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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Schluß der Abhandlung
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aus: Zerstreute Blätter (Zweite Sammlung) S. 155-170
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Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Googleund Commons
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[155]
5. Schluß der Abhandlung.


Aber warum, wird man sagen, warum so viel über die Bestimmung des kleinsten der Gedichte? Ist an der Theorie des Epigramms oder gar an der ganzen Dichtungsart so viel gelegen? „Wer ist so stumpf, daß er nicht ein Epigramm machen [156] könnte und wer so thöricht, daß er mehr als Eins machen wollte?“ wie halb albern jener witzige Spanier sagte.

Zuerst ists eine ausgemachte Sache, daß die Bestimmung eines Begrifs, wer dieser auch seyn möge, für sich selbst, als Erkenntniß, einen Werth habe und ihren Nutzen mit sich führe. Im Reich der Wahrheit kommt es nicht auf Größe und Kleinheit des Objekts, sondern auf die Art an, wie es uns bekannt gemacht wird und der Zergliederer einer Weidenraupe kann mehr Verdienst haben, als der unbestimmte Lobredner des Elephanten. Alle Begriffe hangen in der Kette der Wahrheiten an einander und die kleinste kann oft der größesten nicht nur dienen, sondern selbst unentbehrlich werden. Da es nun bekannt ist, daß die Theoristen des Epigramms bisher meistens nur von Martial ausgingen und auf die Anthologie höchstens einen Seitenblick warfen; mich dünkt, so lohnte es einmal der kleinen Mühe, die Aussicht bis dahin zu erweitern. Die Griechen sind Meister [157] und Lehrer in allem Schönen gewesen; und nur in dieser kleinen Dichtungsart sollte sie das Unglück so verfolgt haben, daß ihre zahlreichen Arbeiten darinn gar keine Aufmerksamkeit verdienten? Nur von ihnen bekamen ja die Römer diese wie alle Gattungen der Dichtkunst und wenn auch wir das Epigramm aus den Händen neuerer Nationen haben: so sind diese ja sämmtlich und sonders es den Griechen und Römern schuldig. Wollen wir also je eine philosophische Poetik oder eine wahre Geschichte der Dichtkunst erhalten: so müssen wir über einzelne Gedichtarten vorzuarbeiten suchen und jede derselben bis auf ihren Ursprung verfolgen.

Ueberdem kann ichs mir nicht einbilden, daß das Epigramm der griechischen Art eine so geringschätzige Sache sey, als wozu es einige seiner Verächter gemacht haben. Ich will den Unrath nicht Gold nennen, der zumal in des Kephalas Anthologie zusammengehäuft ist und werde darüber noch einige Worte sagen; das ächte und schöne Gold aber, das aus den ältern Zeiten mitten [158] in diesem Unrath hervorblickt, ist gleichfalls unverkennbar. Die edelsten Dichter und Weise, Simonides und Plato, Aristoteles, Theokrit u. a. stehen als Epigrammatisten da und nach Wiederauflebung der Wissenschaften ist beinah keiner Dichtungsart fleißiger und schöner nachgeifert worden, als der Anthologie der Griechen. Die größesten Namen, die dem menschlichen Geist ewig zum Ruhm gereichen werden und eine Reihe andrer Männer, denen es gewiß an Geschmack nicht fehlte, waren Uebersetzer oder Nachahmer der Anthologie, a)[1] so daß ein fleißiger Deutscher, b)[2] der eine Sammlung dieser Uebersetzungen anfing, schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts aus 331 Uebersetzern sammlen konnte. Ich schäme mich also gar nicht, einer Reihe von Männern nachzutreten, unter denen ein Erasmus und Grotius, Thomas [159] Morus und Melanchthon, Sleidan und Scaliger, Buchanen. Dousa und so viel andre hervorglänzen, und wage es geradezu, das griechische Epigramm auch als ein schönes Vorbild jugendlicher Uebungen zu empfehlen.

Meine Gründe hiezu sind diese. Zuerst kenne ich keine Dichtungsart, die ein so unmittelbarer Uebergang von allem Anschaulichen, was den menschlichen Geist oder das Herz interessiren kann, zu einer reinen Exposition und zu einer bestimmten energischen Sprache wäre, als das Epigramm der Griechen. In ihm lernt der Jüngling eine schöne Ründe, eine liebliche Klarheit, ein Eilen zum Ziel auf dem kürzesten, treffendsten Wege. Eine sogenannte begeisternde Ode läßt sich leicht herschwärmen, eine läßige Idylle leicht herschlentern; manches müßige Wort in ihnen wird übersehen, ja in manchem Ganzen weiß der Autor selbst nicht was er wollte. Bei dem Epigramm nicht also. Hier ist der Gegenstand, das Ziel, die Form sehr bestimmt gegeben; kein Wort darf müßig stehn, kein Zug [160] darf fehlen; oder beides fällt sogleich auf und der Zweck des Gedichts wird nicht erreichet. Daher finden wir, daß manche große Männer in größeren Gedichten leidlich waren; so bald sie sich an ein kleines Epigramm versuchten, wurde ihr lahmer Gang sofort sichtbar: denn hier galts keinen Spatzierweg, sondern den kürzesten Lauf zum Ziele. In diesem Betracht halte ich das Epigramm wirklich nicht nur für einen Probierstein des Witzes, sondern auch des scharfsinnigen Verstandes, der leichtesten Ordnung, des zweckmäßigsten Ausdrucks. Ein treffendes Epigramm sagt oft mehr, als eine langweilige Abhandlung voll unnöthiger Vorbereitungen, Seitensprünge und Declamationen.

