Romeo und Julia in der Garnison

Textdaten
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Autor: Karl Hecker
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Titel: Romeo und Julia in der Garnison
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25–26, S. 407–411, 427–430
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[407]

Romeo und Julia in der Garnison.

Aus den Memoiren eines Lieutenants.
Von Karl Hecker.
I.
„Komm mit und wir wollen’s kurz machen.“
      (Romeo und Julia II. Akt. 6. Sc.)


Nördlich von Verona irgendwo in deutschen Landen liegt die Stadt X.; wenn auch keine Festung ersten Ranges, ist es doch ein ansehnlicher Waffenplatz. Alles, womit man in Kriegszeiten den Feind schreckt, als da sind: Generale, Stabs-, Subalternofficiere und Gemeine, Kanonen, Gewehre und anderes Rüstzeug, ist in Massen dort angehäuft. Zur Zeit, als ich mich noch selbst zu jenen Schrecknissen zählte, war die Garnison noch mehrere tausend Mann stark, und daneben fristete noch ein Häuflein Beamte und Bürger sein wenig bemerktes Dasein. Die Wohnungsgelegenheiten ließen damals Manches zu wünschen; weitaus am besten waren die Kanonen und Gewehre daran, welche ein großes massives Zeughaus mit im Renaissancestil gehaltener Façade bewohnten. Sonst behalf man sich so gut es eben ging, denn man war damals noch nicht so anspruchsvoll wie heute. Ueberdies war die Stadt auf allen Seiten von prächtigen Lindenalleen umgeben, was den Aufenthalt im Freien [in] der guten Jahreszeit sehr angenehm machte.

Leider muß [ich] hier meine Schilderung abbrechen und auf das lokale Kol[orit,] dem manche neuere Romane gerade ihre Berühmtheit verdanken, Verzicht leisten. Eines Dichterdenkmals darf ich jedoch nicht vergessen, denn ich habe den Sänger des Tell – er hat bessere – oft im Stillen darum beneidet. Ja, sollte es mir vom Schicksal bestimmt sein, daß ich mich je wieder dauernd in X. aufhalte, so wär’ mir’s gleichfalls am liebsten, wenn dies in Erz oder in karrarischem Marmor geschähe.

Ein Dragoner- und ein Ulanenregiment waren die vornehmsten Truppentheile der Garnison; sie hatten beide fürstliche Chefs und zählten sich daher so halb und halb zur Garde; Gut und Blut des Landes waren ist beiden gleichmäßig vertreten. Gerade diese beiden Regimenter trennte jedoch ein unheilbarer, über ein Jahrhundert alter, sozusagen historischer Zwiespalt. Sie hatten einmal, ich weiß nicht mehr in welcher Schlacht Friedrich’s des Großen, vereinigt eine kühne Attake auf den Feind geritten, welche dieser mit empfindlichen Verlusten zurückwies. Wer die Schuld daran trug, blieb unaufgeklärt, doch wurde sie von jedem der beiden bis dahin stets siegreichen Regimenter dem andern zugeschoben, die Quelle jenes traditionellen Hasses, der sich seitdem von Geschlecht [408] zu Geschlecht forterbte. Dienstlich war der gegenseitige Wetteifer zwar von den besten Erfolgen begleitet, anders stand es jedoch außer Dienst. Begegnungen, welche die geringe räumliche Ausdehnung der Stadt unvermeidlich machte, führten manchmal zu blutigen Raufereien unter den Gemeinen. Bei Bällen und Gesellschäften beanspruchten beide Officierkorps den Vortanz, und war man auch nothgedrungen zu einer Verabredung über die abwechselnde Ausübung dieser Prärogative gelangt, immer wieder gab es Einzelne, die sich daran nicht kehrten. Besonders schroff trat der Zwiespalt in Sachen des Geschmacks und der Mode zu Tage. Trugen zum Beispiel die Ulanen ihre Mützen nach hinten umgestülpt, schief auf dem Ohre, so konnte man sicher sein, die Dragoner mit hochaufgerichteter, schnurgerade sitzender Kopfbedeckung einherwandeln zu sehen, und fanden es diese dem hohen Stande militärischer Bildung entsprechend, das oberste Knopfloch am Ueberrocke uneingeknöpft zu lassen, gleich knöpften die Ulanen das unterste auf und behaupteten, hieran den Maßstab zeitgenössischer Kultur zu erkennen.

Da nun jedes der beiden Regimenter wieder seinen Anhang hatte, so entstand dadurch eine heillose Begriffsverwirrung, und der Riß, der die beiden Korps trennte, ging manchmal mitten durch die Garnison.

Keine vorgesetzte Behörde hatte bisher etwas dagegen vermocht. Nur zwei- bis dreimal im Jahre kam es zu einer Art Waffenstillstand, nämlich, wenn der gemeinsame Divisions- oder Brigadekommandeur Besichtigung abhielt, wobei sich der Mützensitz genau nach den bestehenden Vorschriften zu richten hatte und auch bezüglich der Knopflöcher eine wohlthuende Gleichförmigkeit herrschte. Diese Besichtigungen schloß gewöhnlich ein gemeinsames Liebesmahl, dem die Generale beiwohnten, und wobei es an den üblichen Toasten auf Korpsgeist und Kameradschaft nicht fehlte. Dazu schmetterten die vereinigten Trompeterkorps ihre betäubendsten Fanfaren, die Kommandeurs schüttelten sich die Hände und die Lieutenants tranken sich große Quantitäten erbfeindlichen Getränks aus einem silbernen Pokale zu, dessen prompte Leerung mit technischen Schwierigkeiten verknüpft war.

Allein etwas mehr oder weniger Lob bei der vorhergegangenen Kritik gespendet, etwas mehr oder weniger Sekt, der in dem Pokal zurückgeblieben, genügte, schon andern Tags den alten Streit zu neuen Flammen anzufachen und die Nothbrücke, welche des Generals Anwesenheit über den Abgrund geschlagen, bis zu dessen nächstem Besuche wieder abzubrechen.

