Ravensburg und sein Verkehrsleben in den letzten dreihundert Jahren

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Autor: Gustav Schöttle
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Titel: Ravensburg und sein Verkehrsleben in den letzten dreihundert Jahren
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aus: Sonderdruck aus: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees, Heft XI. 1911, S. 3 ff.
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Kurzbeschreibung: Wirtschafts-, Verkehrs- und Postgeschichte Ravensburgs vom 17. Jh. bis zum beginnenden 20. Jh.
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Separatabdruck aus den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees.
Heft XL. 1911. S. 3 ff.




Ravensburg und sein Verkehrsleben
in den letzten dreihundert Jahren.


Auf Grund archivalischer Forschungen
von
Postrat Dr. Gustav Schöttle
in Tübingen.




[1]
I. [Vorgeschichte]

Die vortreffliche Verkehrslage, welche Oberschwaben von Natur aus besitzt,[1] wurde nach dem Ende des Mittelalters allmählich verkümmert und zuletzt geradezu in ihr Gegenteil verkehrt durch die Gebietszersplitterung des Landes und den verrotteten politischen Zustand des alten Deutschen Reiches. Die verwahrlosten Landstraßen, die Zollbeschwerden infolge übermäßiger Vermehrung der Zollstätten, die mangelnde öffentliche Sicherheit und viele andre verkehrsschädliche Erscheinungen waren die Ursachen, daß während des 17. und 18. Jahrhunderts der Landstrich zwischen Iller, Donau und Bodensee zu einem ziemlich weltabgeschiedenen, verkehrsarmen Erdwinkel geworden war, der von dem Transit und Großverkehr soviel wie möglich gemieden wurde. Davon machten nur die wenigen Plätze einigermaßen eine Ausnahme, die den Vorzug genossen, unmittelbar an der schönen Wasserstraße des Bodensees zu liegen.

Nur eine bestimmte Klasse von Verkehrtreibenden fühlte sich von Oberschwaben angezogen. Das waren die Zigeuner, Gauner, Landstreicher und sonstiges gemeinschädliches Gesindel. Diese Leute liebten die Gegend, weil sie sich hier, wenn sie in dem einen Gebiete verfolgt wurden, leicht und rasch in ein andres zurückziehen konnten.

[2] Eine der Routen, die Paris mit Wien verbanden, nämlich diejenige über Lünéville, Markirch und Kolmar[2] führte durch Oberschwaben. Dem elenden politischen Zustande des alten Deutschen Reiches ist es im Grund ebenfalls zuzuschreiben, wenn diese Verkehrsbeziehung, anstatt Nutzen zu schaffen, sich in eine verderbenbringende verwandelte, indem fast bei jeder von den vielen kriegerischen Verwicklungen, die zwischen Frankreich und Österreich eintraten, diese Verkehrslinie mithalf, daß Oberschwaben von den Kriegsheeren beider Mächte ausgesogen und verwüstet wurde.

Was die Stadt Ravensburg insbesondre betrifft, so war diese, wie in dem letzten Jahrgang unsrer Vereinsschriften von mir nachgewiesen wurde, ums Jahr 1400 daran gegangen, planvoll eine künstliche Verbesserung ihrer von Natur gegebenen Verkehrsverhältnisse herbeizuführen, wobei namentlich das Schiffbarmachen der Schussen eine Rolle spielte. Der bereits in der Ausführung begriffen gewesene Plan ist leider gescheitert infolge der verworrenen staatlichen Zustände jener Zeit und der damals noch unentwickelten Kanalbautechnik.

1486 gelangte das Gebiet rund um die Stadt herum, das Schloß inbegriffen, gänzlich in die Hände eines übermächtigen Staates,[3] nämlich Österreichs, von dem sich Ravensburg nunmehr völlig umklammert sah. Das Wohl und Wehe der Stadt hing seitdem in vielen Beziehungen von dem guten oder bösen Willen der österreichischen Beamten zu Altdorf ab. Vor allem sah Ravensburg seinen auswärtigen Verkehr dadurch unterbunden, und zwar vielleicht in einem höhern Grad, als wenn es selber zum österreichischen Untertanenverbande gehört hätte; denn in des Reichsoberhaupts eigenen Erblanden wurde der Verkehr der Reichsstädte als ausländischer behandelt.


II. [Handel]

Die volkswirtschaftlichen Verhältnisse des ganzen Landes waren im Schwedenkriege bekanntermaßen die jammervollsten geworden, die sich ausdenken lassen. Auch das früher so blühend gewesene Ravensburg machte keine Ausnahme. Es riß eine allgemeine Verelendung ein, die ihren Höhepunkt während der Raubkriege Ludwigs XIV. erreichte. Der Auslandshandel der Ravensburger Großkaufleute war schon zu den Zeiten Karls V. [3] gänzlich eingegangen.[4] Den Mangel einer für den Fernhandel vorteilhaften geographischen Lage der Stadt hatte selbst die außerordentliche Geschäftstüchtigkeit und Energie der alten Ravensburger Patrizier auf die Dauer nicht auszugleichen vermocht.

Was den Nah- und Kleinhandel betrifft, so nahm dieser im Laufe der Zeit zu Ravensburg eine merkwürdige, ganz eigenartige Gestaltung an. Insbesondre gab es einen berufsmäßigen Detailhandel, einen eigenen Handelsstand, seit dem westfälischen Frieden mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch dort überhaupt nicht mehr. Soweit die durch den Schwedenkrieg herbeigeführten jämmerlichen Zustände noch etwas weniges von einem Handelsbetrieb nötig hatten, sehen wir diesen in Ravensburg zu einem bloßen Nebenerwerbszweig der Zunfthandwerker herabgedrückt, in der Weise nämlich, daß die verschiedenen Zweige des Detailhandels größtenteils unter die einzelnen Zünfte verteilt waren, meist mit dem Rechte der Ausschließlichkeit, während andre Handelszweige als Versorgungsposten armer Witfrauen oder sonstiger Leute dienten. Die städtische Gesetzgebung hatte diese Entwicklung gefördert[5] in der an sich löblichen Absicht, dem durch die Kriege verarmten Handwerkerstand in dem Erwerb seiner Nahrung etwas aufzuhelfen.

Der Ravensburger Detailhandel unterschied sich somit von demjenigen andrer Städte darin, daß in diesen letztern gewöhnlich die gelernten Kaufleute und Krämer eigene Handels- oder Krämerzünfte oder Innungen bildeten und mehr oder weniger mit dem Recht ausgestattet waren, allen, die denselben nicht angehörten, die Handelschaft zu verbieten; in Ravensburg dagegen verhielt sich die Sache fast umgekehrt, die Handwerkerzünfte hatten die Befugnis, die Kaufleute, soweit solche überhaupt aufkommen konnten, von dem Handel mit den meisten Handelsartikeln auszuschließen.

Dieser gesetzgeberische Mißgriff hatte zur Folge, daß von da ab in Ravensburg anstatt richtiger leistungsfähiger Kaufläden eine über das Bedürfnis hinausgehende Anzahl kleiner nebenher betriebener Kramlädchen sich auftaten. Das war keine Grundlage, auf der ein gesunder Kleinhandel aufblühen konnte, und es würde das der Stadt mit der Zeit sicher verhängnisvoll geworden sein und ihr ihre Landkundschaft entzogen haben, wenn nicht im 18. Jahrhundert wieder ein Stamm gelernter Berufskaufleute aufgekommen wäre. Dabei hatte das neugeweckte Bedürfnis nach Zucker, Kaffee usw.[6] mitgewirkt, [4] im übrigen aber ging diese Rückbildung mehr oder weniger in Zuwiderhandlung gegen die erwähnten Stadtgesetze und Zunftordnungen vor sich, und immerhin hatten die neuaufgekommenen Berufskaufleute gegenüber den mit zahlreichen Vorrechten ausgestatteten Handwerkern und deren Kramläden einen schweren Stand. Die dadurch erzeugten Reibungen gestalteten sich in den 1780er Jahren zu langen, ungewöhnlich heftigen Streitigkeiten aus, welche die Gemüter im Städtchen in mächtige Aufregung versetzten. Im Jahr 1790 entschied der Magistrat den Streit in der Hauptsache zugunsten der Kaufleute, indem er die allzu schrankenlos ausgeübten Handlungsvorrechte der Handwerker eindämmte.

Bei dem erbitterten Kampfe, der um den Kleinhandel als Erwerbsquelle dergestalt unter der Bürgerschaft selber tobte, ist es selbstverständlich, daß diese zugleich mit allen Kräften bemüht war, die fremden Händler, vor allem die Hausierer und Wanderlager, nach Möglichkeit ferne zu halten.[7] Selbst den Besuch des Ravensburger Jahrmarkts würde man diesen auswärtigen Konkurrenten gerne verboten haben, wenn man nur nicht hätte befürchten müssen, durch einen solchen Eingriff in die Marktfreiheit die Marktprivilegien zu gefährden, welche die Kaiser Rudolf I. und Friedrich III. der Stadt verliehen hatten.


III. [Gewerbe]

Nur um ein kleines besser als im Handel sah es mit den Gewerben aus. Die Leinwandindustrie hatte ihrem einstigen Vorort Ravensburg so vollständig den Rücken gekehrt, daß man 1751 und 1752 die Blätterschau und die Golschenschau als unnötig geworden ganz aufhob. Das Weberhandwerk war in der Hauptsache auf bloßes Kundengewebe beschränkt und selbst darin durch die Konkurrenz eingeführter fremder Fabrikate bedrängt. Im Jahre 1779 vermochte die Weberzunft nicht einmal mehr die Mittel aufzubringen, um ihr baufälliges Zunfthaus vor dem Einsturz zu retten, und sah sich darum genötigt, zum Zweck der Mitbenützung des Zunfthauses der Schuhmacher mit diesen eine Art Verbindung einzugehen.

Die uralte ravensburgische Papierindustrie bestand noch fort, wenn auch ohne besonders zu blühen. Unter diesen Papiermühlen darf man sich keine großartigen Fabrikanlagen vorstellen. Es war bescheidener Handwerksbetrieb, der sein Erzeugnis schlicht und recht aus den Jahrmärkten der Umgebung absetzte,[8] gerade so wie die Ravensburger Gerber ihr Leder. Mit diesen beiden Artikeln, sowie ein wenig Tuch und den später in ziemlicher Menge verschickten wollenen und baumwollenen Strümpfen ist die Aufzählung der ravensburgischen Ausfuhrartikel des 18. Jahrhunderts erschöpft.

[5] Für den auswärtigen Absatz der Gewerberzeugnisse Ravensburgs waren die Verhältnisse überhaupt nicht günstig, da in den meisten Städten und Gebieten ringsumher gegenüber dem Handel und den Gewerben Fremder ähnliche selbstsüchtige Bestrebungen herrschten wie in Ravensburg selber. Im 18. Jahrhundert verschloß Bayern den auswärtigen Industrieprodukten seine Landesgrenzen durch Sperrzölle, und in Österreich mit Ausnahme seiner schwäbischen Besitzungen geschah dasselbe.

Demzufolge arbeitete der ravensburgische Gewerbsmann fast nur für den Bedarf seiner Mitbürger und der Bauern der Umgebung, und dieser Bedarf war der allgemeinen Verarmung wegen nur gering. Diese spärliche Absatzmöglichkeit ist eine hinlängliche Entschuldigung dafür, daß das Bestreben, allen Wettbewerb zu unterdrücken, sich im gewerblichen Leben, wie im Kleinhandel mit äußerster Rücksichtslosigkeit durchzusetzen suchte, weil man eben die ohnedies allzu schmale Gelegenheit zum Verdienst nicht wollte teilen müssen mit Leuten, die nicht der Zunft oder gar nicht einmal der Stadt angehörten.

