beunruhigen, ihm Mühe und Kosten bereiten, sie bringen doch einen unschätzbaren Nutzen. Sie sind ja einmal eine Heerschau auf dem Felde friedlicher Arbeit; die höchsten Errungenschaften und die besten Leistungen menschlichen Könnens treten auf ihnen miteinander in Wettbewerb, und auf jenem Plan ist nicht nur der Lorbeerkranz der ruhmreichen Anerkennung, sondern auch vielfach ein klingender Lohn zu erwerben. Neue Erfindungen, Verbesserungen auf allen Gebieten der Industrie und Technik werden da den Besuchern vorgeführt, werden dadurch bekannt und finden leichteren Absatz: Ausstellungen sind ein mächtiges Mittel der Anpreisung, ohne die in unserem Zeitalter ein Geschäft oder Unternehmen nicht gut blühen kann. Außerdem besitzen aber die viel gelästerten Ausstellungen auch ihre ideale Seite. Sie sind periodische Bildungsanstalten im besten Sinne des Wortes und zwar dienen sie nicht allein dem Fachmann, der das Gebotene mit sachkundigem Auge prüft, sondern auch der Allgemeinheit. Millionen Menschen besuchen alljährlich die Ausstellungen und kaum einer verläßt ihre Räume, ohne seinen Wissenskreis erweitert zu haben. Jede gute Ausstellung ist ein lebendiges höchst nützliches Buch, das sich sozusagen selber dem Besucher vorliest, und dieses Buch hat auch den Vorzug, daß es nicht langweilig ist, daß es die augenfällige Belehrung, die es enthält, mit reichhaltiger Unterhaltung verknüpft. Von diesem Standpunkte ist der Besuch jeder Ausstellung jedermann nützlich und man kann nur wünschen, daß die Zahl der Besucher immer mehr steigen möge.
Auch in diesem Jahre öffneten sich von dem Maimonat an die Pforten verschiedener Ausstellungen dem schaulustigen Publikum. Dampf, Gas und Elektrizität setzen auf ihnen die vollkommensten und sinnreichsten Maschinen in Bewegung, aber neben dem rein Technischen und Industriellen kommt noch vieles andere zur Geltung. Die Ausstellungen, wie sie geplant wurden und nun glücklich zustande gekommen sind, stehen auch im Dienste der Wissenschaft; sie werden dem Volke verschiedene Zweige derselben vermitteln, vor allem aber die lehrreichsten Anschauungen über einzelne Abschnitte der Völkerkunde und Völkergeschichte verbreiten!
Innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches übt in diesem Sommer die Berliner Gewerbe-Ausstellung die größte Anziehungskraft aus; sie wurde bereits im Eröffnungsmonat Mai von 1200000 Personen besucht. Ein Vierteljahrhundert ist gerade verflossen seit Berlin zur Kaiserstadt, zur Hauptstadt des Reiches wurde. In dieser Zeit ist es riesig gewachsen und fröhlich emporgeblüht. Als Sitz hoher Behörden, als Pflegestätte der Kunst und Wissenschaft zeichnet sich die Großstadt durch das regste geistige Leben aus und dabei hat sie dem Handel und Wandel gastlich ihre Thore geöffnet: weit und breit ist die Berliner Industrie berühmt. Fürwahr, Berlin ist groß und fleißig genug, um in einer eigenen Ausstellung ein glänzendes Gesamtbild regster Thätigkeit, eine Fülle beachtenswerter Errungenschaften auf den verschiedensten Gebieten menschlichen
[437] Wissens und Könnens darzubieten. Wer die in kurzer Zeit aus dem Boden gezauberte Stadt von Hallen, Türmen und Pavillons betritt, dem drängt sich schon beim ersten Blick die Ueberzeugung auf, daß die Berliner etwas wahrhaft Großes zustande gebracht haben. Schon der Ausstellungsplatz ist ungemein günstig gewählt. Er umfaßt über eine Million Quadratmeter und ist somit größer als der Raum aller seitherigen Weltausstellungen in Europa. Dabei ist er landschaftlich schön; denn er schließt auch den Treptower Park ein mit den prächtigsten Wald- und Gartenanlagen und berührt das Ufer der bei Treptow seeartig sich erweiternden Spree.
In dieser reizenden, durch das frische Grün und die Spiegel der Wasserflut geschmückten Landschaft liegen malerisch zerstreut die Ausstellungsbauten. Gewaltig ragt vor allem die Große Industriehalle hervor, die mit den Anbauten eine Fläche von 60000 qm bedeckt. In ihrer Mitte erhebt sich der 30 m breite und 40 m hohe Kuppelraum, den zwei schlanke je 65 m hohe Türme flankieren. Diesem Riesenbau ist im weiten Halbkreise eine Wandelhalle vorgelagert, mit einem stattlichen dreifachen Portal in der Mitte und mit turmgeschmückten Pavillons am Nord- und Südrande. Vor diesem großartigen fast einen halben Kilometer langen Bau spielt ein Springbrunnen, von dem eine an hundert Fuß hohe Wassersäule aufsteigt, die in den dunklen Abendstunden, von innen elektrisch beleuchtet, einen feenhaften Anblick darbietet.
