Scenen aus dem Südpolarmeer

Textdaten
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Autor: Friedrich Körner
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Titel: Scenen aus dem Südpolarmeer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10/15, S. 136–139; 201–203
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Scenen aus dem Südpolarmeer.
Von Friedr. Körner.

Mit Recht bewundert man die großartige Pracht der tropischen Urwälder mit ihren blüthenbedeckten Riesenbäumen, um die sich Lianen wie Blumenguirlanden winden, während farbenprangende Orchideen wie schwebende Blumenbeete von den Westen herniederschweben, bunte Vögel in den breitblättrigen Baumkronen sich tummeln und metallisch schillernde Kolibris um die hellen Blüthen schwirren; diesen von Lebensfülle strotzenden und von Farbenpracht strahlenden Urwäldern gegenüber stellt man die Sahara mit ihrer einförmigen Oede und der erschreckenden Erhabenheit ihrer lautlosen Einsamkeit, die nur erstickende Sandstürme und trügerische Luftspiegelungen kennt. Wenn man aber die Natur in ihrer grauenhaften Großheit und furchtbarsten Erhabenheit schauen will, dann muß man sich an die Enden der Welt und des Lebens versehen, muß die schauerlichen Wasser- und Eiseinöden des Südpolarmeers mit seinen berstenden Gletschern, tobenden Vulkanen, heulenden Stürmen und schwimmenden Eisbergen betrachten. In jenen Wüsteneien grenzen Leben und Tod aneinander, ringen die Elemente in ungefesselter Wuth mit einander um die Herrschaft, daß die Erde unter dem Rasen der Schneestürme und Vulkane in ihren Angeln zu beben scheint.

Eisgebilde.

Die Südhälfte unseres Erdkörpers bedeckt ein ungeheures Meer, in welches die Südspitzen der Festländer wie Landzungen hineinragen. In’s Endlose dehnen sich die weißen Kämme der rollenden Wogen aus, unabsehbar heben sich brausende Wasserberge hinter Wasserbergen, fahren Stürme heulend über die Kammlinien der schäumenden Fluthen wie über die Saiten einer Riesenharfe und entlocken ihnen grause Melodieen, die das Menschenherz erstarren machen. Um das Unheimliche dieser Meereseinsamkeit zu steigern, sind südlich vom 60. Grad nur sparsam einige öde Inselklippen über das Polarmeer zerstreut, und die Südspitzen Amerika’s, welche am weitesten gegen den Südpolarkreis vorragen, wie von Stürmen zerzaust und zerrissen. Auf jenen Inseln ist alles Pflanzenleben erstorben, da sprießt kein Beerenkraut, nickt kein Halm am Strande, klebt kein Moos, keine Flechte an den feuchten Felswänden, die schroff aus dem Meere mit ihren schwarzen Wänden emporsteigen, als die emporgetriebenen Zacken unterseeischer Glutherde, welche in der Winterkälte jener Gegenden um so leichter erstarrten. Ein Wall schimmernder Gletscher umlagert diese Klippen, blendende Firnfelder dehnen sich über die Hänge aus, und uralte, fast ewige Gletschermassen thürmen sich auf ihrem Scheitel zu Bergen von 4–10,000 Fuß empor. Hinter diesen schroffen Eisufern von 200–-1000 Fuß Höhe heben sich zuweilen Eisberge neben Eisbergen empor bis in’s Unabsehbare, und schimmern endlose Schneefelder, auf denen sich die tieferen Stellen wie leichte Schatten abzeichnen. Doch sieh, aus jenem Kegel steigen schwarze Rauchwolken und wälzen sich unbeholfen über die Schneefelder hin. Jetzt steigt eine glutrothe Flamme aus dem 11,600 Fuß hohen Erebus, der etwa 12 Grad vom Südpol entfernt ist. Ein greller Schein fällt auf die Gletscher und Eisfelder umihn her, ringsum funkelt es von rothen, blauen und gelben Lichtern, als ob sich die Eiskrystalle in Lichtstrahlen auflösen wollten, ein bunter Farbenschimmer schwebt um die Eiswelt, mengt Schatten und Licht, Eiszacken und Gletscherschlünde, Fels und Meer zu einem phantastischen Farbenspiel, bis die Vulkanwand unter furchtbarem Krachen springt, die Gletscher bersten und donnernd in’s Meer schießen, Firnfelder schmelzen, aus allen Schluchten siedende Bäche hervorbrausen, und der Glutbach der Lawa in wilder Pracht die Bergwand niederrinnt.

Welche Feder vermöchte die großartigen Scenen zu schildern, welche ein vulkanischer Ausbruch in der Gletscherwelt hervorbringt. Die Erde bebt, Lavinen stürmen von den Berghängen, Firnfelder poltern in tiefe Schlünde, Gletscher krachen und bersten, reißen sich los von der Felswand, ihr phantastischer Bau stürzt zusammen, und die klirrenden Trümmer schießen chaotisch hinab in’s schäumende Meer, welches im Zorn seine Wellen hoch empor schleudert an den Felswänden, wie wenn es den Vulkan löschen wollte.

Doch nicht immer vermag das Meer zu toben oder sich nur frei zu bewegen, denn den größten Theil des Jahres hindurch liegt es gefesselt unter schwerer Eisdecke, da es in den langen grimmigen Monaten des Polarwinters an manchen Stellen mehrere hundert Fuß tief friert. Dann verschwinden die Wallfische, die oft 24 Fuß langen Seehunde und die Seevögel, die an den [137] öden Küsten in den kurzen Sommermonaten Januar, Februar und März zu rasten pflegen, dann ruht tiefste Einsamkeit und schauerliches Schweigen über den endlosen Eisfeldern. Das Reich des Todes breitet sich aus, sobald die lebendige Meereswelle zu grauer Eisdecke erstarrt. Zugleich hüllt aber auch die sechs Monate lange Polarnacht die Eisfelder in düsteres Dunkel und mehrt die Schrecken der Einöde. Da kann man mit dem nordischen Dichter sagen:

Rings dehnt sich aus das grause Nichts,
Sonst Ewigkeit geheißen,
Kein Freudenstrahl des Sonnenlichts
Mag diese Nacht zerreißen.
Hier ist nicht Zeit, hier ist nicht Raum,
Kein Wesen, keine Dinge –
Als ob im dunklen Fiebertraum
Das Nichts die Welt verschlinge.

Eiswall.