Der Handwerker und der Händler waren weit entfernt, den Konkurrenzkampf durch das Mittel billigerer Preise oder besserer Ware ausfechten zu wollen; vielmehr suchten sie zu solchem Zweck obrigkeitliche Verbote und Zwangsmaßregeln auszuwirken.[9] Freilich zeigte der Stadtmagistrat solchen Wünschen gegenüber sich bei weitem nicht immer geneigt. Er ging mit Recht meistens davon aus, daß bei der Lage der Stadt mit solchem Vorgehen überhaupt nicht viel zu erreichen sei und die möglicherweise dadurch hervorgerufenen Wiedervergeltungsmaßregeln vielleicht einen noch größeren Schaden mit sich bringen möchten. Recht lästig empfand der Ravensburger Handwerker- und Handelsstand die Konkurrenz des nahegelegenen österreichischen Altdorfs.

Dem Aufkommen großindustrieller Unternehmungen jeder Art standen fast unübersteigliche Hindernisse entgegen. Vor allem waren es abermals die zünftlerischen Interessen und Anschauungen, die sich solchen Versuchen widersetzten,[10] selbst wenn es sich um Artikel handelte, die in Ravensburg gar nicht hervorgebracht wurden, wie sich z. B. in dem Fall eines Tabakfabrikanten zeigte, der sich daselbst niederlassen wollte, aber das städtische Bürgerrecht nicht zu erlangen vermochte.

[6] Etwas weniges, das einer Großindustrie gleichsah, gab es in Ravensburg immerhin: seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ließen einige Strumpfwirkermeister, namentlich die Kutter, durch andre zünftige Ravensburger Strumpfwirker und -stricker wollene und baumwollene Strumpfwaren auf den Handel herstellen und vertrieben diese im großen namentlich auf den Messen von Frankfurt und Zurzach. Bei der damaligen Kleidertracht war der Verbrauch ein sehr starker; denn ob hoch oder nieder, alt oder jung, trugen alle männlichen Personen Wadelstrümpfe zu ihren kurzen Kniehosen. Dieses Strumpfgeschäft kam in Ravensburg bald ganz hübsch ins Blühen, und während man in diesen Zeiten hier bei fast allen Handwerken mit Strenge darauf hinwirkte, den kommenden Handwerkernachwuchs möglichst einzuschränken, gestattete 1787 der Magistrat jedem Strumpfwirkermeister, je zwei Lehrlinge gleichzeitig zu halten.

Nichtsdestoweniger war man aber von zunft- und obrigkeitswegen fortgesetzt bemüht, daß die durch das Zunftwesen gesteckten Grenzen auch bei dieser Industrie allerseits eingehalten werden sollten. Es wird wohl im Interesse jener zünftigen Unternehmer geschehen sein, wenn 1769 der Rat anordnete, daß die Ravensburger Kaufleute sich des Strumpfhandels „bemüßigen“ sollten.

Jene Unternehmer suchten in der Folge ihren Betrieb in der Weise auszudehnen, daß sie auch in auswärtigen Orten für ihre Rechnung Strumpfarbeiter beschäftigten. Das war aber den Interessen der einheimischen Zünftigen entgegen, und der Stadtmagistrat fuhr (1771/73) mit scharfen Verboten dazwischen. Er verlangte, die Fabrikanten (so nannte man diese Unternehmer jetzt) sollten ihre Arbeiten ausschließlich durch „Hiesige“ fertigen lassen, zumal viele auswärtige Strumpfarbeiter auf der Fabrikanten eigenes Betreiben in die Stadt und ins Bürgerrecht aufgenommen worden seien, und im Falle der Bedürftigkeit samt ihren Angehörigen der Stadt und deren piis corporibus zur Last fallen würden.

In den 1780er Jahren schätzte man den Gesamtwert dieser Ravensburger Strumpfausfuhr auf jährlich ½ Million Gulden; aber 1804 betrug er nur noch den vierten Teil davon, da der Absatz solcher Waren nach Frankreich, Italien und der französischen Schweiz seit der Revolutionszeit durch Sperrmaßregeln verschlossen war, ein Schlag, von dem sich jener Ravensburger Industriezweig nicht mehr erholte.

Endlich mag auch der Musselin- und Vorhangstickerei Erwähnung geschehen. Sie wurde als Hausindustrie von weiblichen Personen und Kindern stark betrieben und zwar für Rechnung ostschweizerischer und vorarlbergischer Unternehmer, in derselben Weise, wie es noch heutzutage für die jetzt in der Stadt selber aufgekommenen Gardinenfabriken geschieht. Als Mittelpersonen zwischen den Arbeitern und Geschäftsfirmen unterhielten die letztern am Platze ihre eigenen Faktoren oder Stückfergger.

Obschon die Industrie in kirchlicher Beziehung ein neutrales Gebiet ist oder sein sollte, so übte doch das durch den Westfälischen Frieden für die städtische Regierung und Verwaltung eingeführte Prinzip einer ziffermäßig genau gleich abgewogenen Parität auch auf das Gewerbewesen einen Einfluß aus. Die Hammerschmitten z. B. sollten ausschließlich von dem katholischen Religionsteil, die Sägewerke dagegen bloß von dem evangelischen vergeben werden. Andre konzessionspflichtige Betriebe waren halbscheidig verteilt; demnach sollte es z. B. für alle Zukunft genau soviel „evangelische Mühlen, evangelische Bierbrauereien“ in der Stadt geben, wie katholische Mühlen und katholische Brauhäuser usw. [7] Da die katholische Bevölkerung an Kopfzahl, wenn auch nicht an Besitz, bedeutend überwog und zugleich das umliegende Land ganz katholisch war, so ist klar, daß jene gleichmäßige halbscheidige Verteilung der Ämter und der konzessionierten Gewerbe sehr zum Vorteil der Evangelischen ausschlug.


IV. [Landwirtschaft]

Etwas Landwirtschaft für den Hausbedarf pflegten die meisten Handwerker der Reichsstadt nebenher zu betreiben, sie brachten sich damit leichter durch die Not der Zeiten hindurch. Etwa ein Achtel der Einwohnerschaft betrieb ausschließlich Landbau, nämlich die sogenannten Rebleute, die eine eigene Zunft bildeten. Die Stadtmarkung brachte früher eine beträchtliche Menge Wein hervor; doch bildete dieser keinen Gegenstand der Ausfuhr und des Handels, sondern konnte nur in der Weise verwertet werden, daß ihn jeder Rebenbesitzer im eigenen Hause an seine Mitbürger und an die fremden Marktbesucher im Ausschank verzapfte. Da auch im übrigen der Weinausschank in der Stadt damals von hoch und nieder stark betrieben wurde, so vermochte der Konsum mit dem Angebot vielfach nicht gleichen Schritt zu halten, trotz vorhandenen guten Willens.

Es strebten daher die ravensburgischen Rebleute darnach, von dem Wettbewerb auswärtiger Weine tunlichst befreit zu werden. Vor allem hatte man dabei im Auge diejenigen Sorten, die dem Ravensburger Gewächs einigermaßen ähnlich waren, also hauptsächlich die aus der nähern Umgebung; die Weine von jenseits des Bodensees und Rheins verbot man gewöhnlich ganz, für die übrigen fremden Weinsorten pflegte man je nach dem Ausfall des Weinherbstes zeitweilig Einfuhrsperren anzuordnen, vor allem dann, wenn in Ravensburg selber viel Wein gewachsen war. Das Merkwürdige aber ist, daß man die Sperre in der Regel nicht über das ganze Jahr erstreckte, sondern die Einfuhr während der Herbstzeit, nämlich von Michaelis bis Nikolai, fast immer frei ließ.

Dadurch ward der ausgesprochene Zweck der Maßregel, dem Ravensburger Rebbau aufzuhelfen, nahezu ganz hinfällig gemacht, indem es ja jedem, der das Nötige an Barmitteln oder an Kredit besaß, freistand, zu seinen Weineinfuhren den Zeitraum zu wählen, da der Paß offen stand. Insofern stellte diese halbe Einfuhrsperre sich mehr als eine Begünstigung der reichen Wirte dar, denn als ein Mittel, den armen Rebleuten aufzuhelfen. Dagegen führte erstens die Maßregel für die Konsumenten eine Verteuerung herbei, und zweitens, wie die Erfahrung feststellte, ward dadurch der Weinhandel unterbunden und von der Stadt fast gänzlich abgetrieben.

Erst als der Geist der französischen Revolution in den reichsstädtischen Rathäusern drohend umging und zugleich die Lehren der Nationalökonomie Adam Smiths dort Eingang zu finden begannen, hörte Ravensburg 1795 auf, solche nutzlose Weinsperren beizubehalten.

Auch dem Getreide gegenüber befolgte die ravensburgische Wirtschaftspolitik ein System der Verkehrshemmung, jedoch in einer gerade entgegengesetzten Richtung, als es bei dem auswärtigen Weine der Fall war. Während man diesen gewöhnlich von der Stadt abzuhalten suchte, ging bei den Brotfrüchten, die sich innerhalb des Herrschaftsbereichs der Stadt be- oder einfanden, das Bestreben der Obrigkeit in der Regel dahin, [8] dieselben womöglich nicht wieder hinauszulassen, so lange nicht feststand, daß kein eigener Bedarf der Einwohner darnach vorlag. Es war die bei den frühern Verkehrsverhältnissen nicht unbegründete Besorgnis vor Teuerung und Hungersnot, was dieses Bestreben veranlaßte. Die Spekulation suchte in den meisten Jahrgängen das Korn aus dem Lande hinaus in die nahegelegene getreidearme Ost- und Zentralschweiz zu entführen, und es brauchten dann nicht einmal eigentliche Mißernten einzutreten, um in den südschwäbischen Städten da und dort einigen Mangel an Brot und Korn herbeizuführen.

Obwohl Ravensburg inmitten eines Landstriches mit reichem Getreidebau gelegen ist, war der Kornmarkt daselbst nicht erheblich. Daran war die geographische Lage der Stadt schuld. Für diesen Handelszweig hätte die Stadt entweder weiter entfernt vom Bodensee oder aber viel näher daran liegen, selber Hafenplatz sein müssen. Die Kornbauern der Ravensburger Gegend führten nämlich ihr Getreide anstatt auf den Ravensburger Markt oft lieber unmittelbar an den See, nach Lindau oder Überlingen, später sogar auch nach dem kleinen Buchhorn, weil sie an diesen Orten höhere Preise erzielten. Die schweizerischen Händler konnten solche dort zahlen, weil sie da die Landfracht an den See ersparten. Dagegen war für die Umwohner der weiter landeinwärts als Ravensburg gelegenen Städte der Weg an den See doch vielfach zu weit, und so kam es, daß Biberach und selbst das kleine Waldsee sich bedeutenderer Kornmärkte erfreuten als Ravensburg.