Weiter vorne aber blinkt der Spiegel eines neu geschaffenen Wasserbeckens, von dessen jenseitigem Ufer der riesige Wasserturm dem Beschauer entgegenwinkt. An seinem Fuße ist das Hauptrestaurant angebracht, in dem achttausend Personen gleichzeitig unter Dach bewirtet werden können, ein Riesenrestaurant, das bestimmt ist, die Hauptmasse der Durstigen und Hungrigen zu befriedigen. Für solche, die abgeschiedenere Plätzchen lieben, fehlt es aber in der Ausstellung nicht an traulichen und originellen Winkeln: unter ihnen sei in dieser Ausstellung an der Spree vor allem die „Spreewaldschenke“ erwähnt.
Außer dem Hauptbau dienen noch einzelne Pavillons den Ausstellungszwecken. Auf dem Grün der Anlagen blinkt uns ein tempelartiger Bau entgegen, von dessen Zinnen die Victoria und die Fama, Sieg und Ruhm, auf das bunte Gewimmel der Menschen herabschauen. Er ist jenen Zweigen der Wissenschaft geweiht, die in Berlin eine hohe Entwicklung genommen haben: der Pavillon birgt die Ausstellungsräume für Chemie, wissenschaftliche Instrumente und Photographie. Nicht weit davon, am Ufer der Spree, leuchten im Sonnenglanz die mit grünen Dächern geschmückten höchst malerischen Bauten der "Fischerei-, Sport-, Nahrungs- und Genußmittelausstellung“, während auf der entgegengesetzten Seite in einem ernster gehaltenen Bau alles das vorgeführt wird, was Berlin in so rühmlicher Weise aus dem Gebiete des Unterrichts und Erziehungswesens, der Gesundheitspflege und der Wohlfahrtseinrichtungen geleistet hat.
Friedenswerke und Arbeitsthaten der jungen Kaiserstadt, Errungenschaften der Neuzeit sind es, die in diesen Räumen unsere Augen fesseln und uns Anerkennung abringen. Von der Höhe des glücklich Erreichten ist es nun lehrreich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, und da steht im Herzen der Ausstellung ein Städtebild mit Türmen und Mauern, mit winkligen Gäßchen und giebligen Häusern – man hat hier vor die Augen der Besucher Alt-Berlin gezaubert, die schlichte aber kräftige Stadt, wie sie unter den Kurfürsten Wacht hielt an der Mark des Reiches. Ein Stück dieser „Stadt“ ist auch unter unseren Abbildungen vertreten: das Rathaus mit seiner Umgebung und ein Fischerhaus aus längst verklungener Zeit. Der Geschichte Berlins ist auch ein besonderes „Theater Alt-Berlin“ gewidmet; es ist mit allen Hilfsmitteln der fortgeschrittensten Technik der Gegenwart ausgestattet und in der Lage, die glänzendsten Schaustellungen zu veranstalten. In hierzu neu [438] geschaffenen dramatischen Dichtungen führt es dem Besucher die Entwicklung Berlins vom Fischerdorf zur Weltstadt vor.
Es giebt noch eine Gruppe der Ausstellung, die dem Weltstadtcharakter der Kaiserstadt Rechnung trägt und ihre Beziehungen zu den fernsten Ländern illustriert: die deutsche Kolonialausstellung. Da ist eine Menge hochinteressanter Sammlungen aus Afrika und den Südseeinseln zu prachtvollen Gruppen vereint, da sind die Gewinnung der Baumwolle, der Tabakbau und die Cigarrenfabrikation, die Faktoreien von Kamerun und Togo in lehrreichen Modellen veranschaulicht; afrikanische Hütten stehen vor uns, und vor ihnen entwickeln Neger aus unseren Kolonien ein buntes Treiben. Abgesondert von der Kolonialausstellung läßt sich außerdem ein anderes Stück Afrika schauen. Ein imitiertes Kairo mit Tempeln, Pyramiden und täuschend nachgemachten Palmen ladet uns zum Besuch ein. Es ist von einer Riesenkarawane von Menschen und Tieren, die man eigens aus Aegypten kommen ließ, bevölkert. Von anderen Schaustellungen verdienen das Alpenpanorama, das Riesenfernrohr und die Marinespiele Erwähnung. Auf einem kleineren See führen elektrisch betriebene Miniaturnachbildungen unserer großen Panzerschiffe allerlei Marinemanöver aus.
Wie köstlich, wie malerisch muß sich das Bild einer solchen Ausstellung aus der Vogelperspektive ausnehmen! Das Grün der Bäume, der Fluß mit dem Riesenmodell des Kaiserschiffes, belebt von Dampfern und Gondeln, die bunten Türme, die farbigen Dächer der fahnengeschmückten Pavillons und dazwischen der wogende Menschenstrom! Von der Höhe der „Pyramiden von Kairo“ gewinnt man schon einen prächtigen Rundblick über dieses Panorama. Wer aber Lust hat, höher emporzusteigen, der kann sich dem Riesen-Fesselballon anvertrauen; sicher wird er zu einer Höhe von etwa 500 m emporgetragen. Tief unter ihm liegt der Ausstellungsplatz, und über das gewaltige Häusermeer der Kaiserstadt gleitend, umfaßt sein Auge die Gefilde der Mark und schweift darüber hinweg bis in eine Ferne von 150 km.