Kein Menschenauge hat diese Todeswelt des Südpolarmeeres gesehen, kein Ohr gelauscht, wenn von Zeit zu Zeit entfesselte Polarstürme hereinbrechen, wochenlang Schneestürme über die Eisfelder brausen, heulend an den Ecken der Gletscher sich brechen und haushohe Schneemassen auf den Ebenen aufhäufen. Haben sich aber diese Stürme ausgetobt, dann funkeln in reinstem Silberglanze die Sterne vom dunkelblauen Himmel herab und gießt der Mond seinen geisterhaften Schimmer über die Schneewüsten, daß sie schimmern und leuchten in wunderbarem Glanze, daß die Spitzen und Kanten der Gletscher blitzen und funkeln von tausend lichten Strahlen, und ein zauberhafter Schimmer sich ausbreitet über den Flächen, wie wenn die Auferstehung anbräche und der Saum der Unendlichkeit die Erde berührte. Die Phantasie ist kaum fähig, sich die großartige Erhabenheit einer mondhellen Nacht in diesen öden, schweigsamen Eiswildnissen vorzustellen, deren schauerliche Stille nur zuweilen vom gellenden Knall der Eissprünge unterbrochen wird, deren Echo sich tief hinein in die Eisgebirge verirrt. Da erwachen ringsum laute Stimmen, aus allen Eisklüften hallt es, tief in den Labyrinthen der Eisberge scheint es lebendig zu werden; bestürzt würde der Mensch lauschen, wenn er diese wesenlosen Stimmen ringsum vernähme, nach deren Absterben die bleiche Eiswelt wieder in Todesschweigen versinkt.

Eisberg, von Parry gezeichnet.

Die seltsamen Lichtwunder der Polarwelt gehen bis in’s Mährchenhafte, wenn am Horizont des Poles die zuckenden Südpolarlichter in ihrer bunten Farbenpracht empor steigen. Rothe, grüne, gelbe und weiße Flammen züngeln durcheinander, zucken hoch auf wie die Lohe eines ungeheueren Brandes, schießen in blendenden Strahlen weit über den Himmel hin, erblassen, wachsen dann wieder an zu feuriger Glut, weben und schweben durcheinander wie das Zauberspiel einer Laterna magica und streuen ihren Farbenschimmer über die stummen Eisfelder. Sieh, da brechen aus den Krystallen bunte Strahlen hervor, hüpfen an den Eiszacken auf und nieder, fliegen über die Schneefelder, um an einer Bergspitze aufzublitzen und in der in Schimmer verduftenden Ferne zu verschwinden. Da treten die phantastischen Gestalten der Eisberge in seltsamer Beleuchtung bald schärfer, bald matter hervor; hier schillert eine halb eingestürzte Pyramide, dort leuchtet eine vereiste Burgruine mit zerfallenen Mauern und dachlosem Thurme; hier breitet sich eine zerstörte Stadt aus; von der man noch einzelne Häuser und Thürme zu erkennen meint, während dort eine einsame Säule die Stätte bezeichnet, wo ein Tempel sich erhob. Sieh, ist hier nicht ein Palast mit zierlichen Erkern an den Ecken und Bogenfenstern zu Eis verzaubert und von Venedig an den Pol versetzt? Schimmert dort nicht ein erstarrter Wasserfall, ein im Aufsteigen eingeschlafener Springbrunnen neben dem Stumpf einer Tanne? Werden arabische Mährchen hier Wirklichkeit und befindet man sich hier in einer verzauberten Welt? – Seefahrer haben nur die letzten Reste dieser phantastischen Eisgebilde gesehen und sind doch auf das Tiefste ergriffen gewesen von den Wundern der polarischen Eiswelt.

Eiswand, mit Treibeis.

Wenn endlich nach dem langen Winter der kurze Sommer kommt, dessen Wärme aber selbst in den heißesten Tagen nicht über 10 Grad R. steigt, dann entfaltet sich eine neue Welt schauerlicher Phantastik. Das Meer ist des langen Zwanges überdrüssig, seine Wellen werden unruhig, drängen mit Riesenkraft aufwärts und sprengen endlich in wilden Stürmen die ungeheuere Eisdecke. Nun brechen wilde Revolutionen herein, die Zeiten der Titanenkämpfe scheinen zurückgekehrt; Tage lang donnert und dröhnt es, als ob die Welt zusammenbräche, von berstenden Eisschollen und niederstürzenden Lawinen und Gletscherbergen, von gegeneinander rennenden Eisinseln, heulenden Stürmen und brausenden Wogen, und dazwischen fegen Schneewetter, Hagelschläge und Regengüsse über die chaotisch durch einander taumelnden Eisberge oder stehen dichte Nebel über der zusammenstürzenden Wunderwelt und hüllen sie in [138] unheimliche Dämmerung, durch welche die dahin ziehenden Eisblöcke und zersplitterten Gletscher wie Gespenster vorüber schleichen.

Das matte Grau der schnee- und regenbelasteten Wolken verhüllt die Sonne Tage lang, daß nur ein kaltes, ernstes Dämmerlicht sich über das empörte Meer ergießt, auf dessen dunkeln Wogen Eisberge auf- und abschwanken, indem an ihrem glatten Fuß eine wilde Brandung rauscht. Dazwischen schwimmen unabsehbar Eisfelder, deren meilenlange Schollen sich unbeholfen vorwärts bewegen, bis sie gegen einander stoßen und unter furchtbarem Krachen bersten. Hochauf schäumt das Meer und schnellt ein mächtiges Schollenstück empor, das mit dröhnendem Schlag auf die siegreiche Scholle niederstürzt, welche, von der Last getroffen, rauschend untertaucht und zertrümmert in weiter Strecke erst wieder erscheint. Nachdem die großen Schollen nach und nach zerbrochen und zerstückelt sind, aber immer noch Eismassen bilden, welche durch einen herzhaften Stoß ein Schiff zerquetschen können , folgen sie als Treibeis der Meeresströmung nach den Meeren Afrika’s und Amerika’s. Das Polarmeer selbst ist den Sommer über mit Treibeis bedeckt, zwischen dessen Schollen sich breitere Straßen offenen Wassers hinzuziehen pflegen, denen der kühne Polarsegler als den einzig gangbaren Fahrstraßen folgt und dabei immer Gefahr läuft, im Sturm oder in finsterer Nacht in das Treibeis zu gerathen, welches seine Schiffsplanken abstößt oder auch von ihnen eingeschlossen zu werden, da es nicht selten plötzlich wieder zu einem stehenden Eisfelde gefriert.

