Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 54.

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§. 54.
Specifische Stromintensität.


 Wir betrachten jetzt den Fall, dass in den Leitern die beiden Elektricitäten fortwährend geschieden werden. Die scheidenden Kräfte setzen wir als bekannt voraus.

 In jedem Leiter ist eine unendliche Menge elektrischer Theilchen enthalten. Soll nach aussen keine Wirkung ausgeübt werden, so muss in jedem, noch so kleinen elektrischen Theilchen des Leiters die algebraische Summe der Elektricitätsmengen gleich Null sein.

 Die Elektricitätsmenge , die in einem elektrischen Theilchen vorhanden, ist das Maass der Anziehung oder Abstossung, welche es in der Einheit der Entfernung auf die elektrische Einheit ausübt.

 Wir nehmen im Innern des Leiters eine beliebige Fläche (Fig. 31) und betrachten an irgend einer Stelle derselben ein Flächenelement
Fig. 31.
. Die Normale dieses Flächenelementes geht von ihm aus in zwei verschiedenen Richtungen, die wir als die Richtungen der positiven und der negativen Normale unterscheiden. Die positive (resp. negative) Seite der Fläche ist dem Raume zugekehrt, in welchen die positive (resp. negative) Normale eintritt. In dem Zeitelement gehen durch das Flächenelement sehr viele elektrische Theilchen von der negativen Seite der Fläche nach der positiven und umgekehrt von der positiven nach der negativen hinüber.

|[216]  Die algebraische Summe der Elektricitätsmengen, welche in der Zeit durch das Flächenelement von der negativen auf die positive Seite übergehen, vermindern wir um die algebraische Summe der Elektricitätsmengen, welche in derselben Zeit durch dasselbe Flächenelement von der positiven auf die negative Seite übergehen. Die Differenz dividiren wir durch die Grösse des Flächenelementes und durch . Der Quotient soll die specifische Stromintensität in der Richtung der positiven Normale des Flächenelementes genannt werden. Bezeichnen wir dieselbe mit , so ist hiernach



die Elektricitätsmenge, welche in der Zeit durch das Flächenelement von der negativen auf die positive Seite mehr übertritt als von der positiven auf die negative.
Fig. 32.

 Das Flächenelement liege (Fig. 32) rechtwinklig zu der Axe der . Die elektrischen Theilchen werden durch dasselbe im allgemeinen in sehr verschiedenen Richtungen mit sehr verschiedenen Geschwindigkeiten hindurchgehen. Wir betrachten zunächst nur eine einzige Geschwindigkeit , deren Richtung mit den positiven Coordinatenaxen die Winkel einschliesse. Dieselbe Richtung geben wir der Axe eines Cylinders, welcher das Flächenelement zur Basis hat, und dessen Endflächen auf der Axe die Länge abschneiden. Dabei ist eine absolute Zahl. Der Inhalt des Cylinders findet sich


(1)


da die Geschwindigkeits-Componente in der Richtung der ist. In dem Ausdrucke (1) ist das positive oder das negative Vorzeichen gültig, je nachdem positiv oder negativ ist. Wir nehmen an, dass zur Zeit und während des nächstfolgenden Zeitelementes die Elektricitätsmengen, die mit der |[217]vorgeschriebenen Geschwindigkeit in der gegebenen Richtung sich bewegen, in unendlicher Nähe des Punktes völlig gleichmässig vertheilt vorkommen. Nun sei zur Zeit das an den Punkt anstossende Raumelement mit elektrischen Theilchen von der fraglichen Geschwindigkeit erfüllt, deren Elektricitätsmenge die algebraische Summe habe. Dann sieht man, dass


(2)


die algebraische Summe der Elektricitätsmenge derjenigen Theilchen ist, welche mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit behaftet den Cylinder zur Zeit erfüllen. Diese und nur diese sind es aber, die während des vorhergehenden Zeitelementes in der vorgeschriebenen Richtung die Basisfläche des Cylinders mit der Geschwindigkeit durchschritten haben.

