Textdaten
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Autor: Karl Brandt
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Titel: Schwarzwild im Schnee
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 809, 820
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[809]

Schwarzwild im Schnee.
Nach dem Gemälde von C. Zimmermann.

[819] Schwarzwild im Schnee. (Zu dem Bilde S. 809.) „Brrr! lieber F., das war doch eine verdammt kalte Sitzung, das halte der Teufel länger aus!“

Bei diesen zu meinem langjährigen Jagdfreunde, dem dicken fürstlichen Revierjäger F., gesprochenen Worten erhob ich mich von meinem Sitze, stampfte mit den Füßen und schlug mir die Hände ein paarmal um die Schultern, um die steifgefrorenen Glieder wieder gelenkig zu machen – – und vierzig Schritte von uns unter dem Futterschuppen klapperten die Geweihe zusammen und an die Raufen und aus dem Schatten heraus stürmten die Hirsche und das Wild in den schneebedeckten, vom Vollmond fast taghell strahlenden Buchenwald.

„Ja, es ist hier oben auf der Eiche ein bißchen luftig, aber wenn man Hirsche bei der Futterung sehen will, muß man den Frost nicht scheuen, sonst geht’s nicht.“

Dicht bei der Hirschfutterung in „Schlechterskampe“ steht eine mächtige Eiche, in deren Geäst eine Kanzel erbaut ist, von der aus wir die Hirsche, das Wild und auch einige Sauen beobachtet hatten, wie sie langsam nach den vollen Raufen herangezogen kamen – immer vorsichtig sichernd, ob auch die Luft rein wäre und ihnen keine Gefahr drohte. Zuerst war das Leittier an die Raufen getreten, dann war das geringe Zeug hingeeilt, hatte sich gedrängt und geschoben; zwei Schmaltiere hatten sich auf die Hinterläufe gestellt, die Luser (Lauscher) wie bissige Pferde zurückgelegt und „gefrangt“, sich spielend mit den Vorderläufen „geschnellt“. Plötzlich aber war die ganze Gesellschaft auseinander geprescht, als wäre eine Bombe zwischen ihnen geplatzt – vor einem Nichts, einer eingebildeten Gefahr – dann war das Kahlwild wieder herangetreten, und auch die Hirsche kamen angetrollt – zuletzt die starken, die „jagdbaren“, von denen ein Sechzehnender den Schluß bildete. Wo ein solcher ehrwürdiger Herr an die Raufe trat, wurde ihm sofort respektvoll Platz gemacht – und wagte es einmal ein Alttier oder geringer Hirsch, auf sein gutes Recht zu pochen und stehen zu bleiben, so machte er sie mit einem seitlichen Schlage des Geweihes darauf aufmerksam, daß hier der Wille des Stärkeren das höchste Gesetz sei.

Jetzt war alles Wild verschwunden, höchstens sahen wir noch einmal in der Ferne ein Stück zwischen den Stämmen auftauchen. Langsam kletterten wir die Leiter herab. Der fast kniehoch liegende pulverige Schnee dämpfte unsere Schritte und wir gingen so leise, als schritten wir auf Dunen dahin. Kein Luftzug regte sich, kein Wölkchen stand am Himmel; die Sterne glitzerten und funkelten wie tausend Diamanten und die Vollmondscheibe beschien mit lichtem Glanz die Bäume und malte die Zweige in ihren feinsten Linien auf den weißen Schneeteppich, durch den überall die Fährten des Wildes Pfade gezogen hatten.

Unser Weg führte uns am Rande einer Fichtenschonung hinaus, hinter welcher Bnchenhochwald lag. Bei solcher Kälte ist man nicht zum Sprechen aufgelegt, der Bart ist gefroren und die eisige Luft liegt schwer auf der Brust. Aber Freund Grünrock flüsterte mir trotzdem zu, ruhig zu sein und leise zu gehen, da allabendlich um diese Zeit in den hohen Buchen eine Rotte Sauen bräche – vielleicht hätten wir Glück und könnten sie beobachten.

Als wir das Ende der Schonung erreicht hatten, schob ich langsam den Kopf hinter den schneebedeckten Zweigen der letzten Fichte weg – richtig, oben am Hange bewegte es sich zwischen den Stämmen und schwarze Schatten hoben sich scharf von der weißen Schneedecke ab, aber zu weit von uns, als daß wir die einzelnen Stücke deutlich hätten sehen können, und wenn ich das Glas ans Auge setzte, so war es beschlagen, bevor es seinen Zweck erfüllt hatte. Aber die schwarzen Schatten schienen näher zu kommen, und wir hatten noch keine 5 Minuten gestanden, da trollte die schwarze Gesellschaft eins hinter dem andern in langer Linie fast geradeswegs auf uns zu. Unter einer dicken Samenbuche, die kaum 50 Schritte von uns entfernt stand, wurde Halt gemacht, und hier fing die „Rotte“ auch gleich an, unter Schnee und Blättern knurrend und schmatzend nach Buchmast zu suchen. Aber nicht lange sollte für uns das Vergnügen dauern, die borstige Rotte in so unmittelbarer Nähe bei ihrer Arbeit beobachten zu können. Trotzdem sich kein Zweig bewegte, mußte doch ein unmerklicher Hauch nach den Schwarzkitteln hinziehen, der starke Keiler, der uns am nächsten stand, warf auf, äugte nach uns herüber, blies zischend den Wind durchs Gebräch – ruff! und trollte bedächtig, gefolgt von der ganzen Gesellschaft, der nahen Dickung zu. Karl Brandt.