Die Schrecken der Polarfahrer sind indeß weniger die treibenden Eisschollen, als vielmehr die schwimmenden Eisberge, welche das Meer oft so weit bedecken, als das Auge reicht, und welche entweder ganze Gletscher oder Trümmer derselben sind. In jenen Gegenden fällt den größten Theil des Jahres hindurch nur Schnee, der sich daher zu ungeheuren Massen aufthürmt und durch seine Schwere zu glasartiger Festigkeit zusammenpresst, und in körniges Eis umbildet. Kommen nun im Sommer kalte Regengüsse, Schlossen und Hagel, so zehren die Regen an den Eismassen, durchfurchen deren Hänge im Herabfließen, bis die kleinen plätschernden Regen- und Thaubächlein urplötzlich gefrieren und in langen blinkenden Eiszacken, schwebenden Wasserfällen oder wie silberne Tropfsteingebilde von phantastischer Gestalt an den Eisbergen herabhängen. Hier bilden sie einen Säulengang, dort eine Höhle mit seltsamen Reliefbildern, und an andern Stellen schweben sie wie zerrissene Guirlanden herab. Jahrhunderte hindurch häufen sich diese Eis- und Schneemassen auf, mit denen Schichten gefrornen Regenwassers und ungeschmolzenen Hagels wechseln. Je höher aber der Schneeberg sich aufthürmt, um so gewaltiger drückt seine Wucht auf die untern Schneelagen, die dadurch zu festen Eismassen gepreßt werden. Denn die Gletscher bestehen nicht aus gefrornem Wasser, sondern aus gepreßten und von durchsickernden Regen oder Nebeln angefeuchteten Schneefeldern.

Aus diesem Grunde kann man es sich erklären, daß zahlreiche Eisberge aus dem Innern der Inseln des Südpolarmeeres aufragen, aus denen nur an den wenigen Stellen der schwarze Felsen wild und unheimlich an’s Tageslicht hervortritt, wo die Felswand so schroff aufsteigt, daß keine Schneeflocke an ihnen haften kann. Die Schneestürme treiben die ungeheuren Schneemassen des Polarwinters bald an dieser, bald an jener Felsenklippe auf, so daß die Oberfläche der Eis- und Felseninseln großer Veränderung unterworfen ist; am meisten ist dies jedoch an den Steilküsten der Fall. Denn hier bilden sich kolossale Schneehänge, ungeheure Schneeschirme und weit auf das Meereis hinausragende Schneezungen, die sehr bald in Gletscher übergehen, da das Meereis im Sommer nicht in allen Buchten aufgeht. Daher sind die Küsten meistens theils mit Eisbergen umsäumt, die oft seltsame Gestalten angenommen haben, da Stürme hier und da überhängende Eisstücken abrissen, Regenwasser tiefe Schluchten aushöhlten und die Erschütterung der Luft beim Krachen des Meereises Risse und Spalten in die starren Eismassen brachte. Meistens haben sie die Gestalt zerklüfteter, vorgelagerter Berge, und haben von den nagenden Nebeln, die im Sommer an ihnen hängen, eine weißgraue Farbe erhalten. Am Meeresufer selbst sinken sie schnell als senkrechte Wände mehrere hundert Fuß tief unter das Wasser hinab und ruhen entweder auf dem Meeresgrunde oder lassen sich vom Wasser tragen.

Wo nun solche Gletscher, die 100–1200 Fuß hoch zu sein pflegen, entweder bedeutend überhängen oder mit ihrem Fuße theilweise auf dem Meereise ruhen, kommen häufig Gletscherstürze vor, denn entweder verliert der Gletscher das Uebergewicht, wenn er lange genug Feuchtigkeit aus den Nebeln gesogen hat, oder die steigenden Meereswellen rütteln und schütteln Tag und Nacht so an dem Eisberg, daß er sich unter furchtbarem Krachen ganz oder theilweise losreißt, und in das Meer hinabschießt, so daß die Wellen thurmhoch empor schlagen. Taumelnd schwimmt er weiter, stößt an einen benachbarten Gletscher mit solcher Macht, daß auch dieser zersplittert und in die Tiefe stürzt, oder er begegnet einem andern schwimmenden Eisberge, und dann fahren beide Gletscher gegen einander, daß die Splitter oft 1000 Fuß weit fliegen.

Wenn die Gletscher des südlichen Eismeeres im Allgemeinen alle Eigenschaften der Gebirgs- und Nordpolargletscher theilen, so ist ihnen doch die wall- und bankartige Gletscherbildung eigenthümlich. Selbst in gemäßigten Breiten begegnet der Schiffer oft schwimmenden Eisstücken von tafelförmiger Oberfläche, welche ein geschichtetes Aussehen haben, 120–180 Fuß hoch sind und nicht selten den Umfang von einer Viertelstunde erreichen. Gewöhnlich sind sie sehr morsch und rings um sie schwimmen losgebrochene Eisstücken. Sie stammen von jenem berühmten Eiswall (Eisbank), welcher die kühnen Südpolarfahrer stets zur Umkehr zwang, und der im Winter bei wechselnder Temperatur von meilenlangen Spalten zerrissen wird, so daß im Frühjahr jene losgesprengten Massen vom Meere fortgeführt werden. Er liegt auf der Ostseite des vermutheten Südpolarlandes, und zieht sich als schroffe 150 bis 200 Fuß hohe Wand nach Osten hinaus, umgeben von schwimmenden Eisstücken. Tage lang segelten die muthigen Polfahrer den Eiswall entlang, konnten aber dessen Ende nicht erreichen.

Oede und leblos sind die ungeheuren Räume des Südpolarmeers, welches so von mikroskopischen Algen (Diatomeen) angefüllt ist, daß es ihnen seine braune Farbe verdankt: um so ungehemmter und großartiger wirken hier die physikalischen Naturgewalten, indem Eis und Fels einen endlosen Vernichtungskampf führen. Der Naturforscher findet daher in diesen öden Gegenden manchen Aufschluß über die Geschichte der Erde selbst, die hier in Gletschern, Steinblöcken, Meerschlamm, Steinkohlenlagern, Lava und Bimssteinen aufgeschrieben ist. Werfen wir daher auch einen Blick in diese bunte Chronik der Erde!

