Rückblicke auf die Vergangenheit des Stadtarchivs zu Freiburg im Breisgau

Textdaten
Autor: Adolf Poinsignon
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Titel: Rückblicke auf die Vergangenheit des Stadtarchivs zu Freiburg im Breisgau
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aus: Archivalische Zeitschrift 10 (1885) S. 122–140
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Theodor Ackermann
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans auf Commons, Internet Archive
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VIII. Rückblicke auf die Vergangenheit des Stadtarchivs zu Freiburg im Breisgau.
Von
A. Poinsignon, Hauptmann a. D., Stadtarchivar zu Freiburg i. B.




Es wird von einem alten, jetzt beinahe verödeten Städtchen Oberdeutschlands erzählt, wie man einst in dunkler Erinnerung an seine vormalige Bedeutung das Archiv einer Neuordnung unterwerfen wollte. Wer anders konnte die hiezu geeignetste und berufenste Persönlichkeit sein, wenn nicht der Schulmeister des Städtchens selbst? Mit Eifer unterzog sich dieser dem ihm ertheilten ehrenvollen Auftrage und theilte die Urkunden, ehe er mit deren Repertorisirung begann, in zwei Sorten, solche die man lesen kann, und solche, die man nicht lesen kann. Dann wurden die Letzteren als unnöthiger Ballast, der nur den Platz versperre, der Vernichtung geweiht und Kaiserurkunden, Bullen und andere unleserliche Sachen wanderten ohne Rettung in’s lodernde Feuer! Seither gibt es dort nur noch Urkunden, die man lesen kann!

Eine solch tragische Purification hatten nun freilich die alten Pergamente unseres Stadtarchivs nicht zu erleiden, aber der sonstigen Missgeschicke, die es seit seinem Bestehen durchzumachen hatte, sind es doch nicht wenige. Vielleicht verlohnt es sich der Mühe, einmal den Schicksalsweg eines kleinen Stadtarchivs von seinen ersten Anfängen an bis heute zu verfolgen.

Von einem Stadtarchiv im heutigen Sinne konnte zu Beginn unserer Stadtgeschichte 1120 natürlich ebenso wenig die Rede sein, als irgendwo anders, wo nicht ein öffentliches Gebäude die Sicherheit der Urkunden garantirte. Da nun das Vorhandensein eines Rathhauses in Freiburg vor 1303 nicht nachweisbar ist, so dürfen wir, gestützt auf einzelne Andeutungen, annehmen, dass vor jener Zeitgrenze und auch nachher noch einige Decennien hindurch das damals noch nicht stark angewachsene Urkundenmaterial als wanderndes [123] Archiv, in einer Truhe verschlossen, in der Wohnung des jeweiligen Schultheissen und später des Bürgermeisters aufbewahrt wurde. Nachdem die Stadt in Folge des Aussterbens der Zähringer, ihrer Stifter, 1218 durch Vererbung an das schwäbische Grafengeschlecht der Uracher gekommen, gab es bald allerlei Spannungen mit den neuen Herren. Es ist nicht anzunehmen, dass der Magistrat nicht Alles aufgewendet hätte, die alte Verfassungsurkunde und die später dazu gekommenen Privilegienbriefe, die den Grafen theils abgekauft, theils mit Gewalt abgerungen waren, sicher zu stellen. Als die Zerwürfnisse in offenen Aufruhr und blutigen Kampf übergingen, an denen sich die mächtigen Verwandten der Grafen, wie die Herzoge von Lothringen, die Bischöfe von Strassburg und Basel, die Markgrafen von Hochberg, die Dynasten und der ganze niedere Adel der Umgegend betheiligten und selbst auch innerhalb der Stadtmauern Parteiungen für und gegen die Herren Platz griffen, konnte — namentlich in Ansehung dieser inneren Parteiungen — selbst das Rathhaus kaum die nöthige Sicherheit gegen einen bösen Anschlag bieten. Viel wahrscheinlicher mögen auch noch nach Erwerbung des Rathhauses wenigstens die werthvolleren Urkunden und insbesondere die vielen Bündnissbriefe, die mit vielen Städten und Edeln gegen die Grafen offen und im Geheimen ausgefertigt worden waren, in einem der festen Häuser des mächtigsten Geschlechtes der Stadt geborgen gewesen sein, in einer der wehrhaften Stadtwohnungen der Schuewlin im Hofe, die an der Spitze der Bewegung standen und fast 100 Jahre mit wenigen Unterbrechungen im Besitze der beiden obersten Stadtämter, des Schultheissenamtes und des Bürgermeisteramtes waren.

In diesen langen Wirren ging gerade die älteste und wichtigste Urkunde der Stadt, die auf dem Cölner Recht basirte Verfassungsurkunde Herzog Konrads von Zähringern von 1120 verloren. Noch 1275 war sie vorhanden, aber ihr Zustand wird damals schon als verdorben geschildert, indem es von ihr heisst: „wande aber nu der brief elti die schrift du dar an stat verböset“ etc. Nichtsdestoweniger darf man nicht annehmen, dass ein so werthvolles Instrument, auch wenn es etwas unleserlich geworden war, blos aus Nachlässigkeit zu Grunde gegangen sein sollte; denn es sind doch auch noch andere ebenfalls sehr alte Urkunden, aber von ungleich geringerer Bedeutung im Stadtarchiv auf uns gekommen, deren Schrift nicht wenig „verböset“ ist.

[124] Viel eher glauben wir annehmen zu dürfen, dass dasselbe durch eine Katastrophe vernichtet wurde.

Eben so auffallend ist es, dass auch sonst keine einzige Zähringische Urkunde in Freiburg, am Wohnsitz des letzten Herzogs von Zähringen, übrig geblieben ist, wie endlich auch, dass keine einzige Urkunde, die auf den Rheinischen Bund von 1255 sich bezieht, dem doch Freiburg mit seinen Nachbarstädten Basel und Colmar angehörte, im Stadtarchiv vorhanden ist. Wir glauben zwar dieses auffallende Manko nicht mit der Zerstörung der gräflichen Burg durch die Bürgerschaft anno 1366 in Zusammenhang bringen zu dürfen, wo laut einer Urkunde vom 5. December 1347 das gräfliche Hausarchiv „in der glesinen kameren“ sich befand, aber erwähnen wollten wir des letzteren Ereignisses immerhin.

