Prozeß Leckert–Lützow

Textdaten
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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Prozeß Leckert–Lützow
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aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4, Seite 127–223
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google-USA*, Commons
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Prozeß Leckert-Lützow.

Der unheilvolle Einfluß der Hofkamarilla Philipp Eulenburg und Genossen machte sich bekanntlich bereits geltend, als Fürst Bismarck noch am Ruder war. „Die Minister können uns sonst was,“ rief Landrat a. D. v. Diest, daher vor einigen Jahren im Zirkus Busch in einer Generalversammlung des Bundes der Landwirte aus. Was war aber dieser ehemalige Landrat gegen den Schloßherrn von Liebenberg. Letzterer vermochte selbst den mächtigsten Kanzler des Deutschen Reiches, den Fürsten Bismarck, dessen Nachfolger, den Grafen v. Caprivi und den so ungemein beliebten alten „Onkel Chlodwig“, Fürsten Hohenlohe zu stürzen und den vierten Kanzler Fürsten v. Bülow von seinem Botschafterposten in Rom nach Berlin zu dirigieren. „Ich will Könige machen, aber nicht König sein,“ sagte Eulenburg zu der Fürstin v. Bülow, als diese ihn bat, ihren Mann doch in Rom zu lassen und selbst das Kanzleramt zu übernehmen.[1] Im Dezember 1906 stand der deutsche Kanzlerposten, dank der Kamarilla Philipp Eulenburg wiederum auf des Messers Schneide. Die am 13. Dezember 1906 erfolgte Auflösung des Reichstages war Bülows einziger Rettungsanker. Und wäre bei den „Hottentottenwahlen“ (Januar 1907) nicht eine Kartellmehrheit (der konservativ-liberale Block) zustande gekommen, dann wäre es der Liebenberger Tafelrunde vielleicht doch gelungen, den Fürsten Bülow zu stürzen. Vor 15 Jahren war der jetzige deutsche Botschafter in Konstantinopel, Freiherr Marschall v. Biberstein, ein ehemaliger Erster Staatsanwalt in Mannheim, Staatssekretär des Auswärtigen Amts. Ein Berliner Kriminalkommissar, dem das politische und Preßdezernat beim Berliner Polizeipräsidium übertragen war, verstand es, dem Staatssekretär mit Hilfe seiner Spitzel das Leben derartig schwer zu machen, daß der Staatssekretär sich in dem bekannten Leckert-Lützow-Prozeß zu dem Ausruf veranlaßt sah: „Wenn Herr v. Tausch glaubt, Vertrauensmänner haben zu müssen, so ist das seine Sache. Wenn aber die Vertrauensmänner des Herrn v. Tausch sich erdreisten, mich, meine Beamten und das Auswärtige Amt zu verleumden, so flüchte ich mich in die Öffentlichkeit und brandmarke dies Treiben.“ Herr v. Tausch wurde in diesem Prozeß wegen dringenden Verdachts, einen wissentlichen Meineid geleistet zu haben, auf Antrag des Staatsanwalts verhaftet, Freiherr v. Marschall aber kurze Zeit nach diesem Prozeß gestürzt. Selbstverständlich hätte Kriminalkommissar v. Tausch nicht gewagt, einem Staatssekretär des Auswärtigen Amts derartig öffentlich gegenüberzutreten, wenn er nicht den damals allmächtigsten Mann im Deutschen Reich, die Spitze der Hofkamerilla, den Schloßherrn von Liebenberg zum Hintermann gehabt hätte. – Im September 1896 fand in der Nähe von Breslau das Kaisermanöver statt, zu dem auch der Kaiser von Rußland erschienen war. Am Abend des 5. September 1896 fand im Königlichen Schloß zu Breslau Galatafel statt. Nach dem Trinkspruch des deutschen Kaisers erwiderte der Kaiser von Rußland. Er sagte u. a.: „Je puis vous assurer, Sire, que je suis animé des mêmes sentiments traditionels que Votre Majesté“ (Ich kann versichern, daß ich von denselben überlieferten Gefühlen beseelt bin wie Ew. Majestät). Wolffs Telegraphenbureau gab die Schlußworte unrichtig dahin wieder: „que Mon Perè“ („wie mein Vater“). Der Irrtum wurde nachträglich berichtigt. Am 28. September 1896 veröffentlichte „Die Welt am Montag“ (Redakteur Dr. Plötz) einen Artikel, worin es u. a. hieß: „Wie sich herausgestellt hat – so wird uns von unterrichteter Seite mitgeteilt – ist jene erste Meldung über den Zarentoast von einer der jüngst so oft besprochenen unverantwortlichen Stellen der „Nebenregierung“ ausgegangen und dem Vertreter der offiziösen Drahtes in die Feder diktiert worden. Unser Gewährsmann steht nicht an, als den Urheber dieser „Aktion“ einen hohen Beamten der kaiserlichen Hofhaltung zu bezeichnen, dessen Person zwar bisher noch nicht unter den Begriff „Nebenregierung“ fiel, dessen Name jedoch – wenn auch seitens anderer Träger desselben – schon zu wiederholten Malen, z. B. seit den Tagen der Liebenwalder (soll heißen Liebenberger) Jagd, kurz vor dem Sturze Caprivis von sich reden machte. Unser Gewährsmann will nun wissen, daß es englische Einflüsse gewesen sind, welche dem Herrn Grafen zu ganz bestimmten durchsichtigen Zwecken den Anlaß boten, die Antwort des Zaren gerade so in die Welt zu setzen, wie es geschehen ist. Verhielte sich das in Wirklichkeit so, so wäre allerdings, zusammengehalten mit früheren Ereignissen, das Bestehen einer Nebenregierung ad hoc oder in Permanenz nicht mehr zu leugnen.“ Als dieser Artikel abfällig besprochen wurde, brachte das Blatt am nächsten Montag einen neuen Artikel. Darin wurde gesagt, daß der Gewährsmann seine Information nicht nur ausdrücklich in allen Punkten aufrecht erhalte, sondern noch das Nachfolgende anfüge: „Es hat als erwiesen zu gelten, daß vor und während der Zwei-Kaisertage starke englische Einflüsse tätig gewesen sind, um ein zu weit gehendes Einvernehmen zwischen Rußland und Deutschland zu hindern. Eine mittelbare Frucht dieser Bestrebungen ist die viel erörterte Redaktion des Zarentoastes, der in falscher Fassung von dem Vertreter des offiziösen telegraphischen Bureaus verbreitet werden mußte. Diese falsche Fassung verfolgte den Zweck, Zeitungsangriffe gegen den kaiserlichen Tischredner selbst hervorzurufen, dadurch den letztgenannten zu verstimmen und um dadurch unsere leitenden und verantwortlichen Stellen zu zwingen, sich der Regierung von St. James zu nähern. Wir stellten infolge dieser Mitteilung noch weitere Nachforschungen an und zwar an der offiziellsten Stelle, die überhaupt für die ganze Meldung in Betracht kam. An dieser Stelle wurde uns nun versichert, der Zarentoast sei nur durch ein Versehen in unrichtiger Fassung zur Veröffentlichung gelangt.