Was ist doch aus der verrufenen sandigen Mark durch Menschenarbeit und Menschenfleiß geworden! Eine Riesenstadt, die größte Stadt des Deutschen Reiches, ist in ihr erblüht und der Berliner ist nicht nur berühmt durch Wissenschaft und Kunst, durch Handel und Gewerbe, er ist auch weltbekannt durch seinen Gartenbau und seine Baumschulen; es grünt und blüht überall rings um die deutsche Kaiserstadt; Nützliches und Herrliches wird in freudiger Arbeit in ihren Mauern geschaffen. Das führt uns die Ausstellung gar deutlich vor Augen. Der Fortschritt hört aber nimmer auf; neue Zeiten bringen neue Ziele; und so sehen wir auch auf der Berliner Ausstellung neben dem vielen Guten und Vortrefflichen zahllose Keime des noch Besseren und Edleren. Walte Gott, daß, beschirmt von innerem und äußerem Frieden, diese Keime sprießen und reifen mögen, Berlin und Deutschland zum Heil!
Aber nicht nur der Norden, auch der Süden Deutschlands zeigt in diesem Sommer, wie er in den Werken friedlicher Arbeit fortgeschritten ist. Ein emsiges Treiben herrscht am Fuße der altberühmten Burg von Nürnberg. Dort siedelt das bayerische Landesgewerbemuseum nach fünfundzwanzigjährigem nutzreichen Bestehen in ein neues prachtvolles Heim über, und dieses festliche Ereignis hat Bayern benutzt, um eine Bayerische Landesausstellung in Nürnberg zu veranstalten. Das ehemalige Maxfeld, von breitwipfeligen Linden und Kastanien umschattet, hat bereits im Jahre 1882 die erste bayerische Landesausstellung geschaut. Die heutige ist aber keineswegs eine einfache Wiederholung der alten. Soweit es sich um die Industrie handelt, liegt ihr vielmehr ein neuer und origineller Gedanke zu Grunde. Die Ausstellung zerfällt auf diesem Gebiete in acht selbständige Ausstellungen des Königreiches. In jeder dieser Abteilungen können wir also betrachten, wie Industrie und Gewerbe sich abhängig von Boden und Klima, Ueberlieferung und Volkssitte verschiedenartig entwickeln. Und in der That sind diese acht Sonderausstellungen höchst eigenartig ausgefallen; ist doch die Einteilung Bayerns in die acht Provinzen Pfalz und Oberpfalz, Schwaben, Nieder- und Oberbayern, Unter-, Mittel- und Oberfranken keine willkürliche, sondern eine durch geschichtliche Entwicklung bedingte, so daß jede derselben eine besondere Eigenart aufweist. Einen anziehenden Reiz hat ferner die Bayerische Landesausstellung durch die Errichtung von über zwanzig Werkstätten erhalten, die teils durch Elektrizität, teils durch Kleinmotoren betrieben werden. In diesen Räumen gelangt die berühmte, so hochentwickelte Kleinindustrie von Nürnberg, Fürth und Schwabach zur Vorführung; vor den Augen der Besucher werden hier Blech- und Pappspielwaren, allerlei Glaswaren, Emailgeschirr, leonische Drähte und Flitter erzeugt; Drucker und Weber hantieren emsig; eine Prägeanstalt ist in Betrieb und man gewinnt Einblick in die Thätigkeit des Drechslers und das Schaffen in einer Goldschmiedewerkstatt. Sehr anziehend sind auch die Darstellungen der mechanisch-optischen Betriebe. Da entsteht ein reizendes Spielzeug, eine „Zauberdose“, unter den Augen des Besuchers, und man sieht meisterhaft gearbeitete Modelle, Miniatur-Dampfkessel und Miniatur-Lokomotiven und den modellartig ausgeführten Oberbau einer Eisenbahn. Der Elektrizität ist naturgemäß ein weiter Spielraum freigelassen; sie leuchtet und wärmt und treibt die Arbeitsmaschine an; sie verbindet auch die Ausstellung mit der Welt da draußen; werden doch die Aufführungen der Münchener Hofoper telephonisch in die Nürnberger Ausstellungshallen übertragen. In drei großen Hauptgebäuden, die zusammen eine Fläche von über 43000 qm bedecken, ist der Hauptteil der Ausstellung untergebracht; aber auch in Nürnberg fehlt es nicht an Pavillons, die malerisch in dem prächtigen Park zerstreut sind. Da ist die Kunsthalle mit einem Flächenraum von 2300 qm zu erwähnen; da steht das geschmackvolle „Armee-Museum“, in welchem bedeutsame Erinnerungsstücke aus der ruhmreichen Heeres- und Kriegsgeschichte Bayerns, sonst in München aufbewahrt, für die Dauer der Ausstellung dem Publikum gezeigt werden.