Die blutigen Zerwürfnisse zwischen der Stadt und den Grafen hörten nicht eher auf, als bis die Letzteren 1368 vertrieben waren, und erst von diesem an, zugleich mit der Selbstübergabe der Stadt unter den Schirm des Hauses Oestreich, treten ruhigere und geordnete Verhältnisse wie in Allem so auch auf dem Gebiete des Kanzleiwesens ein, aus welchem in zweiter Linie ein geregeltes Archivwesen sich entwickeln konnte. Während wir in der Grafenzeit kaum erst den unbeholfenen und schwachen Versuchen einer buchführenden Thätigkeit auf dem Rathhause in den Bruchstücken eines Rathsbüchleins von 1326-1380 begegnen, und noch keinerlei sichere Anhaltspunkte über die Art und Weise, wie und wo die Urkunden der Gemeinde aufbewahrt wurden, sich finden lassen, stehen wir bald nach Vertreibung des Grafengeschlechtes einem organisirten Kanzleiwesen in verschiedenen Zweigen der Gemeindebeamtung gegenüber und erhalten jetzt zum ersten Mal schwarz auf weiss die Beläge, dass das Archiv im Rathhaus wirklich stabil geworden war. Bei Urkunden privatrechtlicher Natur stossen wir zwar nach wie vor noch immer auf Vermerke, dass diese oder jene derselben bei einem ehrbaren Manne oder in einem Kloster hinterlegt sei, aber bei politischen Urkunden der Stadt ist in der mit 1386 beginnenden und nunmehr ununterbrochenen Reihe von Rathsbüchern der unzweifelhafte Beweis über den Verwahrungsort derselben gegeben. Diese Rathsbücher sind in ihren ältesten Jahrgängen noch nicht in Form von Protokollen verfasst, sondern mehr als eine Art Sammlung von Weisthümern und Rathserkenntnissen zu betrachten, enthalten aber allerlei zerstreute Bemerkungen von [125] praktischem Werth über dies und jenes. Da heisst es denn unter Anderem auch: „dise vorgeschriben missive lit im rothus in der notes Kisten in einen grossen schindelladen by den anderen briefen“ und an einer anderen Stelle: „der gräfen von Fürstenberg brieff lit in dem rathus in der Kisten by des cardinals briefen“.

Noch etwas älter als die Rathsbücher sind die Aemterbücher oder „Rathsbesatzungen“, wie sie officell genannt wurden. Sie beginnen schon mit dem Jahre 1378 und führen bereits für eben dieses Jahr unter den einzelnen Respiciaten des Stadtrathes eine Commission als mit der Aufsicht über die Briefträger betraut auf. Dass wir es hier nicht mit einer blos postalischen Einrichtung zu thun haben, ist durch eine Briefträger-Ordnung der Curie zu Constanz für den besonderen geistlichen Gerichtshof zu Freiburg, d. d. 15. August 1345, urkundlich belegt. Nach Inhalt genannter Briefträger-Ordnung, welche ausser den Portotaxen der Gerichtsboten auch die Gebühren der Richter und Anwälte, der Urtheile und Vertheidigungsschriften enthält, hatten diese Briefträger die Zustellung der Vorladungen und Urtheile der Gerichte zu besorgen. Analog dem geistlichen Gericht hatte also auch die Stadt ihre eigenen „Briefträger“ für die Gerichtskanzlei oder das Schultheissenamt, das in Freiburg jedoch nur in civilrechtlichen und polizeistrafrechtlichen Sachen urtheilte, da in Criminalsachen der Rath in corpore zu Gericht sass. Das Schultheissenamt hatte seinen Sitz in der Gerichtslaube auf dem Münsterplatz und bildete dort die Grundlage zum Gerichtsarchiv. Die hierher gehörigen Urtheilsbücher und Fertigungsprotokolle, beziehungsweise Grund- und Pfandbücher, reichen zurück in ununterbrochener Reihenfolge bis 1440. Gleichzeitig mit diesen beiden Kanzleien finden wir aber noch eine dritte als bereits bestehend vor, die Amtsstube im Kaufhaus, wo die Finanzverwaltung der Stadt, an ihrer Spitze der Kaufhausschreiber und seine Gesellen, ihre Thätigkeit entfalteten. Dort lagen in den Truhen neben den Geldbaarschaften die zahlreichen Obligationen, Gült- und Leibrentenbriefe, Zinsrodel u. s. w., die Grundlage zum späteren Kaufhausarchiv, das in zwei besonderen Gewölben lagerte. Auch über diese Amtsstube ist schon in der Aemterbesetzung von 1378 ein eigenes Respiciat vorhanden: „die drie die der stette güt in nement vnd usgebent und über den Saltzhof“ (sc. gesetzt sind).

Von den kleineren Archiven der vielen Gotteshäuser innerhalb [126] der Stadt kommt hier nur dasjenige des hl. Geistspitals, und von den ausserhalb der Mauern liegenden nur dasjenige des Gutleuthauses oder der „Siechen an dem Velde“ in Betracht, da diese beiden, später vereinigt durch ein besonderes Geschick, in unserem Jahrhundert mit dem Stadtarchiv in die engste Verbindung traten.

Unter den neben einander selbstständig bestehenden öffentlichen Kanzleien und damit verbundenen Registraturen des Rathshofes, des Kaufhauses und der Gerichtslaube war die erstere jedenfalls die wichtigste und dem Inhalt der dort angesammelten Urkunden nach in geschichtlicher Beziehung die bedeutendste. Die persönliche Verantwortlichkeit für die Integrität des dort lagernden Urkundenmaterials trug der jedesmalige Stadtschreiber, der juristische Kenntnisse haben musste, meistens auch die Doctor- oder Magisterwürde besass und mehr das Amt eines Kanzlers als eines Schreibers bekleidete. Sein Diensteid, der mit den andern Eidesformeln für die einzelnen Stadtämter in einem eigenen Eidbuch enthalten ist, verlangte von ihm, dass er Niemand ausser den Kanzleibediensteten den Zutritt zu seiner Amtsstube und noch weniger den Einblick in das seiner Obhut anvertraute Urkundenmaterial ohne specielle Genehmigung des Raths gestatte. Als mit der Zeit die Menge sich mehr und mehr häufte, mochte man doch für eine grössere Sicherheit wenigstens der werthvolleren Urkunden, der Kaiserurkunden und sonstigen Privilegien und Verträge, einigermassen besorgt sein, und so war es ganz natürlich, dass man sich nach einem Raume umsah, wo dieselben sowohl vor Feuersgefahr als Entwendung oder Verschleppung sicherer geborgen gewesen wären als auf der Rathskanzlei. Nun gab es in ganz Freiburg kein Gebäude, das sich hiezu in jeder Hinsicht besser geeignet hätte, als das Münster mit seinen feuer- und diebessicheren Gelassen im Seitenbau des Chores. Die Stadt war sogar Miteigenthümerin des Münsters, aber — der andere Miteigenthümer war der Graf. Wohl darum haben wir aus der Grafenzeit selbst keinerlei Andeutung, dass dort wirklich städtische Urkunden untergebracht gewesen wären. Erst vom Jahre 1414 Juni 8. belehrt uns dessen eine Aufzeichnung mit den Worten: „und lit die geschrifft und die brieffe, worumb Valckenstein die vesti gebrochen wart (1390) in den henen in einem schindellädly“ — Hähne hiessen nämlich im Volksmund die beiden Thürme des romanischen Mittelbaues am Münster, welche den Chor zu beiden Seiten abschliessen, die heutigen [127] Hahnenthürme, in deren südlichem seither ununterbrochen ein Theil der städtischen Registratur aufbewahrt wurde. Mit diesem historischen Nachweis also stehen wir vor den ersten Anfängen eines von der laufenden Registratur abgesonderten eigentlichen Archives im modernen Sinne, obwohl der Name Archiv noch Jahrhunderte lang nicht darauf angewendet wurde. Denn die officielle Benennung heisst stets und immer nur die Registratur in dem Gewölb „zum Hähnen in vns. lieben frowen Münster“, und die Repertorien sind überschrieben mit dem Titel: „Warliche anzaig aller laden und darin ligenden freyhaiten, brieuen und handtuesten im Münster allhie in dem gewölb zum Hänen genant einer löblichen statt Freyburg zugehörende“.