“ Oberhofmarschall Graf August Eulenburg erblickte in diesen Artikeln den Vorwurf: er habe sich aus politischen Gründen – englischen Einflüssen folgend – einer Fälschung der Zarenrede schuldig gemacht, um das zu hintertreiben, was im Sinne seines kaiserlichen Herrn lag, nämlich die Annäherung Deutschlands an Rußland. Die Behauptungen enthielten somit den Vorwurf der Fälschung, des Verrats und des gröblichsten Vertrauensbruchs. Es wurden sofort eingehende Ermittelungen angestellt. Diese ergaben, daß der Verfasser dieser Artikel der Leutnant a. D. Journalist Karl v. Lützow war, der, wie er angab, das Material von dem zwanzigjährigen Journalisten Heinrich Leckert erhalten hatte. Letzterer habe ihm wiederholt die ausdrückliche Versicherung gegeben: Er habe die Information von dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Freiherrn v. Marschall erhalten. Er (v. Lützow) habe die Artikel erst geschrieben, nachdem ihm Leckert die ehrenwörtliche Versicherung gegeben hatte, daß alles auf Wahrheit beruhe. Leckert habe als seinen Gewährsmann auch den Sohn des Reichskanzlers, den Prinzen Alexander von Hohenlohe genannt und ihm mitgeteilt: Er sei mehrere Male von Herrn v. Marschall empfangen worden. Dieser habe großes Interesse an der Veröffentlichung und Weiterführung der Artikel ausgedrückt. Leckert und v. Lützow behaupteten außerdem: Freiherr v. Marschall und der Chef der Preßabteilung im Auswärtigen Amt, Wirkl. Geh. Legationsrat Dr. Hammann haben sie zu den gegen den Oberhofmarschall Grafen zu Eulenburg gerichteten Verleumdungen angestiftet und zu deren Veröffentlichung beigetragen. Gegen Leckert und v. Lützow wurde deshalb Strafantrag wegen wider besseres Wissen begangener verleumderischer Beleidigung gestellt und ihre sofortige Verhaftung beschlossen. Die Hintermänner der Verhafteten beabsichtigten augenscheinlich den Freiherrn v. Marschall als politischen Intriganten hinzustellen und seinen Sturz zu bewerkstelligen. Leckert und v. Lützow hatten sich deshalb am 2. Dezember 1896 vor der dritten Strafkammer des Landgerichts Berlin I wegen verleumderischer Beleidigung zu verantworten. Außer diesen waren wegen Beleidigung angeklagt der Redakteur der „Welt am Montag“ Dr. Alfred Plötz, der Redakteur der „Staatsbürger-Zeitung“, Georg Berger, Zeitungsberichterstatter Oskar Föllmer und der Vater des Angeklagten zu 1, Kaufmann Bruno Leckert. Letzterer hatte in Sachen der Eröffnung des Hauptverfahrens dem Angeklagten Föllmer Material gegeben, in dem die Mutmaßung ausgedrückt war, Prinz Hohenlohe oder Frhr. v. Marschall seien die Gewährsmänner der verleumderischen Artikel. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Roesler. Die Anklage vertrat Oberstaatsanwalt Drescher. Die Verteidigung führten die Rechtsanwälte DDr. Gennrich, Lubcezynski, Schmielinski, Braß und Glatzel. Im kleinen Schwurgerichtssaal des alten Moabiter Kriminalgerichtsgebäudes war an einem besonderen Tisch ein stenographisches Bureau unter Leitung des Reichstagsstenographen Otto Cohner für das Auswärtige Amt etabliert. Das Berliner Polizeipräsidium hatte in der Person des Polizeisekretärs Lührs einen Stenographen entsandt. Als Zeugen waren geladen: Staatssekretär Freiherr Marschall von Biberstein, Direktor Dr. Mantler und Geheimrat Direktor Banse vom Wolffschen Bureau, Berichterstatter de Grahl, Wirkl. Geh. Legationsrat Dr. Hammann, Prinz Alexander v. Hohenlohe, Wirkl. Geh. Legationsrat v. Hollstein, die Redakteure Rippler und Werle, Kriminalkommissar v. Tausch, Hilfsarbeiter im Statistischen Amt Unruh, Redakteur Heller, Hilfsarbeiter im Ministerium des Innern Kukutsch, Schriftsteller v. Huhn, Schriftsteller Holländer und Schriftsteller v. Vangerow. Der Angeklagte Leckert jun., 1876 geboren, machte den Eindruck eines Schülers. Er hatte das Französische Gymnasium bis zur Obersekunda besucht und war alsdann Journalist ge- worden. Obwohl er stotterte, waren seine Antworten sehr gewandt. Er erklärte auf Befragen des Vorsitzenden: Bei einem gelegentlichen Zusammentreffen mit v. Lützow habe er diesem gesagt: Nach zuverlässigen Informationen sei die falsche Redaktion des Zarentoastes auf englische Einflüsse zurückzuführen. Als der Artikel in der „Welt am Montag“ erschienen war, habe er (v. Lützow) gefragt, ob der Artikel etwa von ihm herrühre. v. Lützow habe geantwortet: er habe dieselbe Frage an ihn richten wollen. Vors.: Wollen Sie behaupten, daß der Artikel, in welchem auf den Grafen August zu Eulenburg hingewiesen wurde, nicht von Ihnen herrührt? – Angekl.: Ich habe den Grafen Eulenburg nie genannt, sondern von Lützow nur im allgemeinen einige Mitteilungen über die Fälschung des Zarentoastes im englischen Interesse gemacht. – Vors.: Wer war denn Ihr angeblicher Gewährsmann? – Angekl.: Ich habe mich ehrenwörtlich verpflichtet, keine Mitteilung darüber zu machen. – Vors.: Hatten Sie nicht auch v. Lützow gesagt, daß Exzellenz v. Marschall auf die Publikation großen Wert lege? – Angekl.: Ich war der Überzeugung. – Vors.: Hatte Ihnen Ihr Gewährsmann dies gesagt? – Angekl.: Er hatte seine Überzeugung dahin ausgesprochen. – Vors.: Dann ist es doch komisch, daß Ihr Gewährsmann Ihnen das Ehrenwort abnimmt, ihn nicht als Inspirator eines Artikels zu nennen, der angeblich im Interesse des Herrn v. Marschall geschrieben war. – Angekl.: Der Schaden, den mein Gewährsmann persönlich erleiden würde, würde größer gewesen sein, als der Vorteil, den er Herrn v. Marschall verschaffen konnte. – Vors.: Damit geben Sie zunächst zu, es war Ihnen klar, daß der Artikel Schaden anrichten, oder mindestens viel Staub aufwirbeln konnte. – Angekl.: Ich habe mein Ehrenwort zur Diskretion aus eigener Initiative gegeben. – Der Angeklagte behauptete weiter, daß er nur einen Artikel über dasselbe Thema geschrieben und ihn der „Tägl. Rundschau“ und dem „Breslauer Generalanzeiger“ vergeblich angeboten habe. Der Vorsitzende hielt dem Angeklagten vor, daß die weiteren Tatsachen doch deutlich darauf hinweisen, daß er mit dem Artikel, der am 28. September in der „Welt am Montag“ erschienen, und in welchem Graf Eulenburg deutlich bezeichnet war, in enger Beziehung gestanden haben müsse. Dazu gehöre, so bemerkte der Vorsitzende weiter, daß, als die „Deutsche Tagesztg.