Daß auf einer bayerischen Landesausstellung das Bier eine große Rolle spielt, bedarf keiner besonderen Versicherung. Es sind ihm auch, abgesehen von Kosthallen in den einzelnen Kreisabteilungen, drei besondere Hallen errichtet worden; schmucke, mit Türmchen und Kuppeln gezierte, von namhaften Architekten entworfene Bauten, in welchen die Bierstädte München, Nürnberg und Kulmbach um die Palme ringen. Daß dort ein außerordentlich gutes Naß in den Krügen schäumt, darüber sind wohl alle einig, die zum Besuch der Ausstellung aus nah’ und fern gekommen sind. Natürlich ist auch eine besondere Abteilung für Brauereieinrichtungen vorhanden, und wer Lust hat, der kann die Kunst des Bierbrauens an sieben großen Sudwerken studieren. Aber Bayern ist nicht nur durch seinen Gerstensaft durstigen Kehlen wert; zu ihm gehören ja auch die weinfröhliche Pfalz und das rebengesegnete Franken, so hat neben den Tempeln des Gambrinus auch Bacchus, der Weingott, seine schöne Stätte. Wie ein mittelalterlicher Rittersitz steht das trauliche „Weinhaus“ da, in dem das feurige Blut der Reben aus Faß und Glas in die festlich klirrenden Kelche rinnt.
[439] An fünfhundert Stadt- und Landgemeinden haben sich an dieser Ausstellung beteiligt, und ein rühmendes Zeugnis ihres emsigen Gewerbefleißes und kunstsinnigen Schaffens ist das Gesamtbild, das sich unseren Augen auf dem Maxfelde darbietet. Freilich ein nachgebildetes Alt-Nürnberg brauchte diesem lebensvollen Bilde aus der Gegenwart nicht entgegengestellt zu werden. Seine Denkmale stehen ja noch leibhaftig in den Straßen der Stadt; alte unverwelkliche Pracht vermählt sich hier mit dem lebensfrohen Schaffen der Gegenwart und beide zeugen beredt von der unverwüstlichen Kraft deutschen Bürgertums, das Jahrhunderte hindurch dem Reich zur Stütze und Zierde gereichte.
Außer Bayern hat in Süddeutschland auch Württemberg eine Ausstellung veranstaltet. Dieselbe ist am 6. Juni in Stuttgart eröffnet worden; auch hier ist diese Veranstaltung mit der Einweihung eines prachtvollen Neubaues für das Landesgewerbemuseum verknüpft. Die Grenzen der Stuttgarter Ausstellung sind enger gezogen; sie hat sich die Aufgabe gestellt, Erzeugnisse württembergischer Firmen aus sämtlichen Zweigen der Elektrotechnik, sowie die Anwendung der Elektrizität im häuslichen, gewerblichen und öffentlichen Leben vorzuführen – und ferner den gegenwärtigen Stand des württembergischen Kunstgewerbes in hervorragenden Arbeiten desselben darzustellen. Es handelt sich also hier um eine Fachausstellung für Elektrotechnik und Kunstgewerbe, der sich noch in besonderer Abteilung eine Ausstellung für den Gartenbau anschließt. Man hat für die Veranstaltung zum Teil bereits vorhandene würdige Bauten verwenden können. Die kunstgewerbliche Abteilung ist in dem monumentalen Neubau des Landesgewerbemuseums untergebracht worden, während der elektrotechnischen Abteilung die städtische Gewerbehalle überwiesen wurde. An die letztere reihen sich einige neue Ausstellungsbauten, vor allem ein „Elektrizitätshaus“. Es zeigt in seiner Einrichtung die verschiedenen Verwendungen der Elektrizität im Haushalt und macht abends, wenn es in festlicher Beleuchtung erstrahlt, einen besonders wirkungsvollen Eindruck. Erwähnenswert ist ferner die schmucke Anlage eines Gewerbedorfes, in dem sich auch eine Nachbildung von Schillers Geburtshaus in Marbach befindet. Die schönen Anlagen des Stuttgarter Stadtgartens sind mit in das Terrain der Ausstellung einbezogen worden. Dadurch erfreuen sich dieselben eines reizvollen landschaftlichen Schmuckes. Die heitere, rebenumkränzte, von Waldbergen umschlossene Residenzstadt Württembergs braucht überhaupt um landschaftlichen Schmuck nicht verlegen zu sein. Von allen Seiten blicken hier malerische Bergzüge in alle Straßenwinkel herein und Rebenberge bilden auch den Schlußrahmen des Panoramas auf dem Stuttgarter Ausstellungsplatze. Der Zuzug der Fremden wird voraussichtlich im Sommer ein überaus großer werden. Nicht die Ausstellung allein wird ihn hervorrufen; nach Stuttgart werden ja im August sangesfrohe Scharen aus allen Gauen Deutschlands zum Deutschen Sängerbundesfest pilgern, in Stuttgart werden die Generalversammlungen von einer ganzen Reihe wissenschaftlicher und anderer Vereine stattfinden. Nun, die Stadt ist wohlgerüstet für den Empfang so vieler weiser und praktischer und kunstfroher Gäste; die schwäbische Gastfreundschaft wird sich auch diesmal in Ehren bewähren.