V. [Märkte]

Die im bisherigen vorgeführte Skizze des Erwerbslebens von Alt-Ravensburg bietet somit ein nicht gerade erfreuliches Bild. Indessen befand sich die Stadt verhältnismäßig in mindestens keinem stärkern Grad des Heruntergekommenseins als die meisten andern oberdeutschen Reichsstädte, von den großen wie Ulm und Augsburg an bis herab zu Buchhorn und Isny und andern kleinsten. Die Stadtverwaltung und der ganze Zustand von Ravensburg haben sogar einen begeisterten Lobredner gefunden in den 1787 erschienenen „Briefen eines reisenden Engländers“, deren Verfasser (übrigens ein Deutscher) mit seinem Lob freilich etwas weit geht; er sagt über Ravensburg unter anderm: „Alle öffentlichen Anstalten sind besser und zweckmäßiger als in den übrigen Reichsstädten Deutschlands und als in manchen hochgepriesenen deutschen Fürstenresidenzen; für öffentliche und private Schulanstalten, für Sicherheit und Reinlichkeit, für gute Finanzverwaltung und Justizordnung, für wahre Sittenverbesserung, für Kultur und Industrie ist hier gesorgt.“

Unter den vorhin geschilderten Umständen mußte Ravensburg vorderhand sich damit bescheiden, der gewerbliche Mittelpunkt eines fruchtbaren Landstriches zu sein, und der mit Viehhandel verknüpfte Wochenmarkt bildete den wichtigsten Faktor im damaligen volkswirtschaftlichen Leben der Stadt. Er überdauerte alle Stürme und jeden Wechsel der Zeiten. Allerdings das ländliche Zufuhrgebiet des Marktes und damit vielfach auch der Absatzkreis für die städtischen Erzeugnisse engte sich nach und nach etwas ein, weil in verschiedenen andern Orten der Umgegend neue Märkte aufkamen. Einzelne von diesen erwiesen sich freilich als nicht lebensfähig und schliefen zum Teil bald wieder ein.

Besonders lästig waren für Ravensburg die Versuche, die das nahe Altdorf-Weingarten seit 1377 immer wieder aufs neue machte, um einen Konkurrenzmarkt [9] aufzurichten. Diese Bestrebungen bedrohten geradezu die ganze wirtschaftliche Existenz Ravensburgs, nachdem ihnen die österreichischen Amtleute Vorschub zu leisten anfingen. Fast ein halbes Jahrtausend zogen sich die Streitigkeiten darüber hin. Indessen gelang keiner dieser Versuche jemals auf die Dauer, und man sah ein, daß es doch eine schwierige Sache war, uralt eingewurzelte und eingelebte Markt- und Verkehrsbeziehungen durch bloße amtliche Dekrete in andre Richtung zu verweisen. Der Altdorfer Markt ließ sich aller angewandten Mühe ungeachtet nicht in die Höhe bringen, obwohl man selbst zu Verboten, den Ravensburger Markt zu besuchen, und zu Gewalttätigkeiten schritt (1621 bis 1623 und 1653). Staatsrechtlich betrachtet war allerdings in dieser Marktstreitsache der Standpunkt Ravensburgs nicht unangreifbar. Es stützte sich nämlich darauf, daß in Übereinstimmung mit dem altdeutschen Rechte (Sachsenspiegel III, 66) der Kaiser Friedrich III. im Jahre 1464 dieser Stadt das Privileg verliehen hatte, es solle eine Meile im Umkreis um dieselbe nirgends sonst ein Markt abgehalten werden dürfen. Aber es galt später, oder genau genommen damals schon, die Errichtung neuer Wochen- und Jahrmärkte als eine jedem größern Landesherrn zustehende Befugnis, die sich weder durch ältere, noch durch neuere kaiserliche Privilegien beschränken ließ.[11]


VI. [Postwesen]

Bei dem geschilderten Tiefstand von Industrie und Handel in der Stadt ist nicht zu erwarten, daß zu jenen Zeiten der auswärtige Verkehr hier eine besondre Lebhaftigkeit hätte annehmen können. Die Verkehrsbeziehungen des Landmannes reichten überhaupt gewöhnlich nicht über die nächsten Marktstädte hinaus; sehr viel weiter gingen die des Handwerkers in der Stadt auch nicht, und der eine wie der andre pflegte seine auswärtigen Angelegenheiten nicht brieflich, sondern lieber persönlich bei Gelegenheit des Marktbesuches zu erledigen.

Im Mittelalter gab es keine Beförderungsanstalten für den allgemeinen Verkehr. Wenn ein Privatmann – was aber etwas ganz Ungewöhnliches war – in die Ferne etwas abmachen sollte, dann hatte er die Wahl, entweder sich selber auf den Weg zu begeben, oder eine andere Person als Boten und Bevollmächtigten eigens abzusenden, oder aber die Gelegenheit zu einer Gefälligkeitsbeförderung auszuwarten, welch letzteres zwar ein viel billigeres, aber meistens um so unzuverlässigeres Beförderungsmittel war. Auf Messen ziehende Händler, Wallfahrer, wandernde Klosterbrüder, herrschaftliche oder städtische Läufer, fahrende Spielleute und andres nomadisierendes Volk: das waren die Leute, die solche Nebenaufträge zu übernehmen pflegten.

[10] Im 16. Jahrhundert entstanden regelmäßige Botenkurse, welche in periodischer Wiederholung bestimmte Orte miteinander verbanden. Zwei solcher Kurse berührten Ravensburg. Von da ab vermittelten sie mit Hilfe ihrer Anschlußverbindungen den größten Teil des in weitere Ferne sich bewegenden Verkehrs der Bewohner der Stadt. Den mit Norden und Süden bediente der von der Kaufmannschaft zu St. Gallen aufgestellte, zwischen dort und Nürnberg hin- und herfahrende Bote, während die Richtung nach Osten und Westen durch den von dem Magistrat und den Kaufleuten von Memmingen für die Strecke Memmingen–Ravensburg–Konstanz aufgestellte Ordinaribote besorgt ward. Auch die Ravensburger Obrigkeit kam von der mittelalterlichen Gepflogenheit, die Briefe auswärts durch eigens abgeschickte Expreßboten zu versenden, allmählich ab und bediente sich nun ebenfalls dieser viel billigern Ordinariboten.

Schon seit den Zeiten des Kaisers Maximilian I., als die ältesten Postkurse Deutschland zu durchziehen anfingen, ging ein solcher an Ravensburg vorbei, wenn auch ohne dort Station zu halten. Es war dies die österreichisch erbländische Postlinie, welche Innsbruck mit Freiburg im Breisgau und dem damals österreichischen Oberelsaß verband.[12] Die Ravensburg nächstgelegenen zwei Stationen waren Bergatreute und Markdorf; später aber, als man der schnellern Beförderung wegen die Stationsentfernungen verkürzte, Weingarten und Dürrnast, Gemeinde Taldorf. Dieser Postkurs dauerte bis 1806, d. h. solange als Österreich Besitzungen in Schwaben hatte. Indessen benutzte man in der Gegend diese Posten fast nur für den Briefverkehr mit Wien, Innsbruck und andern österreichischen Orten; für sonstige Richtungen verblieb man vorerst bei dem hergebrachten Ordinaribotenwesen.

Während des Schwedenkrieges, 1634/35, legte die sogenannte Reichspost, die übrigens genau genommen ein Thurn- und Taxissches Privatunternehmen war, eine Postlinie von Augsburg aus über Memmingen, Leutkirch und Wangen nach Lindau an. Der Postbriefverkehr Ravensburgs mit der Außenwelt, Österreich ausgenommen, ward von da an fast fünf Jahrzehnte lang durch das Postamt Lindau vermittelt. Ein Botenweiblein, die sogenannte Tampel Anne, erhielt von der Obrigkeit die Konzession, alle acht oder vierzehn Tage zwischen den beiden Städten die Postsachen hin und her zu tragen, soweit die Kriegswirren und die öfters auftretende Pest es zuließen.

Wenn die durch den dreißigjährigen Krieg herbeigeführte allgemeine Verarmung nach wiederhergestelltem Frieden einerseits dem Neuaufblühen von Handel und Verkehr sich wenig günstig erwies,[13] so hatte immerhin anderseits der lange Krieg in die starre Abgeschlossenheit des kleinstädtischen Fürsichalleinlebens manche Bresche gelegt und zugleich die Bevölkerung Deutschlands mit eisernen Fäusten durcheinander gerüttelt. Beides im Zusammenhang mit der nunmehr auf Wiederherstellung geordneter volkswirtschaftlicher Zustände gerichteten Tätigkeit brachte dennoch vielen vordem nie gesehenen Wandel und Verkehr und eine starke Ausbreitung des Post- und Botenwesens mit sich und damit [11] zugleich auch die Gründung einer Postanstalt in Ravensburg. Jene erfolgte in dem Jahre 1681, demselben, in welchem Straßburg an die Franzosen verloren ging. Ravensburg verdankte die neue Verkehrseinrichtung nicht gerade seiner damaligen eigenen Verkehrsbedeutung, sondern dem Umstand, daß man eben an diesem Punkte eine Station für Pferdewechsel nötig hatte. Die Taxissche Postverwaltung wollte nämlich damals Ulm und Nürnberg in unmittelbare Postverbindung mit Lindau und der Schweiz bringen (über Biberach und Waldsee). Während größere Reichsstädte, wie Nürnberg und Ulm, sich mit allen Kräften dagegen wehrten, daß Postämter innerhalb ihrer Ringmauern errichtet würden, sah in Ravensburg der Magistrat sehr gern ein solches dort entstehen und ließ ihm jede Förderung zuteil werden, in der Erwartung, daß die neue Post und die mit ihr durchreisenden Fremden etwas Verdienst unter die durch die Kriege verarmte Einwohnerschaft bringen möchten.

Den Betrieb der Posten jener Zeiten kann man sich nicht bescheiden genug vorstellen. Es wurden bloß Briefe befördert und zwar nicht mittelst Wägen, sondern durch reitende Postillone. Diese regelmäßige Postverbindung fand aber nicht alltäglich statt, sondern setzte sich auch auf der Ravensburger Linie anfänglich und jahrzehntelang in der Woche nur einmal in jeder Richtung in Bewegung. Außer dem Briefdienst befaßte sich die Post noch mit Extraposten, d. h. die Posthalter stellten auf Verlangen den durchreisenden Vornehmen, auch den Regierungs- und Hofkurieren gegen hohes Entgelt frische Pferde von einer Station zur andern. Eine regelmäßige Beförderung von Paketen und Personen durch die Posten kam erst im Laufe des 18. Jahrhunderts nach und nach auf, übrigens keineswegs auf allen Postrouten. Die verschiedenen Zweige des postalischen Geldverkehrs sind bekanntlich erst eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts.

Das Briefporto der Taxisschen Posten hing von der zurückgelegten Wegstrecke ab und steigerte sich in annähernd gleichem Verhältnis mit dieser. Es war darum für kürzere Strecken etwas billiger, als es heute der Fall ist, auf größere Entfernungen aber viel teurer; z. B. ein einfacher Brief, einerlei ob frankiert oder unfrankiert, von Ravensburg nach Memmingen, Lindau, Überlingen oder Biberach kostete nur 2 Kreuzer, das ist nicht ganz 6 Pfennig heutiger Währung. Dagegen betrug nach Hamburg das Porto auf dem billigsten Wege 20 Kreuzer = 57 Pfennig unseres Geldes. Dazu kam allerdings noch, wenn der Brief am Bestimmungsort durch den Briefträger ausgetragen wurde, in allen Fällen der von dem Briefempfänger zu entrichtende Briefbestellkreuzer.


