Robert von Hornstein (Die Gartenlaube 1887/23)
Robert von Hornstein.
„Der eignen Nase nachzugehn
Möcht’ Jedermann erlaben,
Nur darin wird die Kunst bestehn:
Eine eigne Nase zu haben.“
Paul Heyse.
Darin besteht freilich die Kunst oder vielmehr die Gottesgabe, welche der wahren Kunst bester Theil ist. Denn eine starke, ergreifende Wirkung übt nur die innerste Seele des Künstlers aus seinem Werke heraus, und mehr noch als für die Malerei gilt dies für die Musik, welche so unmittelbar zum Menschenherzen redet. Wober käme die zauberhafte Wirkung eines schönen Liedes, wenn nicht zu seiner Erzeugung außer musikalischem Wissen und Können noch ein Etwas nöthig wäre, welches nicht erlernt werden kann, das der Natur entspringt wie Waldesrauschen und Vogelsang und welches nur wenige Glückliche als tiefsten Drang der Seele in sich vorfinden!
Einer von diesen ist der Tondichter, dessen Bildniß wir heute unseren Lesern vorlegen.
Robert von Hornstein, geboren 6. December 1833, hat nicht nur jenes beste Erbtheil des Künstlers mit auf die Welt gebracht, sondern auch in glücklichen äußeren Verhältnissen die Möglichkeit gefunden, alle besonderen Eigenschaften zu entwickeln, die seine Kompositionen vor so manchem Erzeugniß moderner Schulmäßigkeit auszeichnen: die frisch fließende reizvolle Melodie, neben einer Naturempfindung von ungewöhnlicher Stärke, die aus vielen seiner Lieder unverkennbar deutlich herausklingt.
Freilich hatten sowohl Natur wie Kunst schon dem erwachenden Sinn des Knaben zugelächelt. Der Vater, Freiherr Ferdinand von Hornstein, einem alten reichsfreiherrlichen Geschlechte in Schwaben entstammend, lebte eine Reihe von Jahren in dem kleinen Städtchen Donaueschingen, welchem damals der sehr musikalische Fürst von Fürstenberg ein merkwürdig gutes Orchester unter Kaliwoda’s Leitung verschafft hatte. Freiherr von Hornstein stand als ausgezeichneter Sänger im Mittelpunkt dieses künstlerischen Lebens, und der junge Robert entwickelte ebenfalls so schnell seine musikalische Anlage, daß er schon mit sechs Jahren als gehätscheltes Wunderkind sang und spielte. Dann siedelte der Vater nach Konstanz über, um den Knaben das Gymnasium besuchen zu lassen, und hier, am Ufer des schönen Bodensees, wo die großen Schiffe kommen und gehen, wo man selbst im Schulzimmer beim Lesen der Odyssee den Seespiegel in ganzer Länge vor den Fenstern des Saales hatte sammt der blauen Bergkette dahinter: hier erschloß sich in des jungen Schülers Seele die leidenschaftliche Liebe zur Natur, die Wandersehnsucht, die ihn zeitlebens beherrschen sollte. Alle die gelegentlichen Ausflüge nach dem Schwarzwald oder der Schweiz riefen tiefe, unverlöschliche Eindrücke bei dem erregbaren Knaben hervor.
Nachdem er die Schule hinter sich hatte, bestürmte der Siebzehnjährige seinen Vater um die Erlaubniß, auf dem Leipziger Konservatorium endlich musikalisch etwas Rechtes lernen zu dürfen, und überglücklich ging er 1850 dahin ab. Seine Lehrer waren Rietz, Moscheles, Hauptmann u. A.; er machte rasche Fortschritte in der Technik und schrieb nach kurzer Zeit schon so frisch quellende Klavier- und Gesangsstücke, daß unter den Mitschülern sich bald ein gewisser Respekt vor dem jungen Schwaben mit der Zuneigung paarte, die sie Alle für sein liebenswürdiges und dabei grundoriginelles Wesen hatten. Der junge Komponist benahm sich im täglichen Leben mit einer Unbefangenheit, die ihn oft genug in starken Gegensatz zu Herkommen und Gepflogenheit der Menge brachte. Er ließ sich’s nicht anfechten – fand er doch lebenslang immer die Besten bereit, seinen Eigenthümlichkeiten Theilnahme und Verständniß entgegenzubringen, und außerdem gestattete ihm die glückliche Unabhängigkeit der äußeren Lage, sein Leben ganz nach seinen Neigungen einzurichten. Diese waren und sind sehr einfach; als stärkste von Allen machte sich der Drang zum Reisen geltend, dem er nach absolvirten Studien vom Jahre 1852 an immer und immer wieder folgte. Gelegentliche längere Aufenthalte in Stuttgart, Dresden, Frankfurt bezeichnen dazwischen die Perioden künstlerischen Schaffens, denen eine Reihe seiner schönsten Lieder entstammen.
