Schwere, Elektricität und Magnetismus/Achter Abschnitt.

Editionsrichtlinien, Quellenangaben und Zusammenstellung siehe: Schwere, Elektricität und Magnetismus.


Achter Abschnitt.


Das Grundgesetz der elektrischen Wechselwirkung.



§. 94.
Das Potential der Wechselwirkung zweier Ströme.


 Der Satz des vorigen Paragraphen lässt sich ohne weiteres auf zwei nichtlineäre geschlossene Ströme übertragen. Man hat nur anzunehmen, dass die specifischen Stromintensitäten an jeder Stelle des ersten wie des zweiten Leiters im Zeitelement nur unendlich kleine Aenderungen erfahren, und die Hypothese aufzustellen, dass die gesammte Arbeit, welche im Zeitelemente von der Wechselwirkung der beiden galvanischen Ströme herrührt, das vollständige Differential einer Function sei, welche die charakteristischen Eigenschaften eines Potentials (im weiteren Sinne) besitzt.

 Um dies einzusehen, braucht man nur zu bedenken, dass man den einen wie den anderen nichtlineären Strom je als ein System von lineären Strömen auffassen kann.

 Es wiederholt sich hier der Gedankengang des vorigen Paragraphen. Für die Function haben wir in §. 89 [Gleichungen (5), (6), (7)] die Ausdrücke gefunden:


(1)


Wir wollen nun diese Function auch für den Fall betrachten, dass die specifischen Stromintensitäten von der Zeit mit abhängig sein können. Dann kommt es auf die Aenderungen an, welche die Function im Zeitelemente unter den verschiedenen zulässigen Voraussetzungen erleidet. Es werde mit die Aenderung bezeichnet, welche zu Stande kömmt, wenn die specifischen Stromintensitäten in beiden Leitern als unabhängig von angesehen werden, mit die Aenderung, welche davon herrührt, dass man die specifischen Stromintensitäten nur im zweiten Leiter von der Zeit unabhängig nimmt, und mit die Aenderung, welche sich ergibt, wenn die specifischen Stromintensitäten nur im ersten Leiter von unabhängig genommen werden. Endlich soll das vollständige Differential von sein, welches in dem Zeitelement zu Stande kommt, wenn die gegenseitige Lage der Elemente des ersten und zweiten Leiters und die specifischen Stromintensitäten an jeder Stelle beider Leiter in jenem Zeitelement unendlich kleine Aenderungen erleiden.

 Dann haben wir zunächst


(2)


Setzt man die beiden Ströme als constant voraus, so wird nach §. 89 in dem Zeitintervall von bis die elektrodynamische Elementararbeit


(3)


geleistet. Dieser Ausdruck für die elektrodynamische Elementararbeit bleibt auch dann noch richtig, wenn an jeder Stelle des einen wie des anderen Leiters die specifischen Stromintensitäten in dem Zeitelemente unendlich kleine Aenderungen erleiden. In diesem Falle ist kein vollständiges Differential und folglich für die elektrodynamische Arbeit allein kein Potential vorhanden. Nun werden aber auch noch in beiden Leitern elektromotorische Arbeiten verrichtet, welche von der Wechselwirkung der beiden galvanischen Ströme herrühren.

 Wir stellen die Hypothese auf, dass für die gesammte Arbeit, welche vermöge der Wechselwirkung der beiden galvanischen Ströme geleistet wird, ein Potential existirt. Um diese Gesammtarbeit zu finden, haben wir also zu (3) einen solchen Beitrag hinzuzufügen, dass die Summe ein vollständiges Differential ist. Dieser Beitrag ist


(4)


und die Summe ist dann das vollständige Differential von .

 Folglich ist


(5)


das Potential der Wechselwirkung der beiden galvanischen Ströme.

 Die gesammte Arbeit zerlegt sich in drei Bestandtheile, nemlich

  erstens: die elektromotorische Arbeit im ersten Leiter



  zweitens: die elektromotorische Arbeit im zweiten Leiter



  drittens: die elektrodynamische Arbeit beider Ströme auf einander



 Nachdem wir das Potential der Wechselwirkung der beiden galvanischen Ströme kennen gelernt haben, wollen wir diese Wechselwirkung zu erklären versuchen aus der Wechselwirkung der einzelnen elektrischen Theilchen.

