Schöne Geister und schöne Seelen (Reihe)/Henriette Herz und Schleiermacher

Textdaten
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Autor: E. v. Hohenhausen
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Titel: Henriette Herz und Schleiermacher
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 517–519
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Schöne Geister und schöne Seelen.
2. Henriette Herz und Schleiermacher.

Es war der geniale Prinz Louis Ferdinand von Preußen, der einst die schöne Henriette Herz bei der Hand nahm und sie der berühmten Schriftstellerin Frau von Staël mit den Worten vorstellte. „Betrachten Sie diese Frau, sie ist nie geliebt worden, wie sie es verdiente.“ Der Prinz ahnte nicht, daß nur kurze Zeit nachher sein Bruder, der schöne heldenhafte Prinz August, in einem Liebesverhältnis zu der Freundin der Frau von Staël stehen werde, der berühmten Schönheit Julie Recamier, von welcher man ja auch sagen konnte, daß sie nie so geliebt worden war, wie sie es verdiente, denn selbst der Prinz August liebte sie nicht ganz so, sonst würde er trotz ihrer Weigerung ihre Hand zu erringen gewußt haben!


Henriette Herz.
Nach der Natur von Anton Graff.


Die Schönheit von Julie Recamier ist sehr oft geschildert worden, die von Henriette Herz sehr selten; so schön beide Frauen waren, ähnlich können sie sich nicht gesehen haben! Henriette Herz war jüdischer Abkunft und sah aus wie Königin Esther, während Julie Recamier eher einer Hebe glich. Ein Portrait, von dem berühmten Anton Graff gemalt, zeigt uns das regelmäßig schön, aber kräftig geschnittene Oval und eine ganz geradlinige Nase, große dunkle, leuchtende Augen und einen kleinen rothen über weißen Zähnen lächelnden Mund in dem Gesicht von Henriette Herz, das außerdem noch durch eine Fülle wallender schwarzer Locken verschönt wird. Ihre Gestalt war nach Aussage von Augenzeugen, die sie noch gekannt haben, wenn auch in hohem Alter, über die gewöhnliche weibliche Größe hinaus, dabei aber füllereich und zugleich schlank. Sie hielt sich im achtzigsten Jahre noch kerzengerade und liebte es, statt der Altenweibermützen einen stolzen Turban zu tragen, über den sie von Splitterrichtern oft verspottet worden ist.

In den Aufzeichnungen, die sie aus ihrer Jugend hinterlassen hat, spricht sie ein gewisses naives Erstaunen über ihre eigene Schönheit und die Wirkung derselben aus, ohne irgend eine Art von Eitelkeit oder Selbstüberhebung dabei an den Tag zu legen. Sie war schon als Kind so schön, daß die Juden in Berlin sie sehr oft bei Festlichkeiten von ihren Eltern sich erbaten. So hat sie auch mehrmals hohen Personen Gedichte überreichen müssen, namentlich auch als sechsjähriges Kind der Prinzessin Amélie, Schwester Friedrichs des Großen, deren schielende Augen bei großer Freundlichkeit einen widerlichen Eindruck auf das scharfbeobachtende Kindesauge machten. Die Prinzessinnen des königlichen Hauses liebten es damals sehr, jüdische Feste mitanzusehen, deshalb war Prinzeß Amélie bei einem Lauberhüttenfest erschienen und die Königin Ulrike von Schweden, ihre Schwester, bei einer jüdischen Hochzeit, wo ihr ebenfalls das schöne Judenkind Henriette vorgestellt wurde.