Wie die Männer, so die Frauen. Jedes Regiment bildete in sich eine geschlossene Familie und die Zugehörigkeit wurde im Gespräche durch Vorsetzen des Wörtchens „unser“ vor Alles, was in dem Verbande stand, betont. So zum Beispiel sagten die Damen: „Unsere Rittmeister sind sehr angestrengt“ – „Unsere Lieutenants haben sich die Magen verdorben“ – „Unser kleiner Fähnrich tanzt Sechsschritt“, und ebenso ungenirt bedienten sich die Herren des persönlichen Fürworts, wenn von den Damen die Rede war, was hier nicht mit Beispielen belegt werden soll. Blieb sich nun auch der männliche Effektivbestand, wie ihn der Etat vorschreibt, allezeit ziemlich gleich, so war doch der weibliche manchen Schwankungen unterworfen, es dienten oft bei einem Regimente mehr Familienväter, beim andern mehr Junggesellen, und auf ein Dutzend kourfähiger Damen auf der einen Seite kam oft nur ein Paar auf der andern. Während dieses Paar sich nun von einem ganzen Schwarm huldigender Lieutenants umworben sah, mußten sich jene zwölf mit drei bis vieren von der Sorte begnügen und blieben daher beim Tanze häufig sitzen, wenn sich die anderen fast die Schwindsucht an den Hals rasten.

Es konnten auch die geselligen Elemente in beiden Officierkorps ungleich vertheilt sein, sodaß sich die Lieutenants des einen als düstere Misanthropen in den Saalecken herumdrückten oder gar – dies freilich selten ohne die verdiente Enttäuschung – gastronomischen Studien oblagen, indessen die des andern sich wie trainirte Rennpferde geberdeten. Eine streuge Disciplin konnte da Hilfe schaffen. Hatten aber die Grazien gar ihr Füllhorn einseitig über das „Ewig Weibliche“ ausgeschüttet, so ergaben sich Situationen, die nach einem Tragödiendichter schrieen.

Eine solche war eingetreten zu Anfang des Jahres Achtzehnhundertund – es war der letzte Wille des längst verschiedenen Freundes, dessen Nachlaß ich diese Aufzeichnungen verdanke, daß das genauere Datum verschwiegen bleibe. Damals also stand die weibliche Flora des Ulanenregiments in geradezu überraschender Blüthenfülle, während sie bei den Dragonern einen entschieden herbstlichen Charakter trug. Dagegen war der jüngste Nachwuchs tanzender Lieutenants, der bei jenem Vieles zu wünschen ließ, bei diesen ganz vorzüglich gerathen, namentlich aber verfügte das Dragonerregiment über einen Officier von so vielseitigem gesellschaftlichen Talente, daß er, selbst vom Feinde anerkannt, als eine erste Kraft, als der maître de plaisir der Garnison galt. Es war dies der Lieutenant von Sternau.

Schlank, blond, mit veilchenblauen Augen, entbehrte Herr von Sternau äußerlich nur einer derjenigen Eigenschaften, welcher der Lieutenant im Kampfe ums Weiberherz, dieser für ihn so wichtigen Episode des Kampfes ums Dasein, bedarf, allerdings einer der wirksamsten, nämlich des Schnurrbarts. Doch war es nicht der Geiz der Natur, der ihn dieser Zierde beraubte, nein, er selbst hatte sie geopfert auf dem Altar der Kunst. Der Drang zur Kunst war ein Erbtheil aller Sternaus, und einige Vorfahren hatten ihm nicht nur ihre Schnurrbärte, sondern auch den größten Theil ihrer beweglichen Habe geopfert, sodaß auf unsern Helden nicht viel mehr, als gerade dies Erbstück kam. Wie aber wußte er es zu nützen! Die Idee des universellen, alle bisher isolirten Gattungen in sich vereinigenden Kunstwerks war ihm schon aufgegangen zu einer Zeit, da man von Richard Wagner kaum sprach, und mit diesem Meister theilte er die Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, die rastlose, durch nichts zu beirrende, alle Hindernisse besiegende Energie. Schauspieler, Dichter und lustige Person in einer verschmelzend, war er des Erfolges im Voraus sicher. Die Aufführungen, die er veranstaltete, erfreuten sich daher auch eines Rufs weit über die Grenzen der Garnison hinaus und erregten den Neid der selbstverständlich davon ausgeschlossenen Ulanenfamilie.

Aber auch ein leicht entzündbares Künstlerherz schlug in seiner Brust. Seine Verehrung des andern Geschlechts hatte einen großen Zug; unabhängig von dem wechselnden Naturspiele der Haar- und Augenfarbe, entsprang sie eben jenem allgemeineren Drange zum Schönen, und er liebte es, ihr in schwungvoller Rede Ausdruck zu geben. Dafür fehlte nun leider seiner Umgebung das Verständniß, und die Kameraden nannten ihn scherzend den Romeo.

Der Rosalinden, für welche dieser Romeo geschwärmt, waren es verschiedene, keine hatte seine Gluth getheilt, ja, wenn man den bösen Zungen glauben durfte, hatte er sich zu den vielen Lorbeeren seiner Stellung auch bereits einen und den andern Korb geholt.

Sternau war, wie schon bemerkt, nicht mit Glücksgütern gesegnet. Die Familie besaß zwar ein Rittergut und er konnte mit vollem Recht zu seiner Zukünftigen sagen: „Komm auf mein Schloß mit mir!“ was er natürlich unter allen Umständen gesungen hätte. Doch würde ihn die Annahme der Einladung in Verlegenheit gebracht haben, denn die Zahl derer, mit denen er sich in den werthvollen Besitz theilte, war so groß, daß auf ihn selbst nur ein Paar Kämmerlein in höchster Lage mit allerdings vortrefflicher Aussicht kamen.

Nicht seine Mittellosigkeit war es jedoch – wo hätte die je eines Lieutenants Siegerschritt gehemmt! – die seinem Glück bei den Frauen im Weg stand, vielmehr gerade die bevorzugte Stellung, welche er ihnen gegenüber einnahm. Keiner stand mit ihnen auf so vertrautem Fuß wie er; die Mütter verhätschelten ihn und die Töchter versicherten ihm bei jeder Gelegenheit: „Das haben Sie reizend gemacht, lieber Sternau, es war ganz entzückend, zum Todtlachen, wir haben uns göttlich amüsirt!“ und was dergleichen Redensarten mehr sind. Er war ihnen unentbehrlich, aber eben weil er vor ihnen allen der Reihe nach auf den Brettern schon gekniet, hatten sie sich gewöhnt, seine Gefühlsergüsse auch im Leben für nichts Anderes als besonders gelungene Kunstleistungen zu nehmen. Ihn heirathen wäre ein Raub an der Gesellschaft gewesen, dessen sich keine schuldig machen wollte.

Weibliche Vertraulichkeit, wenn sie eine gewisse Grenze überschreitet, ohne sich zur Liebe zu entwickeln, ist immer ein zweifelhaftes Geschenk, geradezu eine Beleidigung aber, wenn ihr Gegenstand ein Lieutenant ist. Kann man sich etwas Ungereimteres denken, als wenn Tiger und Gazelle, Wolf und Lamm, Lunte und Pulverfaß ein Bündniß schlössen, sie wollten sich in Freundschaft harmlos mit einander vertragen?