Damit ich nicht mißverstanden werde, setze ich sogleich dieses hinzu. So sehr die Griechen den Witz liebten: so war das Epigramm des Spotts bei ihnen weder das Einzige noch das Erste. Zwar hat uns die Anthologie auch in dieser Gattung eine ziemliche Menge schlechter und guter Sinngedichte aufbehalten, und da ich [161] mich in meiner Sammlung lieber an mildere Gegenstände, die man öfter gern lieset, als an flüchtige Einfälle des Spottes gehalten habe: so mögen zum Behuf der Theorie wenigstens hier einige Proben, als eine lange Parenthese stehen:


Fragst du, Menestratus, mich was dein Deukalion werth sei?
     und dein Phaethon dort, den du in Flammen gemahlt?
Beide sind werth des Schicksals, zu dem sie die Götter erschufen,
     Dieser der Flammen und der seiner ersäufenden Flut.


Nein Kleopatra nein! Dein Spiegel, glaube mir, trüget;
     Sähest du dich, wie du bist; sähest du nimmer hinein.

[162]

Wenn ich da bin, Thrax, so tadl’ und schelte mich immer;
     Nur verbitt’ ich mir auch, bin ich zugegen, dein Lob.


Der du den stygischen Pful beschiffst mit rudernden Armen,
     schwarzer Charon, o nimm leise den Cyniras auf.
Reiche die Hand ihm hin, wenn er vom Kahne der Schatten
     aussteigt, daß er sich ja schone den zärtlichen Fuß,
Den im Leben der lindeste Schuh mir Wunden verletzte:
     „Wehe!“ ruft er gewiß, wenn er das Ufer betritt.

[163]

Großen Aufwand machte der geizige Hermon im Traum einst;
     Aengstig sprang er empor, lief und erhenkte sich selbst.


Gegen den Amor bin ich in meinem Busen gewaffnet
     durch die Vernunft; ich steh Einer dem Einen zu Wehr.
Ich ein Sterblicher ihm dem Unsterblichen. Aber ist Bacchus
     ihm zur Seite, wer mag gegen zwei Götter bestehn?


Seliger Pluto, nimm, nimm an den lachenden Weisen
     Unter der traurigen Schaar hast du jetzt Einen, der lacht.

[164]

Wanderer, sieh, hier liegen in Einem Grabe begraben
     sieben Todte. „Wer hat sieben der Menschen erlegt?“
Fragst du; kennest du nicht den Stab des mächtigen Hermes,
     der in des Arztes Hand Menschen zu Schatten gesellt?


Bauch, du Unverschämter! Der Freiheit heilige Rechte
     giebt der Schmeichler hinweg um eine Suppe für dich.


„Tanzt’ ich die Niobe nicht und die Daphne recht nach dem Leben?“
     Wahrlich! Jene wie Stein, diese wie starrendes Holz.

[165]

Mich verachtest du nicht; die Armuth schmähest du in mir;
     wäre Jupiter arm, wär’ er geachtet wie ich.


Hast du noch mehr des Weins, mit dem du mich gestern bewirthet?
     kränze mit Epheu nicht, kränz’ ihn mit grünem Salat.


Damon und Pythias, der Todtengräber und Doctor,
     helfen in ihrer Kunst treulich einander sich aus:
Damon stielt dem Begrabnen die Leichenhemde zu Pflastern
     für den Doctor und Er schafft ihm die Kranken ins Grab.