Nur an wenigen Inseln konnte man wegen des Treibeises und der Gletscherklippen landen, doch weiß man von Neu-Südshetland, daß es große Steinkohlenlager enthält. Welche Umwandlungen sind hier also vorgegangen, daß ewiges Eis auf jenen Inseln lastet, auf denen vor undenklichen Zeiten ein tropischer Urwald wucherte, dessen Palmen ihre Laubkronen in sanftem Windzuge wiegten, neben denen riesige Farrn und baumhohe Bärlappe ihren gereiften Schaft mit den weitreichenden Zweigen und den fein gefiederten Blättern rauschen ließen! Müssen wir uns nicht Zeiten vorstellen, in denen es auf der ganzen Erde nur ein feuchtwarmes Tropenklima gab, wo Schneeflocken unbekannte Dinge waren, und tropische Gewitterstürme da tobten, wo jetzt von den kühlen Sommerlüften Gletscher krachen und Schneefelder kaum zu thauen anfangen? Die Vulkane, deren man mehrere hat Flammen ausstoßen sehen, so wie die zahlreichen vulkanischen Gesteine, welche an allen kahlen Stellen sichtbar werden, bezeugen die ungeheuren Revolutionen, die vor Zeiten in diesen verlassenen Wildnissen getobt, Inseln versenkt und emporgehoben, Berge zertrümmert und lange Höhenketten aufgethürmt haben. Obschon kein Menschenauge jene Vulkane länger als im Vorüberfahren beobachtet hat, so darf man doch vermuthen, daß die großen Veränderungen, welche die wenigen Südpolarfahrer fanden, den Vulkanen zuzuschreiben sind. Denn wenn diese Vulkane anfangen zu toben, die Felsen bis in ihre Wurzeln erbeben machen und schütteln, dann bersten die Gletscher, fahren in Trümmern auseinander, weite Schnee- und Firnfelder werden von der Hitze der Lava in reißende Wasserströme verwandelt. Wieder eisbedeckte Buchten kochen und dampfen von tausend heißen Wassern, die von den Bergen in rauchenden Wasserfällen niederstürzen. Dann wiederholen sich jene schauerlich großartigen Scenen, wie sie Island öfter sah, wenn Feuer mit Eis, heiße Lava mit Schnee und brennende Lavaströme in rother Glut zischend in’s Meer hinabsteigen.

Wie die Gletscher der Alpen tragen auch die der Südpolarinseln Steinblöcke, Geröll und Schutt hinab in’s Meer, sobald die Lage der Gletscher der Art ist, daß die losgebrochenen Steinblöcke der [139] Felswände auf den Gletscher fallen. Da die Gletscher außerdem alljährlich von dem Binnenlande nach den Küsten zu wachsen, indem die vordern Enden im Sommer von Stürmen und Wellen abgebrochen werden und der stehengebliebene Gletscher seine Schnee- und Eisfelder vorwärts schiebt, so wird auch der Felsenboden von ungeheuren Eismassen gefurcht, Unebenheiten abgestoßen und gewaltige Schuttmassen in’s Meer geschoben. Werden die schwimmenden Gletscher von den Wellen fortgeführt, so drücken sie mit so großer Last, daß sie mehrere Tausend Fuß tief in’s Meer hinabreichen, die Klippen des Meeresboden zertrümmern, den Schlamm zerreiben und aufrühren und dadurch große Veränderungen des Bodens verursachen. Zwar ist das Südpolarmeer an vielen Stellen 12,000 Fuß tief, aber es giebt auch seichtere Stellen, wo die Eisberge aufliegen, und da das Meerwasser in einer Tiefe von etwa 4000 Fuß eine gleichmäßige Temperatur von 4° C. hat, so zehren die Meerwasser am Fuß tiefgehender Gletscher, so daß sie unten so viel abschmelzen, als sie oben neue Schneemassen aufhäufen, weshalb der Eiswall seine gradlinige, gleichmäßige Höhe behält. So unsichtbar und unscheinbar diese Veränderungen auch sein mögen, so müssen sie doch in Jahrtausenden von gewaltigen Folgen sein, da Roß an einigen Stellen den fein geriebenen Schlamm mehrere Fuß tief fand.

Rechnet man hierzu noch die unaufhörlichen Strömungen des kalten Wassers nach dem Aequator zu, welche das Treibeis bis zum 47.°, ja bis zum 36.° treiben, wogegen in der Tiefe warme Wasserströme vom Aequator her bis zu den Polen vordringen und dadurch jene großen, wunderbaren Strömungen im Meere verursachen; berücksichtigt man endlich, daß die kalte Polarluft auf dieselbe Weise mit der leichteren der heißen und gemäßigten Zone wechselt und eine dauernde Luftströmung veranlaßt, und daß in der Nähe der Pole die Mittelpunkte der magnetischen Kreise liegen, welche in seltsam geschwungenen Linien mit ihren geheimnißvollen Kräften die Erde umkreisen, so ahnt man die Bedeutung der starken, eisbedeckten Polarzone für das Gesammtleben der Erde, für Wind- und Witterungswechsel, für Fruchtbarkeit und Bewohnbarkeit gewisser Gegenden, und öffnet sich eine erhabene Perspektive auf die urgewaltigen Weltgesetze, wie auf die unberechenbare Bedeutung von Elementen, die man für todt und theilnahmlos zu halten gewohnt ist. Da wo die Grenze des Lebens zu sein scheint, liegt der Ursprung des Lebens, wo nur Verwüstung und Zerstörung zu wohnen scheint, entwickelt sich ein großartiges Elementarleben, unter Gletschern und Firnfeldern liegen die Geheimnisse des Magnetismus als der belebenden Kraft, welche den aufsteigenden Gebirgen ihre Bahn vorschrieb, so daß sie den magnetischen Linien folgte, liegt die Geburtsstätte und die ersten Bedingungen des Pflanzen- und Thierlebens verborgen: denn nur der Kampf der Gegensätze gebiert das Leben in der Natur, wie in der Geschichte der Völker.

[201]
(Zweiter Artikel.)