[410] Dieses Widersinnige seiner Stellung empfand auch Sternau, und wenn er es, wie die Dinge augenblicklich bei seinem Regiment lagen, weniger schmerzlich empfand, so gewährte ihm andererseits auch seine Kunst nicht mehr die frühere Befriedigung. Sein Personal war zusammengeschrumpft in jeder Beziehung, die besten Kräfte hatten sich anderwärts mit lebenslänglichen Kontrakten gebunden; die jugendliche Liebhaberin war für ihre Rolle nicht gewachsen, das Fach der Naiven ganz unbesetzt. Keiner empfand die Trostlosigkeit der Lage so tief wie Herr von Sternau.

Wie anders war es, wenn er den Blick nach jener Seite richtete, wo die leider verbotenen Früchte so verlockend über die Schranken des Paradieses herüber nickten, vor dessen Pforten die Engel der Thorheit und des Vorurtheils mit blitzenden Flammenschwertern Wache hielten! Was mußte mit solchen Kräften zu leisten sein! Der Mensch und der Künstler in ihm sehnten sich gleich stark dort hinüber.

Solches Sehnen war freilich der reine Hochverrath und Sternau hütete sich wohl, seine geheimen Gedanken im Kreise der Kameraden laut werden zu lassen; nein, da schürte auch er den Familienhaß um so eifriger, je mehr sich sein schwaches Herz zur Liebe geneigt fühlte. Denn es war nicht beim Gedanken geblieben, er hatte sich seiner Richtung folgend schüchtern erst und vorwurfsvoll, aber in immer engeren Kreisen bis dicht an jene Schranken herangeschlichen und zwar an einer Stelle, wo sie in Gestalt eines zierlichen Gitters den Garten des Ulanen-Kommandeurs, des Obersten von Helmkron, umschlossen. Dort stand an vorspringender Ecke ein Kiosk und in diesem ein Tisch und eine Bank, und auf der Bank saß, seit die Abende milder wurden, nicht selten eine allerliebste junge Dame, gewöhnlich mit einem Buch und einer Handarbeit, meistens aber über beide hinweg sehnenden Blickes nach Süden schauend.

Diese Augen, die so weltvergessen „das Land der Griechen mit der Seele suchten“, hatten’s ihm angethan. Nun darf zwar nicht verschwiegen werden, daß dieselben, als sie auf ihrer Reise ins Land der Ideale zuerst einem so realen Hinderniß, wie es ein Dragonerlieutenant immerhin ist, begegneten, sich sofort abwandten, ihre Besitzerin aber erröthend unter Mitnahme von Buch und Handarbeit den Platz verließ. Allein sie erschien doch am nächsten Tage wieder, und nach der dritten Begegnung hatte der Rückzug schon den Charakter der Panik verloren, nach der vierten erfolgte er mit Zurücklassung des Gepäcks, nämlich des Buchs und der Handarbeit. Unser Held machte von dem Recht des Siegers Gebrauch und es gelang ihm, indem er seinen Arm zwischen den Gitterstäben durchzwängte, von der Handarbeit zwar nur ein Flöckchen Seide zu erwischen, das er sofort an seinem Herzen barg, dagegen das Buch ganz ins Bereich seines Sehvermögens zu rücken.

Es war ein Band von Shakespeare, die aufgeschlagene Stelle der zweiten Scene des zweiten Aktes von „Romeo und Julia“, wo Julia am Fenster dem im Garten lauschenden Romeo ihre Liebe verräth.

„O Romeo! warum denn Romeo?
Verleugne Deinen Vater, Deinen Namen;
Willst Du das nicht, schwör’ Dich zu meinem Liebsten,
Und ich bin länger keine Capulet!“

War das Zufall oder Absicht? Unser Romeo hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken; ein Geräusch von Schritten veranlaßte ihn, das Buch eiligst an die alte Stelle zurück zu schieben und sich hochklopfenden Herzens einige Schritte vom Schauplatz seines Frevels zu entfernen. Hier ward er der unfreiwillige Zeuge folgenden Gesprächs, das sich zwischen dem Obersten von Helmkron und seiner Gattin entspann: „Aber, bester Schatz, zur Liebe kann ich sie nun doch einmal nicht zwingen, wenn ihr der Hagedorn nicht gefällt.“

„Was hast Du an ihm auszusetzen? Ist er nicht ein pflichttreuer Officier, in seinem Fach erfahren wie wenige? Hast Du mir nicht oft selbst seine große Gewandtheit in der Behandlung von Pferden gerühmt?“

„Gewiß, die bestreitet ihm Niemand, aber zwischen Pferden, Schatz, und –“

„Und Menschen ist ein Unterschied. Das wußte ich, ehe ich das Glück hatte, die Gattin eines Kavallerie-Obersten zu werden.“

„Nicht so heftig, Sophiechen, Du hast doch gewiß keinen Grund, Dich über Dein Schicksal zu beklagen.“

„Nicht? Ich entschließe mich, nicht ohne Bedenken darf ich sagen, ein lange treu bewahrtes Gelübde zu brechen, meine Freiheit, einen geachteten, ja berühmten Namen zu opfern, einen Wohlthätigkeitssinn, ein Beglückungsbednrfniß, das außerdem der ganzen leidenden Menschheit zugute gekommen wäre, auf den engen Raum einer kleinen Familie zu beschränken, und mein erster Schritt, hier Gutes zu wirken, stößt auf den Widerstand einer eigensinnigen Stieftochter, mit dem sich die Schwäche des Vaters verbündet.“

„Du thust mir Unrecht, liebe Sophie. Ich geb’s ja zu, Hagedorn ist ein tüchtiger Officier, ein ehrenwerther Charakter, obwohl mir sein hitziges Temperament, seine Rauflust schon manche Unannehmlichkeit bereitet haben.“

„Das sind Eigenschaften des Blutes, Fehler, wenn Du so willst, die sich in der Ehe am leichtesten verbessern. Er entstammt einem ritterlichen Geschlecht, meinem eigenen nahe verwandt. Aber nicht dies, sondern ganz allein die Sorge für Juliens Glück hat meinen Blick auf ihn gelenkt. Die Auswahl ist hier wahrhaftig nicht groß, Julie in den Jahren, wo man an Vermählung denkt. Giebt es eine passendere Partie für sie, als Herr von Hagedorn, ein hübscher Mann, ein vornehmer, begüterter Mann, der nächste am Rittmeister? Was hat sie gegen ihn einzuwenden?“

„Weiß ich das, Sophie? Aber laß ihr nur Zeit, sie ist ja noch jung, hat noch so wenig mit Männern verkehrt. Mag er selbst doch das Eis brechen, an Gelegenheit fehlt’s ihm ja nicht und meine Zustimmung ist ihm gewiß.“

„Es ist nicht Abneigung, was sie so spröde gegen ihn macht, sondern der pure Eigensinn, den sie stets allen meinen Wünschen entgegensetzt und der auf die Dauer meine mütterliche Autorität gefährdet. Eben deßhalb muß ich auf Deine energische Unterstützung rechnen.“

„Was in meiner Kraft steht, soll in der Sache geschehen, das versprech’ ich Dir. Horch, Sophiechen, da ruft uns der kleine Hans!“

Mit hörbarer Erleichterung sprach der tapfere Oberst diese Worte, zu denen ihm ein heftiges Kindergeschrei vom Haus her die willkommene Veranlassung bot.