 Zu dem Ende ist es nöthig, allgemein zu erörtern, wie die Sätze der §§. 36 bis 43 abzuändern sind, wenn das Potential nicht nur von den Coordinaten, sondern auch von den Geschwindigkeiten der bewegten materiellen Punkte abhängt.


§. 95.
Der erweiterte Satz von Lagrange: .


 Wir betrachten ein System von bewegten materiellen Theilchen. Es sei die lebendige Kraft dieses Systems. Der Ausdruck für die zur Zeit geleistete Arbeit (das Potential) möge in zwei Theile zerlegt werden



so dass nur von den Coordinaten der Theilchen abhängig ist, ausserdem noch von den Geschwindigkeiten. Wir bezeichnen mit die Coordinaten irgend eines der materiellen Punkte und schreiben zur Abkürzung , und entsprechend die zweiten Derivirten. Die Componenten der auf den Punkt wirkenden Kraft seien . In dem Zeitelement , nach Ablauf der Zeit , wird die Arbeit geleistet


(1)


Die Summirung ist über sämmtliche Punkte auszudehnen. Diese Arbeit ist gleich dem Zuwachs, welchen das Potential in dem Zeitelement erleidet:


(2)


Nun haben wir aber


(3)


(4)


Aus der Gleichung (2) geht hervor, dass in kein Glied vorkommen darf, das nicht eine von den Geschwindigkeits-Componenten als Factor enthielte. Die Derivirte genügt dieser Bedingung. Damit dasselbe mit der Fall sei, darf in kein Glied vorhanden sein, in welchem die Geschwindigkeiten nur in der ersten Potenz aufträten. Denn dadurch würde der zweite Bestandttheil von mit Gliedern behaftet sein, die von frei wären. Man sieht also, dass in die Grössen mindestens in der zweiten Potenz enthalten sein müssen.

 Am einfachsten nehmen wir für eine homogene Function zweiten Grades von , also


(5)


Die Coefficienten sind Functionen der Coordinaten sämmtlicher Punkte. Die Derivirte besteht dann aus einer homogenen Function dritten Grades von und einer homogenen Function ersten Grades derselben Variabeln und die auftretenden Coefficienten sind Functionen der Coordinaten . Nun hat aber die homogene lineare Function von , welche in vorkommt, ebenso wie die Function , von selbst schon die Form (1) und lässt sich in keiner andern Weise in diese Form bringen. Dagegen kann man die in auftretende Function dritten Grades in sehr mannigfaltiger Weise in die Form (1) bringen. Aus dem Ausdruck für die Arbeit sind also die bewegenden Kräfte nicht völlig bestimmt.

 Der Satz von der Erhaltung der lebendigen Kraft spricht sich aus in der Formel



Wir fragen nun, wie die Bewegung vor sich gehen müsse, damit dieser Satz in Gültigkeit sei.

 Zur Beantwortung dieser Frage haben wir einen Fingerzeig im §. 43. Dort ist bewiesen:

 Wenn nur von den Coordinaten abhängig ist und der Ausdruck dieser Function die Zeit explicite nicht enthält, wenn ferner eine homogene Function zweiten Grades von ist, so ist



die nothwendige und hinreichende Bedingung, damit



sei.

 Hier ist nun eine Function nur von den Coordinaten , eine Function, deren Ausdruck die Zeit explicite nicht enthält, es ist eine homogene Function zweiten Grades von Folglich können wir ohne weiteres den Satz des §. 43 anwenden, der jetzt so lautet:

 Wenn die Bewegung so vor sich gehen soll, dass der Satz von der Erhaltung der lebendigen Kraft


(6)


in Gültigkeit ist, so ist die nothwendige und hinreichende Bedingung zu erfüllen:


(7)


Diese Bedingung führt auf Differentialgleichungen von der Form (6) des §. 42. Man hat dort für unsern vorliegenden Fall nur statt und statt zu schreiben.



