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XXVIII.
2. Juni.
Blandina.


 Im Jahre 177 nach Christo entbrannte zu Lyon und Vienne eine heftige Christenverfolgung unter dem Kaiser Marcus Aurelius. Eine Beschreibung derselben findet sich in einem Briefe, welchen die dortige Gemeinde an die Christen der Provinz Asien und des Landes Phrygien über die Leidens- und Siegesgeschichte der Märtyrer erlaßen hat, die jenesmal unter ihnen zu ihres Herrn Freude eingegangen waren[.]

 Die Kirche von Lyon wurde damals von dem Bischof Pothimus regiert, dem zur Seite der Presbyter Irenäus, einer der leuchtendsten Sterne in der Kirchengeschichte, wirkte. Der Feder dieses letzteren schreibt man den herrlichen Brief zu, aus dem wir unsere Nachrichten haben. – Die Verfolgung war anfangs unordentlich, da sich der Pöbel mit blinder Wuth über die Christen warf und ihnen jede mögliche Art| der Schmach und der Leiden anthat. Als aber der Legat des Kaisers angekommen war, begann sich das Verfahren zu regeln. Man brachte die Christen zu Hauf vor Gericht. Der Richter aber kannte keine Schonung, und gieng so maßlos grausam gegen sie voran, daß ein edler Jüngling von untadeliger Tugend innerlich gedrungen wurde, sich zur öffentlichen Vertheidigung der Christen und ihres Wandels zu erbieten. Allein daran erkannte man nur seinen eigenen Sinn, und da er denselben auch keineswegs verleugnete, so reihte man ihn einfach, anstatt seine Vertheidigung zuzulaßen, unter die Schaar derer ein, welchen der Prozeß gemacht war. Der Schrecken, welchen die vor den Augen der Christen zurecht gelegten Marterwerkzeuge verbreitete, brachte eine Anzahl der Bekenner zum Abfall. Obwohl deren nur zehn waren, so fürchteten doch die treuen Jünger, daß sich noch andere möchten hinreißen laßen, den Weg des Verderbens zu gehen, und daß das gegebene Aergernis, namentlich auf die Schaar derer wirken könnte, die noch nicht in Verhaft waren. Die Besorgnis erwies sich jedoch zur Freude derer, die sie hegten als falsch; an der Stelle einer ferneren Verminderung der getreuen Zahl sah man| eine stattliche Vermehrung. Gleichzeitig wuchs jedoch die Wuth der Heiden, da Sclaven, die mit ihren christlichen Herren eingezogen worden waren, aus Furcht vor der Folter von den Christen die schändlichsten Dinge ausgesagt hatten, – daß sie Menschenfleisch äßen und Blutschande trieben und dergleichen. Besonders richtete sich die Wuth der Feinde gegen den Diakonus Sanctus aus Vienne, gegen Maturus, einen erst kürzlich getauften Jünger, gegen Malus von Pergamus, der allezeit eine Säule und Zierde der gallischen Gemeinden gewesen war, und gegen die arme Sclavin Blandina. Diese war sammt ihrer Herrin eingefangen worden, und letztere fürchtete sehr für die Treue ihrer Magd, da sie eines so schwächlichen Leibes und zärtlichen Wesens war, daß man ihr weder Kraft noch Muth zutrauen konnte, unter so großen Foltern und Qualen den Glauben zu bekennen. Aber gerade sie kämpfte den guten Kampf des Glaubens mit ausgezeichnetem Muthe und überwand mit einer so himmlischen Geduld, daß ihr Name bis auf diese Stunde in der Kirche Gottes mit Liebe und Bewunderung genannt wird. Vom Morgen bis zum Abend zerarbeiteten sich die Folterknechte an ihr, und während von den| Qualen auch jede einzelne hinreichend schien, eine so schwache Kraft zu brechen, wuchs der Dulderin unter den Qualen der Muth, und so oft sie wiederholte, was sie immer wieder zu sagen pflegte: „Ich bin eine Christin, unter uns wird nichts schändliches begangen,“ sah man sie neugestählt in ihren Leiden und Kämpfen stehen. Der Schmerz verlor durchs Bekenntnis offenbar den Stachel, und es schien, als dränge sie allmählich bis zu einer völligen Unempfindlichkeit der Peinigung hindurch.