VII. [Straßenwesen]

Die politische Zerrissenheit, an der ganz Deutschland krankte, war auf die Spitze getrieben in Oberschwaben. In dieses teilten sich mehrere Dutzend selbständige Herrschaften und Reichsstädte, deren Gebiete seltsam zerhackt[14] und ineinander verschlungen waren, und zwischen denen eingestreut kleine österreichische Gebietssplitter lagen. In allem, was mit Volkswirtschaft und Verkehr zusammenhing, zeitigte dieser Umstand die übelsten Folgen und so ganz besonders im Straßenwesen.

Planmäßig die Landstraßen in ununterbrochen gutem Zustand zu erhalten, das war von vornherein ein Gedanke, der jenen Zeiten ziemlich ferne lag. Man wartete [12] vielmehr ruhig ab, bis eine Straße allmählich unbenutzbar zu werden anfing und Klagen darüber einliefen. Geschah dies, so erhob sich unter den beteiligten Herrschaften nur allzuhäufig schon über den Punkt ein Streit, wer zur Reparatur dieser oder jener Strecke verpflichtet sei und welche der anstoßenden Orte und Herrschaften dazu Beihilfe leisten müßten. Mit den Erörterungen darüber konnte eine lange Frist hingehen, und die Schäden wurden immer unerträglicher.

War man über jenen Punkt glücklich im reinen, dann hielt es oft recht schwer, daß die Pflichtigen sich nun auch alle zur Tat aufrafften, namentlich wenn nicht sie, sondern andre den Hauptnutzen aus der zu bessernden Straßenstrecke hatten. Noch geringer war die Bereitwilligkeit, wo eine Gebietsherrschaft oder deren Untertanen gerade ein Interesse daran hatten, den bestehenden schlimmen Zustand fortzusetzen, so z. B. wenn man den anliegenden Bauern einen Verdienst durch Vorspannleisten zuwenden, oder aber den Verkehr ganz anderswohin ableiten wollte. 1767 z. B. beklagte sich der Postverwalter von Weingarten, die Herrschaft Waldburg-Wolfegg lasse bei Witschwende und Eintürnen die uralt hergebrachte Post- und Heerstraße geflissentlich untergehen, um den gesamten Verkehr nach Wolfegg zu ziehen (Akten des k. Staatsfilialarchivs Ludwigsburg).

Das sind Fälle, wo es sich um längst bestehende Straßen handelte; wenn aber gar irgend eine neue Verkehrsanlage zum gemeinsamen Nutzen eines ganzen Landstriches geschaffen werden sollte, dann erhoben sich noch größere Schwierigkeiten, und nicht zum wenigsten von seiten der Reichsstädte, die in ihren letzten Zeiten von einem krampfhaften Hangen am Hergebrachten und von Feindseligkeit gegen alle Neuerungen beherrscht waren. Daß irgend ein Zustand, bloß weil er eine lange Zeit hindurch gedauert hatte, damit einen gewissen Anspruch gebe, für alle Ewigkeit in gleicher Weise aufrecht erhalten zu bleiben, das sah man dort als eine Selbstverständlichkeit an, die keiner weitern Rechtsgrundlage bedürfe.

Ein besonders hervorstechendes unter zahllosen zu Gebote stehenden Beispielen liefert der Arlbergpaß. Dieser war bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts ein schlechter und winters in der Regel gar nicht benutzbarer Saumpfad ohne jede internationale Bedeutung, und selbst der nachbarschaftliche Verkehr zwischen Vorarlberg und Tirol, obschon beide Länder unmittelbar aneinander grenzen, vollzog sich auf weiten Umwegen durch fremdes Gebiet hindurch über Kempten, Isny und Lindau. Diese Städte erblickten ein schreiendes Unrecht darin, daß Österreich in den 1730 er Jahren endlich darauf dachte, den Verkehr zwischen jenen beiden Kronländern ohne solchen Umweg und ohne Berührung auswärtigen Gebietes ganz in die eigenen Lande zu verlegen, d. h. jenen Saumpfad durch eine ordentliche „Salzstraße“ zu ersetzen. Zur Ausführung gelangte dieser Plan übrigens erst ein halbes Jahrhundert später, weniger wegen der Proteste Lindaus, als aus Mangel an Geldmitteln und weil auch österreichische Städte, so Bregenz und Bozen davon Nachteile befürchteten, während Feldkirch das Projekt mit Eifer unterstützte.

Da das einemal dieser, das andremal ein andrer Stand ebenso egoistisch dachte und handelte, wie in diesem Fall jene Städte, so hatte allerdings keiner dem andern etwas vorzuwerfen. Als im Jahre 1776 Riedlingen und Saulgau in bequemere Verbindung mit dem Bodensee gesetzt werden sollten durch den Bau der bis zur [13] Eisenbahnzeit sehr belebten sogenannten Kornstraße, boten Ravensburg und Buchhorn, wiewohl vergeblich, alles auf, um den Plan zu hintertreiben.[15]

Der blind-selbstsüchtige Widerstand kleiner Reichsstände gegen nützliche, gemeinsame Maßregeln wurde niedergehalten, wenn das mächtige Österreich den Plan irgendeiner solchen mit Ernst förderte. Maria Theresia und ihr Sohn Joseph taten sehr viel, um auch in ihren vorderösterreichischen Gebieten, soweit die leidigen Verhältnisse Schwabens es zuließen, die im Landstraßenwesen herrschende Verwahrlosung zu bekämpfen, und es ist wohl hauptsächlich dem Einfluß jener beiden Herrscher zuzuschreiben, wenn der schwäbische Kreis von der Mitte des 18. Jahrhunderts an sich die Straßenbesserung ernstlich angelegen sein ließ.

Auch fürstliche Reisen gaben manchmal Anlaß, vorher die betreffenden Straßenstrecken gründlich wieder herzustellen. Wenn man nicht genau wußte, welche Strecke man wählen werde, konnte dies für die Straßen des ganzen Landes von Vorteil sein, wie das z. B. 1770 der Fall war, als Marie Antoinette nach Paris reiste, und zwar über Ehingen und Riedlingen. Es wurde dort nicht allein die sogenannte Dauphinestraße neuangelegt, sondern man hatte im Hinblick auf jene Reise auch im ganzen südlichen Schwaben und insbesondre in der Ravensburger- und Bodenseegegend mit großem Eifer die Straßen in bessern Stand gesetzt.

Einen günstigen Einfluß auf das oberschwäbische Straßenwesen hatte im 18. Jahrhundert auch der Wettbewerb, der zwischen Bayern und Österreich bestand um den Salzvertrieb nach Schwaben und der Schweiz. Während Österreich von Tirol aus nach dem Bodensee selber Abkürzungsstraßen baute, zahlte Bayern Subventionen an verschiedene oberschwäbische Reichsstände zum Zwecke der Verbesserung der aus Bayern nach dem Bodensee führenden „Salzstraßen.“ Dies und die Hoffnung auf den von der Salzspedition zu erwartenden Nutzen brachten es zuwege, daß neben andern auch Ravensburg um 1759 mit Eifer daran ging, die Landstraßen der Umgebung gründlich zu untersuchen und den vorhandenen Schäden abzuhelfen.

In den ältern Zeiten bestand die Wiederherstellung einer Straße in nicht viel mehr, als daß man mit Reisach, Steinen und Erde die entstandenen Löcher ausfüllte. Bei jedem Regen hatten sich diese mit Wasser und Schlamm gefüllt, und sie waren oft so groß und tief, daß Pferde und Wagen darin verschwanden. Ungefähr seit 1750 begann man auf Anordnung des schwäbischen Kreises Kunststraßen zu bauen, d. h. was man damals so hieß: es wurde der Straße ein Kiesbelag gegeben, auch für den nötigen Wasserabfluß gesorgt.

Obwohl diese sogenannten Kunststraßen, mit den heutigen verglichen, etwas sehr Minderwertiges darstellten, bildeten sie doch gegenüber dem frühern Zustand einen großen Fortschritt, dessen wohltätige Wirkungen nicht ausblieben. Dem Fuhrmann und Bauern kam die Schonung ihrer Zugtiere jeden Tag zum Bewußtsein, und die neuangelegten Chausseen bewirkten, daß die Bodenseeweine im übrigen Süddeutschland sehr gesucht zu werden anfingen und bedeutend höhere Preise erzielten als vordem. In guten Erntejahren ward die Fruchtausfuhr nach der Schweiz stärker als je vormals. Die Mißernte [14] von 1770, die in ganz Schwaben eine ungemein hohe Teuerung der Brotfrüchte mit sich brachte, würde im Mittelalter einen Teil der Bevölkerung zum Hungertode verurteilt haben. Aber mit Hilfe der verbesserten Chausseen vermochten jetzt die Obrigkeiten ohne Schwierigkeit Reis aus Italien und Getreide aus andern fernen Ländern herbeizuschaffen und zum Teil unentgeltlich, zum Teil unter den Selbstkosten an die Ärmern abzugeben und vielen dadurch das Leben zu retten.


VIII. [Verkehrshemmnisse]

Wenn wir den bereits angeführten Verkehrseinrichtungen noch hinzufügen das Kornhaus, das Salzhaus und das Waghaus samt der obrigkeitlichen Fürsorge für Maß und Gewicht, ferner die städtische Warenschau und den von Amts wegen aufgestellten sogenannten Unterkäufer, dann haben wir so ziemlich alles beieinander, was in reichsstädtischen Zeiten hier vorhanden gewesen ist an Veranstaltungen für positive Förderung auswärtigen Verkehrs. Zahlreicher aber und sehr einschneidend waren diejenigen obrigkeitlichen Maßnahmen, welche eine künstliche Erschwerung oder Unterdrückung auswärtigen Verkehrs entweder direkt bezweckten oder wenigstens zur notwendigen Folge hatten. Die Hauptkategorien dieser künstlichen Verkehrshemmnisse bestehen in folgenden:

  1. ) Der Zunftzwang mit seinem Streben nach möglichster wirtschaftlicher Abschließung gegen die Außenwelt;
  2. ) weiter, die Erschwerung des Verkehrs der Fremden und überhaupt die grundsätzliche Zurücksetzung der Auswärtigen gegenüber den Einheimischen auf fast jedem Gebiete der materiellen Interessen, namentlich bei dem Recht zum Verkaufen und Kaufen, im Gewerbebetrieb, in dem Gebrauche der dem öffentlichen Nutzen dienenden verschiedenen Einrichtungen und den dafür zu zahlenden Gebühren, endlich bei den Zöllen, Steuern und Abgaben;
  3. ) Bannrechte und Monopole; ein Salzhandelsmonopol war in Ravensburg zeitweilig in Kraft, in der Umgegend auch ein Eisenmonopol;
  4. ) zeitweilige vollständige Verkehrssperren gegenüber bestimmten Orten oder Gegenden; sie konnten vom ganzen Reich oder vom Kreis oder von einzelnen Gebieten ausgehen;
  5. ) zeitweilige oder dauernde Sperrung oder Erschwerung der Einfuhr gewisser Waren (in Ravensburg Wein und Leder);
  6. ) desgleichen Sperrung der Ausfuhr (dabei kommen unter anderm in Betracht: Korn, Unschlitt, Tierhäute);
  7. ) Stapel- und Niederlagsrechte, Straßenzwang waren in ältern Zeiten als verkehrsfördernde Einrichtungen gedacht, im Laufe der Zeit aber aus einer Wohltat zur Plage geworden. Ravensburg besaß keine solchen Vorrechte; wohl aber war es von solchen andrer Orte gelegentlich belästigt;
  8. ) endlich sind zu nennen als nicht geringe Verkehrshemmungen die einheimischen und die fremden Zölle.