Das älteste Repertorium, aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, enthält einen besonderen und ausführlichen Katalog der Urkunden, welche damals im Münster lagen, sowie, getrennt davon, derjenigen, die auf der Kanzlei im Rathshofe aufbewahrt wurden, und ist in duplo ausgefertigt. Das eine Exemplar hievon, das Concept, befindet sich bei der Repertoriensammlung des Archivs, die Reinschrift aber ist dem weiter unten erwähnten Diplomatarium A beigebunden. Dieses Repertorium zeigt uns, dass wir es bezüglich des Münsterarchivs mit einem Select zu thun haben, das blos die kaiserlichen und herzoglichen Gnadenbriefe, die verschiedenen Verfassungsurkunden, die Bündnissbriefe mit Städten und Herren, die Sühneverträge mit den Grafen, die Uebergabsverträge mit dem Haus Oestreich, und die Urfehden des Adels, deren Burgen die Bürgerschaft ringsum gebrochen, umfasste, auch Bullen und bischöfliche Erlasse, Sendschreiben fremder Fürsten u. s. w. Auf der Rathskanzlei blieben nur die Abschriften dieses Selectes in den schön ausgestatteten Diplomatarien zurück, deren ältestes, das sog. „Rothe Büchlein“ bereits Ende des 13. Jahrhunderts angelegt wurde.

Ausserdem lagerten daselbst aber selbstverständlich noch diejenigen Urkunden und Aktenstücke, deren man im täglichen Gebrauch bedurfte, als: ältere Rathsentscheidungen in öffentlichen Angelegenheiten; Zunft-, Zoll-, Bau-, Steuer- und Zehent-Sachen; Verträge, Münzwesen u. dergl. Alles dieses befand sich theils in den verschiedenen Laden des „Kensterlins“ (Wandschrank) in der grossen Kanzleistube, theils in einem anderen Kasten ebenda, zunächst beim Ofen, wie es der Katalog anzeigt; in aufeinander gestellten Truhen aber - der bequemen Einrichtung der offenen [128] Bücherschäfte bediente man sich während des ganzen 15. Jahrhunderts im Rathshof zu Freiburg noch nicht — gesellten sich seit 1440 zu den Rathsprotokollen die umfangreichen Missivenbücher; zu dem ältesten Diplomatar, dem „Rothen Büchlein“ drei weitere Diplomatarien in dickleibigen Folianten mit der Bezeichnung A, B und C, dann ein stattliches Münzbuch, mit dem Jahre 1425 beginnend, die Bürgerbücher von 1397 an, die Sammlung der Spruchbriefe, die Richterbücher, die Eidbücher, und das hochinteressante „Geschichtbuch der Stadt“, worin der Stadtschreiber all die schlimmen Händel des Adels, der Klöster und aller sonstigen Widersacher der Stadt einzutragen hatte.

So blieb es bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts. Die „ungeschikhten“ Stuben des Rathhauses, — da es aus verschiedenen Häusern zusammengebaut war, hatten die correspondirenden Stockwerke nicht einmal gleiches Niveau, — waren schon während des Reichstages, der anno 1498 darin gehalten wurde, Veranlassung zu einem recht ärgerlichen Rangstreit gewesen, da ein Theil der Fürsten höher zu sitzen kam als der andere; sie mussten jetzt nach und nach baufällig und wohl auch zu enge geworden sein. Da entschloss sich der Rath im Januar 1551, für einen grossen Rathssaal ein eigenes Gebäude am Westende des grossen Rathshofes aufzuführen und in’s untere Geschoss die Gerichtslaube, die bisher am Münsterplatz gewesen war, zu verlegen. Zugleich wurde behufs Entlastung der Rathskanzlei ein besonderes Rathshofarchiv vorgesehen, das als westlicher Anbau in zwei übereinander liegenden, im spätgothischen Styl ausgeführten, hübschen kleinen Kreuzgewölben heute noch besteht. Hievon wurde das untere Gewölbe direkt mit dem Gerichtssaal und der Folterkammer, das obere dagegen mit dem grossen Rathssaale in Verbindung gebracht, jedoch durch eiserne Thüren gegen denselben verschliessbar, wie wir dies ähnlich noch vor wenigen Jahren im Rathhaus zu Leipzig gesehen haben. Der Bau wurde 1552 vollendet und steht in seiner äusseren Eigenthümlichkeit noch ziemlich unverändert da. Während aber das obere Stockwerk seiner ursprünglichen Bestimmung bis auf den heutigen Tag getreu erhalten wurde, ist sowohl die Gerichtslaube als das damit verbunden gewesene Gerichtsarchiv seinen Zwecken längst vollständig entfremdet und beides zu Remisen verwendet worden.