“ einen heftigen Artikel gegen die „Fetten Enten“, die die „Welt am Montag“ in die Welt setzte, gebracht hatte, Leckert mittels einer Postkarte sofort Herrn v. Lützow zu einer Besprechung über den „Operationsplan“ eingeladen habe, daß er weiter mit Bezug auf diesen Artikel gesagt habe, „Herr von Marschall lasse ihn nicht im Stich,“ „er werde dem Direktor Mantler schön heimleuchten,“ daß dann in der „Welt am Montag“ ein zweiter Artikel erschienen ist, in welchem der „agrarischen Tante“ heftig zu Leibe gegangen und die Behauptung des ersten Artikels in vollem Umfange aufrecht erhalten wird. – Leckert gab auf alle diese Vorhaltungen in sehr geläufiger Rede Antworten, die der Vorsitzende wiederholt als sehr gewunden und wenig wahrscheinlich erklärte. – Der Vorsitzende fragte den Angeklagten Leckert wiederholt, ob er, den angeblichen Gewährsmann nicht nennen wolle, der ihm ja nach seinen, des Angeklagten Angaben, selbst gesagt habe, es sei ein Unglück, daß der Name des Grafen Eulenburg, eines Ehrenmannes, in der Geschichte erwähnt sei. Wenn man angesichts dessen berücksichtige, daß der Angeklagte in einem zweiten Artikel seine früheren Behauptungen aufrecht halte, so wisse man wirklich nicht, was man dazu sagen solle. Entweder habe er in unverantwortlicher Weise seinem Gewährsmann gegen- über gehandelt, oder ein solcher existiere nur in seiner Erfindung. Der Angeklagte habe sich in betreff der Stellung des angeblichen Gewährsmannes auch in Widersprüche verwickelt; vor der Polizei habe er gesagt, es sei ein höherer Beamter im Auswärtigen Amt und dies habe er bei seiner ersten Vernehmung vor dem Richter wiederholt. Die heutige Behauptung des Angeklagten, daß das polizeiliche Protokoll eine irrtümliche Fassung habe, verdiene deshalb keinen Glauben, denn er habe ja Gelegenheit gehabt, den Irrtum bei seiner Vernehmung vor dem Richter zu berichtigen. – Angekl. Leckert: Ich meine auch, es getan zu haben. – Vors.: Nein, Sie haben es erst später getan. – Angekl.: Ich habe nur sagen wollen, daß ich zum Auswärtigen Amt in Beziehungen stehe. – Vors.: Ja, und dann haben Sie gesagt, daß Ihr Gewährsmann Beamter bei einer Berliner Behörde sei. – Angekl.: Ja, so ist es auch. – Vors.: Angeklagter, ich will Ihnen mal etwas sagen. Man kann den preußischen Reichs- und Staatsbeamten im allgemeinen wohl nachrühmen, daß sie ihren Beruf mit Pflichttreue und in gewissenhafter Weise erfüllen; bis jetzt sind derartige Vertrauensbrüche wie Sie sie Ihrem Gewährsmann in die Schuhe schieben wollen, nicht vorgekommen. Wie sollte es wohl denkbar sein, daß ein Beamter einem so jungen Menschen gegenüber, der vor drei Jahren noch Schüler war, so wichtige Enthüllungen machen sollte? Verkennen Sie Ihre Lage nicht, es handelt sich um ein schweres Vergehen und Sie werden die Folgen zu tragen haben. Es ist fraglich, ob man Ihnen die Geschichte von dem Ehrenwort und dem Gewährsmann glauben wird, es scheint, als wollten Sie die Geschichte nur als Deckmantel für Ihre Handlungsweise benutzen. Wollen Sie uns die Behörde nennen, bei der Ihr Gewährsmann angestellt sein soll? – Angeklagter: Bedauere, nein. Auf weiteres Befragen sagte Leckert: Dem zweiten Artikel in der „Welt am Montag“ stehe er ganz fern. Er wisse nur, daß dieser Artikel auf Grund zweier Manuskripte zustande gekommen sei, die er dem Angeklagten v. Lützow übergeben habe. Auf ferneren Vorhalt des Vorsitzenden blieb Leckert dabei: Er habe Herrn v. Marschall vor längerer Zeit im Auswärtigen Amt oder im Reichstage gesprochen. Daß Herr von Marschall sich darauf nicht mehr besinnen könne, sei ihm unerklärlich. Leckert blieb auch dabei, daß er in Breslau vom Reichskanzler Fürsten Hohenlohe empfangen worden sei und dieser mit ihm gesprochen habe. – Der Vorsitzende hob weiter hervor, daß der Angeklagte auch dem Verleger Werle vom „Breslauer Generalanzeiger“ einen Artikel angeboten habe, der nicht dem vom Angeklagten dem Gericht überreichten Manuskript, sondern dem Artikel der „Welt am Montag“ entsprochen habe. Leckert soll sich von Werle für die Beschaffung einer wichtigen Nachricht 100 Mark Vorschuß habe geben lassen. Die Nachricht ist nie geliefert worden. – Der Angeklagte erklärte, daß er allerdings die sensationelle Nachricht nicht geliefert habe, weil er inzwischen verhaftet worden sei. Der Vorsitzende verwies aber darauf, daß die Verhaftung erst 4 Wochen nach der Hingabe des Geldes stattgefunden habe, daß also noch Zeit genug vorhanden gewesen sei, entweder die 100 Mark zurückzugeben, oder die „sensationelle Nachricht“ zu liefern. – Vors.: Sie sollen dem Verleger Werle auch vorgespiegelt haben, daß zu der sensationellen Nachricht eine Reise nach Köln vielleicht nötig sein würde. Was wollten Sie denn in Köln? – Angekl.: Man hatte mir gesagt, daß vielleicht eine Reise nach Köln notwendig sein würde. – Vors.: Wer hat Ihnen denn dies gesagt? – Angekl.: Mein Gewährsmann. – Vors.: Also wieder Ihr Gewährsmann. Bei dem Dunkel, in welches Sie diesen Gewährsmann hüllen, werden wir damit wohl nicht weiter kommen. Welche Beziehungen hatten Sie denn überhaupt zu Herrn v. Marschall? Angekl.: Gar keine persönlichen Beziehungen. – Vors.: Und zu anderen Beamten? Zu dem Prinzen Hohenlohe? – Angekl.: Den kenne ich gar nicht. – Vors.: Oder zu Herrn Geheimrat Hammann oder Geheimrat v. Hollstein? Angekl.: Die Herren kenne ich gar nicht. – Vors.: Sie haben auch behauptet, Sie haben von Ihrem Gewährsmann wiederholt Rohrpostkarten erhalten, waren diese Rohrpostkarten mit einem Namen unterschrieben? – Angekl.: Sie waren chiffriert. – Vors.: Bei der bei Ihnen vorgenommenen Haussuchung ist unter Ihren Skripturen keine solche Rohrpostkarte gefunden worden? – Angekl.: Ich habe alle derartigen Sachen sofort vernichtet. – Oberstaatsanwalt Drescher: Der Angeklagte hat behauptet: Er habe bei dem Fürsten-Reichskanzler in Breslau eine Audienz gehabt. Nach meinen Informationen ist das eine wissentliche Unwahrheit. – Angekl. Leckert: Ich behaupte nach wie vor, daß ich am Abend des 5. September dem Fürsten Hohenlohe durch einen Kammerdiener angemeldet worden bin. Der Fürst-Reichskanzler hat mich empfangen und mir auf folgende drei Fragen Auskunft gegeben: 1. über den zukünftigen russischen Minister des Äußern, 2. über die bewaffnete Intervention in Kreta und 3. über die Beziehungen Deutschlands zu Rußland nach der Zarenreise. Ich habe über diese Audienz dem „Breslauer Generalanzeiger“ berichtet. – Dieser Artikel wurde verlesen. – Oberstaatsanwalt: Ich ersuche den Gerichtshof, sich schlüssig zu machen, ob angesichts dieser Behauptungen des Angeklagten die Vorladung des Reichskanzlers notwendig ist. Ich möchte den Herrn Reichskanzler nicht mit dieser Zeugenschaft belästigen. Ich habe deshalb Erkundigungen eingezogen. Auf mein Ersuchen hat Staatssekretär v. Marschall den Herrn Reichskanzler gefragt und sogar eine schriftliche Erklärung erhalten. Danach reduziert sich die Behauptung des Angeklagten auf folgendes: Bei einer Gelegenheit, als der Reichskanzler im Begriff war, seine Wohnung in Breslau zu verlassen, drängte sich ein junger Mensch an ihn heran. Er sprach auf den Herrn Reichskanzler ein, hat aber von letzterem die Antwort bekommen, daß er keine Zeit habe, sich mit ihm zu