Neben diesen künstlich erzeugten Verkehrshindernissen her gingen die von der Natur oder den Umständen gegebenen. Vor allem war es die Unsicherheit der Landstraßen, namentlich infolge des im frühern Oberschwaben besonders heimischen [15] Gauner- und Räuberwesens, im Mittelalter kamen dazu noch die unausgesetzten Fehden und die Gefährdung durch Wölfe.

Mit jener öffentlichen Unsicherheit steht im Zusammenhang die vormalige Festungseigenschaft aller Städte mit ihrem Verschlossenhalten der Stadttore bei Nacht und in unruhigen Zeiten auch bei Tage.

Weiter waren es die in kurzen Fristen sich wiederholenden Heimsuchungen durch Pestkrankheiten verschiedener Art bei Menschen und Vieh, welche das ohnehin vorhandene Streben, sich gegen die Außenwelt abzuschließen, periodisch noch mehr steigerten.


IX. [Ravensburg wird bayerisch]

Während Ravensburg gegen das Ende des Mittelalters die größten Geldmänner Europas zu seinen Bürgern zählte, befand es sich, wie wir gesehen haben, seit dem dreißigjährigen Krieg in einem jämmerlichen wirtschaftlichen Verfall, und den nach 1750 eingetretenen schwachen Anlauf zu einer Besserung machten die französischen Revolutionskriege wieder zunichte. Nun aber trat der Wendepunkt ein, der die Periode des Niederganges abschloß. Die Wandlung beruhte freilich auf Rechtsbruch und Gewaltakten, und bevor der erfreuliche Wiederaufschwung seinen Anfang nahm, ging eine schmerzhafte und stürmische, fast zwei Jahrzehnte andauernde Übergangszeit voraus. Das alte Römisch-Deutsche Reich, das ohnehin nur noch ein Scheinleben geführt hatte, ging vollends auseinander, und auf Napoleons Machtgebot verschwanden von der Landkarte Oberschwabens alle die Zwergstaaten und kleinen Herrschaften, deren Eifersüchtelei und Indolenz die Interessen des allgemeinen Verkehrs so manchfach geschädigt hatten. Die kleinen schwäbisch-österreichischen Gebietsteile, deren Amtleute sich ebenfalls wie kleine Souveräne gebärdet hatten, wechselten auch den Herrn.

Ravensburg wurde 1803 dem Staate Bayern einverleibt. Das Aufhören der Reichsunmittelbarkeit ward von den Patriziern und den sonst gerade am Ruder befindlichen Familien im stillen betrauert; der gewöhnliche Bürgersmann aber hatte dabei kaum viel zu verlieren;[16] die bäuerlichen Untertanen der Stadt konnten bei einem Herrschaftswechsel nur gewinnen, und die Zahlung der Römermonate und andre schwere Finanzlasten, welche die Reichsstadt für das Reich, das Reichskammergericht und den schwäbischen Kreis bisher hatte tragen müssen, hörten auch auf. Nun fiel aber drei Jahre nachher, 1806, das ganze Landgebiet rings um die Stadt herum an das neue Königreich Württemberg, so namentlich die österreichische Landvogtei Altdorf, die Truchseß-Waldburgischen Herrschaften und die frühern Reichsstifte Weingarten, Weißenau und Baindt. Ravensburg war von da an eine gänzlich von Württemberg umschlossene, von dem übrigen Bayern getrennte bayrische Gebietsexklave. Die volkswirtschaftlichen Vorteile, welche aus der Vereinigung mit einem größern Staatswesen sich für die Stadt ergeben konnten, machte jene unglückliche Gebietsabgrenzung großenteils wieder zunichte.

[16] Als nun vollends Württemberg im Jahre 1808 nach dem Vorgang Bayerns das mittelalterliche System der Straßenzölle verließ und zu dem Grundsatz der Verzollung an den Landesgrenzen und zur Zollgrenzbewachung überging, mußte das betrübte Ravensburg fast für alles, was es von auswärts bezog, den sehr gesteigerten württembergischen Zoll bezahlen und sah sich zugleich von seinem seitherigen Wochenmarktsdistrikt durch die vor den Toren der Stadt entstandene Zollgrenze so gut wie abgeschnitten. Selbst der Bauer vom Lande mußte das, was er in Ravensburg einkaufte, auf dem Weg in seine Heimat hoch verzollen. Zwischen den beiden Zollsystemen Bayerns und Württembergs eingeklemmt war die Stadt auf dem Punkt, in ihrem Nahrungsstand vollends erdrückt zu werden.[17]

Nun half die bayrische Regierung allerdings, was ihren eigenen Zoll anbelangte, den Klagen Ravensburgs großenteils ab, indem sie dieses aus dem bayrischen Mautverband, in welchen es den 1. Juni 1808 einbezogen worden war, ein Vierteljahr nachher wieder entließ, aber der württembergische Zoll mit seinen schwerwiegenden Folgen blieb natürlich bestehen.


[17]
X. [Ravensburg wird württembergisch]

Diese betrübenden Umstände begannen den Ravensburger Wochenmarkt, der damals fast die einzige Erwerbs- und Nahrungsquelle der Stadt ausmachte, zu zerstören, und für das württembergisch gewordene Altdorf-Weingarten lagen die Verhältnisse jetzt so günstig wie noch nie, um die seit vier Jahrhunderten verfolgten Absichten verwirklichen zu können und den Ravensburger Marktverkehr ganz und gar dorthin abzulenken.

Dazu kam, daß Ravensburg, welches bis dahin der Knotenpunkt der Postkurse des südlichen Oberschwabens gewesen war, jetzt diese Stellung großenteils auch an Altdorf verlor. Die württembergische Regierung hatte nämlich die Posten in ihrem Land in eigene Verwaltung genommen und das Kursnetz gründlich umgestaltet, wobei natürlich die Interessen der eigenen Landesteile die Richtschnur bildeten.

Aus seiner mißlichen Lage wurde Ravensburg im Jahre 1810 unerwarteterweise erlöst durch eine neue Gebietsverteilung Napoleons. Es ward von Bayern, das anderweitige Entschädigung erhielt, neben verschiedenen andern Gebietsteilen an Württemberg abgetreten. Damit war die Lösung des Knotens herbeigeführt, wenn auch in andrer Weise, als es die Ravensburger sich gedacht hatten. In einer Bittschrift vom 26. Juli 1808 nämlich hatte der Handels- und Gewerbestand der Stadt dem König Max Joseph in beweglichen Worten seine Notlage geschildert und dabei einfließen lassen, sie könnten den innigsten Wunsch nicht unterdrücken, daß es der Vorsehung gefallen möchte, das umgebende Gebiet der Krone Bayern auch zu unterwerfen.

Nun, die neue Wendung, welche die Dinge nahmen, erzielte die beabsichtigte Wirkung gerade so gut; das Land rings um die Stadt stand mit dieser nunmehr unter einem und demselben Herrscher; der Sorgen wegen der schwergefährdeten wirtschaftlichen Zukunft der Stadt war man nun ledig, und die Freude der Einwohner über den Wechsel war keineswegs ein bloßer Akt der Höflichkeit, sondern in der Tat eine aufrichtig gemeinte, wenn auch freilich nicht ganz ungemischte. Neben dem, daß das württembergische Postamt zu Altdorf-Weingarten alsbald nach Ravensburg verlegt wurde, fielen jetzt vor allem vor den Stadttoren die Zollschranken,[18] welche die Stadt von ihrem ländlichen Zufuhr- und Absatzgebiet abgeschnitten hatten. Der Wochenmarkt ging wieder in die Höhe.

Freilich die schlimme Rheinbundszeit und ihre schweren Kriegslasten machten das Einleben in die neuen Verhältnisse nicht eben leicht, in Württemberg ebenso wie vordem unter Bayern, und die daraus folgenden Freiheitskriege und das Hungerjahr 1817 waren weit entfernt, schon eine Art von behaglichem Dasein aufkommen zu lassen. Es darf vielleicht auch an die Kontinentalsperre erinnert werden. Sie hatte für unsre Gegenden, wie überall, die Folge, daß die Kolonialwaren, die sich ja der süddeutschen Bevölkerung bereits unentbehrlich gemacht hatten, ungefähr auf das Dreifache im Preise hinauf gingen; ein Pfund Kaffee kostete 1811 in Ravensburg, statt vordem 48 Kreuzer, nun 2 Gulden 24 Kreuzer und ein Pfund Zucker anstatt 1 Gulden nun 3 Gulden.


[18]
XI. [Verkehr in neuen Grenzen]

Die politischen Umgestaltungen jener Zeit führten manche Verschiebung in den Hauptrichtungen des Verkehrs herbei. Neue Mittelpunkte, nach denen dieser gravitierte, kamen auf, während von den ältern Verkehrszentren einzelne mehr in den Hintergrund traten. Der Untergang des Reiches und die Verdrängung Österreichs aus dem Breisgau und seinen übrigen schwäbischen Gebieten hatte zur Folge, daß die vorher recht lebhaft gewesenen Verkehrsbeziehungen Schwabens mit Wien, Innsbruck usw. auf ein geringes zusammenschrumpften.

Die drei Staaten, unter die das südliche Schwaben aufgeteilt worden war, begannen alsbald die Straßennetze und sonstigen Verkehrseinrichtungen ihrer neuen Landesteile von dem Gesichtspunkt aus umzugestalten, daß nunmehr je die betreffende Landeshauptstadt den Ausgangspunkt zu bilden hatte. Was den Bodensee betrifft, so war jeder der drei Staaten bemüht, den Zug des Verkehrs dorthin und von dorther möglichst durch das eigene Land und über die eigenen Hafenplätze zu leiten.

Der sich mehr und mehr steigernde Warenverkehr erregte da und dort das Verlangen nach Schiffahrtskanälen. Aber das nötige Geld dazu fehlte; die vielen Kriege hatten die geringe Kapitalkraft des Landes noch weiter gemindert. So blieb es bei den bloßen Wünschen. Schon 1807 befürwortete Graf v. Portia den Bau einer Kanalverbindung zwischen dem Bodensee und der Isar. Der Kanal sollte von Langenargen aus über Wangen und Immenstadt, Füßen und Weilheim nach der Münchener Vorstadt Giesing führen. Da die beiden erstgenannten Plätze schon drei Jahre nachher aus dem bayrischen Staatsverband ausschieden, war in der Folge von einem derartigen Plane nicht mehr die Rede.

Dagegen wurden jetzt von seiten Württembergs Kanalpläne erwogen, um den Neckar (und damit zugleich den Rhein) mit Ulm und der Donau und diese mit dem württembergischen Bodenseeufer in Schiffsverbindung zu setzen. Bevor jedoch diese Erwägungen einen Abschluß fanden, veränderte sich die Sachlage dadurch, daß England 1825 anfing, Schienenstraßen mit Lokomotivbetrieb zu bauen und man in einer Reihe kontinentaler Staaten, so Bayern und Sachsen, diesem Beispiel nachfolgte.

1839 ließ die württembergische Regierung dem Landtag eine vergleichende Berechnung der voraussichtlichen Kosten vorlegen, welche ein Schiffskanal und eine Eisenbahnverbindung von Friedrichshafen nach Heilbronn verursachen würde. Darnach sollte eine eingeleisige Eisenbahn für die Strecke vom Bodensee bis Ulm (104 km) 61/3 Millionen Gulden kosten, dagegen für dieselbe Strecke eine Kanalverbindung mit 95 Schleusen etwas mehr, nämlich 71/2 Millionen Gulden. (In der neuesten Zeit sind die Baukosten einer Kanalanlage Friedrichshafen–Ulm auf nicht weniger als 80 Millionen Mark, also sechsmal so hoch, veranschlagt worden.)