Obschon das Südpolarmeer grauenhaft ist wegen seiner Einöde und der wilden Erhabenheit seiner Naturschauspiele, obschon das feste Eis in der Regel bis zum 60. und 62. Grad reicht, während das Nordpolarmeer an 10 Grad weiter noch schiffbar ist: so haben sich nicht nur gewinnsüchtige Wallfischfänger in dasselbe gewagt, sondern der Drang nach Erforschung des Erdkörpers hat wissenschaftlich gebildete Seefahrer in günstigen Sommern tief in die Eiswüsten des Südpolarmeeres geführt, wo sie Gefahren zu bestehen hatten, bei deren Erzählung den Zuhörer kaltes Grausen überfällt. Wenn wir den Muth der Krieger bewundern, die sich mit Todesverachtung dem Kartätschenhagel entgegenwerfen, so verdienen die Polarfahrer die höchste Bewunderung, da sie viel größere Gefahren zu bestehen haben. Der Soldat kämpft in Gemeinschaft mit seinen Genossen, und fällt er, so endet ein kurzer Tod sein Leben, und lohnt ihn ein ehrenvolles Gedächtniß. Einsam dagegen und tausend Meilen von menschlicher Wohnung und Hülfe entfernt, ringt der Polarfahrer täglich mit dem Tode, Hunger und Kälte peinigen ihn, wenn sein Schiff, vom Winter überrascht, einfriert, und wenn die Wogen es verschlingen, die Eisberge es zermalmen, wenn er, auf eine Eisscholle sich rettend, hülflos von Sturm und Wellen umher getrieben wird, da ahnt Niemand daheim seine Qualen, seine Todesangst – er ist verschollen und wird vergessen. Erneuern wir daher das Gedächtniß an die muthigsten Südpolarfahrer, um uns alle die Grauen und Entsetzen zu vergegenwärtigen, welche diese Entdecker und Erforscher zu ertragen hatten!

Am Weitesten gegen den Südpol ragt die Spitze Südamerika’s, von wo ab die Süd-Orkneys und Süd-Shetlandsinseln nach Süden weisen, wo man einige Küstenstriche entdeckt hat, ohne zu wissen, ob sie einem Festland oder einer Inselgruppe angehören. Aehnliche Küstenstreifen liegen dem Süden Neuhollands gegenüber; doch kennt man auch hier nur einzelne Küstenlinien, die sich auf dem 70. Grad hinziehen, dann plötzlich an der Ostseite nach Süden umwenden, wo die Eisküste, Victorialand genannt, bis zum 78. Grad gegen den Pol hin verfolgt ist. Dort hemmte der Eiswall jedes weitere Vordringen, da er sich unabsehbar nach Osten ausdehnte und einen großen Meerbusen zu umschließen schien, denn südlich von Afrika zieht sich die Eisküste vom 65. Grade süd-westlich gegen den Eiswall.

Schon im Jahre 1600 war ein Holländer, als er eben die Magellansstraße passirt hatte, von einem heftigen Sturme nach Süden in das Polarmeer getrieben, dessen Eisberge und zerklüfteten Inseln ihn mit Schrecken erfüllten. In Europa glaubte man indessen seinen Berichten nicht, und da J. Cook, welcher das Südpolarmeer durchstreifte (1774), unendlich viel Eis fand, so hielt man das Südmeer bis zum 60. Grad für unzugänglich. Erst in unserem Jahrhunderte führte Aussicht auf gewinnreiche Jagd der Thranthiere verwegene Seefahrer in das südliche Eismeer; denn Smith entdeckte 1818 Neu-Südshetland, und Bronsfield untersuchte diese zwölf öden Inseln und eisbedeckten Klippen. Sie waren zwar ohne allen Pflanzenwuchs, aber es lagerten Tausende von Riesenrobben, die oft 24 Fuß Länge und 14 Fuß Umfang hatten, auf den Eisschollen, und zeigten so wenig Scheu vor den nie gesehenen Menschen, daß, wenn die einen erschlagen und abgehäutet wurden, die daneben Liegenden sich nicht von der Stelle rührten. Die reiche Beute lockte mehr Robbenfänger herbei, welche nach neuen Jagdplätzen umher forschten. Unter ihnen hatte der beherzte Weddell das Glück, daß er 1822 die Süd-Orkneys fand und bis zum 74. Grad des eisfreien Meeres vordrang, welches von verschiedenen Seevögeln wimmelte. Fast in jedem der folgenden Jahre ward ein Streifen des vermutheten Südpolarlandes und Inselklippen entdeckt, in denen aber andere Seefahrer zuweilen schwimmende Eisberge für Inseln ansahen, die ein landartiges Aussehen zeigten, weil sie sich überschlagen, und die mit Sand und Schlamm bedeckte Unterseite nach oben gekehrt hatten. Die Streifen eisbedeckter oder schneefreier Berge, die man für den Rand eines Polarfestlandes hält, konnten von den Seefahrern meist nur aus der Entfernung von einigen Meilen beobachtet werden, und lassen daher über Zusammenhang der Küste und Oberfläche derselben Vieles unentschieden. Es fand der Kapitain eines londoner Handlungshauses, der beherzte Viscon, südlich von Madagascar unter dem 65. Grad eine bergige Küste, die er nach der Firma seines Hauses Enderbysland nannte (1830), entdeckte 1832 die zackige Insel Adelaide, welche auf demselben Breitengrade, südlich unter Feuerland liegt und vielleicht die Ecke des Polarlandes ist, welches als Grahams- und Alexanderland nach Südwest, als Trinity- oder Palmersland nach Nordost sich ausdehnt und als weiter Felsenvorsprung südlich Louis Philippsland hat, wogegen die von Russen entdeckten Alexander- und Peterinseln nördlich an der Grahamsküste sich hinziehen.

