Schiffs-Auffliegung bei Neumühlen

Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Schiffs-Auffliegung bei Neumühlen
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 275–278
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer:
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[275] 
93. Schiffs-Auffliegung bei Neumühlen.
(1622.)

Groß Weinens und Wehklagens ist in Hamburg gewesen, als das schöne Schiff in die Luft flog, mit vielen Menschen darauf, am 2. Juli 1622, Abends zwischen 6 und 7 Uhr; und dies Unglück hat sich in dieser Weise zugetragen.

Schiffer Peter Janssen, der mit voller Ladung nach Malaga segeln wollte, wurde am gedachten Tag, als das Schiff auf der Elbe bei Neumühlen lag, von seinen Rhedern und deren Freunden besucht, nachdem sie so eben am Lande eine fröhliche Mahlzeit gehalten hatten. Als sie nun am Bord waren, um hier vom Schiffer und Schiffsvolk Abschied zu nehmen, dabei auch eine kleine Kurzweil zu halten, und noch etwas kalte Küche und einen guten Trunk zu genießen: da läßt der Schiffer zu ihrer Ehre und zu mehrerer Ergötzung alle Kanonen des Schiffes abfeuern. Als die erste Salve erfolgte, haben sich die anwesenden Frauen und Jungfern aus angeborener Zaghaftigkeit des weiblichen Geschlechts gewaltig verschrocken. Nach der zweiten Salve haben sie’s bittlich von ihren Männern erlangt, daß solch überlautes Schießen, welches ihnen gänzlich ungewohnt und sehr zuwidern, möchte eingestellt werden. Jedennoch hat das Schiffsvolk gegen die Order noch eine dritte Salve gelöset, als zum Valett und weil aller guten Dinge drei seien, woraus aber Gottleider ein sehr bös Ding geworden ist. Denn es ist hiebei aus Unvorsicht der Constabler, so vermuthlich betrunken gewesen, Feuer ins Pulverfaß gerathen, und dadurch geschehen, daß urplötzlich das ganze Schiff mit der ganzen Ladung (darunter viel Pulver und Kupfer in Platten), sammt allen Menschen darauf, mit erschrecklichem Donnerskrachen und feuriger Lohe in die Luft geflogen ist. Und zwei Ever mit Korn, die grade nahe vorbeifuhren, [276] wurden von der Explosion mit ergriffen und gingen auch zu Grunde. Welches erschreckliche Spectaculum von den Leuten am Ufer, die vom verbrannten Getraide überschüttet wurden, mit höchster Bestürzung angesehen worden ist. Die Zahl der also Verunglückten, die man hernach ermittelt hat, ist gewesen 45; darunter Peter Janssen, der Schiffer, nebst Frau, 2 Söhnen und 11 Bootsleuten, sodann seine Rheder, angesehene Kaufleute mit ihren Frauen und Kindern und Freunden, lauter gute Bürger aus den Familien von Kampen, Bettjens, Kräffting, Rendtorff u. A. Sie sind im Auffliegen theils zerstückt und zerrissen, theils verbrannt, theils halbtodt aus der Luft ins Wasser gefallen und ertrunken. Auf der Elbe haben viele zerrissene Gliedmaßen umhergetrieben, z. B. der Oberrumpf einer Dienstmagd mit einem Kindlein fest im Arm; die hat man aufgefischt und an den Strand gebracht. Und einer der Rheder stand oben auf dem Schiffscastell und hielt grade einen vollen Becher empor und jauchzte vor Lust, als der Schlag geschah und er im Nu in die Luft fuhr, von dannen er in Stücken niederfiel. Und am hohen Ufer im Kornfeld fand man hernach ein halbes Bein, in der Hosentasche steckte ein Comtoir-Schlüssel, woran man einen vornehmen Kaufmann erkannte, von dem man nur dies halbe Bein begraben konnte. Also war die fröhliche Lustfahrt der guten Menschen nach Gottes Willen gar jammerhaft verunglückt, und die Trauer groß in der Stadt.

Von Allen, so am Bord gewesen, sind einzig eine Frau und ein Bootsknecht gerettet; die Frau, welche in gesegneten Umständen war, befand sich nämlich nach der ersten Lösung der Kanonen so übel, daß sie um Gottes Barmherzigkeit willen bat, man möchte sie ans Land setzen, das Herz thäte ihr gar zu weh; worauf man sie schleunig von einem Knechte dahin rudern ließ; und wie sie den Fuß auf den Strand gesetzet, [277] da ist das furchtbarliche Krachen erfolgt und das Schiff aufgeflogen.