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 Nicht mindere Glorie der Leiden umgab den Diakonus Sanctus. Nichts mehr wünschte die heidnische Rotte, als es dahin zu bringen, daß sich der Heilige durch die Hitze der Qualen zu ungeziemenden Worten verleiten ließe. Allein Sanctus hatte auf alle Fragen nur eine Antwort: „Ich bin ein Christ“; weiteres konnte aus ihm nicht herausgebracht werden, nicht einmal seinen Namen oder sein Vaterland nannte er. Sein Leib hatte durch die Foltern schier alle menschliche Gestalt verloren, aber die mächtige Seele in ihm hielt ihn aufrecht, auch da man anfieng alle, insonderheit die empfindlichsten Theile seines Leibes mit glühenden Platten zu belegen. In Folge der Qualen wurde| er über und über von Brand bedeckt, so daß man ihn ohne Schmerzen nirgends mehr berühren durfte. Da glaubten die Heiden durch Erneuerung der Qual und Oeffnung seiner Wunden ihn zur Lästerung des allerheiligsten Namens bringen zu können, und er wurde daher einige Tage nach den ersten Kämpfen zu neuen Martern geführt. Allein, so wie Sanctus wieder auf seinem Kampfplatze war, war er ein anderer Mann; seine Wunden schienen zu heilen und die Gnade Gottes kräftigte ihn also, daß er stärker wurde, als vorher. Ein ähnliches Wunder ereignete sich an einer bereits abgefallenen Frau, Namens Biblis, die man nun durch Foltern auch noch zur Verläumdung der Christen zwingen wollte. Ihre große Schwächlichkeit und Furchtsamkeit machte die Heiden voll Zuversicht, ihren Zweck zu erreichen. Aber umgekehrt; Biblis erwachte wie aus einem tiefen Schlafe, und anstatt nach geschehenem Abfall die früheren Glaubensgenoßen zu verleugnen und zu verleumden, wandte sie sich im Gegentheil ihnen wieder zu. Aus dem, was sie damals litt, machte sie den Schluß auf die Höllenqualen, die ihr des Abfalls wegen bevorstanden, klammerte sich daher aufs neue an die Gnade Gottes in Christo Jesu an| und bekannte den Namen des Gekreuzigten fortan ohne Furcht. „Wie sollten diejenigen kleine Kinder eßen, rief sie, denen ihre Religion sogar verbietet, das Blut der unvernünftigen Thiere zu genießen.“ (Apgesch. 15, 29.)
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 Als man hierauf die Märtyrer in einen ungesunden, finsteren Kerker brachte und ihre Füße bis zu dem fünften Loch in den Stock zwängte, gieng die Qual und der Aufenthalt vielen ans Leben, daß sie starben. Auch der mehr als 90 jährige Bischof Pothimus von Lyon wurde so schwach, daß er kaum mehr athmen konnte, aber die Sehnsucht, nicht in der Stille sterben zu müßen, sondern Christo lautes Zeugnis geben zu dürfen, stärkte ihn dennoch wunderbar, so daß er noch einmal, und zwar unter dem Toben einer blutdürstigen Schaar vor den Richter geführt werden, und unter schweren Leiden und großer Schmach dem Gekreuzigten die Ehre geben konnte. Man brachte ihn darauf in seinen Kerker zurück, wo er nach zweien Tagen seinen Geist aufgab. Im Kerker befanden sich auch viele, welche den Herrn verleugnet hatten, die man aber um deswillen nicht schonte, sondern sie als Menschen von völlig gleicher Gesinnung, wie die standhaften| Bekenner, nur aber mit größerer Verachtung und brennenderem Haß ansah, weil sie sich zu feig für die Leiden erwiesen hatten. Wie elend waren diese Menschen, die nun, innerlich voll Pein, nicht einmal die gehoffte äußerliche Schonung gefunden hatten, und durch die Ungerechten und Feinde sich nach ihrem eigenen Gewißen so bezahlt erkennen mußten, wie sie es verdient hatten. Wie glücklich dagegen waren die treuen Bekenner, die den reichsten innern Trost genoßen und dermaßen von Freuden und Wonne überschüttet wurden, daß sie bei einer jeden Hervorführung zur Oeffentlichkeit oder zur Qual wie strahlend erschienen, ihre Ketten und Banden wie Kränze und Blumengewinde trugen, und wenn