§. 96.
Das Potential zwei elektrischer Theilchen. Weber’s Form.


 Es kömmt nun darauf an, den Satz des vorigen Paragraphen auf den Fall anzuwenden, dass die bewegten materiellen Punkte elektrische Theilchen, und die Kräfte, unter deren Einwirkung sie sich bewegen, ihre gegenseitigen Anziehungen und Abstossungen sind.

 Für diese Aufgabe ist das Potential der Wechselwirkungen der elektrischen Theilchen, soweit es von den Geschwindigkeiten mit abhängt. Dasselbe besteht aus drei Theilen, nemlich dem Potential der beiden Ströme auf einander, dem Potential des ersten Stromes auf sich selbst, und dem Potential des zweiten Stromes auf sich selbst. Nach §. 94 (5) ist


(1)


 Wenn ein Leiter der Elektricität bewegt wird, und in ihm die elektrischen Theilchen gleichzeitig in Bewegung begriffen sind, so kann man die Bewegung jedes solchen Theilchens in zwei zerlegt denken, nemlich die Bewegung mit dem Leiter und die relative Bewegung gegen den Leiter. Es seien



die Componenten der absoluten Geschwindigkeit des im Punkte concentrirten elektrischen Theilchens , und es seien



die Componenten der absoluten Geschwindigkeit des Leiterelementes.

 Dann sind



die Componenten der relativen Geschwindigkeit des elektrischen Theilchens gegen den Leiter.

 Wir bezeichnen mit die Coordinaten eines Punktes von und mit die Coordinaten eines Punktes von . Dann ist



folglich durch Differentiation



Führen wir nun eine Function ein durch die Definitions-Gleichung


(2)


so haben wir



Dadurch lässt sich der Ausdruck (1) für in die folgende Form bringen:


(3)


 Wir beginnen mit der Integration über den ersten Leiter, also mit dem Integral



Durch Integration nach Theilen [§. 20, Gleichungen (1) und (2)] erhält man dafür


(4)



und es ist das erste dieser beiden Integrale über den Raum des ersten Leiters, das zweite über seine Oberfläche zu erstrecken. Wir setzen aber Ströme voraus, bei denen an keiner Stelle die Dichtigkeit der freien Elektricität sich ändert [§. 57, Gleichung (1)] und bei denen die Oberfläche des Leiters isolirt ist [§. 57, Gleichung (2)]. Wir haben also




Hiernach vereinfacht sich das Raum-Integral in (4), und das Oberflächen-Integral fällt ganz weg. Der Ausdruck (3) geht in Folge dessen über in:


(5)


In dieser Formel braucht man nur die Differentiation von wirklich auszuführen und die Function aus Gleichung (2) wieder einzusetzen, um den neuen Ausdruck zu erlangen:


(6)


Für die weitere Transformation ist es von Nutzen, den Zusammenhang zwischen den specifischen Stromintensitäten und den Componenten der Geschwindigkeit des einzelnen elektrischen Theilchens in Betracht zu ziehen. Nach §. 54, (5) ist nemlich bei der hier gebrauchten Bezeichnung





Die Summirung erstreckt sich über alle im Raumelemente enthaltenen elektrischen Theilchen. Nun können aber für ein und dasselbe Leiterelement die Geschwindigkeits-Compononten vor das Summenzeichen genommen werden. Und da im Innern des Leiters an keiner Stelle freie Elektricität vorhanden ist, so haben wir


(7)


Folglich vereinfachen sich die letzten Gleichungen und wir erhalten


(8)




Drei entsprechende Gleichungen ergeben sich für das Raumelement des zweiten Leiters. Mit Hülfe dieser Gleichungen geht der Ausdruck (6) über in:


(9)


Die eine Summirung ist über alle elektrischen Theilchen des ersten, die andere über alle Theilchen des zweiten Stromes zu erstrecken.