Diese Entdeckungen erweckten großes Interesse, da sie die Frage über die Beschaffenheit des Südpoles wieder lebhaft anregten, so daß die englische, nordamerikanische und französische Regierung den Entschluß faßten, das Südpolarmeer im Interesse der physikalischen Wissenschaften durchforschen zu lassen. Am Frühesten hatte die französische Regierung die erforderlichen zwei Schiffe dem Zwecke und den zu bestehenden Gefahren gemäß ausgerüstet und deren Führung dem bewährten Kapitain Jules Dumont d’Urville übertragen, welcher ein wissenschaftlich vielseitig gebildeter Mann war und mit dem Kapitain Duperrey, und kurz darauf selbständig Reisen um die Welt gemacht hatte. Als die Julirevolution ausbrach, war er einer der ersten Offiziere, welcher dem König Louis Philipp seine Dienste anbot, den verbannten König Karl X. nach England brachte und dann 1837 beauftragt ward, die Expedition in’s Südpolarmeer zu befehligen. Kaum hatte er den 63. Grad südlicher Breite erreicht, so befand er sich in der schweigsamen, schauerlichen Eiswelt der schwimmenden Gletscher und meilenlangen Eisbänke. Grauenhaft waren die Scenen, die ihn umgaben. Unheimliches Schweigen lagerte über der Meereswüste, nur von Zeit zu Zeit vom dumpfen Rauschen verborgener Wogen und ferner Brandungen unterbrochen. So weit das Auge und das Fernrohr reichten, so weit dehnte sich eine Eiswüstenei aus, die aus vielgestaltigen Eisblöcken bestand. Ohne Ordnung waren sie an einander gedrängt oder dicht zusammengekeilt wie das Eispflaster einer Riesenstraße. Hier ragte eine stumpfe Pyramide, dort die Trümmer einen Würfels empor, zwischen denen sich ungeheuere tafelförmige Schollen, 90–120 Fuß, aufgerichtet hatten, während an andern Stellen die gegen einander gelehnten Eisplatten Höhlen und Gallerien bildeten oder unförmliche Eisklumpen in Haufen über den Blöcken zerstreut lagen; und hier und da gewaltige Blöcke über die übrigen hervorragten wie Marmormauern eines dachlosen Palastes. Scharf und senkrecht wie eine Mauer stand der Eiswall, doch zeigten sich hier und da zwischen den einzelnen Eisblöcken schmale Wasserstraßen, durch welche wohl ein Schiff hindurch schlüpfen konnte.

Während die Riesenwand still zu stehen schien, waren die kleineren Eisstücken, welche vor derselben schwammen, in beständiger Bewegung, indem sie mit den Wogen stiegen und sanken, gegen einander prallten, untertauchten, in die Luft geschleudert wurden und klirrend auf den großen Schollen dahin glitten, auf welche sie etwa beim Herabstürzen fielen. Die Seeleute wurden nicht müde, den Wechsel dieser grotesken Scenen zu bewundern, die mit jedem Wechsel der Beleuchtung und mit jeder Veränderung der Windrichtung andere wurden. Jetzt lagen die Eisstraßen unter wallendem Nebel, durch den ihre grauen Gestalten in unheimlicher Formlosigkeit schauten und wunderbare Perspektiven eröffneten, wenn der Nebelflor zerriß und einzelne Strecken auf Augenblicke aus der Dämmerung mit scharfen Umrissen hervortraten.

Sobald aber die Nebel wichen und die helle Sommersonne ihr volles Licht über die Eisblöcke goß, schimmerte und blitzte es weithin wie von polirtem Marmor und Alabaster. Da sah man sich plötzlich in eine verzauberte Riesenstadt versetzt, man befand sich mitten in einem Venedig des Eismeers. Hüben und drüben standen kolossale Eismassen in Ordnung neben einander wie die Marmorfronten gewaltiger Paläste. Ganz deutlich glaubte man Thüren und Thore, Erker und Mauerzinnen unterscheiden zu können. Palast stand neben Palast, von Zeit zu Zeit ragte ein Obelisk, ein Thurm, eine Säulenhalle, eine Mauerzinne, eine [202] Domkuppel empor, und zwischen den Palastreihen breitete sich eine ruhige Wasserfläche aus, auf welcher alle die Eiswunder sich abspiegelten. Todtenstille herrschte in dieser Stadt, und diese Einsamkeit verlieh der Scene ein beängstigendes Grauen. Immer erwartete man, einen Menschenlaut, das Rauschen einer Gondel, das Knarren eines Thores zu vernehmen, aber starr und regungslos blieben Kanal und Paläste. Nur Seevögel schwammen zuweilen geräuschlos in den öden Wasserstraßen, an freieren Stellen sah man die Springquellen der Wallfische im Sonnenschein schimmern, und hörte den zerfließenden Nachhall seines dumpfen Brausens.

Hatte man diese wunderbare schwimmende Eisstadt hinter sich, so sah man sich in eine andere Welt versetzt. Ringsum breiteten sich Ebenen aus, auf denen hier ein beschneites Gebüsch, dort ein halb zerstörter Garten und daneben die niedrigen Dächer eines Dorfes standen. Sie schienen halb verschüttet von wehendem Schnee, aber Dach und Wand, Schornstein und Kirchthurm, Tannenbäume und niedriges Strauchwerk waren so täuschend nachgeahmt, daß man nur mit Mühe sich überzeugen konnte, jene Landschaft bestehe aus Eisgebilden. Wie strahlte alles so verklärt und so hell im Sonnenschein, wie blitzten die Eiszacken am Strohdach und an dem Mühlrad, wie schimmerten die Schneeflocken auf den Bäumen, und doch wie grauenhaft war die Ausgestorbenheit und lautlose Einsamkeit dieses Dorfes.

Noch immer ging die Fahrt gen Nordosten an einer wunderbaren Eiswand hin, der man 200 Meilen weit folgte. Immer neuer Wechsel der Gruppen und Gestalten, und doch immer wieder dieselbe Einöde, dasselbe furchtbare Schweigen. Dazwischen erschienen auch Gruppen wild zerstörter, von Sonne und Nebel zu phantastischen Gestalten zernagter Eisklumpen. Still und feierlich zogen diese zersplitterten und zackigen Eistrümmer vorüber, die in der kurzen Dämmerung der langen Sommertage wie dunkle Traumgestalten erschienen und verschwanden.

Die Eiswände waren zum großen Theil weggeschmolzen oder zertrümmert, tiefe Löcher waren hinein gethaut, und während um den tief im Wasser gehenden Fuß des Meeres kräuselnde Wellen spielten, ächzte und stöhnte die morsche Masse der oberen Hälfte, die oft beim Zusammenstoß in tausend Splitter zersprang, verwegene Matrosen wagten sich aus dem Boot in die schmalen Wasserstraßen, die zwischen den ungeordneten Haufen der Eisblöcke offen lagen, um ihre phantastischen Bildungen näher zu betrachten.