Wer heute den Band „Gesammelte Lieder“ zur Hand nimmt, der findet in „Unter der Linden“, „Die Nachtigallen“, „Am Brunnen“, „Waldeinsamkeit“, „Zigeunerin“, „Rosette“ und vielen anderen die Zeugen jener schönen Jugendtage, wo dem Komponisten eben so wahre und tiefe Poesie die Seele füllte, wie dem Dichter, welcher die Worte schrieb. Hornstein’s beste Kompositionen umkleiden immer solche Texte, die er selbst gedichtet haben könnte; er ist kein sehr vielseitiger Autor, aber um so tieferen Eindruck macht er mit dem, was so vollständig seiner innersten Eigenthümlichkeit entsprang.
Längst hat jener Band, eine Sammlung außerordentlich schöner und volksthümlicher Lieder, in verschiedenen Auflagen seinen Weg in zahlreiche gesangliebende deutsche Häuser gefunden und ist Vielen schon bei der grossen Noth um gute sangbare Lieder zur freudigsten Ueberraschung geworden.
Mit dem Beginn der sechziger Jahre gründete Hornstein den eigenen Hausstand und siedelte sich dauernd in München an, wo sein gastliches Haus bald zum Mittelpunkt eines einzig schönen Kreises wurde. Für die heute Ueberlebenden ist es eine wehmüthige Erinnerung, der Abende zu gedenken, wo sich hier Geibel, Heyse, Lingg, W. Hertz, Wilbrandt, M. Meyr, Siebold, Piloty, Karl Stieler und viele Andere zur reizendsten Geselligkeit zusammenfanden, wo Hornstein bis tief in die Nacht hinein spielte und sang, seine schöne und liebenswürdige Frau mit rheinischer Heiterkeit die Bowle ins Endlose verlängerte und es allen Gästen viel zu wohl war, um sobald an den Aufbruch zu denken. In die Dichtergesellschaft „Krokodil“ hatte man ihn, entgegen ihrem Statut, einstimmig als Ehrenmitglied aufgenommen, und eben so feierte ihn die Künstlergesellschaft „Grüne Insel“ in Wien, als er im Jahre 1864 hinkam und mit seinen Liedern das Terrain im Sturm eroberte. Eine Operette, „Die Pagen von Versailles“, welche er zur gleichen Zeit dort aufführte, fiel freilich durch, aber er konnte sich bald mit einem Erfolge in München trösten, der seitber zum dauernden geworden ist. 1866 schrieb er für das Hoftheater eine Musik zu [[Shakespeare’s „Wie es Euch gefällt“, die so glücklich zu dem phantastisch-reizenden Stück hinzugedichtet ist, daß sie bei jeder neuen Aufführung heute noch warm begrüßt wird. Die ganze unwahrscheinliche Schäferromantik der Verbannten im Walde hat hier einen köstlichen Ausdruck gefunden, sehnsüchtige Leidenschaft und melancholische Träumerei zittern durch die Hörnerklänge des Vorspiels, begleiten leise Rosalindens schalkhafte Liebesreden und klingen aus in dem zierlichen Pagenduett „Ein Liebster und sein Mädel schön …“ Es wäre zu wünschen, daß das Lustspiel nirgends mehr obne die glückliche Ergänzung dieser Musik gegeben würde.
Es fehlt der Raum, um im Einzelnen aufzuzählen, was Hornstein in den letzten 20 Jahren schrieb. Außer verschiedenen Liederheften („Cancionero“, „Lieder für eine hohe Stimme“, „20 Duetten“, „Neue Lieder“) ist vor Allem eine reizende kleine Spieloper „Adam und Eva“ zu nennen, wozu Heyse den Text verfaßt (und welche äußerst beifällig aufgenommen wurde. Eine Schöpfung ganz eigener Art ist auch die Musik zu dem Ballet „Der Blumen Rache“, die von München aus ihren Zug über viele deutsche Theater machte und überall mit ihren charakteristischen, bald feurigen, bald träumerischen Weisen einen durchschlagenden Erfolg errang.
Es ist eine reiche künstlerische Thätigkeit, auf die der nunmehr Vierundfünfzigjährige aus der Mitte einer glücklichen, zahlreichen Familie zurücksehen kann. Aber auch das flüchtigste Bild seiner Persönlichkeit muß noch einer andern Seite seines Wesens gedenken, die für den Menschen wie für den Künstler gleich bedeutsam ist: der lebenslangen Hingabe an die große Frage nach dem Warum? der Dinge, die den Jüngling einst nach Frankfurt zu Schopenhauer führte und seither dem Manne in dreißigjähriger innerer Arbeit den Standpunkt philosophischer Gelassenheit erworben hat, der sein ganzes Wesen kennzeichnet und Jedem auffällt, welchem es gelungen ist, den für gewöhnlich Schweigsamen in ein Gespräch zu ziehen, das ihm Interesse einflößt.
So wie Hornstein heute noch mit dem Ränzel auf dem Rücken jeden Sommer unermüdlich die herrliche bayerische und tiroler Gebirgswelt durchzieht, so wandert er auch durch das irdische Leben: ein stiller Beobachter, der die Schönheit der Welt nicht minder als ihre Unzulänglichkeiten im Tiefsten empfindet und dort in Gedanken versunken betrachtend steht, wo die Andern schwatzend und lachend im Wagen vorüberrasseln.
Mögen ihm noch viele Wanderjahre und uns noch manche schöne Frucht derselben beschieden sein!
München. Karl Robert.