 Die Gleichung (9) lässt sich noch einfacher schreiben. Bezeichnet man nemlich die in der Zeit eintretende Aenderung von , die von der Bewegung des Theilchens herrührt, mit , die entsprechende Aenderung von , die von der Bewegung des Theilchens herrührt, mit , so findet sich schliesslich:


(10)



 Dieser Ausdruck gibt das Potential abhängig von der absoluten Bewegung der elektrischen Theilchen. Nun dürfen in (10) noch solche Glieder hinzugefügt werden, die bei der Summation sich aufheben, und durch deren Einführung bewirkt wird, dass nur noch die relative Geschwindigkeit vorkömmt.

 Der Inbegriff dieser Glieder ist


(11)


Es ist leicht einzusehen, dass diese Doppelsummne den Werth Null hat. Beginnen wir nemlich in



mit der Summirung über den zweiten Leiter, so kann der Factor aus dem inneren Summenzeichen herausgenommen werden. Für irgend ein einzelnes Element des zweiten Leiters ist constant und . Folglich liefert jedes Element des zweiten Leiters zu der Summe den Beitrag Null, und deshalb ist die ganze Summe gleich Null. In entsprechender Weise zeigen wir, dass auch der zweite Bestandtheil von (11) den Werth Null hat.

 Fügen wir nun den Beitrag (11) auf der rechten Seite von (10) hinzu und schreiben



so ergibt sich


(12)


 Dieser Ausdruck kömmt zu Stande, wenn man für die Wechselwirkung der beiden einzelnen bewegten Theilchen und setzt:


(13)


 Das elektrostatische Potential der beiden Theilchen ist


(14)


Hier muss aber beachtet werden, dass in (13) und (14) die Elektricitätsmengen nach verschiedenen Maasse gemessen sind, nemlich in D nach magnetischem, in S nach elektrostatischem Maass. Sollen beide Ausdrücke zusammengefasst werden, so müssen sie vorher auf einerlei Maass gebracht werden. Wir können z. B. in elektrostatisches Maass einführen. Dies geschieht, indem wir in (12) und (13) statt und statt schreiben. Die Grösse ist eine durch Experiment zu bestimmende Constante. Hiernach erhalten wir schliesslich das Potential zwei elektrischer Theilchen:


(I)


 Dieser Ausdruck führt auf Weber’s Grundgesetz der Wechselwirkung zwischen zwei elektrischen Theilchen. Wir wollen dasselbe im nächsten Paragraphen ableiten.



§. 97.
Weber’s Grundgesetz.


 Wir haben angenommen, dass bei der Wechselwirkung zwischen elektrischen Theilchen der Satz von der Erhaltung der lebendigen Kraft in Gültigkeit sei. Folglich geht die Bewegung so vor sich, dass der erweiterte Satz von Lagrange (§.95) erfüllt ist, neinlich


(1)


Wir nehmen nur zwei elektrische Theilchen, die in den Punkten und concentrirt sind. Ihre Elektricitätsmengen seien und , ihre Massen und . In diesem Falle ist



Danach erhalten wir



Hier ist dieselbe Transformation wie im §. 39 auszuführen. Dadurch ergibt sich


(2)


Ferner haben wir



Das letzte Integral ist noch zu transformiren. Die Integration nach Theilen gibt



Bei der Einsetzung der Grenzen fällt der freie Theil heraus, weil ist zu Anfang und zu Ende der Bewegung. Folglich erhalten wir



und deshalb


(3)


Setzt man nun aus (2) und (3) in (1) ein, so findet sich, dass zwei elektrische Theilchen und in der Entfernung r eine Abstossung auf einander ausüben, deren Richtung in ihre Verbindungslinie fällt, und deren Grösse



ist. Dies ist Weber’s Grundgesetz.[1]



§. 98.
Das Potential zwei elektrischer Theilchen. Riemann’s Form.


