Schicksal neuer Ideen
[112] Schicksal neuer Ideen. „Es gibt nichts Neues unter der Sonne!“ ist ein eben so oft citirter, als bewährter Satz; er sollte auch hinsichtlich einer der angestauntesten Errungenschaften des Zeitgeistes: der Idee der Anwendung des Dampfes als fortbewegende Kraft, nicht ohne Geltung bleiben. Während man nämlich bisher den Engländer James Watt als den Schöpfer jener Idee anerkannte, ist jetzt unwiderleglich bewiesen, daß, was die Priorität derselben anbelangt, die Spanier schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch Blasco de Garay auf die Erfindung von Dampfmaschinen geführt wurden, daß indeß die spanische Regierung die Kenntniß und somit die Anwendung dieses großartigen, kulturhistorischen Gedankens bisher der Welt engherzig entzog. Die Originale der Beweisstücke für diese Anklage des spanischen Gouvernements befinden sich im königlichen Archive zu Simancas, aus denen erst vor etwa 30 Jahren durch Thom. Gonzalez einige Stellen veröffentlicht wurden, die unser verdienstvoller, gelehrter Külb der deutschen Literatur in einem Auszuge zuführte. Diesen Quellenangaben zufolge machte im Jahre 1543 ein Schiffscapitain, Namens Blasco de Garay, dem Kaiser Karl V. das Anerbieten, eine Maschine zu bauen, welche im Stande wäre, die größten Schiffe und selbst bei völliger Windstille „ohne Segel und Ruder“ fortzubewegen. Trotz der Hindernisse und Widersprüche, welche dieses für die Anschauungen der damaligen Zeit so abenteuerliche Unternehmen fand, willigte Karl V. doch in einen Versuch, der denn auch am 17. Juni 1543 stattfand. Da Garay sich beharrlich weigerte, seine Maschine und deren nähere Einrichtung Jemandem zu zeigen, so konnte man nur wahrnehmen, daß dieselbe in einem großen Kessel mit siedendem Wasser, sowie in zwei von letzterem in Bewegung gesetzten, an den beiden Außenseiten des Schiffs befindlichen Rädern bestand. Der Versuch, mittelst eines mit Getreide beladenen Fahrzeuges von 200 Tonnen angestellt, ergab das Resultat, daß die zur Prüfung bestellten Personen, sowie viele Seeleute, welche nebst einer großen Menge Volks dem seltsamen Experimente beiwohnten, sich mit Begeisterung für die Erfindung erklärten und insbesondere die Schnelligkeit, mit der die verschiedenen Wendungen des Schiffs gehandhabt wurden, hervorhoben. Nach Beendigung des Versuchs nahm Garay seine Vorrichtung wieder aus dem Fahrzeuge, brachte das Holzgerüste in das Arsenal von Barcelona, die anderen Bestandtheile der Maschine aber vorsichtig in seine Wohnung,
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß wir in der Garay’schen Maschine das heutige „Dampfschiff“ in seinem ersten Entwürfe, seinem Rohbaue vor uns haben.
Wiewohl dem Kaiser die Wichtigkeit der neuen Erfindung nicht entging, so ward doch seine Aufmerksamkeit durch zu wichtige politische Angelegenheiten von diesem Gegenstände abgelenkt und blieb somit die Realisirung derselben einer spätern, Zeit vorbehalten. – Was aber James Watt anbelangt, so läßt sich wohl mit Sicherheit annehmen, daß derselbe von jener weit früheren Erfindung Spaniens keine Kenntniß hatte und er in der That zwei Jahrhunderte später, als Biasco de Garay, auf dieselbe Idee kam: eine Erscheinung, die bekanntlich in der Geschichte nicht ohne Analogon dasteht.
Ein tief beklagenswerthes Schicksal tritt uns aber entgegen, wenn wir den Blick auf den Schöpfer eines mit dem Vorstehenden in unmittelbarer Verbindung siebenden Gedankens richten, nämlich der Idee: das Dampfschiff durch Anwendung der Schraube zu verbessern. Der erste Schraubendampfer wurde im Jahre 1843, also gerade drei Jahrhunderte nach der Garay’schen Erfindung von einem Mons. Normand auf Kosten der französischen Regierung gebaut; gleichwohl war der Erfinder desselben ein Anderer, nämlich Friedrich Sauvage, jener unglückliche Sauvage, der, wie unlängst die Zeitungen berichteten, im Irrenhause verstorben ist.