Das obere Gewölbe also, jetzt noch der eigentliche Kern des Stadtarchives, enthält in den Füllungen, die vom Boden bis zur [129] Decke der Form der Spitzbogen sich anschmiegen, und alle vier Wände verkleiden, 278 grössere und kleinere Schubladen, grösstentheils natürlich in der gewöhnlichen Form, aber auch, weil eben die Holzfällung der Steinarchitektur sich fügt, in Form eines dreiseitigen Prisma’s und selbst des Hemidoma. Obwohl das Holzgetäfel mit verschiedenen eingelegten Wappen und anderen Intarsien in Folge seines Alters - es stammt laut Inschrift aus dem Jahre 1553 - eine dunkelbraune Färbung angenommen hat, macht dasselbe doch keinen unfreundlichen Eindruck, unter welchem das Ganze für den ersten Augenblick grosse Aehnlichkeit mit einer alterthümlichen Apotheke gewinnt, eine Täuschung, welche durch die Aufschriften auf den Laden ganz ähnlich denjenigen, wie sie in Apotheken gebräuchlich sind, noch erhöht wird. Hiezu in schroffem Gegensatz steht das ebenfalls noch im Gebrauch befindliche Hahnenthurmarchiv, das sein Licht nur indirekt aus einem Seitenschiff des Münsters empfängt und mit seinen kolossalen Quadern und den Gitterfenstern ganz einem finstern Kerker gleichsieht.

Mit dem Neubau eines besonderen Archives im Rathshofe selbst war ein bedeutender Schritt in der Verbesserung der Archivverhältnisse gethan; wie denn überhaupt der Magistrat in jener Zeit dem Urkundenwesen eine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben scheint. Fast gleichzeitig, im Jahre 1554, finden wir auch das Repertorium des Münsterarchivs erneuert und schon vorher, im Jahre 1543, stossen wir in den Rathsprotokollen auf eine generelle Verfügung des Raths, wonach alle Klöster der Stadt ihre Urkunden in besonderen Gewölben, in Truhen wohl versorgt, zu verwahren haben, und zu Beiden je zwei Schlüssel zu fertigen sind, je einer zu Handen des Klostervorstehers, der andere zu Handen des Raths, - eine Massregel, die zunächst durch den ungeordneten Haushalt des Prediger-Convents veranlasst worden war, dessen Archiv auf Befehl des Stadtraths vorerst bis auf Weiteres in’s Gewölbe des hl. Geistspitals verbracht wurde. Auch das in fast derselben Zeit, anno 1560, aufgestellte Repertorium des Kaufhausarchives gibt uns Zeugniss von der Sorgfalt der Stadtbehörde in dieser Richtung. Dieses Repertorium gibt einen interessanten Ueberblick über das ganze Finanzwesen mit den vielen Registern über Steuer, Schatzung, Kriegskosten, über die liegenden Gründe, Kapitalien und Schulden der Stadt, Stiftungen, Kirchen-, Zunft-, Thalvogtei- und Kastenvogtei-Rechnungen der Stadt, Zoll [130] und Umgeld, die Rechnungsablagen des Stadtwechsels oder städtischen Bankinstituts, und endlich die für die Stadt auch heute noch höchstwichtigen Runz- oder Bewässerungsurkunden.

Von all diesen zahlreichen Registern, welche grösstentheils noch vorhanden sind, beginnt das älteste Zinsbuch mit dem Jahre 1438 und das älteste Grundsteuerbuch oder das „Herrschaftrecht-Buch“ mit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Letzteres ist für die geschichtliche Topographie der Stadt von hohem Interesse, weil es strassenweise alle Häuser mit ihren Namen und mit den Namen ihrer Besitzer aufzählt, und an der Hand der nachfolgenden Herrschaftsrechtsbücher sich die Geschichte jedes einzelnen Hauses von heute bis in’s 15. Jahrhundert zurück verfolgen lässt.

Aehnlichen Erneuerungen der Repertorien der städtischen Archive begegnen wir nochmals anno 1602, wobei wir zugleich Kenntniss von einer ziemlich ausführlichen Registratur-Ordnung erhalten, dann 1606 und 1627, und was ganz besonders anzuerkennen ist, auch bald nach dem dreissigjährigen Kriege, - ein Erfolg der Thätigkeit des damaligen Stadtschreibers Dr. Johann Schmidt, der unermüdlich antreibend in der grenzenlosen Unordnung, welche jener unheilvolle Krieg hinterlassen hatte, wie in allen Zweigen der Stadtverwaltung, so auch in diesem rettend einwirkte. Ein von Seiten der Regierung einverlangter Bericht über das Stadtarchiv, datirt vom 24. Juli 1652, meldet, dass einzelne Laden ganz leer gefunden worden seien, wieder andere mit einem Inhalt, der gar nicht zur Aufschrift passe, und dass es als eine „grosse Notturft zu seyn erachtet wurdt", zum Modus und zur Form der Registratur-Ordnung vom 24. April 1602, Rathsprotokoll Fol. 326, zurückzukehren. Es gelang denn auch bis zum Jahr 1660, wenigstens eine „nothdürftige“ Ordnung wieder herzustellen; das damals aufgestellte alphabetische Repertorium ist aber ein sehr oberflächliches und wenig übersichtlich. Der mit der Registratur betraute Beamte bezog, nebenbei gesagt, einen Jahresgehalt von 120 fl., und 20 fl. Hausdienst, ausserdem 6 Saum Wein und 18 Mutt Früchte - mit der besonderen Anempfehlung, sich der Nüchternheit zu befleissigen.

Beinahe ein volles Jahrhundert vergeht jetzt, bis wir wieder etwas von einer archivalischen Thätigkeit bemerken. Nur ein äusserst langwieriger Prozess des Magistrats mit dem Adel des umliegenden Breisgaus, der in der Stadt eingebürgert war, aber [131] zum Nachtheil der übrigen Bürgerschaft eine exemte Stellung beanspruchte, hielt die Registraturen behufs Reproduktion einer Masse von Urkunden in Athem. Dann kamen nach kaum überstandenem dreissigjährigen Kriege wieder schwere Zeiten über Freiburg, der holländische Rachekrieg und der spanische Erbfolgekrieg, zwei harte Belagerungen, zwanzigjährige Herrschaft der Franzosen, Rückgabe an das Haus Oestreich und ungnädige Behandlung von Seiten desselben. Die Stadt war so erschöpft, dass sie sich um ihre idealen Güter nicht mehr bekümmern konnte. Es ist also nicht zu erstaunen, wenn auf einmal ein Nothschrei über „des Archives und der Registratur gänzliche Unordnung und Konfusion zu allerseits höchster Verwunderung und Missvergnügen" laut wird, wie dies bei der im Jahre 1743 „beschehenen Visitation der Herrn Häupter (des Raths) und einiger Herren Rathsverwandter“ sich zutrug. Es war dann leichter gesagt als gethan, wenn sofort dem damaligen Registrator Klump unter Androhung der Dienstentlassung die schleunigste Neuordnung des Archives anbefohlen wurde. Da erschien aber als ein rettender Engel in Gestalt eines vorderöstreichischen Registrators eine Persönlichkeit, die mit eisernem Fleiss ein entschieden organisatorisches Talent verband, Leonhart Leopold Maldoner,[1] der unter Berücksichtigung der älteren Inventarien und Repositorien, aber unter Anwendung einer ganz neuen und übersichtlichen Signatur eine wirkliche Neuordnung in 227 Rubriken einführte, wovon er jedoch nur 70 Nummern repertorisirte. Zu Rubrik I bis incl. LX und zu XCVIII bis CVII schrieb er nämlich selbst eine ausführliche Regesten-Sammlung in vier dicken Folianten, jede Rubrik in sich chronologisch geordnet, womit er 1748 fertig wurde; an der gleichen Behandlung der übrigen Rubriken verhinderte ihn die Versetzung in seine neue Stellung als bischöflich Baselischer Kammerrath und Archivar.