XII. [Württembergische Südbahn]

Die Idee einer solchen Kanalverbindung verfolgte man damals nicht weiter und entschied sich dafür, von Friedrichshafen nach Heilbronn eine Schienenstraße herzustellen, da diese bei geringern Kosten größere Vorteile bot als der Schiffskanal. Im württembergischen Unterland war bereits das Bahnstück Bietigheim–Stuttgart–Süßen im Betrieb, [19] als den 8. November 1847 die kleine Bahnstrecke Ravensburg–Friedrichshafen eröffnet wurde,[19] die vorderhand ohne Anschlußverbindung für sich bestand.

Während der ersten 11/2 Jahre beförderte diese kleine oberschwäbische Eisenbahn nur Personen.[20] Das, was ihre Fahrpläne damals an Zugsverbindungen darboten, war augenscheinlich darauf berechnet, für die Regel nur eine der beiden vorhandenen Lokomotiven, und zwar nur ausnahmsweise länger als ungefähr sieben Stunden im Tag, unter Dampf halten zu müssen. An den gewöhnlichen Wochentagen liefen in jeder Richtung bloß zwei Züge: Abgang aus Ravensburg mittags 12 und nachmittags 4 Uhr; Rückfahrt aus Friedrichshafen um 1 und 5 Uhr nachmittags. Am Samstag, als am Ravensburger Wochenmarkt, verkehrten drei und am Sonntag vier Züge.

Mit der Vollendung der Bahnstrecke Ravensburg–Biberach, im Sommer 1849, wurde die Bahnverbindung der Stadt eine zweiseitige, und jetzt ging man auch zum Gütertransport über. Seitab der Bahnen gelegene Orte fingen an, regelmäßige Omnibus- und Frachtfuhrverbindungen nach den ihnen nächstgelegenen Bahnstationen einzurichten.

Im Juni 1850 war die Überschienung der Schwäbischen Alb vollendet und damit der Anschluß der oberschwäbischen Bahnlinie an die gleichzeitig erbaute unterländische hergestellt und die ganze Strecke von Friedrichshafen an ohne Unterbrechung bis nach Heilbronn in Betrieb genommen. Jetzt verkehrten in Oberschwaben täglich drei Bahnzüge in jeder Richtung, je einer morgens, mittags und abends. Es waren zwei gewöhnliche Personenzüge und ein gemischter Güterzug. Von sonstigen Zugsgattungen war noch keine Rede, namentlich nicht von Schnellzügen und reinen Güterzügen.

Gegenüber den bescheidenen Verkehrsverhältnissen, wie sie vor sechs Jahrzehnten in der Säuglingsperiode unserer Eisenbahnen statthatten, möge erwähnt werden, daß gegenwärtig, September 1910, täglich zwischen Ravensburg und Friedrichshafen 41 fahrplanmäßige tägliche Züge laufen.[21] Entsprechend dem noch wenig entwickelten Verkehr war die bauliche Anlage und die Ausstattung der Bahn erheblich einfacher als gegenwärtig, und schienengleiche Straßenübergänge haben sich, selbst an Punkten mit sehr starkem Landstraßenverkehr, noch bis in die letzten Jahre erhalten. Die Lokomotiven heizte man auf der oberschwäbischen Linie anfänglich jahrelang nicht mit mineralischen Brennstoffen, sondern mit Forchenholz, von dem man 1848 täglich 3/4 württembergische Klafter verbrauchte.

[20] Über die Billigkeit der Eisenbahnpersonenfahrtaxen scheint man sich vorher allzu sanguinischen Hoffnungen hingegeben zu haben; denn es war über ihre unerwartete Höhe im ganzen Land, von Heilbronn an bis an den Bodensee hinauf nur eine Stimme des Mißvergnügens, zumal die Provinzbewohner noch außerdem glaubten, daß die Hauptstadt samt Umgebung gegenüber ihnen in dem Tarif begünstigt worden sei. Nun ist soviel sicher, im Vergleich mit den ältern Verkehrsmitteln brachte die Eisenbahn und ihr Personentarif eine erhebliche Verbilligung. Eine Fahrt mit dem Postwagen kam samt der Einschreibgebühr und dem vorgeschriebenen Postillonstrinkgeld für die Wegstunde auf 14 bis 18 Kreuzer; die Wegstunde Bahnfahrt dagegen kostete in den damals vorhandenen drei Wagenklassen 4, 6 bezw. 8 Kreuzer. Das macht gegenüber den heutigen Bahntarifen immerhin 7 bis 10 % weniger aus; d. h. wenn man das inzwischen eingetretene Sinken der Kaufkraft des Geldes unberücksichtigt läßt; dagegen war die damalige niedrigste, die dritte Wagenklasse, gegenüber der seit einigen Jahren bestehenden vierten um etwas teurer.

Es stand noch mehrere Jahre an, bis die württembergischen Bahnen mit denen der Nachbarstaaten, und durch diese dann mit denen der übrigen Welt, den unmittelbaren Anschluß fanden. Gegen Baden erfolgte dieser 1853 in Bruchsal, gegen Bayern im darauffolgenden Jahr zu Ulm. Damit erst vermochten die Schienenstraßen ihrer Bestimmung als völkerverbindende Anstalt völlig gerecht zu werden.


XIII. [Telegraphenwesen]

Zu den Anfängen des Telegraphenwesens übergehend, mag erwähnt werden, wie aus den ravensburgischen Archivakten hervorgeht,[22] daß schon in den französischen Revolutionskriegen der Bezirk von einer Telegraphenlinie durchzogen war, allerdings keiner elektrischen, sondern einer optischen, welche der Erzherzog Karl 1799 bis 1800 hatte anlegen lassen. Eine der Telegraphenstationen befand sich zu Wilhelmskirch (11/2 Stunden von Ravensburg). Von da ging die Linie in der Richtung auf Stockach und Donaueschingen weiter, da sich an dem letztern Orte das Hauptquartier des Erzherzogs befand. Ihre Entstehung verdankten diese und andre österreichische Feldtelegraphenlinien dem Umstande, daß eben um jene Zeit – entweder von dem Elsaß oder von der Schweiz her – ein neuer Einfall französischer Heere zu gewärtigen war, der dann Ende Aprils desselben Jahres in der Tat erfolgte, unter Moreau, der die Österreicher aus Oberschwaben vertrieb; infolgedessen gingen deren Feldtelegraphen dort selbstverständlich ein. Dafür aber ward Süddeutschland vom Dezember 1800 an bis zum Lünéviller Friedensschluß von einer französischen optischen Feldtelegraphenverbindung durchquert, die von Augsburg bezw. von Moreaus jeweiligem Hauptquartier über Ulm, Schaffhausen und Basel nach Straßburg führte, das einen der Endpunkte des stabilen optischen Telegraphennetzes bildete, welches Frankreich nach dem System Chappe seit 1793 sich angelegt hatte.

[21] Die württembergischen elektrischen Staatstelegraphen wurden am 16. April 1851 dem öffentlichen Verkehr übergeben, und Mitte Dezember desselben Jahres auch eine Telegraphenstation zu Ravensburg. Die Hauptaufgabe dieser Telegraphen bestand übrigens noch darin, den Zwecken des Bahnbetriebes zu dienen. Allerdings, solange das kleine Stückchen Eisenbahn von Friedrichshafen nach Ravensburg, auf dem gleichzeitig nie mehr als ein einziger Bahnzug sich bewegte, noch keine Fortsetzung hatte, konnte dessen Betrieb der Fernsignale entbehren. Als jedoch die ganze Strecke von Heilbronn bis an den Bodensee ohne Unterbrechung befahren wurde, ging man daran, die Bahnstationen nacheinander durch elektrische Telegraphen (und zwar des noch heute gebräuchlichen Systems Morse) zu verbinden. Auf dem Weg über Ulm konnten auch mit Bayern und andern Ländern, soweit man schon Telegraphenanschluß dahin hatte, Drahtnachrichten ausgetauscht werden.

Die Gebühren für Telegramme, wenigstens für die innerhalb Württembergs verbleibenden, waren verhältnismäßig billig, wenn man berücksichtigt, daß es sich um den allerersten Anfang des Unternehmens handelte. Von Ravensburg aus kosteten 20 Worte nach Friedrichshafen 30 Kreuzer, nach Ulm 48 Kreuzer, nach Stuttgart 1 Gulden 6 Kreuzer und nach Heilbronn 1 Gulden 18 Kreuzer. Trotzdem war der private Telegrammverkehr anfänglich auffallend gering: in dem ersten halben Monat des Betriebs der Station Ravensburg wurden daselbst im ganzen nicht mehr als zwei Stück Privattelegramme abgesandt. Überhaupt waren es anfänglich lange Zeit hindurch nur die großen Geschäftshäuser und Spekulanten, denen der Telegraph als gewöhnliches Verkehrsmittel diente, während er bei der Masse der Bevölkerung für die Regel nur als der Bringer unvermuteter Unglücksbotschaften galt, und es war früher etwas ganz Gewöhnliches, daß das bloße Erscheinen eines Depeschenboten, noch ehe man überhaupt wußte, was er brachte, in einem Hause schon blassen Schrecken oder gar weibliche Ohnmachten hervorrief.


XIV. [Aufschwung im Eisenbahnzeitalter; Ausblick]

Die Posten haben ihren Betrieb den durch die Eisenbahn geschaffenen neuen Verhältnissen gemäß von Grund aus umgestaltet; weiter haben sie neben ihrem Beförderungsgeschäft auch bankmäßige Geschäfte zu betreiben unternommen.

Die Weiterentwicklung der Eisenbahnen, Posten und Telegraphen, sowie die Einbürgerung des Telephons, der Fahrräder und Automobile, Straßenbahnen usw. hat in Ravensburg im ganzen den nämlichen Verlauf genommen wie anderwärts, und das gleiche ist zu sagen über die Umwälzungen, welche alle diese neuen Verkehrsmittel hervorbrachten bei der Industrie, dem Handel und der Landwirtschaft, weiter in unsern Gewohnheiten, Sitten und Lebensanschauungen, in unsern Bedürfnissen und der Art, sie zu befriedigen. Die Wirkungen, welche das fortwährende Durcheinandergerütteltwerden der Menschheit für diese in Zukunft weiter haben werden, lassen sich noch gar nicht alle übersehen.

Dem von Haus aus kümmerlichen und noch dazu künstlich unterbundenen Verkehr vor 100 oder 150 Jahren entsprachen die zu seiner Bedienung bestehenden ebenso dürftigen Vorkehrungen. Wenn wir diese mit den verschiedenartigen heutigen Verkehrseinrichtungen und den von ihnen alljährlich bewältigten Verkehrsmassen vergleichen, so heißt das ungefähr [22] soviel, wie eine Maus und einen Elefanten nebeneinander stellen. Z. B. der in Ravensburg abgehende und ankommende Frachtverkehr wurde zu Ende der Reichsstadtzeit auf jährlich 5000 ravensburgische Zentner geschätzt. Was dagegen im Jahr 1908 mit der Eisenbahn für Ravensburg ankam und von dort abgesandt wurde, betrug zusammen etwas über 2 Millionen Zollzentner.