 Wir kehren zu dem Ausdruck (5) in §. 94 zurück. Danach ist



für magnetisches Maass, dagegen


(1)


für elektrostatisches Maass. Führen wir hier, mit Hülfe der Gleichungen (8) des vorletzten Paragraphen und der drei entsprechenden Gleichungen für den zweiten Leiter, sofort die Geschwindigkeiten ein, so erhalten wir


(2)


 Wir wollen wieder so transformiren, dass nur die relative Lage und die relativen Bewegungen in Betracht kommen. Es ist


(3)


Denn wir können mit der Summirung über den zweiten Leiter beginnen. Dann tritt



vor das innere Summenzeichen. Für irgend ein beliebiges Element des zweiten Leiters ist constant. Bei der Summirung über dieses Element kann also auch als Factor vorangenommen werden. Es ist aber für jedes einzelne Element des zweiten Leiters . Folglich liefern alle einzelnen Elemente des zweiten Leiters den Beitrag Null, und deshalb ist die ganze Summe gleich Null. In entsprechender Weise zeigen wir, dass


(4)


ist. Aus (2), (3), (4) ergibt sich dann


(5)


Für zwei einzelne Theilchen setzen wir demnach


(II)



§. 99.
Riemann’s Grundgesetz.


 Wir wollen auch mit Hülfe dieses zweiten Ausdruckes für die Wechselwirkung zwischen zwei elektrischen Theilchen berechnen. Wir gehen wie in §. 97 aus von der Formel


(1)


in welcher der erweiterte Satz von Lagrange sich ausspricht. Wir könnten nun wieder denselben Weg einschlagen wie in §. 97. Es ist aber auch erlaubt, sofort von der Formel (6) des §. 42 Gebrauch zu machen, welche hier lautet:


(2)


Für sind der Reihe nach die Coordinaten einzusetzen. Wir führen die Rechnung durch für . Es ist



also



Demnach haben wir jetzt


(3)


Es findet sich aber aus der Formel (II) des vorigen Paragraphen




Endlich ist



Setzt man dies ein in Gleichung (3), so erhält man


(4)


Ebenso findet sich


(5)


(6)


Ueber bewegte freie Elektricität ist es bis jetzt nicht gelungen, Versuche anzustellen.


§. 100.
Wirkung sämmtlicher Theilchen auf ein Theilchen . Riemann’s Gesetz.


 Um die Wirkung sämmtlicher elektrischer Theilchen auf das eine Theilchen zu untersuchen, haben wir zu setzen


(1)


wenn V die elektrostatische Potentialfunction der Theilchen auf den Punkt bezeichnet. Was betrifft, so sind die beiden Hypothesen (§§. 96 u. 98) zu unterscheiden. Nach Weber’s Formel ist


(2a)


nach Riemann’s Formel dagegen


(2b)


Wir wollen die letztgenannte zuerst behandeln. Werden in (2b) die Quadrate ausgerechnet, so zerlegt sich D in drei Bestandtheile, nemlich:



Bezeichnen wir die Geschwindigkeit des Teilchens mit , die Geschwindigkeit des Theilchens mit , so lässt sich kürzer schreiben:




 Zur Abkürzung wollen wir setzen






 Dann haben wir


(3)


 Die Functionen genügen der Gleichung von Laplace, folglich auch , insofern es von abhängig ist:


(4)


 Wir wollen noch die Aenderung von herstellen, die in dem Zeitelement dadurch zu Stande kommt, dass die Theilchen sich bewegen, und constant genommen werden. Es findet sich



Nun haben wir aber



folglich



und ebenso




Der Ausdruck für geht dadurch in den folgenden über


(5)


Auf Grund dieser Differentialgleichung könnte man über die Bedeutung der Functionen eine Annahme machen. Man kann annehmen, die elektrische Wirkung werde durch einen Aether vermittelt. Vermöge der Gleichung (5) liessen sich dann als die Dichtigkeit, als die Stromintensitäten dieses Aethers ansehen.



§. 101.
Fortsetzung: Weber’s Gesetz.


 Wir wollen für die Wirkung der sämmtlichen Theilchen auf das eine Theilchen das Potential auch nach Weber’s Theorie herstellen.