Wenn auch die Rubrikenzahl dieser Neuordnung in mancher Beziehung vereinfacht werden konnte, indem er z. B. einem jeden auswärtigen Ort, worüber Urkunden vorhanden sind, eine besondere Rubrik gibt, anstatt sie unter einem Collectiv „Auswärtige Orte“ zusammenzufassen, so bildet doch dieselbe im Allgemeinen eine gediegene und feste Grundlage, auf die zurückzugehen bei dem [132] heute abermals in Neuordnung begriffenen Stadtarchiv, soweit thunlich, wieder angestrebt wird. Es würde zu weit führen, hier alle Rubriken namentlich anzugeben, wir wollen uns daher begnügen, dieselben in Kürze gedrängt darzustellen:

I – III. Fundation, alte Stadtrechte, Privilegia veteris aevi (1120–1360).
IV – VII. Bündnisse mit Städten mit Herrn, Versöhn- und Richtungsbriefe mit der Herrschaft, mit Städten und fremden Herrn.
VIII – XII. Landrichter-Amt und Landgrafschaft im Breisgau, Urkunden der Grafen, Loslösung der Stadt von denselben und Ankunft von Oestreich.
XIII und XIV. Privilegia medii aevi (1360–1520) und Ordnungen von Oestreich.
XV – XIX. Gelangung an´s Reich, Schultheissen-Amt, neue Stadtrechte und Privilegia hodierni aevi (1520–1712) und Confirmations-Akten.
XX – XXX. Verschiedene Rechte: Geleits-, Zoll-, Abzugs-, Münz-, Salzrecht u. s. w.
XXXI – XXXIV. Aemter des Raths.
XXXV. Polizei-Ordnungen.
XXXVI – XXXIX. Adeliche, geistliche und gelehrte Salzburger, Gesellschaft zum Gauch.
XL – LIII. Zünfte.
LIV. Ausburger.
LV. Schützengesellschaft.
LVI. Judenschaft.
LVII. Steuer und Schatzung.
LVIII. Appellationen.
LIX und LX. Holz- und Bauamt.
LXI – LXIX. Städtische Grundherrschaften, die sogen. Dependenzorte.
LXX – LXXII. Wasser- und Strassenbau, Holzflösserei
LXXIII – LXXXIII. Heiraths-Abreden, Testamente, Inventarien von Edlen, von Salzburgern und von Zünftigen.
LXXIV – LXXVIII. Verträge, Depositen, Kauf- und Zinsbriefe.
LXXXVIII. Eisenhandel.
LXXXIX – XCVII. Criminalia.
XCVIII – C. Urfehden von Edlen, Breisgau’scher Adel, bella antiqua.
CI – CV. Vorderöstreichische Landstände, Reichstag zu Freiburg, Vorderöstreichische Regierung und Kammer-Procuratur.
CVI – CXI. Defension der Stadt, Bundschuh, Bauernkrieg, sonstige Kriegssachen, Quartiere, Marketender.
CXII - CXLI. Geistliche Sachen, Klöster, Schulen in Freiburg.
CXLII – CLXI. Wohlthätige und gelehrte Stiftungen.
CLXII – CLXXV. Geistliche Fürsten (Bischöfe von Basel, Constanz, Strassburg), auswärtige Klöster. – (Diese Abtheilung enthalt die älteste Urkunde des Archives, die Bestätigungsbulle von 1125 für das Kloster St. Mengen.)
CLXXVI – CLXXXIII. Weltliche Churfürsten und Fürsten.
CLXXXIV. Gemeine Eydtgenossen.

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CLXXXV – CCXIII. Auswärtige Orte.
CCXV – CCXXII. Prozesse.
CCXXIII. Waisen-Rechnungen.
CCXXIV – CCXXVII. Raths- und Gerichts-Protokolle.

Man hätte nun erwarten sollen, dass das Archiv in diesem Gefüge auf lange Zeit hinaus fest beisammen geblieben wäre, wenigstens was die älteren Bestände betrifft, und dass beim Hinzukommen neueren Zuwachses die jetzt einmal gegebene Grundlage zur organischen Angliederung desselben benützt worden sei. Allein die staatlichen Umwälzungen und die Bewegungen unseres eigenen in endlosen Neuerungen dahintreibenden Jahrhunderts sollten selbst nicht auf die verborgenen Winkel unseres kleinen Archives ohne jetzt noch fühlbare Wirkungen bleiben.

Noch auf der Neige des verflossenen Jahrhunderts, anno 1798, verlieh der Magistrat dem Weltpriester Weiss auf Grund und in Anerkennung eines geschichtlichen Elaborats über die ständische Verfassung des Breisgaus den Charakter eines Archivars und dann einige Zeit darauf Rang und Gehalt eines lebenslänglichen Magistratsraths. Weiss war somit der Erste, welcher den Titel eines Archivars der Stadt Freiburg führte; aber es war, als ob ein Verhängniss für das Archiv selbst mit diesem Titel verknüpft gewesen wäre, denn jetzt eben beginnen die gefährlichsten Erschütterungen von aussen und von innen, welche dasselbe mit der Zeit in die schlimmste Verwirrung brachten.