„Möge sein Ruf Dich Deiner Pflicht gemahnen!“ erwiderte ihm die Gattin.

Das waren die letzten Worte, die der Lieutenant vernahm; die Stimmen verklangen, das Geräusch der Schritte entfernte sich rasch und so that auch Herr von Sternau. Aber je weiter er sich von dem gefährlichen Ort entfernte, um so langsamer wurde sein Gang, um so nachdenklicher seine Haltung. So, ganz Romeo, umwandelte er dreimal den lindenbepflanzten Stadtwall, wo ein nachdenklicher Lieutenant immerhin einiges Aufsehen erregte.

„He Romeo, wohin? Für welche Spröde schwärmst Du schon wieder? Komm mit und laß Dir die Grillen in lustiger Gesellschaft austreiben!“ riefen ihn einige des Weges kommende Kameraden an. Er entschuldigte sich mit Unwohlsein, aber sie glaubten’s ihm nicht, daß er den Abend zu Hause bleiben und Thee trinken werde.

Doch blieb er wirklich zu Hause, trank Thee, sehr starken Thee und besonders wohl war’s ihm auch nicht bei der Beschäftigung, der er sich hingab und die darin bestand, daß er die Rückseiten von Verlobüngs- und Beerdigungsanzeigen mit einem Chaos verworrener Schriftzeichen bekritzelte. Allmählich schälte sich jedoch aus diesem Chaos ein Gebild hervor, und als Fräulein von Helmkron am nächsten Tag wieder ihr Lieblingsplätzchen im Garten aufsuchte, fand sie dort ein artig zusammengefaltetes Papier und darauf die folgenden Verse:

 „An Julia!
Trennten Berge uns und Schluchten,
Nicht verzagt’ ich theures Kind;
Aber daß es die verfluchten
Kleinen Vorurtheile sind! –
Schied ein Meer uns von einander
Sturmbewegt und abgrundtief,
Ich durchschwämm’ es wie Leander,
Da ihn Hero’s Fackel rief!

Aber daß zu Deinen Füßen
Ich nicht stürze, wie mich’s drängt,
Daß mein Mund nicht an dem süßen
Wonnequell des Deinen hängt,
Daß, die düstre Nacht zu hellen,
Mir nicht strahlt Dein holder Blick,
Alpen nicht, noch Dardanellen
Dank ich solches Mißgeschick.

Maulwurfshügel, seichte Pfützen,
Wahn, zur Satzung aufgebläht,
Sind die Schranken, die Dich schützen,
Die ein freier Sinn verschmäht.
Julia, Julia, laß Dich sprechen,
Gieb ein Zeichen, wann und wo;
Sind die Schranken nicht zu brechen,
Bricht mein Herz!
 Dein Romeo.“

[411] Verse müssen schon ungewöhnlich schlecht sein, was man von den vorstehenden hoffentlich nicht behaupten wird, sollten sie, im richtigen Moment an den Mann, vielmehr an die Frau gebracht, ihre Wirkung verfehlen. Julia von Helmkron, welche außer den schon erwähnten Augen einen anmuthigen Blondkopf auf schlankem, wohlgebildetem Körper besaß, war nur vier Jahre älter als ihre Namensschwester in Verona, also achtzehn Jahre alt, sie hatte unlängst erst ein größeres Mädchenpensionat verlassen und war daher für die Poesie des Lebens besonders empfänglich. Die Prosa war in Gestalt einer Stiefmutter an sie herangetreten und bereits hatte sie sich in die Zärtlichkeit ihres Vaters mit einem kleinen Brüderchen zu theilen. Dies und die Oede des geselligen Lebens in X., deren Gründe sie wohl kannte, aber keineswegs billigte, stimmte sie oft recht traurig.

Die zweite Frau von Helmkron, während ihres Jungfernstands eine geschworene Feindin der Ehe, kannte, seitdem sie sich zu ihr, als einer letzten Verjüngungsgelegenheit entschlossen, kein größeres Vergnügen, als das, andere möglichst rasch unter die Haube zu bringen. Der Tochter gegenüber wurde das Vergnügen zur Pflicht. Da sie aber auch eine herrschsüchtige Frau war, die über die Damen des Regiments ihr Scepter so schneidig schwang, wie der Oberst, ihr Gatte, über die Herren, so suchte sie den Schwiegersohn möglichst im Bereich dieses Scepters und fand ihn.

Der Lieutenant von Hagedorn, ein entfernter Verwandter ihrer Familie, genoß als kühner Reiter und Pferdekenner eines bedeutenden Ansehens im Regiment. Keiner verstand es, wie er, die Natur zu korrigiren und die scheinbar mißgestaltetsten ihrer Geschöpfe durch Pflege und Dressur zu wahren Prachtexemplaren der Gattung umzuschaffen, als welche er sie großmüthig den jüngeren Kameraden abtrat. Er leitete auch den Fechtunterricht, seine Quarten galten als unfehlbar und in den Händeln mit den Dragonern hatte er schon wiederholt blutigen Gebrauch davon gemacht. Dies, seine gewaltigen Stimmmittel und eine ebenso große als ausdauernde Vorliebe für die Freuden der Tafel erhoben ihn zum bewunderten Führer der ledigen Jugend. Hatte er sich zur Aufgabe dieser Führerschaft nur schwer entschlossen, indem er auf die Pläne seiner Kousine einging, so hielt er es nun für Ehrensache, das begonnene Unternehmen siegreich durchzuführen, und trotz Julias Zurückhaltung, die er für weibliche Schüchternheit hielt, zweifelte er nicht einen Augenblick an dem Erfolg. Er war ein stattlicher Mann, das gerade Gegentheil von Sternau, ein Hüne von Gestalt mit gebräuntem Gesicht, dunklem Haar und mächtigem dolchscharf gespitzten Schnurrbart. Zu dem Seelengemälde jedoch, das sich Julia von ihrem Ritter entworfen, paßte er nicht und nur mit Widerwillen konnte sie an eine Verbindung mit ihm denken. Allein vergebens suchte sie den Anspielungen der Stiefmutter, denen sich bald auch die Ermahnungen des Vaters beigesellten, auszuweichen. Nach solchen Auftritten flüchtete sie in den Garten und blickte so sehnsüchtig nach Süden, als müßte ihr von dort ein Retter kommen.

