Textdaten
Autor: Justinus Kerner
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Titel: Sankt Elsbeth
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aus: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern.
S. 170–173
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Erscheinungsdatum: 1813
Verlag: J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[170]

Sankt Elsbeth.

Zu Wartburg unterm Lindenbaum,
Der junge Landgraf lag im Traum,
Es sangen Nachtigallen,
Der Mond zog durch den Himmel blau,

5
Der Landgraf sah die zärtste Frau

Ueber ferne Berge wallen.

Die Sonne kam, der Graf erwacht,
Ein Wandrer, zog er Tag und Nacht,
Den treuen Leu zur Seite.

10
Zu Ungarn unter einer Lind’

Sankt Elsbeth schlief, das fromme Kind,
Der Leue wollt’ nicht weiter.

Geflohen aus dem Königssaal,
War sie, ein Kind, in’s stille Thal,

15
Mit Blumen aufgeblühet.

Der König sandte weit umher,
Sein Kind, das fand er nimmermehr,
So sehr er sich bemühet.

Der Mond zog durch den Himmel blau,

20
Der Graf erkannt’ die zart Jungfrau,

Es sangen Nachtigallen;
Der Leue auf den Rücken zahm
Gar gern die heil’ge Jungfrau nahm,
Sie zogen über Berg und Thale.

[171]

25
Sie zogen in das deutsche Land,

Die Jungfrau trug ein weiß Gewand,
Trug Blümlein weiß im Haare,
Sie schlief nur unter grüner Lind’,
Sie liebte recht als wie ein Kind

30
Blumen und Steinlein klare.


Der Landgraf ritt nie auf die Jagd,
Bevor er sie, die süße Magd,
Gütlich in Arm geschlossen;
Der Landgraf kehrte nie nach Haus,

35
Bevor er einen seltnen Strauß

Dem seltnen Kind gebrochen.

Doch nie von ihrem Stand er sagt,
Er hieß sie nur: die stille Magd,
Das Kind im weißen Kleide.

40
Er ließ sie unter der Linde grün

Bei andern schlichten Blumen blühn,
Eine Lilie auf der Heide.

Bald sie, die Magd im weißen Kleid,
Erregte der Hoffrauen Neid,

45
Die stolz einhergeschritten.

Herr Walther, Schenk von Varila,
Sprach, als er einst dem Grafen nah
Im stillen Wald geritten:

„Traut lieber Herr! so Ihr nicht grollt,

50
Bescheidentlich ich fragen wollt’:

Ob Elsbeth hier verbleibe?

[172]

Still trägt die Magd manch herbes Leid,
Schwer drückt sie Eurer Schwester Neid,
Sie hassen all die Weiber.“

55
Der Landgraf drauf in hohem Muth

Sprach: „Siehst du in der Abendglut
Golden die Burgen ragen?
Und bleiben Gold sie bis in Grund,
Ich lass’ sie stehen all zur Stund’,

60
Eh’ ich der Magd entsage.“


Da glänzt es auf der Wartburg fern
Wie durch die Lind’ der Abendstern,
Sie sahen’s purpurn wallen.
Die Wolken zogen freudig schnell,

65
Die Burgen standen wunderhell,

Trommeten hört’ man schallen.

Sie sprengten durch den dunkeln Wald,
Auf Wartburg kamen sie gar bald,
Wohl unter die grüne Linde.

70
Licht stand in Korn’ und Purpurgewand

Bei Rittern aus dem Ungarland
Elsbeth, das Königskinde.

Der König jüngst gestorben war,
Zwölf Edle von der Ritterschaar,

75
Die zogen in die Weite.

Zur Wartburg unter grüner Lind’,
Da fanden sie ihr Königskind,
Den goldnen Leu zur Seite.

[173]

Sie hatten ihr ins gelbe Haar

80
Gesetzt zu Blumen die Krone klar,

Die Jungfrau ließ sich’s gefallen.
Die Krone warf einen lichten Stral
Zum Himmel, über Berg und Thal,
Es sangen Nachtigallen.

85
Der Mond auch trat aus blauer Fern’,

Des Leuen Aug’ war als ein Stern,
Gluthroth die Haar ihm schienen.
Der Landgraf zog sein glänzend Schwerdt,
Er schwur bei Sonne, Mond und Erd’,

90
Ewig der Frau zu dienen.


Dann einen Spiegel, treu und rein,
Auszog er aus dem Busen sein:
„Er kömmt vom heil’gen Lande.
Gegraben ist in’s Elfenbein

95
Die Marter des Erlösers ein,

Nimm ihn zum ew’gen Pfande!“

 Kerner.