Die Eitelkeit des kleinen Mädchenherzens wurde durch solche Schaustellungen natürlich sehr geweckt, und die sonst braven Eltern kannten keine Vorsicht in diesem gefährlichen Punkt der Erziehung, sie gestatteten es sogar, daß die neunjährige Henriette in einem öffentlichen Concerte Clavier spielte, wo man sie mit Beifall überschüttete, nicht weil sie gut spielte, sondern weil sie schön aussah; auch kam es vor, daß die Kleine mit einem alten französischen Tanzmeister auf großen Bällen Tänze aufführte und so sehr die allgemeine Bewunderung erregte, daß die Zuschauer auf Tische und Stühle stiegen, um besser sehen zu können. Wie tief der Eindruck dieser schmeichelhaften Erlebnisse war, geht daraus hervor, daß die Greisin sich ihrer noch sehr wohl zu erinnern wußte und gern davon erzählte. Auch erregte das frühreife Kind in der Schule sowohl wie auf der Straße die Bewunderung der männlichen Jugend Berlins in einer Weise, die denn doch die arglosen Eltern zu größerer Vorsicht antrieb. Die kleine Henriette wurde nicht mehr in die Schule geschickt, sondern im Hause unterrichtet, theilweis von ihrem geistvollen Vater, dem Doctor de Lemos, einem Juden portugiesischer Abkunft, von dem die Tochter offenbar die eigenthümliche Schönheit geerbt hatte. Sie schilderte ihn oft und gern als eine der merkwürdigen Figuren von Berlin; er trug nämlich stets einen Sammtrock mit goldenen Tressen besetzt, seidene Strümpfe, Schnallenschuhe, einen dreieckigen Hut über eine Allongenperrücke und echte Spitzen an den Händen und der Brust. Die hohe edelgeformte Gestalt, die feierliche Haltung, die er seiner Würde als Arzt angemessen fand, und das schöne regelmäßige Gesicht mit dem milden Ausdruck machten sich in diesem altmodischen, aber malerischen Costüm ganz vortrefflich. Wenn der Diener mit der hellen Stocklaterne durch die damals noch sehr schlecht beleuchteten Straßen von Berlin vor ihm herging, blieben alle Leute auf seinem Wege stehen, sahen ihm erstaunt nach, aber lachten niemals. Noch schöner fand ihn die zärtliche Tochter im Hause, [518] wo er einen rothseidenen Schlafrock und eine turbanartige rothe Mütze trug. Er besaß einen vollendet feinen Anstand, den der wahren Bildung, nie kam ein heftiges Wort über seine Lippen, sein Charakter wie sein ganzes Leben waren fleckenlos.

Er bildete Henrietten fast zu einer Gelehrten, namentlich was Sprachen anbelangt; sie lernte Lateinisch, Französisch, Englisch und Hebräisch, letzteres freilich wohl mehr aus Rücksicht auf den Religionsunterricht, der damals von den orthodoxen Juden in hebräischer Sprache ertheilt wurde. Mit der Mutter harmonirte Henriette viel weniger, es war eine heftige, launenhafte und kränkliche Frau, die Mann und Kinder zu quälen verstand; doch hat Henriette ihr bis in's späte Alter die größte Rücksicht und Liebe bewiesen.

Schon mit zwölf Jahren erhielt die kleine Henriette zwei Heirathsanträge; der erste ging von einem abenteuernden Juden aus, der wahrscheinlich die erblühende Schönheit des Kindes zu bösen Zwecken benutzen wollte. Nachdem er den Eltern von seinen Reichtümern vorgeprahlt hatte, namentlich von Mohren und wilden Thieren, die er in fernen Weltteilen besäße, verschwand er plötzlich und stahl dem Vater seiner kleinen Auserwählten eine goldene Schnupftabakdose.

Wenige Monate später hielt ein sehr geachteter Arzt, der Hofrath Marcus Herz, um Henriette an; ohne sie lange zu fragen, gaben die Eltern, die noch viele Kinder zu versorgen hatten, ihre Einwilligung, und die Kleine war ebenfalls stolz und zufrieden, so früh schon Braut zu werden. Der Bräutigam wartete indessen noch beinahe drei Jahren ehe er sie heimführte; Henriette erzählte immer, daß ihr Brautstand sehr langweilig gewesen wäre. Jeden Abend mußte sie am Spieltisch sitzen und zusehen, wie ihr Verlobter mit den Eltern Karten spielte. Er beachtete sie kaum und nannte sie nur „das Kind“. Dadurch erschien er ihr viel älter als er war; sie zählte fünfzehn, er doppelt so viel Jahre, also dreißig, was für einen Mann doch keineswegs alt zu nennen ist; freilich erschien er auch sonst nicht in günstiger körperlicher Beschaffenheit neben ihr; er hatte eine hohe Schulter, auch war er klein und häßlich. Trotzdem ist sie ihm aber immer eine liebevolle und treue Gattin gewesen; wenn sie auch zuweilen die Klage nicht unterdrückte, daß ihrer Ehe die Romantik der Liebe gefehlt hat. Für ein Frauenherz ist diese Romantik der Sternenglanz an dem Himmel des Lebens, für die es nur einen Ersatz giebt: die Liebe eines Kindes. Die schöne Henriette Herz sollte aber auch diesen Ersatz nicht kennen lernen, ihre Ehe blieb kinderlos. Sie empfand darüber einen lebhaften Schmerz, indessen wurde er durch ihre reine und kräftige Seele bald überwunden und sie gewann die Einsicht, daß ihr noch manche Glücksmöglichkeit zu Gebote stand, namentlich aber, daß freundschaftlicher Umgang mit liebenswerten Menschen und geistige Beschäftigung mit Literatur und Kunst reiche Fundgruben von Lebensgenuß für sie waren.