Von hier wenden wir uns wieder nordwärts. Am Ufer der Elbe hat Sachsen in seiner Königsstadt Dresden eine höchst eigenartige und zeitgemäße Ausstellung veranstaltet: die Ausstellung des sächsischen Handwerks und Kunstgewerbes. Wer würde nicht den braven tüchtigen Meistern, die hier ihre so verschiedenartigen, nützlichen und schönen Erzeugnisse zur Schau gestellt haben, die wärmste Sympathie entgegenbringen? Fürwahr, es ist ihnen gelungen, sich die volle Anerkennung zu erwerben. Das sächsische Handwerk hat dargethan, daß es der Fürsorge, von welcher diese Veranstaltung getragen wird, wert ist. Auf Schritt und Tritt sehen wir deutliche Beweise von Intelligenz und Geschicklichkeit, von regem Fleiß und eiserner Arbeitskraft. Das Handwerk der Neuzeit ist durchaus nicht tot, wie manche behaupten, es hat verstanden, sich die Fortschritte und Erfindungen auf dem Gebiete der Technik nutzbar zu machen und die von der Kunst gegebenen Vorbilder zu beachten. In vierzehn Abteilungen bringt es auf dieser Ausstellung glänzende Bilder seiner Entwicklung, seiner Vielseitigkeit und Schaffensfreudigkeit; es überzeugt jeden, daß der Aufschwung des deutschen Gewerbes nicht allein der Großindustrie, sondern auch ihm, dem Handwerk, zu danken ist.
Wundervoll ist die Scenerie des Ausstellungsplatzes an dem königlichen Großen Garten, rings um den Riesenbau des Neuen Ausstellungspalastes, auf den wir bereits gelegentlich der Dresdener Gartenbauausstellung in Nr. 24 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ hingewiesen haben. Ueber Villen und Schlösser, über grüne Baumgruppen und blühende Gefilde des Elbufers schweift das Auge bis zu den Bergen der Sächsischen Schweiz, die sich im blauen Duft verlieren. Inmitten dieser lachenden Landschaft haben die Veranstalter der Ausstellung, wie ihre Gefährten in Berlin, ein Stück längst vergangener Zeiten und ein buntes Bild aus dem Volksleben hineingezaubert. Hat man die Ausstellung durchwandert, so überschreitet man eine altertümliche Brücke und gelangt in einen Wartturm, den man besteigt, um Ausschau zu halten. Da überkommt den Beschauer das Gefühl, als sei er durch einen Zauber um Jahrhunderte zurückversetzt: zu seinen Füßen breitet sich eine alte Stadtanlage aus, die im Charakter früherer Jahrhunderte gehalten ist und dabei so malerisch und echt wie in der Dresdener Galerie die Bilder Canalettos aus Alt-Dresden wirkt. Rings um den Marktplatz gruppieren sich die altertümlichen Bauten. Da steht das turmgekrönte Rathaus, daneben der trauliche malerische „Winkelkrug“, ferner die Zunftherberge, das „Churfürstlich Sächsische General-Erb-Postambt“ mit Posthof und das giebelgeschmückte Gewandhaus. In den angrenzenden Straßen herrscht ein buntes Leben; in Haus und Hof drängt sich Bild an Bild aus dem alten Handwerksleben. Vor Wall und Graben sieht man ein altertümliches Gasthofsgebäude, eine romantische Klosterruine und die lustige Windmühle. Eine weitere Sehenswürdigkeit dieser Ausstellung bildet das „wendische Dörfchen“, eine Dorfanlage, zu der alle Motive in der wendischen Lausitz sorgfältig gesammelt worden sind.
[440] Verlassen wir jedoch die Ufer der Elbe; noch weiter nordwärts müssen wir unsere Leser führen, denn am Gestade der Ostsee, in Kiel, hat sich gleichfalls die Ausstellungslust bethätigt.
Dort hat auch Schleswig-Holstein eine Provinzialausstellung veranstaltet, neben ihr ist aber an der Kieler Bucht und auf deren weitem ruhigen Spiegel der Plan für einen internationalen Wettbewerb eröffnet worden. Hier findet eine Fachausstellung statt, wie sie Deutschland noch nicht geschaut hat – die Internationale Ausstellung für Schifffahrt und Fischerei. Schon die Thatsache, daß sie überhaupt ins Leben gerufen werden konnte, ist in hohem Maße erfreulich; denn sie beweist, daß Deutschland auf dem Gebiete des Seewesens und des Schiffsbaues sich getrost mit anderen Völkern messen kann.
In unmittelbarer Nähe der Stadt Kiel und des Kanaleinganges bei Holtenau liegt auf einem sanft abfallenden Gelände der weite Ausstellungsplatz, in breiter Ausdehnung von den Wellen der Ostsee bespült. Hier können in geschütztester Lage Fahrzeuge aller Art ankern und interessante Darstellungen auf dem Wasser selbst vorgeführt werden. In der That ist die Beteiligung an der Internationalen Schiffahrtsausstellung eine durchaus rege geworden. Die Kaiserliche Marine, welche im Verein mit der Deutschen Seewarte und einigen ständig für sie liefernden Firmen in einer eigenen, großen, über und über mit Flaggen und Wimpeln ausgeschlagenen Halle ausgestellt hat, bietet dem Beschauer einen lehrreichen Ueberblick über die Entwicklung des modernen Kriegsschiffswesens. Sämtliche ehemalige und gegenwärtige Schiffstypen sind in Modellen vertreten. Hochinteressant ist das Stück des Vorderstevens von dem z. Z. im Bau begriffenen Kreuzer „Ersatz Leipzig“. Es ist der unterste Teil des Vorderstevens, der im Kriegsfall als Rammsporn dient und, in einem Guß aus Bronze hergestellt, 12000 kg wiegt. Wandern wir weiter durch die Ausstellung, so fesseln uns neben der trefflichen Gruppe der „Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ allerlei Seezeichen. Darunter befindet sich auch eine gewaltige Leuchtboje. Sie enthält einen Brennvorrat von 60 cbm komprimierten Fettgases, der genügt, um die starke Flamme der Boje 250 Tage und Nächte brennend zu erhalten.