 Wiederholt man diese Betrachtung für jede Richtung und jede Geschwindigkeit, so sind alle elektrischen Theilchen berücksichtigt, welche nach Ablauf der Zeit in dem nächstfolgenden Zeitelement überhaupt durch das Flächenelement hindurchgehen. Man erhält dann so viel Ausdrücke von der Form (2), als Geschwindigkeiten nach Grösse und Richtung verschieden vorkommen. Diese Ausdrücke lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen, je nachdem positiv oder negativ ist. Für die erste Gruppe gibt der Ausdruck


(3)


die algebraische Summe der Elektricitätsmengen, welche während des betrachteten Zeitelementes von der negativen auf die positive Seite von übergehen. Man hat dann aber in (3) die Summirung über alle elektrischen Theilchen zu erstrecken, welche mit positiver Geschwindigkeits-Componente behaftet in dem Raumelement vorkommen. Ebenso erhält man für die zweite Gruppe


(4)


|[218]als algebraische Summe der Elektricitätsmengen, die von der positiven auf die negative Seite von übergehen. Die Summirung in (4) bezieht sich auf alle in enthaltenen Theilchen, deren Geschwindigkeits-Componente negativ ist. Um daher der Definition gemäss die specifische Stromintensität in der Richtung der zu berechnen, hat man die Summe (4) von (3) zu subtrahiren und die Differenz durch zu dividiren. In entsprechender Weise verfahren wir für die Richtungen der beiden anderen Axen.

 Bezeichnen wir also mit die specifischen Stromintensitäten in den Richtungen der drei Coordinatenaxen, so ergeben sich für sie die Gleichungen:


(5)




Die Summirungen beziehen sich auf alle elektrischen Theilchen, welche zur Zeit t in dem an den Punkt angrenzenden Raumelement vorhanden sind. Für jedes Theilchen ist seine Elektricitätsmenge mit der zugehörigen Geschwindigkeits-Componente zu multipliciren und alle so gebildeten Producte sind zu summiren.

 Aus den drei Grössen lässt sich die specifische Stromintensität in irgend einer Richtung ableiten. Es sei die Geschwindigkeits-Componente eines einzelnen elektrischen Theilchens in der Richtung, welche mit den positiven Coordinatenaxen die Winkel einschliesst. Dann haben wir


(6)


Bezeichnen wir mit die specifische Stromintensität in derselben Richtung, so erhalten wir entsprechend den drei Gleichungen (5):



und hieraus unter Benutzung der Gleichungen (6) und (5):


(7)


|[219]  Wir wollen nun eine Richtung aufsuchen, in welcher die specifische Stromintensität durch die Gleichung ausgedrückt wird:


(8)


Sind die Winkel, welche diese Richtung mit den Coordinatenaxen einschliesst, so ergeben sich zu ihrer Bestimmung die Gleichungen:


(9)


Denn durch diese Werthe geht die Gleichung (7) in (8) über, wenn gesetzt wird. Man kann aber auch direct von (9) zu (8) gelangen, da bekanntlich



 Um die Bedeutung der specifischen Stromintensität zu erkennen, deren Richtung durch die Gleichungen (9) festgelegt wird, führen wir die Werthe von aus (9) in (7) ein. Dadurch ergibt sich:


(10)


Die Klammergrösse ist aber , wenn den Winkel der beiden Richtungen und bezeichnet. Wir haben also kürzer:


(11)


Speciell ergibt sich


(12) für


für


Die durch die Gleichungen (9) festgelegte Richtung hat also die Eigenschaft, dass rechtwinklig zu ihr die specifische Stromintensität gleich Null ist, in ihr selbst aber ein Maximum. Diese Richtung ist demnach die Richtung der Strömung. Kennt man im Innern eines Leiters an irgend einer Stelle die specifischen Stromintensitäten in drei auf einander rechtwinkligen Richtungen, so findet sich daraus die Richtung der Strömung und die specifische Stromintensität in dieser Richtung nach demselben Gesetze, welches für die Zusammensetzung der Geschwindigkeiten und für die Zusammensetzung der Kräfte gilt. Man kann dasselbe das Gesetz vom Parallelepipedon der specifischen Stromintensitäten nennen.