Das Haus des Hofrath Herz, dem er die Zierde einer jungen schönen Frau gegeben hatte, wurde bald der Sammelplatz der besten Gesellschaft Berlins. Nicht nur Künstler und Schriftsteller, wie Schadow, Reichhardt, Zelter, Moritz, Engel, Graf Christian Bernstorff, Gentz, v. Brinckmann, Dohm, Leuchsenring, die beiden Schlegel, die Humboldts, auch politische und theologische Namen bildeten ihren Kreise der preußische Minister Graf Dohna-Schlobitten und Schleiermacher müssen hier besonders hervorgehoben werden, weil sie am meisten Einfluß auf Henriettens Leben ausgeübt haben.

Der Graf und Minister war der leidenschaftlichste Verehrer und der protestantische Theologe der treueste Freund der schönen Jüdin. Der Ehegatte derselben, Marcus Herz, verließ sich so sicher auf ihr starkes Pflichtgefühl und ihr reines Gemüth, daß er alle Huldigungen, die ihr dargebracht wurden, ruhig lächelnd gewähren ließ. Der heitere Kreis talentvoller und vornehmer junger Männer, der sich übrigens auch im Verein mit eben solchen Frauen in seinem Hause zusammen fand, gereichte ihm selbst zu großem Vergnügen. Es wurde vorgelesen philosophirt, gedichtet, gesungen und auch mitunter getanzt. Ja, in den Erinnerungsblättern von Henriette Herz findet sich auch die Erwähnung eines Abends, an welchem Alexander von Humboldt sie im Tanzen einer neuen Menuette unterrichtete! Sie hatte ihn dagegen im Hebräischen unterrichtet„ und er datirte seine Briefe in dieser Sprache von seinem einsamen Gute Tegel, das er „Schloß Langeweile“ nannte, weil er sich so lebhaft nach den geistreichen Kreisen des jüdischen Salons sehnte. Die beiden Humboldts waren übrigens damals kaum zwanzigjährige Jünglinge, ihre fast kindliche Zufriedenheit mit der höchst einfachen Geselligkeit der Berliner Schöngeister ist dadurch hinreichend erklärt.

Im Hause des Hofrath Herz ging es für damalige Zeit sehr elegant her, seine reiche Praxis gewährte ihm die Mittel dazu. Leider war er jedoch viel zu freigebig und vergaß, daß er ohne Vermögen das kostbare Leben in Berlin begonnen hatte. Als er unerwartet im besten Mannesalter starb, hinterließ er seine schöne Frau beinah mittellos; nur eine kleine Wittwenpension und einige kleine Capitalien besaß sie, um sich selbst, ihre alte Mutter und eine unverheirathete Schwester zu ernähren. So ward sie abermals im Schicksal der Recamier ähnlich, die auch den Wechsel von Reichthum und Armuth durchkosten mußte.

Um ihre geringe Einnahme zu vermehren, behielt sie den Pflegebefohlenen ihres verstorbenen Mannes, Ludwig Baruch, im Hause; derselbe wurde später als Ludwig Börne eine deutsche Celebrität. Damals war er noch ein verhülltes Geisteslicht und galt für einen egoistischen, eitlen, kleinen Faullenzer. Er hielt sich Studirens halber in Berlin auf, that aber nichts und blieb oft tagelang auf seinem Zimmer eingeschlossen. Zu Henriettens Schrecken enthüllte sich eines Tages sein seltsames Benehmen er versuchte einen Selbstmord durch Arsenik und entdeckte ihr vorher seine Liebe. Sie war über zwanzig Jahre älter als er und bemühte sich, ihn zur Vernunft zurückzubringen, aber er war unzugänglich dafür, beharrte bei seiner Leidenschaft und machte einen zweiten Mordversuch auf sich selbst. Die kluge Frau verhinderte auch diesen wie den ersten und ließ heimlich seinen Vater kommen, der ihn gewaltsam mitnahm und in einer befreundeten Familie in Halle unterbrachte. Ludwig Börne erkannte bald, wie richtig und würdig Henriette sich gegen ihn benommen hatte, und blieb ihr zeitlebens mit achtungsvoller Freundschaft ergeben.