„Wohnt denn kein Mitleid in den Wolken droben?“

Ach, der Frühling kam ja von dort und in den Damenkreisen des Regiments stand es bereits fest, daß er mit dem großen Avancement, das Hagedorn zum Rittmeister beförderte, der Welt auch dessen Verlobungsanzeige bringen werde.

Arme Julia! Da plötzlich tauchte Sternau in ihrem Gesichtskreis auf, und seine Erscheinung berührte sie gleich das erste Mal angenehm. Als sie nun aber hörte, daß man ihn im Freundeskreis, wenn auch nur scherzend, den Romeo nenne, da fühlte sie sich wundersam berührt. Sie nahm aus dem Bücherschrank ihres Papas den betreffenden Band der Werke des großen Briten, las die tragische Geschichte des berühmten Liebespaares unter Thränen durch und ließ das Buch – ob aus Zufall oder Absicht, wer wagte das zu entscheiden? – auf dem Gartentisch liegen. Und eben daselbst fand Sternau als Antwort auf sein feuriges Poëm eine frisch duftende Rose, die er entzückt und begeistert an die Lippen preßte.

[427] Der Karneval ging seinem Ende entgegen, ohne daß es die Gesellschaft in X. bei der in ihr herrschenden Spaltung zu einer größeren Festlichkeit gebracht hätte. Da trat ein Ereigniß ein, das wie ein Blitzstrahl auf die stagnirenden Gewässer eines Sumpfes wirkte. Ein Prinz hatte ganz unvermuthet das Kommando der beiden Regimenter übernommen, und seine erste Amtsthätigkeit war die telegraphische Ankündigung seines Besuchs behufs näherer Bekanntschaft auf dem Weg einer Besichtigung. Noch am gleichen Abend, da die Botschaft eintraf, ward zwischen den beiden Officierkorps der übliche Waffenstillstand geschlossen und andern Morgens hielten auch schon die Damen gemeinsamen Rath, was ihrerseits zur Verherrlichung des erlauchten Gasts zu geschehen habe. Auch hier ward nach lebhafter Debatte eine Einigung erzielt und die Veranstaltung eines kostümirten Balls zum Beschluß erhoben. Dem sofort gebildeten engeren Fest-Komité trat auf allgemeinen Wunsch Sternau, der Unentbehrliche, als einziges männliches Mitglied bei. So war denn ganz von selbst die verhaßte Schranke gefallen, auch Julia saß im Komité, das nun bei der Dringlichkeit des Gegenstandes von früh bis spät in die Nacht hinein tagte.

Sternau befand sich hier in seinem Element, aber niemals noch hatte man ihn sich einer Sache mit solchem Feuer, solcher Hingebung annehmen sehen. Ein Menuet von Rittern und Edelfräulein und ein türkischer Tanz sollten die Glanzpunkte des Festes bilden, Christen und Türken sich zum Schluß in einer malerischen Gruppe vereinigen, welche symbolisch auf die Kriegslorbeern eines Vorfahrs des Gefeierten anspielte.

Die Rollen wurden vertheilt, Sternau bat für das Menuet um Julia’s Hand, die ihm von der Eigenthümerin freudigst gewährt, von den übrigen trotz einigen Nasenrümpfens Dank seiner Unentbehrlichkeit nicht bestritten wurde. So mußte sich Herr von Hagedorn wohl oder übel – er ließ es an Protesten nicht fehlen – mit dem Rang eines Paschas von mehreren Roßschweifen abfinden lassen. Auch der ganz unberechtigte Widerstand, den einige Damen dem Schleier der Türkin entgegensetzten, ward glücklich gehoben und die Proben begannen.

Wer schon dabei gewesen, wird es bezeugen, wie in diesen der Hauptreiz für alle Betheiligten liegt, welcher darin besteht, daß der gemeinsame künstlerische Zweck auch dem gegenseitigen Verkehr eine gewisse künstlerische Freiheit verleiht und das sonst übliche Ceremoniell aufhebt. Wenn dies für alle gilt, mögen sie sich im Leben noch so fern stehen, wie viel mehr für die beiden Hauptpersonen dieser Erzählung, deren Herzen doch bereits ein geheimes Band umschlang. Wohl brannte Herr von Hagedorn vor innrer Wuth, wenn er Sternau, den Montague, den Windhund, der ihm seines schöngeistigen Wesens halber von der ganzen Familie der verhaßteste war, seine künftige Braut, wie er meinte, umtänzeln und mit seinem faden Geschwätz ennuyiren sah, während er selbst an eine ältliche Türkin von der andern Seite gebunden war. Allein, ob er gleich bittere Rache brütete, mußte er sich doch für den Augenblick zur Geduld zwingen. Sternau war nun einmal der Leiter des Spiels, alle fügten sich seinen Anordnungen, und überdies hatte der Regimentskommandeur im Hinblick auf den erwarteten hohen Besuch das ganze Officierkorps und den Lieutenant von Hagedorn insbesondere unter Androhung strengster Strafe zu einem friedfertigen und einträchtigen Betragen gegenüber den Dragonerkameraden ermahnt.

Herr von Helmkron verstand keinen Spaß in solchen Dingen, das wußte Hagedorn, und darum wagte er es auch nicht, das Glück der beiden Liebenden durch eine offene Feindseligkeit zu stören, und für diese wurden die Tage vor dem Fest zu einer Probezeit in des Worts tieferer Bedeutung.

Ja sie schien ihnen fast zu kurz, denn noch ehe die Mannschaften über die unzähligen Ziffern und Punkte des Erlasses, der ihr Verhalten regeln sollte, genügend instruirt, ehe sämmtliche Tänzer und Tänzerinnen ganz taktfest waren, traf auch schon Seine Hoheit ein und geruhte in feierlicher Audienz, die ihr von den beiden Kommandeurs nebst Gattinnen angebotene Einladung zum Ballfest auf den nächsten Abend gnädigst anzunehmen. Ein Glück war’s, daß Romeo und Julia bis dahin alle Hände voll zu thun hatten, so daß ihnen keine Zeit zum Nachdenken blieb, wie sich ihr Geschick wohl vollenden werde, wenn nach gelungenem Fest der Waffenstillstand ablief und die Feindseligkeiten wieder begannen. Der von den Sternen so auffallend begünstigte Anfang ihres Unternehmens ließ sie dessen Schwierigkeiten vergessen und blind dem Glück vertrauen, dessen Unzuverlässigkeit ihnen doch gerade das traurige Ende jenes Liebespaars nahelegen mußte, das sie sich zum ominösen Vorbild erkoren hatten. – –


II.