Im Postverkehr war das Wachstum noch riesiger. Wir dürfen die Gesamtzahl der abgegebenen und angekommenen Sendungen nach gewissen Anhaltspunkten für die Zeiten um 1780 oder 1790 auf zusammen 8–10 000 Stück im Jahr anschlagen. Dagegen sind im Jahr 1908 zusammen 9 Millionen Postgegenstände jeder Art in Ravensburg abgegangen oder angekommen, wozu noch gegen 900 000 telegraphische und telephonische Mitteilungen treten.

Für Oberschwaben, und speziell Ravensburg, hat die Gesundung der politischen Verhältnisse auch zu der Heilung der wirtschaftlichen Schäden und zu einem erfreulichen Wiederaufschwunge geführt. Durch die württembergischen Könige und später zugleich unter dem Schirm des neuen deutschen Reiches ist im Laufe der verflossenen hundert Jahre diese Stadt aus ihrem tiefen Zerfall wieder zu neuer Blüte emporgehoben worden. Unter anderm war es eine den Anforderungen der Zeit entsprechende Gewerbegesetzgebung,[23] dann das Fallen der innerdeutschen Zollschranken, weiter die Befreiung des Bauernstandes von den zahlreichen Lasten, die ihn bedrückt hatten; namentlich aber waren es die Eisenbahnen, die das Erwerbsleben in einer Weise gehoben haben, wie es ein Ravensburger von 1790 oder 1810 niemals zu erhoffen gewagt hätte. In der Stadt sowohl, als in vielen Orten der Umgebung, blühte eine Groß-Industrie auf.[24] Es öffnete sich ihr als Absatzkreis, ohne die frühern Zollbelastungen, alsbald das ganze Königreich Württemberg, und in der Folge auch das ganze zollvereinte Deutschland, während in den letzten Reichsstadtzeiten das hiesige Gewerbe eigentlich nicht weiter hinaus als bis zu einem paar Dutzend benachbarter Dorfgemeinden seine Abnehmer finden konnte.

Im Laufe des segensreichen Jahrhunderts, auf das wir heuer zurückblicken, hat die Stadt ihre Einwohnerzahl von etwa 3600 auf 15 000 erhöht.[25]

Zu den Zeiten des alten Reiches waren, wie vorhin dargelegt wurde, die gemeinsamen großen Interessen ganzer Landstriche und aneinandergrenzender Länder so gut wie vogelfrei gegenüber der auf die Spitze getriebenen Selbstsucht der frühern kleinen Gebietsherrschaften und reichsunmittelbaren Städte. Heute erfreuen sich diese gemeinsamen Interessen eines liebevollen Verständnisses sowohl bei den beteiligten Bevölkerungen [23] als den Regierungen. Freilich harren in dieser Richtung noch viele große Aufgaben ihrer Lösung. Um nur an einige der wichtigsten zu erinnern:

Die schon seit mehr als einem halben Jahrhundert projektierte normalspurige Bahnverbindung zwischen Graubünden und dem Comersee würde dem Bodenseebecken die seit dem Mittelalter genossene Verkehrsbedeutung, die es vor wenigen Jahrzehnten durch die Brenner- und Gotthard-Eisenbahn verloren hat, zurückgewinnen. Es bildet das geradezu eine Lebensfrage nicht allein für die Ostschweiz und Vorarlberg, sondern einigermaßen auch für Württemberg und die bayrische Provinz Schwaben.

Ferner müßte die ebenfalls geplante Ermöglichung einer ununterbrochenen Großschiffahrt von Konstanz an bis hinab zum Meer und bis an die Steinkohlenreviere für die industrielle Entwicklung sämtlicher an den Bodensee angrenzender Länder von unberechenbarem Vorteil sein.

Nun, das bleibe der Zukunft überlassen! Es ist aber auch in den letzten Menschenaltern unendlich vieles Schöne und Gute zustande gekommen, das den gemeinsamen Interessen der Bodenseegegenden dient, und unter diesen Interessen sind nicht die geringsten diejenigen, denen der Bodenseegeschichtsverein seine Entstehung verdankt, und die dieser Verein nun 42 Jahre lang ununterbrochen und mit großem Erfolge gefördert hat. Ich schließe mit dem Wunsche, daß dieser unser Verein auch in Zukunft immer wachsen, blühen und gedeihen möge.