Als Wittwe erhielt sie auch noch einen andern Beweis, wie mächtig und dauernd die Empfindungen der Bewunderung waren, die sie einzuflößen vermochte. Der Graf Dohna-Schlobitten machte ihr einen ehrenvollen Heirathsantrag, nachdem er während der Lebenszeit ihres Mannes seine Liebe für sie stets in den Schranken des Zartgefühls und der Wohlanständigkeit gehalten hatte. Sie lehnte jedoch seine Hand ab, weil sie damals sich noch nicht entschließen konnte, Christin zu werden; ihre alte strenggläubige Mutter würde dadurch unzweifelhaft den Todesstoß empfangen haben. Aus gleichem Grunde verzichtete sie auch auf die Aussicht, Erzieherin bei der Prinzessin Charlotte, nachherigen Kaiserin von Rußland, zu werden, eine glänzende Stelle, die ihr Freund Delbrück für sie erwirken wollte.

Um die Einschränkungen , die sie sich als Wittwe auferlegen mußte, zu erleichtern, wetteiferten ihre zahlreichen Bekannten mit Einladungen. Namentlich war die Herzogin Dorothea von Curland, diese wahrhafte Beschützerin der Intelligenz, eifrig bemüht, sie in ihr Haus zu ziehen. Sie mußte der jüngsten Tochter, der nachherigen berühmten schönen Herzogin von Sagan, Unterricht im Englischen geben und genoß dafür alle Annehmlichkeiten der feinsten und geistreichsten Geselligkeit, welche die hohe Dame in Berlin eingeführt hatte. Namentlich bestrebte sich dieselbe, den peinlich fühlbaren Unterschied der Stände zu verwischen in ihrem Salon, sie gab oft der Lehrerin ihrer Tochter einen vielbeneideten Ehrenplatz neben der allerdings eben so humanen wie interesanten Prinzessin Louise von Radziwil und lud Schauspieler, Schriftsteller, Künstler und Beamte mit bürgerlichen Namen zu der hoffähigen Gesellschaft.

Die abhängige und sorgenvolle Lage, in welche Henriette Herz als Wittwe versetzt wurde, gab auch ihrem langjährigen treuen Freunde Schleiermacher Veranlassung, ihr noch näher zu treten als bisher. Er half ihr bei einigen Uebersetzungen aus dem Englischen, die sie zur Vermehrung ihrer Einnahme unternommen hatte, und suchte sie auf jede Weise zu fördern. Sie lehrte ihm dagegen italienische und französische Conversation. Schleiermacher war schon im Jahr 1796 mit ihr und ihrem Mann innig befreundet; er wohnte damals an der Oranienburger Chaussee und war noch Prediger an der Charité. Das Herz'sche Ehepaar wohnte in der neuen Friedrichsstraße und sah des Abends mit Besorgniß den schwächlichen kleinen Mann den weiten Heimweg antreten. Um ihn einigermaßen vor den Gefahren desselben zu schützen, [519] schenkte ihm Henriette eine kleine Laterne, die er in’s Knopfloch hing und dann wie ein Glühwürmchen durch die Finsterniß wandelte. Er war durch den Grafen Dohna-Schlobitten, bei dessen Eltern er Hauslehrer gewesen, in das Herz’sche Haus eingeführt worden und hatte sehr bald ein Seelenbündniß mit Henrietten geschlossen. Er zeigte ihr alle seine Schriften, bevor er sie drucken ließ, und schrieb ihr fast täglich Briefe, auch wenn sie an demselben Orte wohnten. Als sie nach ihres Mannes Tode eine kleine Sommerwohnung im Thiergarten bezog, blieb er oft den ganzen Tag draußen bei ihr, um mit ihr zu lesen, zu arbeiten oder spazieren zu gehen.

Es konnte nicht fehlen, daß ein so seltenes, inniges Verhältniß Aussehen erregte und falsch gedeutet wurde. Zuerst warnte Friedrich Schlegel, der damals in einem ähnlichen mit Dorothea Veit stand, den Freund und suchte ihm zu beweisen, daß er eine Liebesleidenschaft für Henriette Herz hege; dann schrieb ihm seine Schwester Nanni und machte ihm dringende Vorstellungen über seine Neigung zu derselben.