Als mit dem Jahre 1806 Freiburg an Baden kam, nahm der Staat sofort Besitz vom Rathhaus, richtete daselbst das Grossherzogliche Stadtvogtei-Amt ein und beschränkte die Geschäftsstuben des Magistrats auf einige wenige Räume im Seitenflügel. Die beiden Archivgewölbe des Rathshofes wurden nun der Abladeplatz, wo in unordentlicher Hast Rathsprotokolle, Missivenbücher und alles andere im Wege stehende Urkunden- und Aktenmaterial, das bisher im grossen Ecksaale über der grossen Thoreinfahrt aufgestellt gewesen, vom Boden bis zur Decke aufgestapelt wurde. Nicht minder bunt ging es zu jener Zeit im Kaufhausarchive zu. Der Magistrat hatte aufgehört, Gerichtsherr auf seinen Grundherrschaften zu sein, und aus den „gnädigen Herrn des Raths“ wurden schlechthin Gemeinderäthe. Die städtischen Vogtei-Aemter, die sich einerseits über das ganze Kirchgartner Thal mit den Seitenthälern bis in’s Höllenthal, andererseits über die Dependenz-Orte Betzenhausen und [134] Lehen erstreckten, wurden aufgehoben und deren gesammte Urkunden aus den Schlössern Kirchgarten und Betzenhausen, wo die städtischen Vögte bisher residirt hatten, in’s Kaufhaus gebracht. Ein Bericht des Archivars Weiss vom 7. März 1807 wegen Neuordnung dieses Archives beginnt mit den wenig erbaulichen Worten: „Die längere Zeit hin und her und durcheinander geworfenen Akten im Kaufhaus-Archiv“ und schildert dann die traurige Verfassung, in der sich dasselbe in Folge der vorgegangenen Veränderungen dermalen befinde.

Dort im Kaufhause wurde nun allerdings bald Hilfe gebracht, indem mit Beizug eines Kanzlisten und zweier Handlanger ein neues Repertorium angelegt und die Bestände darnach geordnet wurden. Aber für das Rathhausarchiv scheint man in Voraussicht der Nutzlosigkeit eines solchen Beginnens, so lange kein Raum hiefür geschaffen wäre, von vornherein abgestanden zu sein. Da ausserdem die städtische Registratur als Lokal für den Verhörrichter des Grossherzoglichen Stadtvogtei-Amtes dienen musste, auch andere staatliche Behörden, wie z. B. das Hofgericht und das Kreisdirectorium ohne Weiteres einzelne Bestandtheile des Stadtarchives durch ihre eigenen Bediensteten erheben liessen, auch der Stadtdirector sich fast als unumschränkten Herrn des Rathshofes gerirte, blieb für das Archiv zunächst kein Heil zu erwarten. Es blieb also, wie es war.

In diesem Zustande fand Dr. H. Schreiber, Universitätsbibliothekar zu Freiburg, noch anno 1822 das Archiv, als er sich entschlossen hatte, eine Geschichte der Stadt Freiburg zu verfassen.

Im Münster, wo verhältnissmässig am wenigsten die Einflüsse von aussen sich bemerklich machen konnten, hatte indessen der Zahn der Zeit das Seinige gethan, um ein betrübendes Bild dem Forscher vor Augen zu führen. Die sehr alten und morsch gewordenen Kasten waren zum Theil zusammengebrochen. Alles aber war mit einer dicken Staubschichte überzogen; Vieles war im Verlauf der Zeit zu vorübergehendem Gebrauch auf die Registratur in’s Rathhaus gekommen, aber nicht wieder zurückgebracht worden; viele wichtige Urkunden, darunter selbst der Original-Uebergabs-Vertrag an das Haus Oestreich, befanden sich in Privathänden; eine ganze Menge Raths- und Fertigungsprotokolle und ältere Einzelurkunden vom 14. Jahrhundert an waren unrechtmässiger Weise vom Stadtamt an das inzwischen auf dem Predigerthor eingerichtete [135] Grossherzogliche Provinzialarchiv abgegeben worden; endlich eine nicht weniger ansehnliche Menge des verschiedenartigsten Urkundenmaterials hatte Archivar Weiss selbst in seiner eigenen Wohnung, seit Decennien, Studien halber.

Noch viel schlimmer sah es in den beiden Gewölben des Rathshofes aus. Eine Besichtigung derselben am 23. April 1824 erfüllte nach dem Bericht des mitanwohnenden Stadtraths Dr. Schmidt die Anwesenden geradezu mit Schrecken. In beiden Gewölben waren sämmtliche Fenster eingeschlagen, die Fensterrahmen verfault, einzelne Schubladen fehlten ganz, die Archivalien in hohen Haufen auf dem Boden zerstreut, sogar mit alten Sätteln und Mantelsäcken untermischt; Modergeruch, namentlich im unteren Gewölbe, trieb die Besichtigenden zurück, und zahlreiche Spinnengewebe wehrten den Eingang.

So also stand es mit den Archiven der Stadt zu Anfang unseres erleuchteten Jahrhunderts! Und trotzdem gedachte Dr. Schreiber all diesen Wirrwarr in zwei Jahren so nebenbei in seinen Mussestunden wieder in Ordnung zu bringen, in seinen Mussestunden, die ihm seine eigentliche Berufsthätigkeit als Präfect des Gymnasiums, wozu er jetzt ernannt worden war, übrig liess; gewiss wiederum ein Beweis, wie selbst Gelehrte die Mühen und Arbeiten eines Archivars zu unterschätzen geneigt sind!

Magistratsrath und Archivar Weiss war schon Ende 1822 gestorben, und als seinen Nachfolger hatte sich Dr. Schreiber in uneigennützigster Weise dem Magistrat selbst angeboten, natürlich unter Beibehaltung seiner Staatsanstellung als Präfect des Gymnasiums. Der Magistrat seinerseits ging mit Freuden hierauf ein, ernannte ihn sofort zum Ehrenmitglied des Raths und Archivar und erbat hiezu die Genehmigung der Staatsbehörde. Allein das Ministerium des Innern verweigerte in richtiger Erwägung der Verhältnisse die Genehmigung als unvereinbar mit der Berufsthätigkeit des Vorstandes einer gelehrten Mittelschule. Der gute Wille des Antragstellers war immerhin dankend anzuerkennen und unfasslich scheint es daher, wenn Stadtdirector v. Ch. diesen sachlichen Bescheid der obersten Staatsbehörde in einer geradezu verletzenden Art und in durchaus nicht urbaner Form dem Magistrat zustellte, mit der Weisung, „für die Besorgung des Archives auf ein anderes Subject zu denken“. Neben vielen anderen Merkmalen kennzeichnet dieses Verfahren die allgemeine zeitgenössische [136] Anschauung und Geringschätzung, mit der man in jener Periode und in gewissen Kreisen, namentlich den bureaukratischen, auf jede archivalische Thätigkeit herabsah.