So unterhaltend auch anfangs die Betrachtung dieser Eisgestalten war, so ermüdete doch die Einförmigkeit und der blendende Glanz, und die Mannschaft war hoch erfreut, als sie an den Neu-Südorkneys endlich wieder Land sah. Zwar waren es nur schwarze Felswände, von denen die Eishülle herabgestürzt war, aber man sah ja wieder Land und festen Boden. Unterhaltung gewährte hier, wie an manchen Eisblöcken, die Menge der unbeholfenen Pinguine, welche auf dem First der Felsen und an deren Abhängen zu Tausenden in Reihe und Glied neben einander saßen, und die seltene Erscheinung eines Schiffes mit heiserem Geschrei begrüßten. Dabei waren sie so wenig scheu, daß sie den landenden Matrosen keineswegs Platz machten, die vielmehr einen Vogel nach dem andern herab werfen mußten, wogegen alle mit großem Geschrei protestirten. Andere dieser schwerfälligen Thiere tummelten sich auf dem Wasser, schwammen pfeilschnell hin und her, tauchten und erschienen erst in weiter Entfernung wieder, schüttelten die Köpfe, glotzten die Schiffe an und versuchten dann zu landen. Da sie kurze Füße haben, die dazu noch sehr weit hinten am Körper stehen, so taumelten sie oft nieder, glitten aus und sanken in’s Meer zurück, bis sie endlich mit Hülfe des Schnabels und der kurzen Flügelstumpfe, die ihnen als Stützen dienten, sich auf’s Land schoben und dort mit langgestreckten Hälsen das Schiff anschrien. Durch die Luft zogen zahllose Sturmvögel, Kaptauben, Scharben und weißflügelige Möven, auf Eisschollen lagerten theilnahmlos Seehunde und starrten Schiff und Menschen an, dem Kielwasser folgten 15 bis 20 Fuß lange Delphine, und auf freien Wasserstellen tummelten sich Wallfische.

Bald sollten die Seefahrer aber auch die Schrecken dieser Gegenden kennen lernen. Denn die schwimmenden Eisberge traten immer dichter zusammen, mächtige Schollen schwammen unter der Oberfläche des Wassers und stießen mit solcher Gewalt an das Schiff, daß es zitterte, krachte und dröhnte, und nur durch seinen starken Bau befähigt war, den wiederholten Stößen Widerstand zu leisten. Plötzlich sah man sich in einem ungeheuren Becken, wie in einer Bucht rings von Eis eingeschlossen, und lief dabei Gefahr, von den hin- und wiedertreibenden Eisbergen zermalmt zu werden, weshalb der Kapitain die Vorsicht gebrauchte, des Nachts sein Schiff mit Ankern und Tauen dicht an einen Eisberg anzulegen, damit er es schütze. Wohl an 200 Fuß ragten die Kolosse aus der Fluth; ihre Wände waren durchfurcht von den Rinnen des Regen- und Thauwassers, welches am Tage in hellen Wasserfällen niederplätscherte, wogegen der Fuß auf einem Gestell regelmäßiger Eisplatten ruhte. Fern von menschlicher Hülfe schwamm das Schiff, an einen Gletscher angebunden, auf unbekanntem Meere Tage lang umher, oft umhüllt von Schneegestöber und umdonnert von zusammenstoßenden Eisbergen.

Da faßte der Kapitain endlich den verzweifelten Entschluß, sich mit Gewalt durch den drei Meilen breiten Eisring Bahn zu brechen, der ihn in der Bucht eingeschlossen hielt. Man spannte die Segel auf und rannte mit der scharfen Kante des vorderen Schifftheils in das Eis hinein. Es kreischte, splitterte und brach, so daß die Schiffe etliche hundert Fuß wie Sturmböcke eindrangen, dann aber unbeweglich im Eis lagen. Grauen befiel die Mannschaft, als sie die weite Strecke Eis übersah, die sie noch durchbrechen sollte. Zwar waren Alle frisch bei der Hand, schafften kleine Eisstücke weg, befestigten an die großen Blöcke starke Taue, an denen die Matrosen an Bord zogen, um das Schiff tiefer in den Eisring hineinzutreiben, aber bei aller Anstrengung rückte man nur einige Fuß vor. Dazu kam noch, daß der Wind umsprang, hohe Brandung an der Eiswand aufwarf und das Schiff zu zerquetschen drohte, weshalb man sich unter großen Mühen wieder in die Bucht zurückzog, um hier zu warten, was das Schicksal über Mannschaft und Schiff verhängen würde. Tag bei Tag verging, und schon begannen die Matrosen an ihrer Rettung zu verzagen, als der Himmel sich der braven Männer erbarmte. Der Wind sprang um, die hohe See brach mit Ungestüm gegen den Eisring heran, mächtige Wellen hoben und rückten an der Eisdecke, daß sie erbebte und krachte, und die beiden Schiffe wiederholten die Versuche, das Eis von der Bucht aus zu durchbrechen. Mit Macht rannten sie gegen dasselbe, daß die Schollen splitterten, kehrten zurück, um zu neuem Anlauf auszuholen, und arbeiteten sich auf diese Weise so tief in die Eisbank hinein, daß man drüben das offene Meer erblicken konnte. Nun wurden alle Segel ausgespannt und das Schiff von Neuem gegen dan Eis getrieben. Krachend prallten sie an, drangen ein und standen dann festgekeilt, während die Masten ächzten, die Segelstangen kreischten, und die Matrosen mit Aexten und Brecheisen dem Schiffe Raum zu schaffen suchten. Bald legte es sich unter dem Druck der gefüllten Segel auf die Seite, bald stieg der Vordertheil hoch empor, und dazwischen stöhnten die Schiffsplanken, knarrten die Maste und knirschten die Schollen. Die Besorgniß der Matrosen steigerte sich, sie verdoppelten ihre Anstrengungen, und diesen wie der Kraft des Windes gelang es endlich, die Eisschranke vollends zu durchbrechen und wieder in’s offene Meer zu gelangen.

Doch sollte die Mannschaft noch eine furchtbare Scene erleben. Die Matrosen pflegten, als das Schiff in der Bucht lag, oft in Booten nach Seehunden und Vögeln auf die Jagd zu gehen, während Andere, als das Schiff sich in das Eis einbohrte, fröhlich auf den Schollen umhersprangen und sich belustigten. Sobald das vordere Schiff die Eisbank ziemlich durchbrochen hatte, rief das Kommando: „Alle an Bord!“ die Mannschaft zusammen. Alle erschienen, nur der Kalfaterer war zu weit entfernt, um zur rechten Zeit einzutreffen. Das Schiff ging ab, als der Unglückliche noch athemlos über die Schollen heraneilte. Er lief, er sprang, stürzte und war im Nu wieder auf den Beinen; aber hatte er den Eisrand bald erreicht, so hielt ihn eine breite Spalte auf, die er umgehen mußte, so daß er wieder weit zurückblieb. Mit Entsetzen sahen die Matrosen ihren Kameraden über das Eis laufen, sahen seine Gefahr, auf ihm zurückbleiben zu müssen, und konnten ihm doch nicht helfen. Er rief, winkte und lief, starr nach dem davon segelnden Schiffe blickend, aber er schien verloren. Todesangst erfaßte ihn, Angstschweiß drang aus allen Poren, ihm flirrte es vor den Augen, er lief nicht mehr, er schoß über das Eis, die Schreckensbilder, allein im unwirthlichen Eismeer gelassen zu werden, gaben ihm Riesenkraft, und – er ward gerettet. Als eben der Hintertheil des Schiffes aus der Eisbank hervorging, erreichte er den Rand der Bank, erfaßte das ihm zugeworfene Tau [203] und ward auf’s Schiff gezogen. Lange lag er erschöpft in der Kajüte, ehe er sich von der furchtbaren Todesangst erholen konnte.

