Textdaten
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Titel: Reineke in Nöten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 709, 724
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
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[709]

Copyright 1896 by Franz Hanfstaengl in München.
Reineke in Nöten.
Nach dem Gemälde von J. Schmitzberger.

[724] Reineke in Nöten. (Zu dem Bilde S. 709.) Ein Prachtkerl ist es, der da oben auf der alten Weide sitzt und forschenden Blickes über die weite Flut hinausspäht, ein Goldfuchs mit weißer Kehle und weißer Schwanzspitze oder, wie es in der Jägersprache heißt, mit weißer Blume an der Rute; aber trotz des kostbaren Pelzes ist es doch ein echter und rechter Lumpaci-Vagabundus. Vor achtundvierzig Stunden hatte er ein neues Jagdrevier aufgesucht und darin gepirscht kreuz und quer, bis er gar müde wurde vom Rennen und Fressen und in dichtem Gebüsch sich zur Nachtruhe niederlegte. Er schlief den festen Fuchsschlaf, aus dem so mancher Reineke erst durch den Hagel des Schützen oder den Knüppel des Treibers geweckt wird. Hoch stand schon die Sonne am Himmel, als der Goldfuchs erwachte und bedächtigen Schrittes sich zu neuem Vagabundieren anschickte. Doch siehe da, über Nacht hat sich die Landschaft verändert. Wo gestern grüne Wiesen im Sonnenschein sich dehnten, glitzert heute eine weite Wasserflut. Reißend schnell ist das Hochwasser gekommen und seine Wellen umspülen die kleine Anhöhe, auf welcher unser Reineke genächtigt hat. Da sitzt er ernst und sinnend und wartet in der Hoffnung, das feindliche Element werde ebenso schnell verlaufen, wie es gekommen ist. Aber wie arg wird er getäuscht! Höher und höher steigt die Flut und bedrängt nicht nur die Menschen in ihren Behausungen, sondern auch die Tiere in Wald und Flur. Leichte Wellen rieseln schon über seine Zufluchtsstätte und die höchste Wassersnot bricht über den Goldfuchs ein. In der Ferne am Waldesrande entdeckt jedoch sein scharfes Auge eine Anhöhe, die aus dem Wasser emporragt und auf der eine bunte Tiergesellschaft sich versammelt hält. Er erkennt Hirsche und Rehe und auch langohrige Lampegestalten. Ein „Rettungsberg“ ist es, den tierfreundliche Förster für das Wild im Ueberschwemmungsgebiet errichtet haben! Sichere Hoffnung belebt nun den schlauen Reineke, bald ist ein Schwimm- und Wateplan entworfen, und beherzt stürzt er in die Flut. Eine alte Weide bietet ihm ein Ruheplätzchen, auf dem er Kräfte zu weiterem Schwimmen und Waten sammeln kann. Der größte Teil des beschwerlichen Weges ist bereits zurückgelegt worden und zuversichtlich blickt Meister Reineke nach dem Rettungsberg. Bald wird auf ihm auch der Räuber friedlich unter Hasen und Rehen seinen Pelz trocknen, denn die große gemeinsame Not bringt auch die angebornen Feindschaften in der Tierwelt zum Schweigen. *