Schneeflocken wirbelten, der Winter hatte sich plötzlich auf seine lang vernachlässigte Pflicht besonnen. Stimmte ihn die Ankunft des Prinzen so diensteifrig? Fürchtete er vielleicht, ein höheres Kommando könnte nächstens einmal ebenso überraschend die Jahreszeiten besichtigen? – Die Vorderseite des Gesellschaftshauses in X. war mit den Fahnen aller Nationen geschmückt und darunter stand, mehr durch die Empfindung der Kälte, als den Mangel an Raum zusammengedrängt, die neugierige Menge derer, welche in X. sonst nicht unter den Fahnen standen, denn die Truppen waren der Ordnung wegen in den Kasernen konsignirt. Wagen um Wagen rollte über den knarrenden Schnee und entledigte sich vor dem Portal, das zwei bärtige Landsknechte bewachten, seiner kostbaren Fracht. Dicke Mäntel und Pelze verhüllten die Gestalten, nur zwischendurch glitzerte hier und dort ein Stück Goldborde oder ein Ordensstern, wie die glühende Lava durch die Ritzen eines geborstenen Vulkans, und wer in die Herzen hätte sehen können, würde wohl auch da etwas von der in solchen Feuerbergen herrschenden Gährung bemerkt haben. Im großen Saal, zu dessen Dekoration Zeug- und Treibhaus ihre Trophäen geliefert hatten, wogte es von Rittern und Türken, Odalisken und Edelfräulein; Sternau schärfte ihnen allen mit lebhaftem Geberdespiel nochmals ihre Rollen ein. An der Thür standen die beiden Kommandeusen gleichfalls im Kostüm und am Fuß der Treppe die Kommandeurs in Uniform, des erlauchten Gasts harrend. Jetzt erschollen gedämpfte Hochrufe auf der Straße, plötzliche athemlose Stille herrschte im Saal, dann folgte eine tiefe, allgemeine Verbeugung. Er war da!

Von den beiden Obristinnen umrahmt, deren Gatten ehrerbietig etwas zurückstanden, nahm der Prinz auf der teppichbehängten Estrade Platz; sofort setzte die Musik ein und das Menuet begann.

Es würde diese wahrhafte Geschichte ungebührend verlängern, wollte ich mich auf eine Schilderung des nun folgenden Schauspiels einlassen, ich begnüge mich daher, zu sagen, daß es dem künstlerischen Ruf des Helden alle Ehre machte. Der Prinz war von allem, namentlich aber von der Schlußapotheose, deren Symbolik ein von Sternau verfaßtes und von Julia gesprochenes Gedicht erläuterte, höchlichst befriedigt. Er gab dies allen Mitwirkenden zu erkennen und ließ sich mit jedem einzelnen in ein ebenso kurzes, als huldreiches Gespräch ein, aus dem jeder einzelne wieder eine besondere, speciell für ihn berechnete Artigkeit heraushörte. Man ging nun zur zweiten Nummer des Programms, dem Souper über, das in einem kleineren Nebensaal servirt war. Der hohe Gast mit einem kleineren Häuflein Auserlesener saß an einer besonderen Tafel, an einer andern vereinigten sich die Künstler, und wie, den Umständen angemessen, dort eine friedliche, so herrschte hier eine überaus heitere Stimmung, die ganz allein Hagedorn nicht theilte. Finster und wortkarg saß er neben seiner Türkin, die es gleichwohl an Aufmunterung nicht fehlen ließ, und schleuderte grimmige Blicke nach dem entgegengesetzten Ende der Tafel, wo Sternau in der ihm eigenen lebhaften Art seine Dame bediente und unterhielt, ohne daß beide den Zorn ihres Beobachters im geringsten zu bemerken schienen. Einige scherzhafte Anspielungen der Tischgenossen steigerten diesen noch und das überhastete Hinunterstürzen von Getränken, die der Koran seinen Bekennern verbietet, trug nicht dazu bei, ihn zu beruhigen. Er hatte sich schon stark gegen das Verbot versündigt, als das [428] Geräusch bei Seite geschobener Stühle die Aufhebung der Tafel verkündete und die fast gleichzeitig wieder einfallenden Klänge der Musik zu einem flotten Walzer einluden. Aber nicht freudig wie die andern folgte er der Ladung, sondern zögernd und mißmuthig, und nachdem er seine Tänzerin ein paarmal im rasendsten Tempo herumgeschwungen, gab er sich aufs neue seiner finsteren Beobachtung hin. In dem Gewühl, das wie ein Wirbelwind an seinem erregten Blick vorbei flog, sah er Romeo und Julia bald schneller, bald langsamer in anmuthig schaukelnder Bewegung dahin gleiten, verschwinden, wieder auftauchen und, ganz dem Vergnügen des Tanzes hingegeben, nur selten ruhen. Unwillkürlich ballten sich seine Fäuste bei dem Anblick und die dolchscharfen Schnurrbartspitzen knirschten zwischen den sie unbarmherzig zermalmenden Zähnen. Er sah ordentlich unheimlich aus.

Nun plötzlich war ihm das Paar verschwunden und blieb’s, so sehr er darnach forschte; keine neue Woge brachte es wieder.