Schleiermacher erzählte selbst, daß er stundenlang gelacht habe über Schlegel’s Behauptung, und seiner Schwester schrieb er eine lange Widerlegung ihrer Ansicht. „Die Herz ist von Charakter und Gemüth fest und still, so daß sie sich auf sich selbst verlassen kann und meiner nicht bedarf. Ich gehöre aber doch in anderer Rücksicht zu ihrer Existenz, ich kann ihre Einsichten, Ansichten und ihr Gemüth ergänzen, und so thut sie mir. Etwas Leidenschaftliches wird aber zwischen uns nie vorkommen, da sind wir wohl über die entscheidendsten Proben hinweg. Unser Verhältniß ist eine recht vertraute herzliche Freundschaft … Hätte ich sie heirathen können, so wäre es gewiß eine Capitalehe geworden, vielleicht nur gar zu einträchtig … Aber es ist zwischen uns von Mann und Frau gar nicht die Rede. Sie hat nie eine Wirkung auf mich gemacht, die mich in der Ruhe des Gemüths hätte stören können. Wer sich etwas auf den Ausdruck des Innern versteht, der erkennt gleich in ihr ein leidenschaftliches Wesen. Und wenn ich blos dem Einfluß des Aeußeren Raum geben wollte, so hat sie für mich gar nichts Reizendes, obgleich ihr Gesicht unstreitig sehr schön und ihre kolossale, königliche Figur so sehr das Gegentheil der meinigen ist, daß, wenn ich mir vorstelle, wir liebten und heiratheten uns, ich immer etwas Lächerliches und Abgeschmacktes dabei finden würde, worüber ich mich nicht leicht hinwegsetzen könnte.“ An einer anderen Stelle sagt Schleiermacher, er käme sich zuweilen vor wie ein kleiner Arbeitsbeutel am Arme der großen Herz. Diese selbst dachte ebenso unbefangen über ihr Verhältniß zu ihm und erzählt in ihren Erinnerungsblättern, daß man in Berlin eine Carricatur darauf gemacht habe; man bildete nämlich auf einem Spaziergang das ungleiche Paar ab, indem man der Herz statt Sonnenschirm Schleiermacher’s Figürchen in die Hand gab. Beide haben herzlich darüber gelacht, wie sie versichert, hinzusetzend. „Wir haben uns gegenseitig oft darüber ausgesprochen, daß und warum wir kein anderes Gefühl für einander hegen konnten, als diese schöne innige Freundschaft.“ Uebrigens war Schleiermacher auch beinahe vier Jahre jünger als Henriette, ein Unterschied des Alters, der für ein Liebesverhältniß auch nicht günstig ist.

Der wirksamste Grund seiner Unempfindlichst für Henriettens Schönheit lag aber wohl darin, daß er gerade damals eine heftige Leidenschaft für Eleonore Grunow empfand, eine Frau, die in unglücklicher Ehe mit einem Amtsbruder Schleiermacher’s lebte und ernstlich an eine Scheidung dachte, um letzteren zu heirathen. Die Herz, die sonst so tugendstrenge Frau, war die Vertraute der Liebenden und fand nach damaliger sentimental-unmoralischer Anschauungsweise kein Unrecht in ihren Plänen, so wie sie auch die Scheidung ihrer Freundin Dorothea Veit und ihre Verheirathung mit Friedrich Schlegel befördert hatte, ohne zu ahnen, daß sie ein Unrecht gut hieß, dessen Schuldlast die Tochter des Philosophen Mendelssohn reuevoll in den Schooß des Katholicismus getrieben hat.

