Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 44.

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§. 44.
Grundgesetz der Elektrostatik.


 Zur Erklärung der elektrischen Erscheinungen stellen wir die Hypothese auf, dass in jedem ponderablen Körper zwei imponderable elektrische Fluida vorhanden sind: das positive und das negative elektrische Fluidum.

 Die ponderablen Körper als Träger der Elektricität werden in zwei Klassen eingetheilt, in Leiter (Conductoren) und Nichtleiter (Isolatoren). Unter einem Leiter versteht man einen solchen ponderablen Körper, innerhalb dessen die elektrischen Flüssigkeiten sich vollkommen frei bewegen können. Unter einem Nichtleiter dagegen versteht man einen Körper, in welchem jedes kleinste Theilchen der elektrischen Flüssigkeiten an dem Körpermolekül haftet, dem es ursprünglich angehört hat. Zwar gibt es in der Natur keine vollkommenen Leiter und keine vollkommenen Nichtleiter. Vielmehr setzt jeder Leiter der Bewegung der elektrischen Theilchen einen, wenn auch sehr geringen, Widerstand entgegen, und in jedem Nichtleiter ist eine Lagenänderung der elektrischen Theilchen in seinem Innern nicht gänzlich ausgeschlossen, wenn sie auch nur sehr langsam zu Stande kömmt. Es erleichtert aber die Untersuchung der elektrostatischen Erscheinungen, wenn man bei den Leitern den sehr geringen Widerstand, bei den Nichtleitern die sehr geringe Beweglichkeit der elektrischen Theilchen ganz ausser Betracht lässt.

 Die elektrischen Fluida sind imponderabel, d. h. sie werden von der Schwerkraft nicht in Anspruch genommen. Dagegen übt jedes elektrische Theilchen auf jedes andere elektrische Theilchen eine bewegende Kraft aus. Zwei elektrische Theilchen haben gleiche Elektricitätsmengen, wenn jedes von ihnen unter gleichen |[180]Umständen auf ein und dasselbe dritte Theilchen nach Grösse und Richtung dieselbe Kraft ausübt.

 Nach dieser Definition erkennt man die Möglichkeit, gleiche Quantitäten desselben Fluidums herzustellen und in Folge davon, bei Annahme irgend einer Einheit, verschiedene Quantitäten desselben Fluidums zu messen. Es kömmt noch darauf an, mit demselben Maass auch die Elektricitätsmengen des anderen Fluidums zu messen. Zu dem Ende definiren wir weiter: Zwei elektrische Theilchen haben entgegengesetzt gleiche Elektricitätsmengen, wenn sie unter gleichen Umständen auf ein und dasselbe dritte Theilchen Kräfte ausüben, die an Grösse gleich, in der Richtung einander entgegengesetzt sind. Hiernach üben zwei gleiche Quantitäten des einen und des anderen elektrischen Fluidums, wenn sie in demselben Punkte des Raumes vereinigt sind, gar keine Kraft aus. Dies ist der Grund, weshalb man die beiden Flüssigkeiten als positives und negatives Fluidum unterschieden hat.

 Es ist nicht unwichtig, hier eine Bemerkung anzuknüpfen. Denken wir uns einen Körper, der durchaus keine elektrische Wirkung ausübt, so lässt sich sein elektrischer Zustand in doppelter Weise auffassen. Entweder nemlich kann man sagen: an jeder Stelle des Körpers ist die Elektricitätsmenge Null vorhanden. Oder man kann sagen: an jeder Stelle des Körpers ist eine Quantität positiver und eine eben so grosse Quantität negativer Elektricität in neutralem Gemisch vorhanden. Ist der Körper, der in diesem Zustande sich befindet, ein Leiter, so lehrt die Erfahrung, dass bei blosser Annäherung einer positiven oder negativen elektrischen Ladung ein Theil der Leiteroberfläche positive und der übrige Theil negative Elektricität zu erkennen gibt. Diese Thatsache lässt sich nur aus der zweiten Auffassung erklären, nemlich so, dass durch die in der Nähe befindliche elektrische Ladung der positive und der negative Bestandtheil des neutralen Gemisches in jedem inneren Punkte des Leiters nach entgegengesetzten Seiten auseinander getrieben werden. Ist diese Erklärung richtig, so muss nach der Scheidung ebenso viel positive wie negative Elektricität vorhanden sein. Auch dies ist durch das Experiment bestätigt.

 Die Erfahrung hat über die elektrostatische Wechselwirkung von zwei elektrischen Theilchen das folgende Gesetz festgestellt:

 Zwei elektrische Theilchen, welche in zwei Punkten concentrirt in Ruhe sich befinden, üben auf einander eine |[181]Kraft aus, deren Richtung in die Verbindungslinie der beiden Punkte fällt. Die Grösse der Kraft ist proportional dem Producte der beiden Elektricitätsmengen und umgekehrt proportional dem Quadrat ihrer Entfernung. Sie ist Abstossung, wenn die beiden elektrischen Theilchen gleichartig, sie ist Anziehung, wenn die Theilchen ungleichartig sind.


 Sind also und zwei Zahlen, die nach Zahlwerth und Vorzeichen die Elektricitätsmenge des einen und des anderen elektrischen Theilchens angeben, und ist die Entfernung der beiden Theilchen, so ist


(1)


die Kraft, welche sie in der Richtung der Verbindungslinie auf einander ausüben. Diese Kraft ist Abstossung oder Anziehung, je nachdem sie positiv oder negativ ist. Die Einheit der Elektricitätsmenge ist dabei so gewählt, dass ist, wenn und ist.