Nichtsdestoweniger und vielleicht jetzt erst recht blieb Dr. Schreiber, wenn auch nicht nominell, aber de facto, der eigentliche Archivar der Stadt; aber seine Thätigkeit fand ihren Schwerpunkt weniger in der Neuordnung der Bestände, als in der Bearbeitung eines Urkundenbuchs, das er seiner Geschichte der Stadt Freiburg vorausschickte. Schon 1828 konnte zur Herausgabe desselben geschritten werden, da der Stadtrath hiezu eine Beihilfe von 500 fl. aus Stadtmitteln leistete, eine Ausgabe, die nachher von der staatlichen Revisionsbehörde als eine durchaus unnöthige Verwendung städtischer Gelder dem Stadtrath zum schweren Vorwurf gemacht wurde. Das Urkundenbuch brachte nun in zwei umfangreichen Octavbänden, je 600 Seiten, nebst paläographischen, sphragistischen und numismatischen Abbildungen eine Auslese der in den drei getrennten Archiven enthalten gewesenen wichtigeren Urkunden bis 1500, wobei jedoch zu erwähnen ist, dass der Herausgeber leider nicht alle Urkunden zu Gesicht bekommen haben kann, da verschiedene, für die Stadtgeschichte werthvolle Stücke, selbst aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, nicht darin aufgenommen sind. Offenbar verwandte er seine Hauptaufmerksamkeit auf das Münster, während das Chaos in den beiden Gewölben des Rathshofes sich einer eingehenden Untersuchung nicht zu erfreuen hatte. Es blieb darum dort auch, so lange Dr. Schreiber das Archiv leitete, so ziemlich in gleichem Zustande, was innere Organisation anbetrifft; aber für die äussere Ordnung geschah schon allein dadurch Vieles, dass er die in diesen Gewölben und auch im Kaufhaus zerstreuten 507 Bände Raths- und Fertigungsprotokolle binden liess, wo solches noch nicht geschehen war, und in dem ihm als Arbeitsbureau überlassenen Gemach des Seitenflügels im Rathshof chronologisch geordnet aufstellte, auch die nöthigen baulichen Reparaturen in den verschiedenen Archivlokalen vornehmen liess und insbesondere das Münsterarchiv mit neuen transportabeln Kästen nach dem St. Blasianer-System versah. Ferner sammelte er die in Privathänden befindlichen Urkunden wieder in’s Archiv zurück und vereinigte die vom Provinzialarchiv reklamirten städtischen Archivalien mit dem Kaufhausarchiv. Dagegen fand noch unter seiner Aufsicht in Folge der neuen Gemeinde-Verfassung 1833 eine grössere Extradirung [137] von Stiftungs-Urkunden an die Stiftungs-Verwaltung im hl. Geistspital statt, Sachen, die das Krankenspital, das Präceptorat St. Antonien, das Blatternhaus, das Findelhaus und die Elendenherberge betrafen, – eine zwar willkommene aber für die Urkunden selbst verhängnissvolle Entlastung der überfüllten Archivräume im Rath- und Kaufhaus. Den Realkatalog der Rathsprotokolle, welchen Dr. Schreiber noch aufzustellen sich vorgenommen hatte, brachte er nicht zu Stande, wie denn überhaupt das Repertorisiren und Katalogisiren nicht seine Stärke war.

Als er sich – schon seit 1826 Lehrer der Moraltheologie an der Universität Freiburg – im Jahre 1835 von der Vorstandschaft des Archives zurückzog, stand das Archiv ohne bestimmte Leitung verwaist und verlassen; nur die Thalvogtei-Akten wurden durch eine Schreibaushilfe, den früheren Registrator Elgg, mit einer Tagesbezahlung von 1 fl. 24 kr. geordnet und verzeichnet, da man deren bei den bevorstehenden Zehntablösungen dringend bedurfte. Elgg beschäftigte sich aber auch sonst noch viel mit der Durchmusterung der anderen Urkunden, verlor jedoch damit eine ganz unnütze Mühe, dieselben auf der Rückseite mit einer kurzen, aber nicht immer richtigen Inhaltsangabe zu beschreiben. Aber als das bisherige Archivbureau mit allen seinen Beständen in ein dunkles und zugiges Gelass des benachbarten Bürgergefängnisses, in den sogen. Stadtthurm, verlegt wurde, verliess diese Schreibaushilfe krank und verdriesslich 1840 wieder diesen Posten, und die Archivaufsicht wurde jetzt der städtischen Bauverwaltung übertragen.

Der an der Spitze dieses Verwaltungszweiges stehende Architekt Rösch war der Geschichte seiner Vaterstadt mit warmer Anhänglichkeit zugethan, widmete dem Archive viele Aufmerksamkeit und entfaltete eine ausserordentliche Thätigkeit auf dem archivalischen Gebiet neben seinen eigenen Berufspflichten. Ausserdem, dass er für die Stadtgeschichte literarisch wirkte, repertorisirte er sämmtliche nicht von Maldoner behandelten Materien, leider jedoch, statt sie dem Maldoner’schen Archivplan einzufügen, nach dem Schema der badischen Archivordnung von 1803. Immerhin durfte sich die Stadt beglückwünschen, in ihm einen treuen Hüter des Archives gefunden zu haben, bis dasselbe einem eigens bestallten Archivar übergeben werden konnte. Es geschah dieses im Jahre 1855, als endlich das Grossherzogliche Stadtamt den Rathshof räumte und der Magistrat wieder Herr und Meister in seinem eigenen Hause wurde. Jetzt [138] erst konnte wieder ein geeignetes Arbeitslokal für einen besonderen Archivar eingerichtet werden, dessen Anstellung schon längst als ein unabweisbares Bedürfniss empfunden worden war.

Die Wahl zur Besetzung dieser Stelle fiel auf den schon sehr betagten pensionirten Hofgerichts-Sekretär Cajetan Jäger und der Anfangsgehalt wurde auf 100 fl. fixirt. Bezeichnend aber für die strenge Bevormundung des Magistrats durch die Staatsbehörde ist es, dass der erstere die Anstellung eines eigenen Archivars selbst bei so bescheidener Besoldung beim Bezirksamt damit empfehlen zu müssen glaubte, dass der gleichzeitig neuanzustellende Bauassessor dafür 100 fl. weniger Gehalt bekommen werde.