unterhalten. Das war die ganze Audienz. Wenn der Angeklagte Behauptungen, wie geschehen, aufstellt, dann läßt das einen Schluß auf seine Glaubwürdigkeit und sein Erfindungstalent zu. Deshalb dürfte es zweckmäßig sein, in voller Öffentlichkeit darzutun, daß dem Reichskanzler nichts ferner gelegen hat, als einem so jungen Mann über so hochwichtige politische Fragen Auskunft zu erteilen. – Angekl. Leckert: Ich stelle anheim, den Kammerdiener vorzuladen, der mir die Tür zum Vorzimmer des Reichskanzlers geöffnet hat. – Vors.: Es ist ja möglich, daß Sie einmal kurze Zeit im Vorzimmer des Reichskanzlers gewartet haben, damit ist doch noch nicht eine Audienz erwiesen. – Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Gennrich: Ich beantrage, den Herrn Reichskanzler Fürsten Hohenlohe als Zeugen zu laden. – Der Gerichtshof beschloß: Die Beschlußfassung hierüber bis nach der Vernehmung des Staatssekretärs v. Marschall auszusetzen. – Aus verschiedenen Briefen, die hierauf zur Vorlesung gelangten, ging hervor: Leckert hatte dem „Breslauer Generalanzeiger“ die telephonische Nachricht übermittelt, daß die Gerüchte über den Rücktritt des Reichskanzlers Fürsten Hohenlohe und dessen Nachfolgerschaft durch den Fürsten Hatzfeld jeder Begründung entbehren. Der Verleger Werle hat hierauf geantwortet: Die Nachricht sei nicht aufgenommen worden, da sie bereits in der Kreuzzeitung gestanden habe. Leckert hat darauf erwidert: Er stehe derartigen journalistischen Rüpeleien, wie man sie ihm zuzumuten scheine, fern. In einem anderen Schreiben erwähnte Leckert: Er sei durch seine Reise nach Köln bedeutend weitergekommen. Diese Reise hatte aber Leckert gar nicht unternommen. – In allen Briefen erhärtete Leckert seine Behauptungen mit der Versicherung auf sein Ehrenwort. – Oberstaatsanwalt: Die „Tägl. Rundschau“ brachte auch einen Artikel über den angeblichen Rücktritt des Reichskanzlers, stehen Sie zu diesem Artikel in Beziehung? – Leckert: Nein. – Oberstaatsanwalt: Es ist eine Abrechnung bei Ihnen gefunden worden, auf der zwei Artikel mit Eulenburg I und Eulenburg II verzeichnet sind. Die Abrechnung ist mit „v. Lützow“ unterzeichnet. Es ist doch auffallend, daß Sie für Artikel liquidieren, welche nach Ihrer Behauptung v. Lützow verfaßt hat? – Angekl. Leckert: Diese Abrechnung bezieht sich nicht auf die Artikel in der „Welt am Montag“, sondern auf die nicht veröffentlichten zwei Manuskripte, die ich v. Lützow überlassen hatte. – Es wurde darauf v. Lützow vernommen. Er sagte auf Befragen des Vorsitzenden: Seit Mitte Oktober bin ich in der Presse aufs schmählichste verleumdet worden. Es wurde behauptet: ich sei wegen Indiskretion aus dem Wolffschen Telegraphenbureau entlassen worden. Ich wurde außerdem als russischer Spion denunziert mit der Behauptung: ich sei deshalb aus dem Offizierstande entfernt worden. Endlich wurde behauptet: ich stehe in Diensten der politischen Polizei. Das sind mindestens so große Verleumdungen, wie sie die Anklage aus den hier in Frage stehenden Artikeln herausliest. Ich habe Berichtigungen an die Zeitungen gesandt und gegen eine Zeitung Strafantrag gestellt. Ich bin, nachdem ich inaktiver Offizier geworden, bis 1893 in der Landwehr gewesen. Aus der Landwehr bin ich in die gänzliche Inaktivität übergetreten und zwar mit Pension und anderen Benefizien. Herr v. Marschall hat im Jahre 1892 der Militärbehörde angezeigt: ich sei bei einer Zeitung tätig, die deutschfeindlichen Tendenzen verfolge. Die deshalb etwa ein Jahr währende Untersuchung endete mit meiner Freisprechung. Der Kaiser hat den Spruch des militärischen Ehrengerichts anerkannt, trotzdem bin ich am Schlusse dieses Verfahrens in Inaktivität getreten. – Oberstaatsanwalt: Der Angeklagte wurde allerdings freigesprochen, zur Ergänzung ist aber hinzuzufügen, daß der Übertritt in die gänzliche Inaktivität doch kein freiwilliger war. Der Spruch des Ehrengerichts wurde von seiner Majestät wohl bestätigt, damit war aber gleichzeitig der Abschied des Angeklagten verbunden. – v. Lützow: Ich wurde 1877 Offizier. 1880 hatte ich einen schweren Zweikampf. Nach diesem erhielt ich den schlichten Abschied, weil ich dem Gegner nicht die Genugtuung gegeben hatte, die als notwendig erachtet wurde. Ich verbüßte die Festungshaft, zu der ich verurteilt war, trat aber unmittelbar, nachdem ich die Festung verlassen hatte, wieder aktiv in die Armee ein. Ich habe wieder von der Pike auf gedient und wurde 1881 wieder Offizier mit dem alten Patent. Vom alten Kaiser Wilhelm wurde ich rehabilitiert. – Auf Antrag des Oberstaatsanwalts wurde das Erkenntnis des Ehrengerichts verlesen. Daraus ging hervor, daß v. Lützow von der Anschuldigung, an einer deutschfeindlichen Zeitung tätig zu sein, freigesprochen worden ist, daß ihm aber im übrigen der Kaiser eine Warnung und den Abschied erteilt hat. – Vert. R.-A. Dr. Lubczynski stellte fest, daß der Angeklagte v. Lützow noch Pension beziehe und die Anschuldigung: v. Lützow arbeite an einer deutschfeindlichen Zeitung von dem Staatssekretär Freiherrn v. Marschall ausgegangen sei. – Auf Befragen des Vorsitzenden bestritt v. Lützow, daß er wegen Indiskretion aus dem Wolffschen Bureau entlassen worden und auch, daß er Angestellter der politischen Polizei sei. – Vors.: Die weitere Verhandlung wird ergeben, daß mancherlei vorlag, was zu dieser Annahme führen konnte. – Oberstaatsanwalt: Die Anklage geht allerdings nicht – wie ich von vornherein erklären will – von der Annahme aus, daß der Angeklagte v. Lützow ein „Angestellter“ der Polizei gewesen ist. Darunter verstehe ich etwas anderes. Aber die Anklagebehörde nimmt an, daß der Angeklagte von der politischen Polizei beauftragt worden ist, Ermittelungen anzustellen und daß er Vertrauensmann der Polizei in politischen Dingen gewesen ist. – Angekl. v. Lützow: Das ist nicht der Fall. Wie jeder Journalist, so habe auch ich meine Verbindungen gehabt. Ich kannte mehrere Leute von der Polizei und habe oft mit ihnen über politische Dinge gesprochen. – Vors.: Geben Sie zu, die zwei Artikel in der „Welt am Montag“ verfaßt zu haben? – v. Lützow: Die Artikel rühren in der Hauptsache von mir her. Acht Tage vor dem Erscheinen des ersten Artikels habe ich Leckert in dessen Wohnung aufgesucht, um mit diesem eine Geldangelegenheit zu ordnen. Bei dieser Gelegenheit erzählte mir Leckert: er habe einige sehr hübsche Sachen in letzter Zeit geschrieben. Einen Artikel habe er an den „Breslauer Generalanzeiger“ gesandt. Dieser Artikel habe die Frage behandelt: wie der Zarentoast in der Fassung „que mon père“ in die Presse lanciert worden