„Wo sind sie?“ Laut stieß er diese Worte hervor und blieb die Antwort auf das freundliche – „Wie meinten Sie?“ seiner Dame schuldig. Länger vermochte er sich nicht zu halten, die ganze Eifersucht des Moslem, dessen Gewand er trug, erfüllte seine Brust. Zwar glaubte er, einem Rest ruhiger Vernunft zu gehorchen, indem er sich mit seiner Frage an Frau von Helmkron wandte, aber da kam er schlimm an. Diese, in gespannter Ermartung, ob ihr der Prinz zum zweiten Mal die Ehre eines Tanzes, welche ihrer Kollegin eben zu Theil ward, gewähren werde, hatte kein Ohr für ihren Schützling; nur ein zorniger Blick sagte ihm, daß sie heute nicht Kousine, sondern Vorgesetzte für ihn war. Durch diese Behandlung aufs Aeußerste gebracht, vergaß Herr von Hagedorn alle guten Rathschläge seines Obersten und nur seinem hitzigen Temperament folgend, beschloß er, sich selbst die gewünschte Auskunft zu verschaffen. –

Sternan hatte seine von der Schwüle des Saals angegriffene Dame in ein kühleres und zur Zeit ganz verlassenes Nebengemach geführt, wo man die Musik nur gedämpft vernahm und auch keine allzu grellen Lichteffekte die Ruhe störten, zu welcher ein bequemer, von Blattpflanzen überschatteter Eckdivan die tanzmüden Glieder einlud. Nachdem er sie durch eine Limonade gestärkt, glaubte er, den Augenblick gekommen, das entscheidende Wort, das ihm längst auf den Lippen brannte, auszusprechen. In der That war es dazu die höchste Zeit, denn nach drei weiteren Tanznummern ging der Ball zu Ende und wer weiß, ob sich ihm je wieder so günstig die Gelegenheit bot, sein übervolles Herz auszuschütten. Er that es in der bekannten schwungvollen Weise, aber dieses Ueberschwängliche, das die andern für ein Kunstprodukt hielten, war Julien völlig neu und wirkte daher auf sie wie die ungeschminkteste Natur. Ohnehin hatten die Erregung des Tanzes, die Anwesenheit des Prinzen, die Einsamkeit des Orts, die gedämpfte Musik, endlich das Kostüm, dem der berühmten Veroneserin so ähnlich, wie Sternau’s dem des Romeo, ihr empfindsames Gemüth noch besonders auf diesen Fall vorbereitet. Eine süße Mattigkeit war über ihr ganzes Wesen ergossen, in traumartigem Zustand, von Palmen umfächelt, von Quellen ummurmelt, lauschte sie den glühenden Schwüren ihres Anbeters, wie dem bezaubernden Gesang eines Vogels, und dieser, von einer ähnlichen Sinnentäuschung befangen, ward immer kühner, immer feuriger. Vor ihr stehend hatte er, ohne daß sie’s wehrte, ihre beiden Hände erfaßt, seine Kniee beugten sich, seine Lippen neigten sich zu den ihrigen und sie regte sich nicht, „wie Heilige pflegen, wenn sie zugestehn.“ Sternau aber, in dem sich auch in diesem erhabenen Moment der Künstler nicht verlengnete, deklamirte begeistert die Worte des Romeo:

„Entweihet meine Hand verwegen Dich,
O Heil’genbild, so will ich’s lieblich büßen,
Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich,
Den herben Druck im Kusse zu versüßen.“

Da – es ist nie ganz aufgeklärt worden, wie weit die beiden Pilger auf ihrer Wallfahrl gelangt waren – erhob sich plötzlich zwischen den beiden die riesige Gestalt eines Muselmanns und Hagedorn’s Stentorstimme unterbrach den sanften Fluß Shakespeare’scher Verse:

„Gnädiges Fräulein, Ihre Frau Mama wünscht mit Ihnen zu sprechen!“

Ein heller, markdurchdringender Schrei und Julia lag ohnmächtig auf den Polstern des Divans.

Vergebens suchte Sternau den wüthenden Rivalen zu beruhigen, den seine Demuth nur noch rasender machte, so daß auch er die Geduld verlor. Ein heftiger Wortwechsel entspann sich. Gleichzeitig aber verstummte draußen die Musik, Damen und Herren stürzten in das Gemach, wie eine Verzweifelnde warf sich Frau von Helmkron, ihrer Mutterrolle plötzlich eingedenk, über die Tochter, der Prinz kam und erkundigte sich nach der Veranlassnug des bedauerlichen Vorfalles; aus den Reden der beiden Gegner jedoch war kein Aufschluß zu erlangen. Ein Arzt kam, die Herren wurden gebeten, das Zimmer zu verlassen; frisches Wasser und stärkende Essenzen riefen Julia ins Leben zurück. Es war ein schreckliches Erwachen, und sie fühlte sich so erschöpft, daß sie schleunigst nach Hause verlangte. Frau von Helmkron begleitete sie, und um ihren mütterlichen Schmerz nicht durch Fortsetzung des Balls zu entweihen, sprach der Prinz nochmals seinen Dank und sein Bedauern aus und entfernte sich gleichfalls. Im Weggehen jedoch ersuchte er die beiden Kommandeurs, ihm morgen genauen Bericht über den störenden Zwischenfall und seine Ursachen zu erstatten. So schloß das so schön begonnene Fest mit einem schrillen Mißton. Zwischen den Lieutenants von Sternau und von Hagedorn fand in einem einsamen Kasernenraume eine weitere Auseinandersetzung mit blanken Waffen statt, und noch ehe die Sonne Aurorens Bettvorhang ganz weggezogen, hatte der unselige Bruderzwist bereits ein neues blutiges Opfer gefordert, kein geringeres, als die Nasenspitze des Herrn von Hagedorn.

„O, ich Narr des Glücks!“ seufzte Romeo, als er beim Tagesgrauen nach Hause kam. – –

Die Sonne ging an diesem Morgen sehr spät auf und beleuchtete einen trüben Tag. Noch trüber sah es in der Brust unseres Freundes aus. Er hatte sich halbentkleidet aufs Bett geworfen, aber der Schlaf floh ihn, und als er ihn eben zu erhaschen dachte, wurde er durch eine Ordonnanz zum Regimentskommandeur beschieden. Nach einer längeren sehr lebhaften Unterredung kehrte er gegen Mittag wieder in seine Wohnung zurück. Er berührte nichts von den Speisen, die ihm sein Bursche auftrug, wie ein Verzweifelter schritt er im Zimmer auf und nieder, er lud seine Pislolen. In seinen Ohren gellte das Wort „Versetzung“ – schlimmer als der Tod. Gab es eine Welt außerhalb X.? Keine Philosophie brachte ihn darüber weg.

Da klirrten neuerdings Tritte die Treppe herauf, zwei sehr bestimmte Schläge erschütterten die Thür, und hereib trat, ordengeschmückt, die Czapka in der Hand, mit strenger feierlicher Miene, der Oberst von Helmkron.

