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XLVIII.
23. September.
Thekla,
Jungfrau,


dem ersten christlichen Jahrhundert angehörig. Die größten Kirchenväter, z. B. Gregorius von Nyssa und Chrysostomus, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus u. s. w. rühmen und preißen Gott für das selige und heilige Beispiel, welches die heilige Jüngerin Pauli, Thekla, der Kirche hinterlaßen hat. Obwohl sie eigentlich nicht des Märtyrertodes gestorben ist, so wird sie dennoch von der griechischen Kirche, so wie von Isidor von Pelusium die erste Märtyrin genannt, weil sie nicht blos einmal, sondern mehrfach durch Leiden hindurch gegangen ist, die ohne besondere göttliche Verhinderung den Tod nothwendig hätten herbeiführen müßen. Zwar besitzen wir von ihr keine echten Märtyreracten; auch hat sich die Sage, ja die Fabel an den Namen und die Geschichte dieser Jüngerin so| vielfach angehängt, daß ihr Lebenslauf nicht klar und einfach genug vor unsern Augen ist; dennoch aber ist dasjenige, was Glauben verdient, und von alten Zeiten her verbürgt ist, so wunderbar und ungemein, daß es unser Erstaunen erregen und uns bemerklich machen kann, wie weit entfernt unser gewöhnliches armes Leben von dem Glanze und Schwunge der apostolischen Zeit ist.
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 Thekla, die Tochter angesehener und wohlhabender Eltern zu Ikonien, die Verlobte eines Jünglings, mit Namen Thamirus, wird von der Predigt des heiligen Paulus, da er in Ikonien war, dermaßen ergriffen, daß sie sich auf einmal von ihrem ganzen vorigen Leben geschieden erkennt und auf ganz anderen neuen Bahnen findet. Hingegeben der Liebe eines ewigen Bräutigams taugt sie, so wie sie geworden ist, für keinen irdischen Bräutigam mehr: was kann der heidnische Thamirus mit dieser Thekla anfangen, welcher eine ganz andere Welt aufgegangen ist, während diese Welt allen Reiz für sie verloren hat? Auch von den Eltern und von der gesammten Heimath findet sich Thekla geschieden: das Schwert und Feuer ist zwischen beide Theile getreten, welches Jesus Christus| in die Welt gebracht hat. Eine Umwandlung ist in ihr geschehen, welche sich nicht ungeschehen machen läßt, die Mittel elterlicher und verwandschaftlicher Überredung und versuchten Zwanges gleiten ab, wie ein schwanker Fuß vom glatten Eis. Thekla ist für diese Welt gestorben; die Ihrigen haben von ihr so wenig, als läge sie im Grabe, da sie ihr Leben nicht faßen können. Unaufhaltsam wandelt sie ihrem Lehrer Paulus nach. Ihr reichgebildeter, schon während ihrer heidnischen Jugend durch allerlei Wißenschaft für das Höchste vorbereitete Geist fand in den Worten des Apostels die Nahrung und das Leben, das ihr keine Philosophie der Griechen bieten konnte. Es mag um das Jahr 45 gewesen sein, da sie, ergriffen von dem ewigen Leben, alle Bande sprengte und dem aus ihrer Vaterstadt verjagten großen Lehrer Paulus nachfloh. Ihr Bräutigam ließ sie an allen Orten suchen, mußte sie aber auch dann für sich verloren geben, als er sie fand. Aus Rache soll er sie alsdann der verfolgenden Obrigkeit übergeben haben. Auf Befehl derselben wurde sie schändlich behandelt, im Amphitheater ihre leuchtende Schönheit dem ungezogenen Blicke der Heiden ausgesetzt; ihre Seele verhüllte sich mit der Liebe zu Jesu,| um Deßen willen ihr, die sich den jungfräulichen Stand erlesen hatte, gerade damit die allerempfindlichste Beschimpfung geschehen war. Man brachte sie mitten unter die wilden Thiere, unter Leoparden, Tiger und Löwen: mit einer Ungeduld, von der wir nichts wißen, die wir nicht faßen, die wir eher zu tadeln als zu loben geneigt sind, wartete sie auf den Augenblick, in welchem durch den Rachen und die Klauen der Bestien, deren Gebrüll den Schrecken der Anwesenden erregte, ihrer Seele die offene Pforte gemacht würde, durch welche sie zu Christo entfliehen könnte. Allein die brüllenden Thiere legten sich vor ihr nieder, leckten sanftmüthig ihre Füße und konnten durch keine Reizung dahingebracht werden, sich an der heiligen Jüngerin Jesu zu vergreifen. Man wollte sie verbrennen, aber die Flammen thaten ihr so wenig Leid, als die wilden Thiere; sie hätten sie, berichtet die alte Zeit, gleich kühlen Lüften angeweht, ein Regen habe sie ausgelöscht. Auch anderer Wunder viele, welche der HErr zu ihrer Rettung aus Gefahren gewirkt habe, werden erzählt, ohne daß wir zu unterscheiden vermögen, in welche Zeit des Lebens Thekla’s ein jedes gehört, oder an welchem Orte sie dies oder jenes zu leiden hatte.| Man warf sie in eine Höhle voller Schlangen; aber die Schlangen starben, statt sie zu beschädigen. Man band sie an wilde Ochsen, um sie in Stücken zu reißen; aber es zerrißen die Stricke. Man wurde endlich müde, der Unverletzlichen Gewalt anzuthun, und ließ sie gehen; sie aber, sagt man, beschor ihr Haupt, wie ein Mann, zog männliche Kleider an, wandelte Paulo nach und wurde von ihm gen Saleuria, der Hauptstadt von Isaurien gewiesen, wo sie ein stilles Leben führte, ein hohes Alter erreichte und ein seliges Ende. Auch ihr Ende ist nach vorhandenen Erzählungen und Sagen der Alten ein wunderbares gewesen.
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 An diesem Lebenslaufe ist alles was wir wißen, ungemein. Thekla und ihr Leben ist das helle Gegentheil Derjenigen, die nur immer fragen, wie weit sie mit der Welt gehen können. Von Christo ergriffen und in Sein Reich eingeführt, fand sie keine Brücke und keinen Steg mehr, um sich der Welt zu nahen. Die Welt war ihr gekreuzigt und sie der Welt. In unverletzlicher Treue ihrer Seele hieng sie dem himmlischen Bräutigam an, der HErr aber krönte ihre innere Unverletzlichkeit durch äußere. Sie stand unter einem starken Schutz. Kann man ihr nun nicht nachgehen,| nicht ähnlich werden durch äußeres Thun und Laßen, so kann man doch an ihrem Beispiel in scharfen Zügen ausgeprägt erkennen, was eine gottverlobte Seele sei, und ihre selige und lautere Entschiedenheit kann jede, die ihren Namen trägt, beschämen und ihr zeigen, was für ein Maß der Liebe, was für eine Flamme der Inbrunst denen allen gezieme, die Thekla, der ersten nach, Jüngerinnen Pauli und Bräute Jesu sein sollen und wollen.




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