sei. Leckert sagte mir: es haben zwei Texte des Zarentoastes bestanden darüber sei in deutschen und ausländischen Zeitungen viel geschrieben worden. – Oberstaatsanwalt: Das sind willkürliche Kombinationen, denen ich ganz entschieden entgegentreten muß. Es haben niemals zwei Texte des Zarentoastes bestanden und es haben deshalb auch niemals diplomatische Vorbesprechungen stattgefunden. Es ist eine ganz willkürliche Annahme, der Kaiser von Rußland habe zunächst „que mon père“ sagen wollen und erst nach diplomatischen Verhandlungen sei er bewogen worden, seine Rede anders zu fassen. – Angekl. v. Lützow: Ich habe keine willkürliche Kombination aufgestellt, sondern nur festgestellt: es war mir bekannt, daß viele in- und ausländische Zeitungen von zwei Texten sprachen, die bestanden haben sollen. – Vors.: Es muß allerdings als feststehend erachtet werden, daß die Zeitungen tatsächlich von zwei Texten gesprochen haben. – v. Lützow: Leckert hat mir gesagt: der Zar habe „que mon père“ nicht gesprochen, die Lancierung dieser Fassung in die Presse sei auf englische Einflüsse zurückzuführen, welche sich in der Umgebung des Kaisers in Breslau breit machten. Ein höherer Hofbeamter habe es bewirkt, daß diese Fassung dem Vertreter vom Wolffschen Bureau übermittelt werde. Auf diese Weise sei der Text „que mon père“ in die Presse gekommen. Leckert erzählte mir weiter, daß er hierüber dem „Breslauer Generalanzeiger“ berichtet habe. Er sei aber mit der Wirkung des Artikels nicht zufrieden gewesen, da der Artikel in der übrigen Presse fast gar nicht beachtet worden sei. – Vors.: Fragten Sie Leckert, von wem er die Information habe? Angekl. v. Lützow: Es ist in der Journalistik nicht Usus, sofort immer nach dem Gewährsmann zu fragen, da dieser doch zumeist verschwiegen wird. Leckert ersuchte mich, den Artikel an bedeutendere Zeitungen als der „Breslauer Generalanzeiger“ sei, zu senden, um eine größere Wirkung und Beachtung zu erzielen. Leckert machte auf mich einen so glaubwürdigen Eindruck, daß ich unmöglich auf den Gedanken kommen konnte, Leckert habe sich alles aus den Fingern gesogen, oder seine Information von einer untergeordneten Person erhalten. Ich bin deshalb der Sache nähergetreten, zumal Leckert mir sagte: er sei von Herrn v. Marschall empfangen worden. Ich sagte zu Leckert: Herr v. Marschall war gar nicht in Berlin. Leckert antwortete: Es kann ja ein Beauftragter des Herrn v. Marschall gewesen sein. Dies war mir einleuchtend. Als das Dementi in der „Deutschen Tageszeitung“ erschien, machte ich Leckert in eindringlichster Weise Vorhaltungen. Leckert gab mir jedoch wiederholt die Versicherung: Er sei mehrere Male von Herrn v. Marschall empfangen worden; dieser halte alles aufrecht. Vor dem Erscheinen des ersten Eulenburg-Artikels nannte mir Leckert den Namen des Oberhofmarschalls Grafen August zu Eulenburg, der nach der Annahme seines Gewährsmannes dem Berichterstatter des Wolffschen Bureaus de Grahl auf Grund englischer Einflüsse den gefälschten Kaisertoast gewissermaßen in die Feder diktiert habe. Leckert sagte: Exzellenz v. Marschall habe an der Veröffentlichung ein großes Interesse, damit die Welt erfahre, wie hier wieder einmal die Nebenregierung die Hand im Spiele habe. Da Leckert mir dies ehrenwörtlich versicherte, sagte ich: ich werde die Sache in die Hand nehmen, da ich als älterer Journalist mehr Beziehungen habe als er. Als der Artikel in der „Welt am Montag“ erschienen war, machte mir Leckert den Vorwurf, daß der Hinweis auf den Grafen Eulenburg nach Ansicht seines Gewährsmannes zu scharf ausgefallen sei, bemerkte aber ausdrücklich: die Tatsachen an sich sind durchaus richtig. Einige Tage dar- auf sagte mir Leckert: er komme von Exzellenz v. Marschall, dieser habe sich über den Artikel riesig gefreut. Ich war deshalb ganz beruhigt, da mir Leckert sagte: bei dem Empfange bei Herrn v. Marschall sei noch ein Vertrauensmann zugegen gewesen. Herr v. Marschall habe ihm versprochen, noch weiteres Material zu geben, damit er noch deutlicher werden könne. Ich habe auch das Manuskript zu dem zweiten Artikel in der „Welt am Montag“ geliefert, es sind aber dabei mehrere Stellen ausgelassen worden. – Oberstaatsanwalt: Ich stelle aus den Akten fest, daß der Angeklagte zuerst behauptet hat, er habe dem Angeklagten Dr. Plötz nur Informationen erteilt. Erst als Dr. Plötz zu seinem Glück das Manuskript noch vorgefunden, hat v. Lützow zugegeben, daß er das Manuskript geliefert habe. – Angekl. v. Lützow: Da sein Manuskript nicht wörtlich abgedruckt worden, so konnte er dieses nur als eine schriftliche Information betrachten. Denn so wie die Sache schließlich in der „Welt am Montag“ veröffentlicht worden, habe er den Artikel nicht geschrieben. Den Satz, daß während der Kaiserzusammenkunft in Breslau starke englische Einflüsse tätig gewesen seien, habe er allerdings geschrieben. Er habe wegen der Abänderung seines Artikels seine Verbindung mit Dr. Plötz abgebrochen; es habe ihn ganz besondern verdrossen, daß die „Hauptsache“, nämlich die Erklärung des politischen Grundes der englischen Einflüsse, weggelassen worden sei. – Auf weiteres Befragen erklärte v. Lützow, daß Leckert immer wiederholt habe, Herr v. Marschall sei sehr erfreut darüber, daß die Hofclique mal gehörig eins auf den Kopf bekommen habe, Herrn v. Marschall mache es ein großes Vergnügen, mal ordentlich zu „stänkern“. Dem Dr. Plötz müsse er den Vorwurf machen, daß er ihn, obgleich er die Zusage der Diskretion gehabt, einseitig genannt habe. Dr. Plötz habe ihn aber verraten. Das sei ein unerhörter Vertrauensbruch und ein Schlag ins Gesicht. – Vors.: Wie kommt es, daß Sie selbst in einem Briefe an den Kriminalkommissar v. Tausch, Leckert als Ihren Gewährsmann genannt haben? – Angekl.: Leckert hatte mich wiederholt ermächtigt, ihn zu nennen. – Auf Antrag des Oberstaatsanwalts wurde der Brief des Angeklagten v. Lützow an den Kriminalkommissar v. Tausch verlesen. Daraus soll sich nach Ansicht des Oberstaatsanwalts ergeben, daß v. Lützow den Bericht an v. Tausch nicht zu seiner Verteidigung geschrieben hat, sondern als politischer Vertrauensmann des Kommissars v. Tausch, dem er Mitteilungen machte, für welche er noch besonderen Dank und Anerkennung beanspruchen zu können glaubte. – Auf Befragen des Vert. Rechtsanwalts Lubcezynski erklärte Oberstaatsanwalt Drescher, daß nach seiner Kenntnis der Dinge der Polizeipräsident Veranlassung genommen habe, von Amts wegen Ermittelungen über die Verfasserschaft der Artikel anzustellen und damit Herrn v. Tausch beauftragt habe. Herr v. Tausch habe dann, wie schon öfter, wenn es sich um Ermittelungen in Preßangelegenheiten handelte, sich des Herrn v. Lützow als seines Vertrauensmannes bedient. Herr v. Tausch habe dann – wie anzunehmen sei – zu seiner eigenen Überraschung erfahren, daß v. Lützow selbst der Verfasser der Artikel sei. – .Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Zu der fraglichen Zeit war Herrn v. Tausch schon bekannt, daß v. Lützow der Verfasser der Artikel war. – Der Bericht, den v. Lützow Herrn v. Tausch über die Entstehung der Artikel erstattet hat, wurde verlesen. – Darin sprach v. Lützow allerdings von „Informationen“, die er Herrn v. Tausch gebe und die von letzterem anerkannt und gewürdigt werden sollten. Er gab weiter ganz ausführliche Mitteilungen, wie Leckert sich ihm genähert und was er ihm alles in bezug auf seine Beziehungen zu Herrn v. Marschall und auf die Wahrheit der Artikel in der „Welt am Montag“ gesagt habe. Leckert habe ihm auch gesagt, daß nach der Ansicht des Herrn v. Marschall dieser Zeitungskrieg einen Entrüstungssturm gegen ihn (v. Marschall) entfachen würde und da bei dem Kaiser der am festesten im Sattel sitze, der am meisten angegriffen werde, so habe Herr v. Marschall geglaubt, daß seine Stellung schließlich befestigt werden und er als unentbehrlich erscheinen würde. v. Lützow erwähnte auch in dem Bericht, daß dieser „im Anschluß an frühere Berichte“ erfolge, daß er zuerst die Absicht gehabt habe, sich an Herrn v. Marschall zu wenden. Daß er dies aber nicht tun werde „ohne Ihre Instruktion“. v. Lützow suchte dies alles harmlos zu erklären und bestritt, daß er denunzieren wollte. – Vors.: Ein solches Verhalten macht den Eindruck, als wenn der Angeklagte als Polizeiagent handelte. – Angekl.: Er habe sich deshalb nicht an Herrn v. Marschall gewendet, weil er wußte, daß er im Auswärtigen Amt nicht gelitten sei, und weil der früher gegen ihn gerichtete Angriff von dort ausgegangen sei. – Oberstaatsanwalt Drescher wies noch einmal darauf hin, daß der Angeklagte schon vorher an H. v. Tausch geschrieben haben müsse, was aus seinen in dem Bericht enthaltenen Wendungen, wie „ich berichtete und berichte auch jetzt“ und „im Anschluß an frühere Berichte“ hervorgehe. Ferner habe der Angeklagte der Polizei geraten, nicht einen Schutzmann in Uniform zu Leckert zu schicken, denn dadurch würde letzterer gewarnt werden. Und das nenne der Angeklagte keinen Verrat! – Der Angeklagte bemerkte, er habe sich vielleicht in der Angst, daß die Sache für ihn schlecht ablaufen würde, im Ausdruck vergriffen. – Der Vorsitzende hielt dies für schwer vereinbar mit dem sonstigen bestimmten Auftreten des Angeklagten und dessen journalistischer Gewandtheit. – Vors.: In Ihrem Berichte erwähnen Sie auch, daß Leckert behauptet habe, Herr v. Marschall habe ihn in sehr gemütlicher Weise, mit den Händen in der Hosentasche und bei einer Kognakflasche empfangen. Haben Sie wirklich geglaubt, daß ein so hoher Staatsbeamter einen so jungen Menschen in dieser Weise zu seinem Vertrauten machen wird? – v. Lützow: Jawohl, aus meiner journalistischen Tätigkeit ist mir bekannt, daß die Regierung die verschiedensten Kanäle benutzt, um ihre Preßzwecke zu verfolgen. Hat doch Graf Caprivi selbst gesagt, er nehme das Gute, woher es auch komme. – Der Vorsitzende hielt v. Lützow weiter vor, daß er gelegentlich der Untersuchung den Leckert wiederholt als einen ganz unglaubwürdigen Menschen bezeichnet habe und daher unmöglich so felsenfest seinen Mitteilungen vertrauen konnte. Angeklagter: Erst am 21. Oktober habe er Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Leckert ausgedrückt, weil er sich überzeugt habe, daß er düpiert worden sei. – Der Oberstaatsanwalt machte im Anschluß hieran auf den Widerspruch aufmerksam, der darin liege, daß der Angeklagte behauptete, er sei „bête noire“ im Auswärtigen Amt und dann glauben machen wolle, daß er den ersten Artikel „im Interesse“ des Herrn v. Marschall geschrieben habe. Der Angeklagte gab auch hierüber gewundene Erklärungen, die immer wieder darin gipfelten, daß er den Leckert für einen durchaus glaubhaften Mann gehalten habe. Es sei ihm doch auch bekannt gewesen, daß über ähnliche Themata wiederholt Artikel in den verschiedensten Zeitungen erschienen seien, namentlich auch sehr scharfe Artikel in der „Kölnischen Zeitung“ gegen den General von Hahnke und die Hofclique. – Die Behauptung, daß er den früheren Angestellten des Wolffschen Bureaus seinerzeit habe bestimmen wollen, ihm Rußland berührende Nachrichten gegen Entgelt abzulassen, bestritt Angeklagter mit großer Entschiedenheit. – Die Anklage behauptete ferner in einem Nachtrage, daß der Angeklagte v. Lützow auch eines Tages in einem Gespräch, das er auf der Straße mit dem Vertreter des „Hannoverschen Couriers“ und der „Tribuna“, Redakteur Heller, gehabt, ihn und Leckert belastende Mitteilungen gemacht und speziell gesagt habe: Vor drei Wochen sei Herr v. Marschall noch ganz derselben Ansicht gewesen, wie der Artikel in der „W. a. M.“, nun aber schicke er ihm alle Staatsanwälte auf den Hals, er werde es ihm jedoch schon anstreichen. – v. Lützow bemerkte, Heller müsse ihn falsch verstanden haben. – Auf nochmaliges Befragen des Oberstaatsanwalts erklärte v. L., daß er niemals von Herrn v. Tausch „beauftragt“ worden sei, über die Quellen gewisser Zeitungsartikel, die Verfasser u. dgl. Ermittelungen anzustellen und Herrn v. Tausch Bericht zu erstatten. – Der Oberstaatsanwalt fragte weiter, ob der Angeklagte v. L. der Verfasser anderer sensationeller unwahrer Artikel sei, speziell eines Artikels über den angeblich geschwächten Gesundheitszustand des Kaisers, sodann der sensationellen falschen Nachricht, daß, als der Kaiser in Schlesien weilte, Herr v. Kotze aus der Festungshaft entlassen worden sei und sich vorübergehend in Breslau aufgehalten habe, endlich auch noch eines Artikels über den angeblich bevorstehenden Rücktritt des Fürsten Hohenlohe. Der Angeklagte gab nur in Sachen des Kotze-Artikels die Verfasserschaft zu. Die Nachricht habe sich nicht bewahrheitet, das komme öfter bei Journalisten vor. Für den Artikel habe er mehrere Quellen gehabt, der Ursprung liege in Breslau im „Generalanzeiger“. Er bekannte sich ferner zur Verfasserschaft eines in der „W. a. M.“ erschienenen Artikels „Der Kaiser und der General Bronsart‘‘, und gab zu, daß Leckert diesen selben Artikel der „Frankf. Ztg.