Sonntags darauf ist in allen Kirchen von diesem erschrecklichen Ereigniß gepredigt und für die armen Verunglückten gebetet. Und Herr Mag. Hardkopf, Pastor zu St. Nicolai, hat seinen Sermon drucken lassen, unter dem Titel: „Denk’ daran, Hamburg!“


Hiebei hat sich auch noch diese nachdenkliche Geschichte zugetragen. Es hatte die Wittwe Krampen auf dem Brook ein einziges Kind, eine stille sittsame Tochter von 20 Jahren, lieblichen Angesichts und bei Jedermann wohlgelitten. Und Hinrich Kräffting, der Handlungsdiener einer der Rheder, hatte sie lieb und wollte sie gern heirathen, was der Mutter schon recht war. Selbiger bat nun die Jungfer, daß sie mit seines Principals Familie nach dem Schiffe fahren möchte, wo er seine Gelegenheit zu ersehen und die Werbung anzubringen gedachte. Sie wollte aber nicht und bat auch gar beweglich ihre Mutter, sie mit der Ausfahrt zu verschonen; endlich aber, als diese stark in sie gedrungen, hat sie geantwortet: liebe Mutter, Euch zu Gefallen will ich’s thun, aber Gott weiß es, mein Herze ist gar schwer dabei. So ist sie denn mit ihrem Liebsten hinausgegangen, und beider Seelen sind vereint gen Himmel geflogen.

Die Mutter hat sich nun dies klägliche Ende ihrer lieben Tochter dermaaßen zu Gemüthe gezogen, daß kein Trost bei ihr verfangen wollte, da sie sich als die Mörderin ihres frommen Kindes ansah. Letztlich verfiel sie in Tiefsinn und sagte: wenn sie sich etwa einmal verlieren sollte, so möge man sie dort suchen, wo ihre Pantoffeln stünden. Eine Zeit darnach geht sie auf den Bleichplatz hinter ihrem Hause am Brook. Eine Dirne, die daselbst beim Zeuge sitzt, ruft ihr noch zu: sie möge [278] nicht auf das dünne Brett am Graben treten, und geht dann ihrer Wege; als sie wieder kommt, ist Frau Krampen verschwunden, und da man sie aller Orten sucht, findet man endlich ihren Leichnam im Wassergraben, dahinein sie über Kopf gefallen war; die Pantoffeln aber standen fein säuberlich daneben auf dem Lande.

Noch lange Zeit hernach sputeten sich alle Waschweiber, die auf diesen Bleichen hinterm Brook handtirten, daß sie fertig würden mit ihrer Arbeit vor Sonnen-Untergang, denn sodann ward’s daselbst gar nicht geheuer. Und von dem schweren Seufzen und Stöhnen und Pantoffel-Geklapper, so allda zu vernehmen, wußten sie viele schauerliche Geschichten zu erzählen. Eine resolute Frau aber, die noch spät gegen Mitternacht hinüberging, um ein vergessenes Stück Wäsche zu holen, hat mit leibhaftigen Augen gesehen, wie vor ihr am Graben eine lange schwarz gekleidete Frauengestalt mit weißem Regentuch um den Kopf händeringend auf- und abgegangen, dann aufs Waschbrett getreten und im Graben verschwunden ist.

Als ich ein kleiner Junge war, hat mir unsre Waschfrau erzählt, daß es auf den Bleichen hinterm Brook spuken solle; weiter wußte sie nichts davon zu sagen, denn die Geschichten von der Lustfahrt zu dem Schiffe, von dessen schrecklichem Auffliegen, von der armen Jungfer Krampen und ihrer tiefsinnigen Mutter, – die waren längst vergessen und verschollen, wie so vieles in der Welt, Lust und Weh, Freud und Leid. Seitdem sind dort die Bleichplätze verschwunden und jetzt auch die Wassergräben zugedämmt.

Anmerkungen

[385] Steltzner III. 26. 27. – Hesselii Elbestrom S. 141, wobei die Abbildung der Explosion, während die gerettete Frau landet. – Ausführliche Namen-Angabe der Verunglückten enthält eine handschriftl. Chronik. – Hardkopf’s Predigt: „Denk d’ran, Hamburg,“ hab ich nicht gesehen.