 Zunächst ist wieder


(1)


Diese Function genügt der Gleichung von Laplace. Zur Abkürzung möge für irgend eine Function die Summe der drei Derivirten



gesetzt werden. Bei dieser Bezeichnung haben wir also


(2)


Die Function ist jetzt aus Gleichung (2a) des vorigen Paragraphen zu nehmen. Es ist nun aber



folglich



Setzen wir dies in den Ausdruck für ein, so ergibt sich


(3)


Diese Function genügt, insofern sie von abhängig ist, nicht der Gleichung von Laplace, sondern der complicirteren Differentialgleichung


(4)


Um das zu beweisen, setzen wir




Die einzelnen Summanden in sind dann, abgesehen von constanten Factoren, von der Form



Es ist aber



und es lässt sich durch Differentiation leicht beweisen, dass




Folglich erhalten wir einfacher



Die Factoren sind von unabhängig. Es wird also



und dies ist gleich Null, da ist. Damit ist auch die Gleichung (4) bewiesen.

 Weber’s Hypothese führt also bei dem vorliegenden Problem auf eine complicirtere Differentialgleichung.



§. 102.
Bewegung des Theilchens . Riemann’s Gesetz.


 Wir wollen jetzt für das Theilchen die Bewegungsgleichungen selbst ableiten, und zwar zunächst nach Riemann’s Hypothese:


(1)


(2)


Für die Bewegung gilt der erweiterte Satz von Lagrange und aus ihm ergibt sich wie in §. 99, (2):



Hier sind für der Reihe nach die Coordinaten einzusetzen. Wir erhalten für in derselben Weise wie in §. 99, (3):


(3)


Die nach genommenen partiellen Derivirten und sind von der Beschleunigung unabhängig. Wohl aber kommt die Beschleumgung vor in . Es ist nemlich



folglich



oder kürzer



wenn man mit eine Differentiation nach andeutet, bei welcher, als constant angesehen wird. Führt man dies in Gleichung (3) ein, so ergibt sich:


(4)


Auf demselben Wege erhalten wir die beiden anderen Gleichungen:


(5)


(6)




§. 103.
Fortsetzung: Weber’s Gesetz.


 Endlich sollen für das elektrische Theilchen die Bewegungsgleichungen auch aus Weber’s Formel hergeleitet werden:


(1)


(2)


Hier findet sich



wobei Functionen von sind, welche der partiellen Differentialgleichung genügen



Durch Differentiation nach erhalten wir



und hier ist die Function nur von den Coordinaten und den Geschwindigkeiten abhängig. Demnach lauten die Bewegungsgleichungen:


(3)


Hier müsste also zunächst eliminirt werden.



§. 104.
Zusammenhang mit Ampère’s Gesetz.


 Der Ausdruck (12) des §. 96 ist von uns so interpretirt worden, dass der von den Geschwindigkeiten abhängige Theil des Gesammtpotentials zwei geschlossener Ströme auf einander sich durch Summirung aus lauter Einzelpotentialen zusammensetzt. Das Einzel- potential bezieht sich überhaupt auf zwei elektrische Theilchen und . Handelt es sich um das Potential zweier Ströme auf einander, so hat man jedes Theilchen des einen Stromes mit jedem Theilchen des anderen Stromes zusammenzufassen, für jede solche Zusammenstellung das Einzelpotential zu bilden und alle Einzelpotentiale zu summiren. So kömmt aus §. 96 (13) der Ausdruck für in Gleichung (12) desselben Paragraphen richtig zu Stande, und ehenso aus (II) der Ausdruck für in Gleichung (5) des §. 98.

 Soll nun aus dem Fundamentalgesetze Weber’s


(1)


oder aus dem Fundamentalgesetze Riemann’s


(2)


die gesammte Wechselwirkung aller elektrischen Theilchen berechnet werden, welche überhaupt in zwei geschlossenen Leitern in Ruhe und in Strömung begriffen sind, so hat man für jede Combination von zwei verschiedenen Theilchen und den Ausdruck (1) resp. (2) herzustellen und zu summiren.

 Hier sind dreierlei Combinationen zu unterscheiden, nemlich zwei ruhende Theilchen, ein ruhendes und ein bewegtes Theilchen und endlich zwei bewegte Theilchen.