Nicht minder gelungen ist die Schleswig-Holsteinische Provinzial-Gewerbeausstellung. Meilenweit ins Land hinaus leuchtet die rote Riesenkuppel des Hauptgebäudes dieser Abteilung, das einen Raum von 5000 qm bedeckt. In erfreulicher Eintracht haben hier Land und Stadt die Erzeugnisse ihres Fleißes ausgestellt. Besonders sehenswürdig sind aber die Sonderausstellungen, die Abteilung für Frauenarbeiten, die Landeskunstausstellung und die historische Abteilung. Letztere führt uns in Bild und Wort, in Waffen und Trophäen fünfzig Jahre aus der Geschichte der Herzogtümer Schleswig-Holstein vor; fünfzig Jahre schwerer Kämpfe von 1815 bis 1865, „den Zeitgenossen zur Erinnerung, den jüngeren Geschlechtern zur Belehrung“. Da sehen wir die Verteidiger der verfassungsmäßigen Rechte der Herzogtümer: Dahlmann, den streitbaren Schriftführer der „Ritterschaft“, Uwe Jens Lornsen, den heldenmütigen Rufer im Streite, wir sehen die alte schleswig-holsteinische Armee in lebensgroßen Modellen jeder Waffengattung zu einer Feldwache gruppiert, da schauen wir alle wechselvollen Ereignisse bis zum siegreichen Kriege Preußens und Oesterreichs gegen Dänemark. Die Zeit der Kämpfe ist beendet; wiedervereinigt mit dem Mutterlande erfreut sich Schleswig-Holstein eines tiefen Friedens und, wie die Ausstellung es deutlich bezeugt, einer neuen Blüte. Möge der Segen der Arbeit weiter auf dem herrlichen meerumschlungenen Lande ruhen!
Das sind die wichtigsten deutschen Ausstellungen zu Lande und zu Wasser, die uns das Jahr 1896 gebracht hat. Aber auch jenseit unserer Grenzen hat man Ausstellungen ins Leben gerufen, die unser lebhaftes Interesse verdienen.
Ungarn feiert in diesem Jahre ein Erinnerungsfest, wie es nur selten den Völkern beschieden wird. Tausend Jahre sind verflossen, seit die Magyaren unter Arpads Führung an den Ufern der Donau erschienen und hier ihren Staat gründeten. Am 2. Mai wurde eine große Reihe von Festlichkeiten eröffnet, deren Mittelpunkt die Millenniumsausstellung in Budapest bildet. Ungarn hat kein Opfer gescheut, um diese Tausendjahrausstellung zu einer möglichst glänzenden zu gestalten, und in der That ist es den Schöpfern derselben gelungen, selbst weitgehende Erwartungen zu erfüllen; dafür betragen auch die Gesamtkosten der Ausstellung über zehn Millionen Gulden. In einem Riesenpark am Nordostende der Stadt sind auf dem Raume von etwa 530000 Quadratmetern gegen 200 Gebäude aufgeführt worden. Zwei Ziele verfolgt die Tausendjahrausstellung. Sie will zunächst zeigen, was Ungarn war, dem Besucher die zehn Jahrhunderte ungarischer Geschichte vorführen, dann aber ist sie bestrebt, ein genaues Bild der heutigen Kultur in [441] Ungarn zu bieten. Dem ersten Ziel dient die historische Hauptgruppe – dem zweiten die Hauptgruppe der Gegenwart.
Die geschichtliche Ausstellung ist in einem großen Gebäudekomplex untergebracht, der auf der von einem Teiche umgebenen Szechenyi-Insel sich erhebt. In durchaus wirkungsvoller Weise sind hier Bauten im romanischen, gotischen und Renaissancebaustile, wie sie in Ungarn in den Regierungsepochen der Arpaden, der Anjous und Hunyaden, sowie der Habsburger aufeinanderfolgten, zu einem höchst malerischen Ganzen vereinigt. Im Innern dieser Bauten sind nun zahllose Kunstschätze und Altertümer aufgestellt, die aus Ungarns Vergangenheit stammen. Nach geschichtlichen Perioden geordnet, gewähren sie ein anschauliches Bild der Entwicklung, des Ruhmes und der schweren Prüfungen der ungarischen Nation. Nicht nur Ungarn haben hier alles Wertvolle gesammelt, das sie aus alter Väter Zeit besitzen, sondern auch die Museen der angrenzenden Länder, hervorragende ausländische Besitzer von Privatsammlungen stellten ihre auf Ungarns Geschichte bezüglichen Altertümer aus und unter den gekrönten Häuptern ist der wichtigste Aussteller der Kaiser und König Franz Josef.