auch kein Mitleid, so doch die Achtung ihrer grimmigen Verfolger fanden. Da konnte man mit Augen schauen, was für eine Gnade und seliges Glück es ist, Glauben und gutes Gewißen zu haben. Am Tage der, wie man glaubte letzten Martern derjenigen, von welchen wir so eben reden, also des Maturus und des Sanctus, der Blandina und des Attalus, erwies sich die Gnade Gottes besonders reich. Jetzt galt es nicht mehr allein die Bosheit der Feinde durch Geduld zu überwinden, sondern| die letzten Streiche im Kampf mit dem Erfolge zu thun, daß man den Kranz ergreifen könnte, und die Krone an sich ziehen, die sich bereits in nächster Nähe zeigte. Maturus und Sanctus ertrugen alle neu erfundene Pein und Qual in gewohnter Treue, bis endlich die schaulustige Menge ihrer überdrüßig wurde, und man ihnen die Kehlen durchschnitt. Blandina wurde an einen Pfahl gehängt und den wilden Thieren zur Speise gelaßen. Ihr Gebet, ihre Hoffnung, ihre Freudigkeit entzündete die Gläubigen und deren inneres Leben aufs neue. Alles sah mit Bewunderung auf die siegreiche Dulderin, selbst die Bosheit der Heiden und die Wuth der wilden Thiere wurde ihr gegenüber zu Schanden: die letzteren waren nicht dahin zu bringen, die Heilige zu berühren, so daß man sie aufs neue in den Kerker führte und ihr die Zeit ihres Kampfes und Sieges noch einmal hinausrückte. Auch der Krönungstag des Attalus schob sich hinaus. Da er ein römischer Bürger war, mußte solcher Fälle halber erst Anfrage geschehen. Während dieser Wartezeit benützten die Treuen in ihren Kerkern die edle Zeit aufs beste, nicht blos zu ihrer eigenen Stärkung, sondern auch zur Wiederaufrichtung mancher Gefallenen,| so daß, als endlich die kaiserliche Entscheidung kam, nach welcher die Getreuen mit dem Tode zu bestrafen waren, der Sieg und Triumph nur desto größer wurde, denn jetzt bekannten auch solche die verleugnet hatten, und blieben treu bis in den Tod. Wer ein römischer Bürger war, wurde enthauptet, die übrigen den Thieren vorgeworfen. So wurde denn am letzten Tage der Kampfspiele Blandina mit einem 15 jährigen Knaben, Ponticus, ins Amphitheater geführt. Der Knabe hielt unter den Ermahnungen und dem Zuspruch der frommen Blandina Treue und Bekenntnis bis zum Tode, und nachdem nun alle andern vorausgegangen waren, kam endlich auch Blandinas Siegesstunde. Sie ward gegeißelt, von wilden Thieren geschleift, auf den glühenden eisernen Stuhl gesetzt, in einem Netze von einer wilden Kuh hin und her geworfen, und zuletzt mit dem Schwerte getödet. So erwies sich also die Schwächste in einer Gesellschaft von Helden als die Stärkste und ertrug mit Freudigkeit und himmlischer Geduld einen Haufen Leiden, von denen jedes einzelne, wie schon gesagt, groß genug schien, sie zu opfern. – Die uralte getreue Nachricht, welche wir von diesen Kämpfen und Siegen besitzen, erwähnt eines| besondern Umstandes, nämlich, daß bei dem öffentlichen Auftritt der Kämpfer, welche doch auf Reinlichkeit und Pflege ihrer verwundeten Leiber so gar keine Kraft und Zeit mehr wenden durften, ein wunderbarer Wohlgeruch von ihnen ausgegangen sei. Dieser Wohlgeruch hat sich geistlich in alle nachfolgenden Zeiten verbreitet, so daß Blandina und ihre Freunde bei der ganzen Kirche noch heute im rosigsten Dufte des Andenkens und der Liebe stehen. Vergeßen, verachtet und verworfen sind diejenigen, welche sie gequält haben; dahin gefallen ist alle weltliche Größe ihrer Zeit, zu nichte geworden aller Widerstand ihrer Feinde: wer aber kann uns sagen und beschreiben, was der Herr seit dem Tage ihres Triumphes diesen Märtyrern zugelegt hat an Preis und Ehre und unvergänglichem Wesen: die Herrlichkeit ihrer Ewigkeit übertrifft auch alles Andenken und alle Liebe der streitenden Kirche auf Erden.




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