„Ich habe,“ begann er, noch ehe sich Sternau von seiner Verblüffung erholt hatte – „von Ihrem Herrn Kommandeur die Erlaubniß zu diesem gegen die Vorschrift verstoßenden Besuche erbeten, den mir der gestrige Vorfall zur Pflicht macht. Herr von Hagedorn hat mich von Allem unterrichtet. Schwerlich werden Sie dagegen etwas vorzubringen haben.“

„Ich gestehe, Herr Oberst, die Leidenschaft –“

„Lassen Sie mich, bitte, ausreden. Sie haben meine Tochter öffentlich kompromittirt, ich kann und will nicht annehmen, daß Sie das muthwillig gethan, und frage Sie daher: Lieben Sie Fräulein von Helmkron?“

„Ich liebe sie, ach, längst –“

„Genug, es gab zweifellos richtigere Wege, diesem Gefühle Ausdruck zu geben, als den Sie gewählt. Indessen bin ich nicht hier, Ihnen Vorwürfe zu machen, auch muß ich zugeben, daß das Ungewöhnliche unserer gesellschaftlichen Zustände Ihre Schuld einigermaßen mildert. Dieses Mißverhältniß endet jedoch mit dem heutigen Tage. Seine Hoheit, der Prinz, von der Sachlage längst unterrichtet, ist über den jüngsten Vorgang und seine Folgen aufs Tiefste empört, er wird solche Zustände auch nicht einen Tag länger dulden, wir beide Kommandeurs haben ihm die Versöhnung unserer Regimenter in die Hand gelobt. Selbstverständlich habe ich auch mit meiner Tochter gesprochen, auch sie ist Ihnen geneigt und erwartet ihr Lebensglück von einer Verbindung, die zugleich die einzig vernünftige Lösung der höchst kritischen Situation ist. Meine Gattin und ich, obwohl wir uns bezüglich Juliens mit anderen Plänen trugen, wollen ihrem Glücke nicht im Wege stehen, wir geben unsere Zustimmung. Wenn irgend Etwas im Stande ist, dem Prinzen den schiefen Eindruck, den er vom gestrigen Abend empfangen, zu mildern, ja zu verwischen, so ist [430] es die Anzeige der Verlobung meiner Tochter mit Ihnen, die ich Seiner Hoheit heute noch vor der Abreise vertraulich erstatten werde, Ihr Einverständniß vorausgesetzt.“

Hier vergaß Sternau alle Subordination, und er wäre seinem Vorgesetzten sicher um den Hals gefallen, wenn dieser ihn nicht rechtzeitig bei den Händen erwischt hätte.

„Julia, meine Braut!“ rief er, „und heute noch! Welches Glück! Wie soll ich Ihnen danken!“

„Gemach, gemach, junger Mann,“ beruhigte ihn der Oberst, „ich habe nur gesagt, daß ich heute noch Seiner Hoheit vertraulich die Anzeige erstatten werde, für die übrige Welt hat es damit nicht solche Eile, und zunächst haben Sie ja, mein lieber Herr Lieutenant, sofern ich recht berichtet bin, einen achttägigen Stubenarrest abzusitzen.“

„Freilich,“ seufzte Sternau „ich hatt’ es vergessen.“

„Nun, beruhigen Sie sich, die Strafe ist noch recht gelind, und länger soll auch Ihre Verlobung kein Geheimniß sein. Aber noch eines möchte ich Ihnen sagen. Wenn meine Zustimmung auch scheinbar eine erzwungene ist, so hab’ ich mich doch nicht so ungern zwingen lassen. Sie sind ein tüchtiger Officier und tragen den Namen eines alten edlen Geschlechts. Ich habe Ihren seligen Herrn Vater wohl gekannt und stehe in freundschaftlichen Beziehungen zu verschiedenen Mitgliedern Ihrer Familie. Ich weiß, daß Ihre Vermögenslage keine glänzende ist, aber Juliens mütterliches Erbe, über das sie schon heute frei verfügt, wird Ihnen beiden ein anständiges Auskommen sichern. Von Ihnen verlange ich nur, daß Sie mir Ihre Verhältnisse offen darlegen und auch das mehr, weil es einmal so Sitte ist, als weil ich an Ihrer Ordnung zweifelte. Dazu finden Sie in Ihrer achttägigen Abgeschlossenheit mehr als genügend Muße, und den Ueberschuß mögen Sie zu einem Briefwechsel mit Ihrer Braut verwenden. Machen Sie Julien glücklich und werden Sie es durch sie! Wenn sich dieser Wunsch erfüllt, dann will ich den gestrigen Vorfall nicht nur nicht beklagen, sondern mich herzlich darüber freuen, daß er zwei Menschen glücklich und dem unnatürlichen Haß zwischen zwei gleich ehrenwerthen Regimentern ein Ende gemacht hat. Und nun, mein künftiger Herr Schwiegersohn, leben Sie wohl, lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden! In acht Tagen auf Wiedersehen!“

Damit verabschiedete sich Herr von Helmkron. In welcher Stimmung Sternau zurückblieb, mit welcher Ungeduld er seiner Befreiung entgegenschmachtete, was er in Versen und Prosa im Verkehr mit der entfernten Geliebten leistete, das zu beschreiben, bekenne ich gern mein Unvermögen.

Der Prinz reiste noch am gleichen Abend, durch die ihm gewordene Aufklärung völlig befriedigt, nach der Residenz ab.

Acht Tage später war solennes Verlobungsfest, dem die Officiere beider Regimenter beiwohnten und wo der Friede endgültig besiegelt wurde. Als guter Patriot hoffe ich, daß ihn kein Unfall in der Zukunft mehr stören werde.

Hagedorn allein, der sich auf die Anhänglichkeit seiner Nasenspitze noch nicht ganz verlassen konnte, fehlte dabei. Aber auch er zeigte sich mit dem Gang, den die Ereignisse genommen, ausgesöhnt. Die Fechtkunst seines Gegners hatte ihm gewaltig imponirt. Mochte dieser auch seine Schwächen haben, in den Terzen war er ihm überlegen, das stand fest.

Nach weiteren vier Wochen kam das sehnlichst erwartete Verordnungsblatt. Es brachte den beiden Kommandeurs hohe Orden, Sternau und Hagedorn die Beförderung zum Rittmeister, und zwar – darin vermuthete man den Einfluß des Prinzen – Sternau bei den Ulanen, Hagedorn bei den Dragonern. Auch damit waren sie aus verschiedenen Gründen einverstanden. Frau von Helmkron hatte den Trost, Vorgesetzte geblieben zu sein.

Noch ehe der Lenz seinen Einzug hielt, waren Romeo und Julia ein Paar, der Prinz selbst erwies ihnen die Ehre, sich als Trauzeuge in das Register eintragen zu lassen.

So endete dieser Liebesroman nicht wie eine Tragödie, sondern wie eine richtige Komödie zu allgemeiner Befriedigung mit einer Heirath und

„Niemals gab es ein so süßes Los,
Als Juliens und ihres Romeo’s.“