Die Abteilung der Gegenwart in der Ausstellung trägt im großen und ganzen den Charakter unserer modernen Ausstellungen. Sie hat ihren Industriepalast, Maschinenhallen; sie führt uns das Unterrichtswesen, das wissenschaftliche und künstlerische Leben Ungarns vor; am besten ist wohl die Landwirtschaft vertreten, auf die Ungarns Wohlstand in erster Linie sich gründet. Feldbau und Weinbau, Garten- und Forstkultur, Viehzucht und Milchwirtschaft, Fischerei sowie die Seidenzucht haben ihr Bestes ausgestellt, und von Zeit zu Zeit beleben den Plan Tierausstellungen: dann erscheinen aus allen Gegenden des Königreichs die Züchter mit ihren besten Pferden, ihrem schönsten Hornvieh, mit Schafen und Borstenvieh und im August werden sich die Imker mit den Bienen einstellen.
Im übrigen muß noch hervorgehoben werden, daß auch diese Ausstellung ihre ganz besonderen Sehenswürdigkeiten hat. So bietet sie uns eine Heeresausstellung, wie sie bis jetzt wohl selten zustande gekommen ist, nicht nur eine Ausstellung der geschichtlichen Entwicklung des Heerwesens inmitten der von kriegerischem Sinn belebten ungarischen Nation, sondern auch eine Ausstellung des ungarischen Heerwesens in der Gegenwart. Da sind in gelungenen Modellen alle Waffengattungen, die Infanterie, Kavallerie, Artillerie, das Pionier- und Trainwesen mit voller Ausrüstung bis zur Landwehr und den Kolonnen des Roten Kreuzes in übersichtlicher Anordnung zur Schau gestellt; hochinteressant ist der Marinepavillon und endlich fehlt auch die Luftschifferabteilung nicht, die in ihrem Fesselballon zeitweilig im Stadtwäldchen Auffahrten veranstaltet.
In den Rahmen einer nationalen Ausstellung paßt vorzüglich noch eine andere Sehenswürdigkeit: das ethnographische Millenniumsdorf. Es besteht aus 32 Wohnhäusern mit 25 Nebengebäuden, und jedes derselben hat eine besondere Bauart und eine besondere Ausstattung. Der Phantasie der Künstler sind hier die engsten Schranken gezogen worden; alles, was man sieht, ist die getreueste Wiedergabe der Wirklichkeit, denn in dem Millenniumsdorf wird uns gezeigt, wie einzelne Volksstämme innerhalb Ungarns ihre Wohnhäuser bauen und ausstatten. In der Regel ist das Dorf still und tot, denn in den Häusern werden die Einwohner durch Puppenfiguren in entsprechenden Volkstrachten veranschaulicht. Zu gewissen, festgesetzten Zeiten belebt sich jedoch das Dorf durch wirkliche Landleute. Da werden Volksfeste veranstaltet, da giebt es einen Markt, auf dem man die Erzeugnisse der Volksindustrie feilbietet; es werden Hochzeiten, regelrechte Hochzeiten abgehalten. In diesem bunten Dorfe wirkt besonders anziehend das traute Haus der siebenbürger Sachsen. Deutsche Inschriften erfreuen dort unsere Augen; an der Vorderseite des Hauses der schöne Spruch:
„Der König führt das Schwert,
Der Bauer fuhrt den Pflug;
Wer alle beid’ nicht ehrt,
Ist gewiß nicht klug.“
„Auch ein kleines Gut macht frohen Mut.“
Außer diesen für ihre nationale Eigenart stets so entschieden und mutig eintretenden Stammesbrüdern sind noch andere Deutsche Ungarns in dem Dorfe vertreten: die Schwaben aus dem Torontaler Komitat, die Handlovaer Deutschen aus dem Neutraer Komitat und die durch ihren Gewerbefleiß berühmte Bevölkerung von Metzenseifen im Abauj-Tornaer Komitat. Ein buntes Bild bietet die „Nationalitäten-Gasse“, in welcher ruthenische, serbische, rumänische, bulgarische, slowakische und slowenische Häuser zu sehen sind. Am Ende des Dorfes aber neben dem Gemeindehause stehen die primitiven Hütten der ungarischen Rinderhirten (Gulyas), der nomadisierenden Schafhirten und [442] der Csikos oder Roßhirten. Den Beschluß bildet das Zigeunerviertel.
Das Leben und Treiben in der Hauptstadt Ungarns gestaltet sich immer farbenreicher. Ein Fest jagt das andere, Enthüllungen von Denkmälern, Einweihungen von Neubauten für öffentliche Zwecke, an die hundert Kongresse, die hier der Reihe nach stattfinden, sorgen dafür, daß der Tausendjahrjubel nimmer aufhört.
