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Titel: Rossini
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 351–352
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[351] Rossini. Seit Rossini wieder in Paris lebt, ist er der Gegenstand eines wahren Cultus. Der Pariser sowohl als auch die vielen Fremden, welche die Hauptstadt Frankreichs besuchen, geben sich alle nur erdenkliche Mühe, um bei dem Compositeur des Barbiers von Sevilla eingeführt zu werden und ihm die Complimente zu machen, die er schon Millionen Male gehört hat. Der greise Maestro wohnt während des Winters in der Rue de la Chaussée d’Antin Nr. 2, an der Ecke des Boulevard des Italiens, und bringt die schöne Jahreszeit in seiner Villa zu, die er sich vor einigen Jahren in dem benachbarten Passy, hat bauen lassen. Es kommt kein ausgezeichneter Musiker nach Paris, ohne sich ihm vorzustellen und sich in seinen Salons hören zu lassen. Rossini giebt jeden Sonnabend eine Soirée, der ein Diner für die näheren Freunde vorausgeht. Bekanntlich ist Rossini ein großer Feinschmecker. Niemand ist in culinarischen Angelegenheiten besser bewandert als er. Er ist aber nicht nur ein Feinschmecker, sondern auch ein vortrefflicher Gastronom, der vielleicht mit größerer Begeisterung ein neues Gericht als eine Arie componirt. Er giebt sich sogar den Anschein, als ob er die Kochkunst höher als die Tonkunst schätze. Seine Lieblingsschüssel sind die Macaroni. Dieses italienische Nationalgericht fehlt niemals auf seinem Tische und Niemand verräth dabei einen solch’ vernichtenden Appetit wie er. Nach dem Diner stellen sich die Besuche ein, und bald [352] sind die Appartements gedrängt voll von den Berühmtheiten der Kunst, der Literatur, der Diplomatie und der Finanzen. Daß in solchen Soiréen viel Musik getrieben wird, versteht sich von selbst. Die größten Virtuosen, die beliebtesten Sänger und Sängerinnen rechnen sich’s zur höchsten Ehre an, vor dem Schwan von Pesaro ihr Licht leuchten zu lassen. Der Schwan hört bei dieser Gelegenheit fast ausschließlich seine eigenen Tondichtungen. Zuweilen setzt er sich selbst an’s Clavier und läßt eine seiner neuesten Compositionen hören. Daß ihm dabei der Applaus nicht fehlt, kann man sich leicht denken. Rossini stellt sich zwar sehr gleichgültig gegen den Beifall, der ihm gezollt wird; man weiß aber recht gut, daß der Weihrauch, mit dem seine Bewunderer ihn umqualmen, ihm kein sonderliches Unbehagen erregt. Seinen Gästen gegenüber benimmt er sich sehr ungenirt. Wenn ihm der Gesang oder das Spiel irgend eines Tenoristen, irgend eines Pianisten nicht gefällt, zieht er sich in sein Cabinet zurück und läßt sich erst wieder sehen, nachdem die Production vorüber.

In den Rossini’schen Soiréen werden keine Erfrischungen gereicht. Wenn eine Prima-Donna sich trocken gesungen, läßt sie sich in der Küche ein Glas Zuckerwasser geben. Es kommt wohl zuweilen vor, daß einer der vertrautern Freunde Rossini’s die Lust nach einer Erfrischung verspürt und dies dem Maestro mittheilt. Dieser läßt dann lächelnd ein Fenster öffnen und empfiehlt ihm, den Kopf in die frische Luft zu stecken.

Die Hauptrolle an diesen Empfangsabenden spielt die Gattin Rossini’s. Sie war früher eine seltene Schönheit und hat ihrem langjährigen Freunde Horace Vernet als Modell für die Judith in seinem bekennten Bilde „Judith und Holofernes“ gedient. Madame Rossini ist eine derbe Natur. Sie hält nicht gern mit ihren Aeußerungen zurück. Wer sich ihrer Sympathien nicht erfreut, dem sagt sie es auf’s Schonungsloseste in’s Gesicht und schreckt ihn von ferneren Besuchen ab. Madame Rossini treibt die Sparsamkeit sehr weit, ja viel zu weit, und es ist schon vorgekommen, daß sie einem Tischgaste seinen starken Appetit vorgeworfen. Was die ungebetenen Gäste betrifft, nämlich solche, die, ohne eingeführt worden zu sein, sich in den Soiréen einfinden, so hat sie mehrere derselben ohne Weiteres vor die Thür gesetzt.

Rossini steht jeden Morgen um acht Uhr auf und arbeitet ziemlich fleißig. Zwischen drei und vier Uhr Nachmittags macht er einen Spaziergang auf den Boulevards. Seit undenklichen Zeiten trägt er einen langen braunen Ueberrock mit einem verschossenen Sammetkragen. Der Schneider der dieses Prachtstück verfertigt hat, ist gewiß schon längst zu seinen Vätern versammelt worden. Auch der Hut des Altmeisters sieht schäbig und altfränkisch genug aus und mag noch von der Juliregierung her datiren. Rossini hat niemals auf Eleganz in seinem Anzuge gehalten. Er hat mehrere Perrücken, von denen eine ruppiger als die andere ist. Im Sommer, wenn es ihm zu heiß wird, nimmt er während der Unterhaltung seine Perrücke ab und zeigt dann seinen nackten, gewaltigen Schädel, der in der That ein großes Genie verräth. Rossini’s Kopf erinnert an Cuvier und Goethe zugleich. Sein Gesicht ist schön und sein dunkelbraunes Auge äußerst lebhaft. Rossini gehört zu den witzigsten Menschen. Seine Bemerkungen sind sehr kaustisch und er zeigt sich mit denselben nichts weniger als geizig. Der Cynismus, den er gern zur Schau trägt, ist nicht ganz aufrichtig. So kalt er sich auch stellt, so bricht doch die heißglühende Künstlernatur oft bei ihm hervor, besonders wenn er sich unter Künstlern von Talent befindet. Seine Bewunderung vor Mozart ist grenzenlos. Er hält ihn nicht nur für seinen Meister, sondern für den Meister aller anderen Operncomponisten.

Rossini, dessen Selbsterhaltungstrieb beispiellos ist, reist niemals mit der Eisenbahn, aus Furcht vor einem Unfall; aber selbst bevor er sich in eine Droschke setzen will, überzeugt er sich auf’s Genaueste, ob die Pferde altersschwach und abgehetzt genug sind, um nicht mit ihm durchzugehen. Während der Fahrt unterläßt er es nicht, den Kutscher zu ermahnen, hübsch langsam zu fahren und die Gäule nicht zu reizen.

Seit einigen Monaten ist Rossini leidend und macht den Aerzten sehr viel zu schaffen, da er von Diät nicht reden hören mag. Er hat einstweilen, zum Bedauern der Pariser feinen Welt, seine Empfangsabende eingestellt; den Musen hat er jedoch nicht entsagt. Er componirt täglich mehrere Stunden. Seine Hervorbringungen werden von Madame Rossini sogleich unter sicheren Verschluß gebracht und sollen erst nach dem Ableben des Meisters in die Oeffentlichkeit gelangen.