Groß war die Gefahr gewesen, aber d’Urville ward nicht muthlos, sondern setzte seine Fahrt nach Osten fort, bis er sich überzeugte, daß er wegen der Eisbank nicht nach Süden vordringen könne und nach den Süd-Orkneys umkehrte. Wieder ging es an meilenlangen und thurmhohen Eisbergen vorüber, und auf schmaler Fahrstraße durch 12–200 Fuß hohe Eisblöcke, deren Kanten von rothen, dunkel- und veilchenblauen Lichtern funkelten, während andere schneeweiße Eismassen da, wo die See anschlug, im schönsten Ultramarinblau strahlten, und an den Wänden groteske Figuren wie ausgemeiselte Basreliefs standen. In den seltenen nebelfreien Stunden konnte man 12–15 Meilen überschauen und ringsum das Schimmern, Funkeln und Blitzen der Eisberge betrachten, welche die Sonne 22 Stunden beschien, da nur von 11–1 Uhr Nachts eine leichte Dämmerung eintrat. Wundervoll schimmerten die Schneefelder und Gletscher im Morgen- und Abendroth, schien das Meer wie mit Rosenduft übergossen und sahen die schwimmenden Eisstädte wie ein Feenreich aus in den dunkelrothen, gelben und violetten Tinten des Abendhimmels, während an einzelnen Stellen der Eisblöcke die Sonnenstrahlen brennendroth sich brachen, als ob man die Fenster eines Schlosses im Abendroth glühen sähe. Ein anderes Mal beobachtete man einen Eisblock von 250 Fuß Höhe, der einer runden Festung mit spiegelglatten Wänden glich und hohl war. Gleich einem Amphitheater von 125 Fuß Höhe und 950 Fuß Umfang schwamm er dahin, den weißen und schwarzen Sturmvögeln ein bequemer Ruheplatz. Andere Eisblöcke schimmerten auf der einen Seite im durchsichtigen Amethystblau, während die andere Seite von grünen, weißen und blauen Streifen geädert war. Daneben schwamm ein Eisstück von 100 Fuß Höhe und 300 Fuß Länge hin, dessen Fuß von vier regelmäßigen Schwibbogen durchbrochen war. Die Matrosen konnten aber dieser Eiswunder kaum froh werden, denn Tag und Nacht rannten tiefgehende Schollen an die Schiffsplanken, daß es aus den Fugen zu gehen drohte, und der Kapitain selbst manchmal glaubte, das Schiff müsse bersten. Dazu hingen lange Eiszapfen an den Segelstangen, waren Taue und Segel steif gefroren, da sie der fortwährende Nebel sehr stark anfeuchtete, brüllte das Meer, wo es an den Eisbergen sich brach, von denen einer 115 Fuß hoch und 11 Meilen lang war, wechselte Schneegestöber mit Hagelwetter und kalten Regengüssen, daß die Matrosen unsägliche Anstrengungen aushalten mußten, und donnerten Tag und Nacht wie furchtbare Artilleriesalven die von den Bergen stürzenden Gletscher. Als der Gesundheitszustand der Matrosen sich besserte, kehrte d’Urville wieder nach Süden um und fand öde Felsenküsten mit Gletschern, die er Louis-Philipps- und Joinvilleland nannte. Sie sind vielleicht die dem stillen Ocean zugewandte breite Küste des Südpolarlandes. Im folgenden Jahre kehrte d’Urville noch einmal in das genannte Meer zurück und entdeckte einen andern Küstensaum, welchem er den Namen Adelineland gab.

Auch auf dieser Fahrt hatte d’Urville große Gefahren zu bestehen, denn mitten in einem Engpaß zwischen Eisblöcken überfiel seine beiden Schiffe ein ungeheuerer Sturm, der sie gerade gegen einen Eisberg zutrieb, in dessen Nähe ein furchtbarer Wasserstrudel das Schiff ergriff. Näher und näher kam man dem Berge, lauter und lauter brauste der Strudel, da gelang es im letzten Augenblick, das Schiff zu wenden und sich von dem Berge zu entfernen. Aber in demselben Augenblick jagt der Sturm das zweite Schiff gegen dan erste, vergeblich sind die Anstrengungen, sich auszuweichen. Schon sind die Schiffe so nahe, daß die Matrosen das Weiße im Auge erkennen. Dabei schwanken sie so entsetzlich, daß die Mastenspitzen die Wellen berühren. Da gerathen sie an einander, ihr Tauwerk verwickelt sich, und während die Schiffskörper auf den Wellen auf- und abtanzten, sind ihre Masten an einander gefesselt. Hier können Menschen nicht mehr helfen; Alle erwarten den Untergang. Doch der Sturm rettet sie. Es knackt und kracht in den Masten, die eine Spitze bricht, die Taue reißen, die Schiffe werden frei und haben bald den Engpaß hinter sich.

Der Amerikaner Wilkes durchforschte dieses Meer 1839 und 40, ohne Entdeckungen zu machen, wogegen der englische Wallfischfänger Balleny die Küste Sabrina sah. Am weitesten drang 1841 der Engländer Roß, der Sohn des berühmten Nordpolarfahrers, gegen den Südpol vor, indem er eine lange Gletscherküste von Norden nach Süden entlang fuhr, die er Victorialand nannte. Auf ihr beobachtete er mehrere thätige Vulkane, von denen er den südlichsten Erebus, seinen Nachbar Terror nannte. Die Berge dieser Küste bestanden meist aus 9–12,000 Fuß hohen Kegeln mit hochbeschneiten, fast senkrechten Wänden. Dem oben genannten Eiswalle folgte er 50 Meilen weit und kam bis zum 78. Grad, wo er umkehren mußte, und im folgenden Jahre wegen großer Eismassen nicht weiter vordringen konnte.