[166] Auch die Griechen also schlossen den Spott vom Epigramm nicht aus: denn warum sollten unter allen Gegenständen der Welt gerade Narren die einzigen seyn, die keine auszeichnende Aufschrift verdienten? da sie sich doch selbst so oft mühsam vordrängen, um ausgezeichnet zu werden. Leider bietet sich uns daher diese Gattung der Epigramme am meisten dar: Die Pointe springt uns gleichsam fertig ins Gesicht, und man hat oft Mühe, den Stein der uns aus einer plumpen Hand zuflog, wie jener Dervisch, ruhig bei sich zu stecken, wenn man fühlt, daß vom Bogen zurückgeschnellt, er eine viel treffendere Wirkung thäte. Die Großmuth des Dervisch ist indessen doch das Beste und mich dünckt, es war Metastasio, der auch aufs bitterste gereizt, zwar sein Sinngedicht machte, es einem Freunde vorlas, aber sodann gleich verbrannte: denn wie oft hat ein nicht übel gemeinter loser Einfall Feindschaften erweckt und Nachtheile befördert, die nachher lange Jahre nicht wegbannen konnte. Je treffender der Pfeil war, desto [167] unvergeßlicher schmerzt er. Zudem giebt es Gattungen von Spott, die sich ein billiger Mann nie erlauben sollte z. B. über körperliche Gebrechen, über unverschuldete Unglücksfälle u. dgl. Die Anthologie geht auch an solchen nicht leer aus; sie sind aber auch die, die ich ihr am wenigsten beneide. Sie tadeln und brandmarken meistens durch ein plumpes Werkzeug, die Hyperbel; oder sie bereiten eine Speise, die nicht mit Salz sondern mit Galle gewürzt, keine gesunde Zunge reizet. Ein Gleiches ists mit den Obscenitäten, in welche sich die griechische Anmuth so oft verlohr. Freilich wars besser, daß diese unreine Ader sich lieber in ein kurzes Epigramm, als wie es in spätern Zeiten geschehen ist, in lange Erzählungen und Romane ergoß; indessen auch sie wollen wir den Griechen lassen und uns dagegen an die edlern Arten des Epigramms halten, an denen sich auch nach Jahrtausenden Menschen freuen und laben.

Dies sind z. B. Epigramme auf Gegenstände der Natur, auf Helden und berühmte [168] Personen, auf trefliche Seelen und ihre edle Geschichte; oder die Stimmen der Dankbarkeit und Freundschaft, der Eltern- und Kindesliebe. Hier steht nun einem Jünglinge, der dieser Bahn folgen will, die Geschichte der ganzen Welt vor Augen. Er zeichne den edeln Geist, die schöne That, die ihn rühret, mit Einfalt und Würde aus und das kleine Epigramm, das er dem Helden, dem Schutzgeist der Menschheit an den Fuß seiner Bildsäule schrieb, hat er damit auch lebendiger in sein Herz geschrieben. Die klare, kurze Exposition war für seinen Verstand, der Stachel derselben für sein innerstes Gefühl, gleichsam ein Samenkorn in seiner Seele. Die würdigsten Männer der vorigen Jahrhunderte liebten dergleichen Auszeichnungen und ich weiß nicht, warum wir an ihnen erschöpft sind: denn die edelsten Wohlthäter unsres Vaterlandes liegen auch in diesem Verstande ohne Kränze und Stela, unbegraben.

Insonderheit sind Gegenstände der Kunst des schönsten griechischen Epigramms würdig; [169] und wie viele schöne Stücke des Alterthums sind da, die, wenn man sie mit einigem Gefühl ansieht, die zarteste Inschrift uns gleichsam zuhauchen! Glücklich ist der Jüngling, dem das Schicksal einen Lehrer schenkt, der hier sein Auge und seinen Verstand leitet. Er zeigt ihm, worauf es der Künstler eigentlich anlegte? wie und worinn seine Seele, die längst im Schattenreich ist, noch jetzt aus seinen Werken zu uns spreche? Der Funke also, der in des Meisters Gemüth glühete, wird auch der helle Punct, der im Lehrlinge zündet, ja mit dem er die Weisheit des ganzen dastehenden Werks beleuchtet. Kleine Inschriften dieser Art mit klaren, bestimmten Zügen sind mehr werth, als lange Abhandlungen voll allegorischer Gelehrsamkeit oder als Lobjauchzungen voll Wolken, Blitze und Nebel. Mit einer solchen Inschrift nehmen wir gleichsam Besitz von dem geliebten Gegenstande, den wir damit aus uns und für uns anzeichnen: wir fühlen das Glück, daß wenn wir ihn gleich nicht schaffen konnten, so können wir ihn dennoch, [170] was so wenigen gegeben ward, bestimmt denken und ausdrücken, genießen und fühlen. So ists mit manchen Gegenständen des Leides und der Freude in unserm Leben: wir genießen doppelt, wenn wir uns den Genuß sagen; die Wolke des Schmerzes entweicht, wenn wir uns ihre Ursache und Wirkung klar und bestimmt entziffern. – –

Indessen bei alle diesem Ruhm und Nutzen sehe man das Epigramm für nicht mehr an als es seyn kann und seyn will: es ist ein vorübergehender, entwickelnder, treffender Gedanke, dessen Einkleidung zwar ein Kunstwerk, aber nicht die höchste Kunst ist. Es gehört auf den Fuß der Bildsäule; die Bildsäule selbst aber ist doch etwas Anders.


  1. a)S. Fab. biblioth. grau. L. III. p. 701-702.
  2. b) Andr. Rivenus (Bachmann) florileg. graecolat-Gothae 1651.