Wie Schleiermacher als christlicher Prediger sich über seine Liebe zu einer verheirateten Frau selbst absolviren konnte, bleibt ein ungelöstes Räthsel in dem Leben dieses merkwürdigen, sonst so klaren Geistes. Er war ganz außer sich, als Eleonore Grunow endlich, um ihr Gewissen zu beschwichtigen, sich weigerte ihn zu heirathen. Er machte ihr aus ihrer Tugend ein Verbrechen und behauptete, er sowohl wie sie würden aus Kummer über das zerrissene Verhältnis sterben, was jedoch keineswegs eintraf. Eleonore, die jedenfalls eine bedeutende Frau war – sie hat einige der geistvollsten Briefe über die Lucinde geschrieben, durch deren Herausgabe Schleiermacher so viel Aufsehen und Tadel erregte –, verschwand im Dunkel eines streng zurückgezogenen Lebens, und der verzweifelte Geliebte fand – theilweis durch die Vermittelung seiner Freundin Henriette Herz – eine beglückende Heirath mit der jungen Wittwe des Predigers von Willich. Er starb am 12. Februar 1834, und ist durch die Feier seines hundertjährigen Geburtstages im vorigen Jahre wieder ein berühmter Gegenstand allgemeiner Besprechung geworden, wodurch wir überhoben sind, mehr Einzelheiten seines Lebens hier zu geben. Nur sei noch erwähnt, daß Henriette Herz durch ungetrübte Freundschaft bis zuletzt mit ihm verbunden war; sie ließ sich gleich nach dem Tode ihrer Mutter taufen, längst darauf vorbereitet durch den Umgang mit dem christlichen Lehrer und Freund. Eine Reise nach Rom, wo sie zwei Jahre verweilte und allgemein ausgezeichnet wurde, war ihre letzte große Lebensfreude. Nach Berlin zurückgekehrt, hatte sie manche Sorgen und Schmerzen zu ertragen. namentlich klagte sie über die Einschränkungen, die sie sich ihrer geringen Mittel wegen auferlegen mußte. In Italien hatte sie bei einer alten, kränklichen, häßlichen Signora Dionigi jeden Abend eine ausgewählte Gesellschaft junger und alter Männer und vornehmer Frauen gefunden, die alte Dame hatte ihnen nichts zu bieten als „Verstand und eine Oellampe“. Daß man in Deutschland sich damit nicht begnügen wollte, beklagte Henriette mit schmerzlicher Ironie; sie hatte in der That auch nicht viel mehr zu geben und die Gesellschaft, die so zahlreich bei dem guten Essen und Wein im Hause ihres Mannes erschienen war, verließ sie immer mehr. „Wäre ich jetzt so reich und so vornehm, wie ich früher schön war,“ seufzte sie oft, „so würde ich nicht so verlassen, sondern noch allgemein gefeiert sein.“

Hauptsächlich schmerzte es sie aber, daß sie auch ihren Hang zum Wohlthun einschränken mußte, als sie kein Geld mehr geben konnte, gab sie wenigstens Unterricht an unbemittelte junge Mädchen und verschaffte ihnen dann gute Stellen als Erzieherinnen. Sie war dadurch so populär geworden, daß auch einmal ein armes Dienstmädchen in ihr Gärtchen kam und fragte: „Wohnt hier die Hofräthin Herz, die die Mädchens vermietet?“

Mit dem zunehmenden Alter mußte sie jedoch diese erheiternde Wirksamkeit aufgeben, sie wurde kränklich, ihre Bekannten und Freunde starben vor ihr her und ihre Mittel nahmen rasch und rascher ab, da es in Berlin immer theurer wurde und ihre Krankheiten viel Kosten verursachten. Die Greisin sah sich oft in wirklicher Geldverlegenheit, suchte dieselbe jedoch möglichst geheim zu halten. Aber der einstige Jugendgenosse und treue Freund, Alexander v. Humboldt, erfuhr dennoch davon und wendete sich im Jahre 1845 an Friedrich Wilhelm dem Vierten von Preußen, von dem er wußte, daß er durch seinen Erzieher Delbrück zuweilen den Namen der edlen Frau gehört hatte. Der König ergriff den Gedanken, ihr in ihrer Noth beizustehen, mit lebhafter Freude und „erhöhte durch die zarte und schonende Form der Gabe noch die pecuniäre Bedeutung,“ wie J. Fürst, der treffliche Biograph von Henriette Herz, erzählt. In einem Handbillet an den Cabinetsrath Müller erklärte der König. „Da die Hofräthin Herz, eine Frau, deren Namen er schon in frühster Kindheit mit so viel Hochachtung habe aussprechen hören, selbst nichts erbeten habe und überhaupt die ganze Sache ohne ihr Wissen geschehen sei, so fände er es angemessen, keine Cabinetsordre hinsichtlich der Bewilligung an sie selbst zu richten, vielmehr die ganze Angelegenheit durch Herrn v. Humboldt gehen zu lasten.“ So erhielt denn die alte Frau ganz unerwartet ein bedeutendes Geldgeschenk gleich und fünfhundert Thaler jährliche Pension aus der Privatschatulle des Königs. Eine neue Lebensfreudigkeit kam über sie, als die lastende Sorge von ihr genommen war und die ehrenvolle Theilnahme des königlichen Gebers sich auch noch durch einen persönlichen Besuch in ihrer kleinen Sommerwohnung im Thiergarten betätigte. Sie starb an Altersschwäche am 22. October 1847 im vierundachtzigsten Lebensjahre.

v. Hohenhausen.