Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Reisen in alter Zeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 196 d
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[196 d] Reisen in alter Zeit. Wer heute im bequemen Eisenbahnwagen durch die norddeutschen Ebenen fährt, der denkt gewiß nicht daran, mit welchen Strapazen eine solche Reise im vorigen Jahrhundert verbunden war, zu der man so viel Wochen brauchte wie heute Tage. In seinen Erinnerungen und Studien „Aus vergangenen Tagen“ (Berlin, Th. Schönfeldt) plaudert Oskar Meding in anregender Weise nicht bloß über Pariser Eindrücke und Künstlergestalten, sondern er entrollt auch einige kulturgeschichtliche Bilder. So teilt er den Bericht des Barons von Bielfeld in seinen selten gewordenen „freundschaftlichen Briefen“ über eine Reise mit, welche dieser im Jahre 1740 unter den damals denkbar günstigsten Verhältnissen und mit Aufbietüng aller Hilfsmittel, welche Geld und hoher Rang zu bieten vermochten, unternahm, und wenn man diesen Bericht liest, möchte man es kaum für möglich halten, daß eine solche Odyssee inmitten des damals doch schon hoch civilisierten Europa möglich gewesen sei. Vor dem Beginn des ersten schlesischen Feldzugs sendete Friedrich der Große den Grafen von Truchses und den Baron Bielfeld in außerordentlicher Mission nach London, um die englische Regierung zu einer Unterstützung seiner Pläne oder mindestens zu einer wohlwollenden Neutralität zu bestimmen. Anfangs Dezember fand die Abreise von Berlin statt und am 6. Januar 1741 erstattete Baron Bielfeld von London aus seinen Bericht an den Staats- und Kabinettsminister von Podewils über die merkwürdige Reise, die fast einem wirklichen Feldzug ähnlich war. Die Herren hatten Köche, Kammerdiener und Lakaien mit sich, fanden überall vorgelegte Relais und hatten sich verproviantiert, wie man es heutzutage zu einer Reise nach Afrika thun würde. Freilich muß man sich, um die Vorgänge der Fahrt zu begreifen, die engen und unbequemen Wagen jener Zeit vorstellen, die auf riesigen Rädern dahinrollten und auf höchst unpraktischen Federn hin und her schwankten. Schon vor den Thoren von Berlin überfiel die Reisenden ein dichter, Glatteis erzeugender Regen; das Glatteis setzte sich an den Aesten der Bäume in den Wäldern und an den Seiten der Landstraße fest, so daß sie erschienen, als ob sie mit Krystall überzogen wären. Die Schwere des Eises machte, daß starke Aeste prasselnd und krachend herabfielen; der Wagen hätte von ihnen leicht zertrümmert werden können. Nach einer unendlich mühevollen Fahrt wurde Gardelegen erreicht, wo man zwei Tage verweilte, um die Wagen ausbessern und um zugleich über den Bedientensitz eine mit Fries gefütterte Decke von Wachsleinwand anbringen zu lassen, da die armen Leute mit einer Eiskruste überzogen und halb erfroren gewesen waren. Dann fuhr man weiter und erreichte ein Dorf Namens Steimke, welches, fünf Meilen von Hannover, an der Oker liegt. Dieser Fluß war gänzlich ausgetreten; soweit das Auge reichte, war alles überschwemmt und mit Eis bedeckt. Die Pferde traten durch das Eis und verwundeten sich die Füße. Das Wasser stieg so hoch, daß es in die Wagen hineinströmte. Mit großer Mühe erreichten die Wagen eine trockene Anhöhe, und hier standen die Reisenden hilflos, von einer eisigen Sündflut umgeben. Graf Truchses ließ zwei Pferde abspannen, er setzte sich auf das eine, mit seinem Geldkasten vor sich, Baron Bielfeld auf das andere, mit dem Portefeuille, welches die diplomatischen Papiere und Aktenstücke enthielt; so kamen beide Herren bald reitend, bald schwimmend bis zu dem Dorfe. Durch große Geldanerbietungen wurden die Bauern bewogen, zahlreiche Vorspannpferde auf die Anhöhe zu bringen, und mit entsetzlicher Mühe wurden die Reisewagen mit den Sekretären und Dienern nach dem Dorfe gebracht. Dort hatten sich die beiden Diplomaten beim Pfarrer einquartiert, der noch nie so gut gelebt hatte wie jetzt, wo er der Gast seiner Gäste war; denn es wurden in der Küche vortreffliche Diners bereitet und der Reiseweinkeller war ausgezeichnet. Am dritten Tage kam von Hannover, wohin die Kunde der unfreiwilligen Gefangenschaft gedrungen, der Drost von Bothmer mit hundert Bauern, um das Wasser in die Gräben zu leiten und die zerstörten Brücken wieder herzustellen. So gelangten sie nach Hannover, aber sie konnten dann nicht einmal Minden erreichen – sie blieben mitten in der Nacht eine Meile vor Minden im Kot stecken. Das Wetter war außerordentlich kalt geworden; die Wagen froren in dem vorher aufgeweichten Erdreich fest – sowohl die Herren wie die Diener waren dem Erfrieren nahe. Postillone ritten voraus, um Vorspannpferde zu besorgen. So wurde der Wagenzug wieder mobil gemacht. Man kam dann nach Herford, doch mußten an jeden Wagen zwölf Postpferde gespannt werden und zwölf Bauern gingen neben den Wagen her, um sie zu stützen und vor dem Umstürzen zu bewahren. In Herford gönnte man sich einige Ruhe am Hofe der Aebtissin – die Wagen mußten repariert werden. Von Herford ging es nach Bielefeld; die Diplomaten kamen dort glücklich an, doch die zweite Kutsche, in welcher ein Sekretär saß, wurde umgeworfen und stürzte im Finstern in einen tiefen Graben. Ein Koffer des Herrn von Bielfeld, in welchem fünf reiche Kleider verpackt waren, für die Feste am englischen Hofe bestimmt, versank im Morast und der eindringende Schmutz verdarb die Galakleider so vollständig, daß sie nicht mehr zu reinigen waren. Später wurde, wegen der Ueberschwemmung des Rheins, die Reise zu Wasser in großen Rheinkähnen und Jachten fortgesetzt, bis die Reisenden glücklich den Haag und die See erreicht hatten. Die bisher berichteten Reiseabenteuer genügen wohl, um dem heutigen behaglichen Eisenbahnpassagier ein abschreckendes Bild der trostlosen Verkehrsverhältnisse des vorigen Jahrhunderts zu geben und es nicht als eine spöttische Renommage erscheinen zu lassen, wenn man ausruft, daß wir auf diesem Gebiete es jetzt „so herrlich weit gebracht haben“. †