Anmerkungen

  1. [S. 1, Anm. 1:] Der langgestreckte Wasserspiegel des schwäbischen Meeres mit seiner durch den Rhein dargestellten Fortsetzung bis Schaffhausen bot besonders für die Verhältnisse des Mittelalters ein ausgezeichnetes Verkehrsmittel dar (das freilich von noch größerem Nutzen gewesen wäre, wenn seine Längenachse, anstatt parallel derjenigen des Alpengebirgszuges zu laufen, rechtwinklig darauf zustoßen würde). Am Nordrande des Sees mündeten außer mehreren von Bayern und Tirol herführenden Verkehrslinien vier große Landstraßenzüge, von Niederschwaben und Franken herkommend. Alle diese vereinigten sich hier, um entweder über die Graubündnerpässe nach Italien oder über Zürich nach der Westschweiz und Südfrankreich weiterzuführen. Jene vier Straßen aus Schwaben kreuzten sich mit einer andern, welche das Elsaß und den obern Rheinwinkel mit Bayern und Österreich verband und seit den Tagen der Kaiser Max I. und Karl V. die österreichische Militär- und Poststraße blieb, bis der Breisgau überhaupt aufhörte österreichisch zu sein.
  2. [S. 2, Anm. 1:] Auf dem Kamm der Vogesen, zwischen Markirch und St. Dié, hart an der heutigen deutsch-französischen Grenze steht oder stand wenigstens vor dreißig Jahren noch ein aus den Zeiten Napoleons I. stammender Kilometerstein mit der Aufschrift „Route de Paris à Vienne.“ Den 12. März 1910 beschäftigte sich der deutsche Reichstag und nicht lange zuvor auch die französische Deputiertenkammer mit den Wünschen des deutsch-französischen Komitees, das sich die Förderung des Baues einer mittelst eines großen Durchstichs der Vogesen zu erstellenden Eisenbahnlinie St. Dié–Kolmar zur Aufgabe machte und damit die Abkürzung der Verbindung Paris–Südschwaben, München und Wien erzielen wollte. Aussicht auf das Zustandekommen dieser Linie ist vor der Hand nicht vorhanden, da die französische Regierung und, wie es scheint, auch die deutsche dem Plan aus militärisch-politischen Gründen abgeneigt sind.
  3. [S. 2, Anm. 2:] Es waren dies teils Gebiete, die Österreich unmittelbar untertan waren, teils solche, über die ihm die Oberlehensherrlichkeit oder die Hochgerichtsbarkeit zustand. Diese letztere besaß Österreich sogar auch in dem Rest der ländlichen Herrschaften, welche sich Ravensburg und sein Spital in einem glücklichern Zeitalter zusammengekauft hatten. Von diesen besaß die Stadt am Ende des 18. Jahrhunderts noch den Ort Hinzisdobel und die Gemeinde Schmaleck, ferner der Spital Ravensburg die Gemeinden Mochenwangen und Wolpertswende. Die Niederlage des schmalkaldischen Bundes gab 1547 Österreich willkommene Gelegenheit, in einer ihm zusagenden Weise die Hoheitsrechte Ravensburgs erheblich einzugrenzen.
  4. [S. 3, Anm. 1:] Siehe G. Schöttle in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees, 1909. S. 53–59.
  5. [S. 3, Anm. 2:] Eine ravensburgische Satzung von 1554 enthält bereits Anfänge einer solchen Entwicklung. Darnach war damals schon jeder zünftige Handwerksmeister berechtigt, neben seinem Handwerk eines der fünf sogenannten freien Gewerbe (oder vielmehr Handelschaften) zu betreiben. Es waren dies der Gewandschnitt (d. h. Tuchhandel im kleinen), der Barchentschnitt, der Lederhandel, der Eisenhandel und das Gemerz, welch letzteres wieder in drei verschiedene Zweige zerfiel, das Mehl-, das Obst- und das „schmotzige“ Gemerz (d. h. Handel mit Fettwaren und Talglichtern).
  6. [S. 3, Anm. 3:] Die Einbürgerung jedes neuen Genußmittels, insbesondre von Kaffee und Tabak, Obstmost und Branntwein, ging auch in Ravensburg unter langem und heftigem Widerstande der Obrigkeit vor sich. Noch in einem Ratsprotokoll vom 22. September 1780 heißt es: „Denen Armen wird der selbst dem Mittelmann grundverderbliche Kaffee bei Verlust des genießenden Almosens verboten.“ Das Rauchen hatten im dreißigjährigen Krieg neben dem Schnapstrinken und andern Untugenden die fremden Soldaten in der Stadt heimisch gemacht. Nach dem Frieden sah der Rat sich außer stand, es, wie er wollte, wieder zu unterdrücken. Den 16. April 1657 erging ein Rauchverbot folgenden Inhalts: „Bei Strafe eines Reichstalers soll niemand keinen Toback trinken, es würde ihm dann durch den Medicum verordnet.“ Aufgehoben ist dieses Verbot niemals worden; es ging damit, wie mit den meisten Verordnungen des Stadtrates, die, wenn sie nicht in der Folge wieder eingeschärft und erneuert wurden, bald der [S. 4] Mißachtung und zuletzt völliger Vergessenheit anheimfielen. 1707 stritt sich bereits die Schmiedzunft mit der Schneiderzunft um das Recht des Tabakverkaufs; es wurde vom Rat den Schmieden „abgestrickt“ und den Schneidern allein zugesprochen. Viel rascher als gegenüber dem Kaffee kapitulierte der Rat vor dem Tabak, und dieser rückte, da er nicht zu unterdrücken war, dann zu einer willkommenen Finanzquelle vor.
  7. [S. 4, Anm. 1:] Namentlich Meißner mit Tuch, Savoyarden mit Südfrüchten, Franzosen mit Gewürzen, Juden mit allem Möglichen.
  8. [S. 4, Anm. 2:] In den letzten Jahrzehnten der Reichsstadt brachte man das Ravensburger Papier zuweilen auch auf die Messen von Zurzach und Frankfurt; ferner machte man Versuche, es auf Kredit an auswärtige Lager zu legen.
  9. [S. 5, Anm. 1:] In einigen Einzelheiten herrschte im Mittelalter mehr Freiheit; so durfte von auswärts hergeführtes Brot in der Stadt feilgehalten werden (Satzung von 1387), desgleichen Fleisch; nur sollte dieses nirgends anders als hinter der Metzg verkauft werden. Eben, Geschichte von Ravensburg I, S. 442, 448. In beiden Beziehungen war der Grund der: man suchte die Zufuhr von Lebensmitteln möglichst zu fördern, um einen Mangel daran zu verhüten, wie er bei den frühern schlechten Verkehrswegen so leicht eintreten konnte. In spätern Zeiten war das Einführen und das Feilhalten von auswärtigem Brot und Fleisch verboten; aber der Magistrat benutzte dann und wann die zeitweilige Aufhebung dieser Verbote als ein Mittel, um die Widerspenstigkeit zu brechen, welche die Bäcker und Metzger der Stadt gegenüber den obrigkeitlichen Preistaxen oder sonstigen gewerbepolizeilichen Anordnungen nicht selten an den Tag zu legen sich getrauten. Ellenwaren durften Fremde während des Mittelalters nicht allein an Markttagen, sondern, wenn es „innerhalb des Wirtes Tür“ geschah, auch zu andern Zeiten, in der Stadt verkaufen. Eben, a. a. O., S. 443 f. Hiebei handelte es sich wohl um Stoffe, die in der Stadt gar nicht erzeugt wurden. 1709 dagegen wird den meißnischen Tuchhändlern verboten, ellenweise zu verkaufen; nur noch in ganzen Stücken, im großen, ward ihnen der Verkauf gestattet.
  10. [S. 5, Anm. 2:] Es sollte kein Zunftgenosse sein Gewerbe über den Umfang handwerksmäßigen Kleinbetriebs hinaus ausdehnen. Selbst Waren, die sich ganz besonders für den Export geeignet hätten, wollte man nicht ausnehmen. 1760 wird verordnet, daß kein Zeugmacher mehr als vier Stühle betreiben dürfe.
  11. [S. 9, Anm. 1:] Nach einem uralten städtischen Statut durfte auf dem Ravensburger Wochenmarkt bei Strafe von sechs Schilling Pfennig kein Auswärtiger, bevor zu Neune geläutet war, Hühner, Eier, Käse und Schmalz einkaufen, welches Verbot einmal den Zweck hatte, den Einheimischen die Gelegenheit zu verschaffen, ihren Bedarf an jenen Küchenartikeln vorher zu decken; zugleich aber damit verhüten wollte, daß die gleichzeitige Nachfrage der Fremden die Preise in die Höhe treibe. Um jener Beschränkung auszuweichen, versahen sich die benachbarten landvogteiischen Angehörigen in der Weise mit solchen Eßwaren, daß sie für die durch das österreichische Gebiet nach Ravensburg zu Markt ziehenden Lebensmittel sich ein Vorkaufsrecht anmaßten. Die hiewegen ausgebrochenen Mißhelligkeiten beglich man 1603 dadurch, daß Ravensburg den landvögtischen Untertanen den freien Einkauf auf seinen Märkten einräumte, was aber erst im Jahre 1781 auf alle übrigen Fremden ausgedehnt wurde.
  12. [S. 10, Anm. 1:] G. Schöttle. Das Postwesen Oberschwabens in Fr. Webers Post und Telegraphie im Königreich Württemberg. 1901, S. 71/83
  13. [S. 10, Anm. 2:] Auf das Vorhandensein von Wohlstand läßt sich daraus keineswegs schließen, daß ein Ratsbeschluß von 1661 sich gegen die Kleiderpracht wendet, welche die niedern Volksklassen der Stadt, insbesondere die Frauenspersonen, ergriffen habe. Erstens werden das nur vereinzelte Fälle gewesen sein; weiter aber ist der leitende Beweggrund für dieses Einschreiten ziemlich durchsichtig: die höhern Stände betrachteten dergleichen „Hoffart und Übermut“ als einen Eingriff in ihre Standesvorrechte.
  14. [S. 11, Anm. 1:] Z. B. das Gebiet der Reichsstadt Biberach bestand aus neun getrennten Stückchen.
  15. [S. 13, Anm. 1:] Andre Beispiele finden sich bei Baumann, Geschichte des Allgäues, an verschiedenen Stellen, so der Bau der Illerbrücke bei Schwarzenbach 1673, ferner die Salzstraße von Tannheim über das Joch, 1540 ff.
  16. [S. 15, Anm. 1:] Die Bürger der Reichsstadt Ravensburg, die Patrizier ausgenommen, besaßen gar keine politischen Rechte, keinerlei Teilnahme am öffentlichen Leben, keine von ihnen gewählte Volksvertretung, keinen Einfluß auf Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung des Gemeinwesens, auf dessen äußere Politik, auf die Besetzung der Ämter und auf die sorgsam geheimgehaltene Finanzgebarung. Kein Bürger, außer den Ratsherrn, durfte nach einem Beschluß von 1659 amtlich als „Herr“ tituliert werden. Einen gewissen Ersatz für die entgehenden politischen Rechte bildeten materielle Vergünstigungen aller Art.
  17. [S. 16, Anm. 1:] Die bayrischen Zoll- und Mautordnungen vom 1. Dezember 1807 und 8. März 1808 hatten Ravensburg, weil vollständige Exklave, von dem bayrischen Mautsystem ausgenommen und als Zollausland behandelt. Das bedeutete für die meisten ravensburgischen Gewerbs- und Handelszweige eine Wohltat, d. h. das kleinere von zwei Übeln; nur nicht für die Papiermüller und Seifensieder. Diese waren jetzt übel daran, weil sie nämlich ihre unentbehrlichen Rohstoffe, einerseits Lumpen, andrerseits Unschlitt und Asche sich nicht mehr beschaffen konnten, indem Württemberg die Ausfuhr jener Stoffe verhinderte und Bayern durch ungeheuer hohe Ausfuhrzölle die gleiche Wirkung hervorbrachte (der bayrische Lumpenausfuhrzoll von 60 fl. per Zentner überstieg den Wert des Gegenstandes um mehr als das Doppelte). So konnte das Ravensburger Papier jetzt nicht einmal in Bayern selbst, noch weniger in Württemberg und anderwärts mit andern Papieren mehr konkurrieren. Den Klagen jener beiden Industriezweige glaubte die bayrische Regierung am besten dadurch abzuhelfen, indem sie (vom 1. Juni 1808 an) Ravensburg in den bayrischen Mautverband aufnahm. Da jetzt der Warenverkehr zwischen Ravensburg und dem übrigen Bayern mautfrei passierte, war den Papiermüllern und Seifensiedern geholfen. Sie waren nun in der Lage, ihre Rohstoffe ohne Zollbelastung oder andre Schwierigkeiten aus dem eigenen Lande zu beziehen. Dafür aber bedrohten jetzt die neuen Zollverhältnisse alle andern Handels- und Gewerbsleute der Stadt mit einem raschen Ruin. Fremde Handelsartikel, die von Ravensburg nach dem umliegenden Landbezirk verkauft wurden, unterlagen nunmehr nicht allein den gesteigerten württembergischen Zöllen, sondern auch der hohen bayrischen Maut. Ähnlich verhielt es sich mit den in der Stadt hergestellten Waren. Meistens unterlag schon vorher der Rohstoff einer drückenden Verzollung und falls das fertige Erzeugnis nachher an die Bewohner der Umgegend abgesetzt werden wollte, auch dieses. Die Ravensburger Geschäftsleute vermochten gegen die Konkurrenz der auswärtigen Orte und selbst gegen die der andern bayrischen Orte, die sich ja nicht in der exponierten Lage Ravensburgs befanden, nicht mehr aufzukommen, und die seitherigen Landkunden von Ravensburg wandten sich jetzt den Märkten und Firmen von Altdorf, Waldsee, Markdorf und Biberach zu. Infolge der jammervollen Vorstellungen des Gewerbe- und Handelstandes der Stadt stellte die bayrische Regierung mit dem 1. September desselben Jahres den vorigen Zustand wieder her, d. h. für die bayrischen Mauten galt Ravensburg (und Buchhorn) nun wieder als Ausland. Obwohl der Geschäfts- und Handelsverkehr mit dem die Stadt umgebenden württembergischen Gebiet durch die um Ravensburg gezogene Zollgrenze sehr viel litt, so war doch soviel erreicht, daß er jetzt wenigstens nicht mehr mit doppelten Ruten gezüchtigt wurde. Jetzt aber waren wieder die Seifensieder und Papiermüller diejenigen, welche die Suppe auszuessen hatten. Für sie bedeutete, wie schon ausgeführt, der frühere Zustand des Zollwesens annähernd den Untergang ihrer Geschäfte. Erst der zwei Jahre später erfolgende Herrschaftswechsel scheint jenen beiden Gewerben die Rettung gebracht zu haben.
  18. [S. 17, Anm. 1:] Die an den neuen Grenzen des Königreichs Württemberg noch fortbestehende Zollinie kam gegenüber Bayern im Jahre 1828 und gegenüber Baden 1836 durch die Zoll-Einigungsverträge in Wegfall.
  19. [S. 19, Anm. 1:] Im Sommer 1845, während die erste württembergische Bahnstrecke, nämlich Kannstadt–Eßlingen, sich ihrer Fertigstellung näherte, entschloß sich die Regierung auf Andrängen der oberschwäbischen Städte und der Abgeordnetenkammer, gleichzeitig auch die Linie Ulm–Friedrichshafen in Angriff zu nehmen, weil man besorgte, daß sonst dem württembergischen Oberland der vorteilhafte Absatz seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch die Konkurrenz des Getreides der bayrischen Donaugegenden möchte entzogen werden, mit Hilfe der damals ebenfalls schon geplanten bayrischen Eisenbahn von Augsburg nach Lindau. Überhaupt versprach man sich in Württemberg für die künftige Gestaltung des Verkehrs große Vorteile, wenn jenes der erste Staat sein werde, der den Bodensee mit der Eisenbahn erreiche. Nun ist zwar bei diesem Wettrennen Württemberg in der Tat als erstes am Ziel angekommen; allein die Erwartung, daß ihm damit der Löwenanteil an dem Transitverkehr auch für die Zukunft gesichert sei, hat sich nicht verwirklicht.
  20. [S. 19, Anm. 2:] Die schwäbische Chronik vom 15. und 16. Oktober 1846 enthält die älteste Personentransportordnung.
  21. [S. 19, Anm. 3:] 8 Schnell-, 5 Eil-, 13 Personenzüge, 4 Triebwagen, 3 Züge mit Personen- und Güterbeförderung, 8 Eil-, Stück- und gewöhnliche Güterzüge. Dazu kommen noch 3 Sonntagspersonenzüge und 2 Bedarfsgüterzüge.
  22. [S. 20, Anm. 1:] Der erstmalige Gebrauch des Wortes Telegraph geht dergestalt in den Ravensburger städtischen Akten schon auf den 7. März 1800 zurück. An diesem Tage nämlich weist der Magistrat der Reichsstadt den Waibel Bentele von Schmalegg an, den bei der Telegraphenstation zu Wilhelmskirch angestellten, unter den Befehlen des k. k. Hauptmanns v. Albek stehenden Pionieren das nötige Brennholz im Dannsberg anzuweisen, um zu verhüten, daß sie, wie vordem, „eigens Gewalts“ solches wegnehmen möchten.
  23. [S. 22, Anm. 1:] Das uralte städtische Zunftwesen auf modernem Fuße allmählich umzugestalten, dazu hatte schon Bayern einen Anfang gemacht; Württemberg fuhr darin fort und räumte die immer lästiger werdenden Zunftschranken und andere althergebrachten Verkehrsbeschränkungen nach und nach hinweg; den Abschluß bildete 1862 die Einführung völliger Gewerbefreiheit.
  24. [S. 22, Anm. 2:] Maschinen, Vorhangstoffe, Holzpapier. Zeugnis von der erfreulichen Entwicklung geben die wiederholten Bezirksgewerbeausstellungen, die in der Stadt im Laufe der Zeit veranstaltet worden sind.
  25. [S. 22, Anm. 3:] Neben den verwitterten alten Festungstürmen und Stadtmauerresten erheben sich an der Peripherie der Stadt auf allen Seiten geschmackvolle moderne Wohngebäude und neue Straßenzüge. Die ungesunden alten Festungsgräben sind eingeebnet und in schattige Promenaden umgewandelt. Eine kleinere Strecke des Grabens allein blieb als Erinnerung fortbestehen und ward ihrer frühern Bestimmung zurückgegeben, nämlich der, einer Anzahl von Hirschen, die auf Stadtkosten unterhalten werden, zum Aufenthalt zu dienen.