“ angeboten habe. Der Oberstaatsanwalt folgerte auch hieraus die größte Intimität zwischen beiden Angeklagten. – Weiterhin bestritt der Angeklagte die in der Voruntersuchung aufgestellte Behauptung des Dr. Plötz, daß er diesem bei Überreichung des ersten Artikels ehrenwörtlich versichert habe, er habe die Mitteilungen von Herrn v. Marschall. Er habe nur von dem „Gewährsmann“ gesprochen und ehrenwörtlich versichert, daß die Sachen aus dem Auswärtigen Amte stammen. – Vert. Rechtsanwalt Schmielinski verwahrte den Angekl. Dr. Plötz gegen den Vorwurf des v. Lützow, daß dieser gegen ihn einen Verrat begangen habe. v. Lützow habe die Ermächtigung erteilt, ihn als den Verfasser zu nennen. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Ich möchte von Herrn Dr. Plötz wissen, ob v. Lützow nicht auch andere Artikel geschrieben hat, die sich durchaus bewahrheiteten. – – Angekl. Dr. Plötz: v. Lützow hat nicht überwiegend falsche Nachrichten, sondern auch sehr wichtige, zutreffende gebracht, beispielsweise die zuerst stark bestrittene Nachricht von dem Rücktritt des Ministers v. Berlepsch, die sich durchaus bestätigt hatte. – Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Ist es dem Gerichtshofe bekannt, daß im Auswärtigen Amt viele Journalisten auch untergeordneter Art empfangen werden? – Vors.: Darüber wird morgen wohl Herr v. Marschall Auskunft geben können. – Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Ich kann aber nicht wissen, ob nicht Freiherr v. Marschall aus öffentlich rechtlichen Gründen die Verantwortung derartiger Fragen ablehnen wird. – Oberstaatsanwalt Drescher: Dem gegen- über kann ich die Versicherung geben, daß alle diese Fragen, die an die Beamten des Auswärtigen Amtes gerichtet werden, diesem keineswegs peinlich sein werden. Im Gegenteil, es besteht das größte Interesse für alle Beteiligten, die ganze Sache in breitester Öffentlichkeit zu verhandeln und Klarheit nach allen Seiten hin zu verbreiten. – Rechtsanwalt Dr. Lubczynski behielt sich vor, bei der Vernehmung des Freiherrn v. Marschall Fragen dahin zu stellen: ob sämtliche Kaiserreden dem Wolffschen Bureau nicht durch einen Berichterstatter, sondern durch einen Herrn aus der Umgebung des Kaisers übermittelt werden und ob nicht alle Telegramme des Wolffschen Bureaus, welche auswärtige politische Angelegenheiten betreffen, vorher dem Auswärtigen Amt „zur Verifizierung“ vorgelegt werden. – Angekl. Dr. Plötz, der alsdann vernommen wurde, versicherte: v. Lützow habe ihm wiederholt die Versicherung gegeben, er sei zu einer bestimmt angegebenen Zeit von Herrn v. Marschall empfangen worden. Er habe nicht den geringsten Zweifel gehabt, daß Herr von Marschall der Gewährsmann des Angeklagten v. Lützow sei. Erst durch das entschiedene Dementi des Wolffschen Bureaus sei er auf den Gedanken gekommen, daß es sich vielleicht um einen Schlag gegen Herrn von Marschall handeln könnte. Er habe deshalb an Frhrn. von Marschall geschrieben und durch den Wirkl. Legationsrat Dr. Hammann die Antwort erhalten, daß die Zweifel an der Richtigkeit der Mitteilung durchaus berechtigt seien. Er sei dann noch durch Herrn Dr. Hammann persönlich empfangen worden. Er habe Herrn v. Lützow im allgemeinen zugesagt, daß sein Name als Verfasser der von ihm gelieferten Artikel nicht genannt werden würde; in diesem wichtigen Falle habe er aber gleich erklärt, daß er ihn für die Richtigkeit dieses Artikels mit verantwortlich machen müsse. Er hätte Herrn Dr. Hammann aber den Namen des Herrn v. Lützow auch noch nicht genannt, wenn dieser ihm nicht die Versicherung abgegeben hätte, daß über den Inhalt der Unterredung absolutes Stillschweigen beobachtet werden solle. Dies war Herrn Dr. Hammann unter dem Zwange der Zeugnispflicht nicht möglich. Herr Dr. Hammann habe ihm ja selbst auch noch verschiedene Mitteilungen bei dieser Gelegenheit gemacht. Er habe ihm u. a. gesagt, daß seit Monaten gegen das Auswärtige Amt gehetzt und auf den Sturz des Herrn v. Marschall hingearbeitet werde; der fragliche Artikel sei nur ein Glied in dieser Kette. – Vors.: Wie kommt es dann aber, daß Sie trotz der Aufklärung, die Sie von dem Herrn Dr. Hammann erhalten haben, doch noch den zweiten Artikel aufgenommen haben? – Angekl. Dr. Plötz: v. Lützow ist trotz alledem dabei verblieben, daß die Mitteilung richtig sei. Er hat wiederholt ehrenwörtlich versichert, daß er die Meldung direkt von Herrn v. Marschall habe, und daß Herr Dr. Hammann der bekannte „Beschwichtigungsrat“ des Auswärtigen Amtes sei. Ich forderte alsdann Herrn v. Lützow in Gegenwart von Zeugen auf, doch noch einmal zu Herrn v. Marschall zu gehen; man hatte schon im geheimen Vorkehrungen getroffen, um ihn zu beobachten, ob er wirklich in das Auswärtige Amt gehe. Der zweite Artikel wurde nur aufgenommen, nachdem zwei Stellen aus dem Manuskript gestrichen waren und zwar lediglich zu dem Zweck, um noch näher darzulegen, worin die englischen Einflüsse ihren Grund haben sollten. Die Redaktion hat an diesen Artikel eine dementierende Bemerkung geknüpft und geglaubt, der Öffentlichkeit auch damit einen Dienst zu leisten, weil sie gewillt war, event. den Verfasser einer erfundenen Sensationsnachricht preiszugeben. – Der Vorsitzende machte den Angeklagten von Lützow darauf aufmerksam, daß die Darstellung des Dr. Plötz eine weit größere Wahrscheinlichkeit für sich habe, als die seinige. „Ich muß mich wundern,“ fügte der Vorsitzende hinzu, „daß ein ehemaliger Offizier, der doch gewöhnlich sein Ehrenwort hochhält, in der Weise damit umgeht, wie Sie es getan.“ – Angekl. v. Lützow: Ich kann nur behaupten, daß die Unterredung nicht diesen Verlauf genommen hat. – Vors.: Antworten Sie nun klar und einfach: Haben Sie ehrenwörtlich erklärt, daß Sie die Notiz persönlich von Herrn von Marschall empfangen haben? – Angekl.: Nein, ich habe nur auf Ehrenwort erklärt, daß ich die Notiz von meinem Gewährsmann habe. Ich bitte, mir ebensoviel Glauben zu schenken, wie Herrn Dr. Plötz. Ich bleibe dabei, daß ich weder direkt noch indirekt Herrn Dr. Plötz die Erlaubnis erteilt habe, meinen Namen zu nennen. Ich habe nie und nimmermehr behauptet, daß ich von Herrn v. Marschall empfangen worden bin. Hätte mir Herr Dr. Plötz gesagt, daß er mich genannt habe, dann hätte noch alles geändert und der zweite Artikel verhindert werden können. – Angekl. Dr. Plötz versicherte dagegen, daß von Lützow ihm vor dem Erscheinen des zweiten Artikels geradezu gedroht habe, „ihm die Suppe gehörig einbrocken zu wollen,“ wenn er den Artikel nicht brächte. Zeugen dafür seien die Redakteure Holländer und Dr. Martin Langen. – Angekl. Leckert erklärte auf Befragen: Es sei unwahr, daß er v. Lützow gesagt: er sei von Herrn v. Marschall empfangen worden; er habe nur behauptet: Herrn v. Marschall würde die Lancierung der Nachricht sehr angenehm sein. – Hierauf wurde der Angeklagte Berger vernommen. – Angekl. Berger bestritt, daß die „Staatsb.