 Wir wollen den besonderen Fall von zwei geschlossenen constanten Strömen betrachten, um zu untersuchen, ob Weber’s Grundgesetz, resp. Riemann’s Grundgesetz mit Ampère’s Gesetze im Einklang stehen oder nicht. Bei Ampère handelt es sich um die elektrodynamische Wechselwirkung zwischen zwei Stromelementen, von denen das eine dem ersten, das andere dem zweiten Strome angehört. Es kommen also hier nur die Wechselwirkungen zwischen den bewegten elektrischen Theilchen der beiden constanten Ströme in Betracht.

 Nun lässt sich zunächst beweisen, dass der von herrührende Beitrag zu dem Gesammtpotential der bewegten elektrischen Theilchen gleich Null ist. Denn wir können mit einem einzelnen Theilchen zunächst alle anderen Theilchen in Combiimtion bringen. Dann tritt aus dem Summenzeichen heraus, und es ist die Summirung über alle von verschiedenen Theilchen auszudehnen. Nehmen wir zunächst die Summirung über ein Stromelement vor, so kann auch vor das Summenzeichen gebracht werden. Für beharrliche (hier: constante) Ströme ist aber in jedem Stromelemente. Alle Beiträge zu der zu bildenden Summe sind also Null. Dies gilt für die Zusammenstellung jedes einzelnen Theilchens mit den davon verschiedenen Theilchen . Folglich ist hier


(3)


 Es bleibt nur noch die Summe aller Werthe von übrig für die Combinationen von je zwei bewegten Theilchen. Diese Combinationen zerfallen in drei Gruppen, nemlich:

  erstens: je ein Theilchen des ersten Stromes mit je einem Theilchen des zweiten Stromes;

  zweitens: je zwei Theilchen des ersten Stromes;

  drittens: je zwei Theilchen des zweiten Stromes.

 Diese Gruppen liefern der Reihe nach die Potentiale, welche in §. 96 mit bezeichnet sind.

 Für constante Ströme sind und constant. Gehen wir von (1) aus, so ist


(4)


wenn die Summirung über alle Combinationen von Theilchen des ersten Stromes ausgedehnt wird.

 Da der Leiter von unveränderlicher Gestalt vorausgesetzt wird, so dürfen wir ein mit demselben fest verbundenes Coordinatensystem zu Grunde legen. Dann ist bei einem constanten Strome die Function



nur abhängig von einerseits und andererseits. Nimmt man zunächst ein einzelnes und summirt über alle , so ist die Summe eine Function einzig und allein von d. h. von den Coordinaten jenes Theilchens . Bildet man aber diese Summe für jede Werthen-Combination die überhaupt zu Punkten im Innern des Leiters gehört und fasst alle diese Summen durch Addition zusammen, so ist das Resultat constant.

 Dasselbe gilt von der Summe


(5)


wenn sie über alle Combinationen von Theilchen des ersten Stromes erstreckt wird.

 Ebenso beweisen wir, dass bei constanten Strömen constant ist.

 Bei constanten Strömen ist also die von den bewegten elektrischen Theilchen geleistete Gesammtarbeit gleich der Aenderung von allein. Danach zeigt sich, dass Weber’s und Riemann’s Grundgesetze mit Ampère’s Gesetze im Einklang stehen. Denn Ampère’s Gesetz bezieht sich auf constante Ströme. Ampère hat bei seinen Beobachtungen die Gleichgewichtslage beweglicher Stromleiter abgewartet, die von constanten Strömen durchflossen waren. Aus diesen Beobachtungen hat er sein Gesetz abstrahirt. Da wir nun Ampère’s Gesetz aus abgeleitet haben, und der Ausdruck für aus Weber’s und auch aus Riemann’s Grundgesetze sich herstellen lässt, so ist jener Einklang in der That nachgewiesen.[2]


WS: Die Anmerkungen dieser Seite werden auf der vorherigen Seite wiedergegeben.