Des neuen Archivars harrte schon lange eine Reihe von Geschäften, wie die Ausscheidung und Uebernahme von älteren Akten aus den Beständen der laufenden Registratur in das Archiv; Ausräumung des unteren Gewölbes im Rathshof, das durch Höherlegung des anstossenden Terrains noch feuchter geworden war; Sortirung der Urkunden und Akten, die seit 1840 auf dem Dachboden des Kaufhauses haufenweise aufgespeichert lagen, weil das dortige Archivgewölbe den Zollvereinsbeamten hatte übergeben werden müssen, u. A. m. Mit Anfang der Sechziger Jahre kam man auch dahin, die im Rathshofe noch vorhandenen Antiquitäten, Rüstungen, Folterwerkzeuge, Gemälde, alte Münzstempel u. dergl. neben dem Arbeitslokal des Archivars zu sammeln und ihm die Aufsicht hierüber anzuvertrauen. Die Anlage einer Volksbibliothek auf dem Rathshof fällt fast in dieselbe Zeit, und auch dieses Geschäft wurde natürlich wieder dem Archivar übertragen, wie denn auch heute noch derselbe die Funktionen des Stadtbibliothekars und des Vorstandes der Alterthümer-Sammlung zu versehen hat. Bei alledem wurde es in seinen Räumen natürlich immer enger, und man kam endlich zu dem glücklichen Entschluss, auf das Hintergebäude des Rathshofes, wo der grosse Rathssaal und die Archivgewölbe sich befanden, einen dritten Stock mit einem grossen hellen Saale und anstossendem Arbeitszimmer eigens für das Archiv und die Bibliothek zu bauen, für die stark anwachsende Alterthümer-Sammlung aber Raum zu schaffen in den unteren Sälen des ehemaligen Augustinerklosters beim Theater. Diese für das Archiv höchst wichtigen Veränderungen gingen in den Jahren 1864 und 1865 vor sich, und es war in der That gerade die richtige Zeit; denn nun folgten rasch hinter einander grössere Schankungen, sowohl [139] für die Alterthümer-Sammlung, als die Bibliothek, und das Kaufhausarchiv auf dem Dachboden konnte endlich auch aus seiner traurigen Lage erlöst werden. Nur ein Zuwachs, der in jene Zeit fällt, trübt das erfreuliche Bild des Gedeihens, ein Zuwachs, wie man ihn in unseren Tagen nicht hätte erwarten sollen, zumal noch am Sitze einer Hochschule. Mehrere tausend Pergamenturkunden des hl. Geistspitales nämlich, zum Theil noch aus dem 13. Jahrhundert, waren von dessen Verwalter auf eigene Faust um den Pergamentwerth verkauft worden, im Ganzen 87 Pfund, das Pfund zu 5 fl. 30 kr., jedoch nicht ohne dass er vorher, wie es einem sorgsamen Hausvater wohl anstand, die Wachssiegel abgeschnitten und eingeschmolzen hätte. Als diese bedauerliche Thatsache zur Kenntniss des Stadtraths gelangte, befanden sich die Urkunden, welche glücklicherweise ihren Weg nicht in eine Goldschlägerei, sondern in’s Germanische Museum gefunden hatten, bereits in Sicherheit und konnten um den Ankaufspreis wieder zurückerworben werden, um sie nunmehr dem Stadtarchiv einzuverleiben. Auf diese Weise kamen auch die im Jahre 1833 extradirten Urkunden wieder in ihre alte Heimath, in’s Stadtarchiv, zurück, leider nicht in derselben Integrität, in der sie hinausgewandert waren.

Bei der Uebersiedelung sowohl dieser als auch der andern Urkunden, wurde leider versäumt, sich genau an die älteren Repertorien von Maldoner, Weiss und Rösch zu halten, so dass nachträglich noch eine Reconstruction des Archives auf deren Grundlage stattfinden musste, um in der Auffindung jeder einzelnen Urkunde sicher zu gehen. Bedauerlicher Weise erblindete jetzt auch noch der hoch in den Siebenzigern stehende Archivar fast ganz, in Folge dessen bei Benützung der Archivalien Manches nicht wieder an seine angewiesene Stelle zurückgelangte. Von einer Repertorisirung der erwähnten Spitalurkunden musste in Folge dessen ganz Abstand genommen werden.

Durch das stetige Anwachsen der Bibliothek, durch Ueberweisung des bedeutenden Aktenmaterials des städtischen Holz- oder Forstamtes und durch Abgabe einiger Hunderte Folianten Stadtrechnungen vom Stadtrentamt an’s Archiv waren aber die neugeschaffenen Räume bald wieder so überfüllt, dass unter den obwaltenden Verhältnissen eine bedenkliche Confusion überhand nahm.

Glücklicherweise war der gedeckte Gang, welcher das ehemalige Gefängniss, den oben genannten Stadtthurm, mit der alten Gerichtslaube [140] verband und in früheren Zeiten zur Vorführung der Delinquenten vor das peinliche Gericht, am Archiv vorbei, diente, noch erhalten und unbenutzt, so dass nach bereitwilligst erfolgter Genehmigung der Einrichtungskosten dieser Raum zur Unterbringung sämmtlicher Forst- und älteren Rentamts-Akten zur Verfügung stand. Auch im oberen Saale konnte durch zweckdienlichere Aufstellung und Vermehrung der Regale Bedeutendes an Raum gewonnen werden.

Nachdem nun die ärgsten Gefahren, die gerade unser eigenes Jahrhundert für das Archiv gebracht hat, glücklich überstanden sind, nachdem die Zeugen der Vergangenheit bei der Bürgerschaft wieder eine wärmere Theilnahme gefunden haben, als es vor wenigen Decennien noch der Fall war, nachdem gemäss der Fürsorge des Stadtraths und der Stadtverordneten durch alljährliche Bewilligung eines festen Kredits für die Ausgaben des Archivs dieses auf eigene Füsse gestellt wurde, ist zu erwarten, dass dasselbe dem Dienst der Wissenschaft immer nutzbarer gemacht werde, zumal wenn das in Angriff genommene General-Repertorium, vorerst in Gestalt von Zettel-Regesten, beendet sein wird. Diese Zettel-Regesten schliessen sich in ihrer Form und Anordnung denjenigen des General-Landesarchivs zu Karlsruhe an, jedoch Quartblatt, nicht Octav. Was aber die äussere Behandlung der Urkunden selbst betrifft, folgte man dem Beispiele der Sächsischen Archive zu Weimar, wonach jede Pergament-Urkunde einen starken Papier-Umschlag in Briefform erhält, und zwar, soweit thunlich, von einheitlicher Grösse, da man sich nach den Ausmassen der Schubladen in den Gewölben richten muss.

Im grossen Ganzen hat sich das Archiv per tot discimina rerum, wenige Verluste abgerechnet, in seinen Beständen doch intakt erhalten. Was deren Inhalt betrifft, so sei es gestattet, auf das oben erwähnte Schreiber’sche „Urkundenbuch der Stadt Freiburg“ hinzuweisen, dem, wenn die Umstände es erlauben, vielleicht später ein ergänzender Nachtrag folgen wird.




  1. Vergleiche Mone Quellensammlung zur Badischen Landesgeschichte. I. Einleitung. S. 94.