Ein französisches Journal, die „Guépes“, brachte seiner Zeit über das Leben und Streben dieses „gebornen Mechanikers“, dieses gleich genialen, als verkannten Mannes, einige zwar nur flüchtig hingeworfene, gleichwohl inhaltsschwere Worte, die die innigste Theilnahme jedes Denkenden in Anspruch zu nehmen geeignet sind. Es heißt in jenem Blatte:
„Die Fluth kehrte zurück, die Sonne tauchte in die See, als am Horizonte die Silhouette eines Fahrzeuges von edler, majestätischer Form erschien. Es war der „Napoleon“, der nach Havre zurückkehrte, – der „Napoleon,“ d. h. das erste Schrauben-Dampfboot, die Verwirklichung eines lange Zeit geleugneten Problems, das man als Absurdität und Narrheit behandelte. Woher kam der „Napoleon?“
„Am nächsten Tage las man in mehreren Journalen: „Der Dampfer nach neuem Modell, „Napoleon,“ welcher von Herrn Normand für Rechnung des Staates gebaut wurde, kam Mittwoch den 21. Juni (1843) nach siebenstündiger Fahrt von Havre in Cherbourg an. Es ist das erste Schiff, das mit einer Schraube versehen ist, welche der Dampf bewegt und die, am Hintertheile des Schiffes unter dem Wasserspiegel angebracht, sich mit Schnelligkeit herumdreht und das Schiff bei günstigem Wetter 10 bis 11 Knoten zurücklegen läßt. Am Bord des „Napoleon“ befanden sich Herr Cante, General-Director der Posten, der See-Präfect, die Ingenieure, Marine-Officiere u. s w. Nachdem der Dampfer Cherbourg berührt hatte, begab er sich vor Portsmouth und Southampton. Er salutirte die Forts; seine Saluts wurden erwidert.“
„Ein Mann war aber nicht aus dem „Napoleon,“ ein Mann war zu dieser Triumph-Fahrt nicht eingeladen worden, einen Mann nannten die Journale nicht; dieser Mann war ganz einfach Friedrich Sauvage, der Erfinder der Schraube, Sauvage, der dreizehn Jahre arbeitete und kämpfte, zwei Jahre, um seine Schraube zu finden, und elf Jahre gegen Unglauben, Neid und Böswilligkeit.
„Ich wußte,“ erzählt Alphonse Karr, „daß Sauvage wegen einer elenden Schuld im Gefängnisse von Havre saß. Ich besuchte ihn. Er hatte sich in seiner Zelle, so gut er konnte, eingerichtet, da er aber in einem geschlossenen Zimmer fast erstickte, so ließ er des Nachts das Fenster offen. Als die Hunde wüthend gegen dieses geöffnete Fenster bellten, wurde ihm befohlen, es geschlossen zu lassen. Er versuchte es, mußte dasselbe jedoch bald wieder öffnen und der Lärm der Cerberuse begann von Neuem. Da griff der Mechaniker zu einem Messer und machte aus einem Stück Holz eine Maschine, die Wasser, Erde und Kugeln nach den Hunden schleuderte und sie zwang, sich knurrend in ihre Hütte zurückzuziehen. Er war über diesen Triumph glücklich, wie ein König. Seit Sauvage im Gefängniß ist, spielt er (wie Paganini) Violine. Aus den zerreißenden Saiten macht er in geistreicher Weise allerlei Maschinen. Auf seinem Fenster-Gesimse fand ich ein Bassin aus einem Stück Zink; in diesem Bassin schwamm ein Fahrzeug, welches er mit seinem Messer construirt hatte.
„Aber unter all’ den reichen Männern, die stolz waren, den Engländern diese Erfindung Frankreichs zu zeigen, war nicht einer, welcher Sauvage die Summe anbot, um ihn in Freiheit zu setzen. Der Marine-Minister und der König von Frankreich ließen ihn seit Monaten im Gefängniß!“ – –
Einige Tage später druckte der Siècle den Artikel der „Guêpes“ ab und nach wenigen Tagen war ein Theil der Schuld bezahlt, für das Uebrige hatte der Gläubiger eine Frist eingeräumt und Herr Baucher de Perthes, Präsident der königl. Aufmunterungs-Gesellschaft von Abbeville, stellte sich Herrn Sauvage zu Diensten. Ein englisches Journal, der „Dailer,“ entrüstet über Frankreichs Undankbarkeit, schlug eine englische Subscription vor. Dieses Project unterblieb indeß in Folge der Weigerung Sauvage’s, etwas anzunehmen. Der Erbauer des „Napoleon,“ Herr Normand, wurde von der Hand Louis Philipps decorirt. Erst später erlangte man für Sauvage eine Pension von 2500 Francs. – Das Patent, welches Sauvage im Jahre 1832 von der französischen Regierung gelöst hatte, scheiterte an dem Berichte der betreffenden Commission unter dem Vorsitze des Admirals, die ihm eröffnete, „daß die Anwendung der Schraube im Großen nicht ausführbar wäre.“[1]
Die Ansicht jener Commission und ihres Vorsitzenden hat ihre Erledigung gefunden; das Schicksal von Friedrich Sauvage aber wird ein Schandfleck bleiben für die Zeit und die Regierung Louis Philipps, auf’s Neue jenes anscheinende Paradoxon vertheidigend:
- ↑ Vergleiche: Kölnische Zeitung, Beilage zu Nr. 232., Jahrg. 1857.