  1. Weber. Elektrodynamische Maassbestimmungen. Theil 1. Seite 99. (Abhandlungen der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig 1846.)
  2. *) Ueber die Bewegung der Elektricität in drahtförmigen und in beliebigen Leitern hat Kirchhoff zwei Abhandlungen veröffentlicht in Poggendorff’s Annalen Bd. 100 (S. 193) und Bd. 102 (S. 529). Die elektromotorische Kraft wird darin angesehen als herrührend von vorhandener freier Elektricität und von der Induction, die in Folge der Aenderungen der Stromstärke in allen Theilen des Leiters stattfindet. Kirchhoff gelangt dadurch zu Strömen, bei denen nur ausnahmsweise die Dichtigkeit der freien Elektricität im Innern des Leiters gleich Null ist. Diese Untersuchungen Kirchhoff’s bilden den Ausgangspunkt für die Entwicklungen von Weingarten und Lorberg. (Weingarten. Ueber die Bewegung der Elektricität in Leitern. Borchardt’s Journal. Bd. 63. — Lorberg. Zur Theorie der Bewegung der Elektricität in nicht linearen Leitern. Borchardt’s Journal Bd. 71. S. 53.)
     Im Jahre 1858 hat Riemann der K. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen einen Aufsatz überreicht, später aber wieder zurückgezogen. Derselbe ist unter dem Titel: „Ein Beitrag zur Elektrodynamik" im 131. Bande von Poggendorff’s Annalen (S. 237) abgedruckt. Darin ist die Hypothese ausgesprochen, dass die Kraft, welche zur Zeit in einem elektrischen Theilchen ihren Sitz hat, auf ein anderes solches Theilchen in endlicher Entfernung erst zu einer späteren Zeit ihre Wirksamkeit beginne. Diesen Grundgedanken finden wir auch in einem gleichzeitig (1867) veröffentlichten Aufsatze von L. Lorenz: Ueber die Identität der Schwingungen des Lichts mit den elektrischen Strömen. (Poggendorff’s Annalen. Bd 131. S. 243.) Denselben Grundgedanken hat C. Neumann weiter behandelt. (Die Principien der Elektrodynamik. Tübingen 1868. Gratulationsschrift. — Allgemeine Betrachtungen über das Weber’sche Gesetz. Mathematische Annalen Bd. 8. 1875.)
     Weber’s Grundgesetz ist in den letzten Jahren Gegenstand einer von Helmholtz angeregten Controverse gewesen. Man sehe darüber die Abhandlungen:
     Helmholtz. Ueber die Bewegungsgleichungen für ruhende leitende Körper. (Borchardt’s Journal Bd. 72.) - Ueber die Theorie der Elektrodynamik. (Borchardt’s Journal Bd. 75 und Bd. 78.)
     Weber. Elektrodynamische Maassbestimmungen, insbesondere über das Princip der Erhaltung der Energie. (Abhandlungen der mathematisch-physischen Klasse der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften Bd. 10.)
     C. Neumann. Ueber die den Kräften elektrodynamischen Ursprungs zuzuschreibenden Elementargesetze. (Dieselben Abhandlungen Bd. 10.)
     Ferner: Die Aufsätze von C. Neumann im 5. und 6. Bande der Mathematischen Annalen und die Monographie desselben Verfassers: Die elektrischen Kräfte. Theil 1. Leipzig 1873.
     Von besonderem Interesse für den Mathematiker sind die beiden Abhandlungen von H. Weber: Ueber die Bessel’schen Functionen und ihre Anwendung auf die Theorie der elektrischen Ströme. (Borchardt’s Journal Bd. 75.) — Ueber die stationären Strömungen der Elektricität in Cylindern. (Borchardt’s Journal Bd. 76.)
     Von Lehrbüchern sind zu citiren:
     Beer. Einleitung in die Elektrostatik, die Lehre vom Magnetismus und die Elektrodynamik. Braunschweig 1865.
     Wiedemann. Die Lehre vom Galvanismus und Elektromagnetismus. 2. Auflage. Bd. I. II. 1 und 2. Braunschweig 1872. 1873. 1874.
     Maxwell. A treatise on electricity and magnetism. Vol. I. II. Oxford 1873. Bei Wiedemann findet man auch eine ausführliche Uebersicht über die Literatur.