Weniger geräuschvoll gestaltet sich eine andere ausländische Ausstellung. In dem herrlichen Genf haben sich die zweiundzwanzig Kantone der Eidgenossenschaft vereinigt, um in einer Landesausstellung zu zeigen, welche Fortschritte Industrie und Landwirtschaft, Kunst und Wissenschaft, Staats- und Gemeindewesen in der Schweiz gemacht haben. Am Fuße des Mont-Salève, dort, wo die reißende Arve in den Rhonestrom mündet, stehen die vieltürmigen und bunt bekuppelten Bauten der Ausstellung. Dieselbe ist in siebenundvierzig Gruppen eingeteilt, was schon allein den Beweis liefert, wie mannigfaltig der Arbeitsfleiß der Schweizer sich gestaltet hat, wie rastlos, emsig und geschickt man dort in den Thälern hinter den Bergen wirkt und schafft. Wir können hier in unsrer gedrängten Uebersicht auf die zahllosen interessanten Einzelheiten nicht eingehen und müssen uns damit begnügen, daß wir nur einige der Sehenswürdigkeiten hervorheben. Der zugereiste Fremde betrachtet mit großem Interesse das elegante Gebäude, das von den Schweizer Hotelbesitzern eigens für die Hotelindustrie errichtet wurde. Da ist alles mustergültig vom Schlafzimmer bis zum Wirtschaftsraume; und unwillkürlich regt sich in einem der Wunsch, daß man solchen Einrichtungen überall auf Reisen und nicht nur auf Ausstellungen begegnen möge. Würdig ist die altberühmte schweizer Uhrenindustrie vertreten, interessant sind die Einrichtungen für die Milchwirtschaft; aber zwei Gruppen werden vor allem die Neugier der Besucher erwecken und in hohem Maße befriedigen.
Genf ist eine berühmte Stätte der Wissenschaft. Genf ist die Vaterstadt des berühmten Chemikers und Physikers Raoul Pictet, der mit stärkster Kälte und stärkstem Druck arbeitet und die widerspenstigsten Gase flüssig und fest zu machen versteht. Pictet hat nun auf der Ausstellung einen Kältepavillon errichtet, in welchem dem Publikum alle Wunder der Kälteindustrie vorgeführt werden. Man sieht dort die verschiedensten Eismaschinen, die in kürzester Zeit gewaltige Wassermengen in Eisblöcke verwandeln, und selbstverständlich fehlt auch nicht der Pictetsche Kälteapparat, in welchem unglaubliche Kältegrade bis 200° C unter Null erzeugt werden. Der Besucher kann nun mit eigenen Augen schauen, wie man Luft in klare Flüssigkeit verwandelt – eine Flüssigkeit, die bei –213° C siedet! Dort ist auch ein origineller Springbrunnen in Thätigkeit, der Wasserstrahl fällt in ihm auf einen Eisblock nieder der niemals, selbst nicht in den Strahlen der Sonne auftaut, da in seinem Innern eine Kältemischung kreist. Die verschiedensten Verwendungen der Kälte für Industriezwecke werden vorgeführt, Kohlensäure und Acetylengas flüssig gemacht. Schließlich schuf R. Pictet auch eine „Kälterestauration“, in der allerlei Gefrorenes geboten wird – bis zu der Seltenheit eines gefrorenen Cognacs!
Die größte Anziehungskraft unter allen Sehenswürdigkeiten der Genfer Ausstellung übt aber zweifellos das Schweizerdorf aus. Es ist in ähnlicher Weise wie das ungarische Millenniumsdorf zusammengestellt. Jeder der zweiundzwanzig Kantone hat hier seine interessantesten eigenartigsten Häuser errichtet, und aus diesem bunten und originellen Material hat man die Straße eines schweizerischen Städtchens und ein Schweizerdorf zusammengefügt. Ueber ihm aber sind auf einem künstlichen Gebirge hübsche Sennhütten zerstreut, die man in verschiedenen Gegenden abgetragen, nach Genf gebracht und hier wieder aufgestellt hat. Diese prächtige Anlage wirkt um so mehr, als sie wirklich bewohnt ist. Wir sehen hier die kleinen Handwerker hantieren und Industrien ausüben, die für einzelne Hochthäler der Schweiz charakteristisch sind. Auch die Sennen mit ihren Herden sind erschienen. An schönen Tagen werden im Dorfe Alpenfeste mit Schwingen und Ringen abgehalten. Dann wimmelt es von prächtigen, originellen Nationalkostümen, dann erschallen laut Juchzer und Jodeln, dann treten dem Beschauer gar deutlich fröhliche Sitten und Lebensgewohnheiten der Schweizer entgegen.
Sicher wird dieses Dorf selbst dem in der Schweiz bewandertsten Touristen vielfach neue Belehrung bringen und zahlreiche Besucher nach dem schönen Genf an den Ufern des blauen Leman locken. Die Schweizer können aber mit hoher Genugthuung auf das Geschaffene blicken; die Ausstellung beweist auf Schritt und Tritt, daß sie in Wissen und Können durchaus auf der Höhe der Zeit stehen, und aus dieser Ueberzeugung mögen sie den Mut zu weiterem rüstigen Vorwärtsschreiten schöpfen!
Wir beschließen hiermit unsere Rundschau über die wichtigsten Ausstellungen des Jahres 1896. Der Sommer ist gekommen und er lockt Millionen Menschen aus den Städten und Städtchen heraus, die große Flut der Reisenden wogt schon vom Fels zum Meer auf und nieder. Und wer auch nur zur Erholung und zum Vergnügen reist, der versäume ja nicht Halt zu machen vor den Thoren der Ausstellungen, der widme ihnen einige der freien Tage; er wird es nicht bereuen; durch neue Eindrücke belebt, durch das Geschaute reich belehrt, wird er hochbefriedigt heimwärts ziehen.