-Ztg.“ die Absicht gehabt habe, Beleidigungen auszusprechen. Sie haben nur gegen das seltsame Treiben und die Mißwirtschaft der Reichsoffiziösen Front machen zu müssen geglaubt, die in den Reichsämtern aus und eingehen, wie beispielsweise die Vertreter der „Köln. Ztg.“, und dann in ihren Blättern eine Hetze gegen die nähere Umgebung des Kaisers betreiben. Die Artikel sollten nur dazu beitragen, daß die ganze offiziöse Quertreiberei einmal ganz aufgedeckt werde. Die Mutmaßung, daß Herr v. Marschall oder Prinz Hohenlohe die Hintermänner der Aktion gegen den Grafen zu Eulenburg seien, sei einem Berichte des Angeklagten Föllmer entnommen, um darzutun, wie weit die Dinge bereits gediehen seien, wenn schon solche Korrespondenzen derartige Mutmaßungen aussprechen. – Angekl. Föllmer erklärte, daß er eine Rücksprache mit Leckert sen. über die Verhaftung seines Sohnes gehabt habe. Dabei habe ihm dieser die Mutmaßung ausgesprochen, wie sie ihm vom Angeklagten v. Lützow unterbreitet worden war. – Der letzte Angeklagte, Leckert sen., behauptete, daß er von der Art der journalistischen Tätigkeit seines Sohnes keine nähere Kenntnis gehabt habe. Er habe von der Verhaftung seines Sohnes erst nach einigen Tagen erfahren und den Angeklagten v. Lützow aufgesucht. Dabei habe dieser ihm gesagt, daß der Sohn nun doch einmal sein Ehrenwort bezüglich der Geheimhaltung seiner Gewährsmänner gegeben, und ihn gefragt habe, ob er denn darüber nichts wisse, es würde doch sehr wirkungsvoll sein, wenn man nun so hintenrum den Gewährsmann des Sohnes nennen könnte. Er habe weiter gefragt, ob der Sohn nicht mal den Namen des Prinzen Hohenlohe oder des Herrn v. Marschall genannt habe. Letzteres habe er bejahen können. Er habe Föllmer keine Veranlassung zu so positiver Mutmaßung gegeben. – Am folgenden Tage fragte der Vorsitzende den Angeklagten Dr. Plötz: ob v. Lützow ihm einmal einen Artikel über das Befinden des Kaisers angeboten habe. – Dr. Plötz: Jawohl, ich habe aber den Artikel nicht aufgenommen, weil ich als Arzt den Inhalt nicht für medizinisch zutreffend hielt. – Oberstaatsanwalt Drescher: Um alle Mißverständnisse zu vermeiden, muß gesagt werden, daß es sich um den in der Presse mehrfach aufgewärmten Klatsch von einem Ohrenleiden Sr. Majestät handelte. – Leckert sen. erklärte auf Befragen, daß nach seiner Meinung v. Lützow ihm gegen- über keine Komödie spielte, sondern tatsächlich an das Vorhandensein eines „Gewährsmannes“ glaubte. – Oberstaatsanwalt Drescher: Ich möchte den Angeklagten v. Lützow ganz bestimmt fragen, ob er von dem Kommissar v. Tausch den Auftrag erhalten habe, Ermittelungen nach der Autorschaft eines Artikels der „Münchener Neuesten Nachrichten“ anzustellen, welcher sich mit der Militär-Strafprozeß-Novelle beschäftigte und ganz zu Unrecht gegen den damaligen Minister v. Köller ausgebeutet wurde, dem man fälschlich den Vorwurf der Indiskretion machte. – v. Lützow: Er erinnere sich nicht eines Artikels der „Münchener N. N.“, sondern nur eines solchen im „Hannov. Cour.“, der von dem Redakteur Heller herrühren sollte. Er habe einen Auftrag zur Auskundschaftung von Herrn v. Tausch weder direkt noch indirekt erhalten, kenne ihn aber schon längere Zeit und wisse nicht, ob er ihm gesprächsweise etwas über den Verfasser mitgeteilt habe. – Oberstaatsanwalt: Ich habe nichts weiter anzuführen, glaube aber, daß dem Angekl. v. Lützow das Material noch zeitig genug in die Erinnerung gebracht werden wird. – Als erster Zeuge wird der Berichterstatter des Wolffschen Bureaus, de Grahl, vernommen: Das Wolffsche Bureau hatte ein Interesse daran, die Depesche über den Verlauf des Diners sobald wie möglich in einem Vorbericht zu erhalten. Er habe, als der Zar seine Tischrede mit ziemlich leiser Stimme hielt, geglaubt, verstanden zu haben „que mon père“. Der Ausdruck erschien ihm im ersten Augenblick etwas fremdartig, ob- gleich er wußte, daß auch Kaiser Alexander III. bei einer Tischrede die Worte des Kaisers Wilhelms I. ähnlich mit einem Hinweis auf die traditionellen Freundschaftsbeziehungen zwischen beiden Höfen erwidert hatte. Er (Zeuge) habe zu seiner Sicherheit den Stenographen gefragt, der die Worte ebenso verstanden zu haben glaubte; er habe dann jedoch versucht, Herrn v. Lucanus zu sprechen, was ihm aber nicht sofort gelang. Die Feststellung solcher Tischreden allerhöchster Personen geschehe niemals durch das Hofmarschallamt, sondern durch das Zivilkabinett. Er sei an jenem Tage sehr abgespannt gewesen und habe zu seinem großen Bedauern den Fehler begangen, den von ihm verstandenen Text in dem Vorbericht hierher zu telegraphieren. Er habe aber sofort, als er den richtigen Text erhielt, diesen ohne jeden Verzug seinem Bureau übermittelt. – Durch Befragen des Rechtsanwalts Dr. Lubcezynski wurde festgestellt, daß das Wolffsche Bureau den Wortlaut einer Kaiserrede niemals erhält, ehe sie nicht dem Geheimen Zivilkabinett vorgelegen hat und daß es das erstemal war, daß der Zeuge in dieser Form selbständig einen Vorbericht über eine Kaiserrede telegraphierte – Der Verteidiger erklärte es für sonderbar, daß in einer so hochpolitischen Angelegenheit Herr v. Lucanus und der Zeuge, die doch dabei aufeinander angewiesen seien, sich vor Absendung des Telegramms nicht zu treffen vermochten. – de Grahl erwiderte: Er sei nicht in demselben Saale gewesen, deshalb konnte ihn Exzellenz v. Lucanus unmöglich treffen. – Um die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu prüfen, richtete Rechtsanwalt Lubczynski einige Fragen an ihn, die sich auf die Raumverhältnisse des Breslauer Schlosses bezogen und darauf hinausliefen, daß der Zeuge an seinem Standorte schwerlich überhaupt etwas von der Rede des Russischen Kaisers habe hören können. Der Zeuge erklärte noch, daß er den Hofmarschall Grafen zu Eulenburg überhaupt erst am Sonntag, 5. September, gesprochen habe, um von ihm zu erfahren, wen der Kaiser von Rußland empfangen habe. – Oberstaatsanwalt: Damit erledigt sich wohl die Behauptung, daß Graf zu Eulenburg Ihnen den falschen Text in die Feder diktiert habe. – de Grahl: Das ist eine vollständig erfundene Behauptung. Jeder Journalist von Fach weiß, daß ich meine Hofberichte nicht vom Hofmarschallamt, sondern vom diensttuenden Flügeladjutanten erhalte und daß der Text solcher Reden lediglich vom Geh. Zivilkabinett und niemals vom Hofmarschallamt ausgefertigt wird. Ich wiederhole, daß ich seit 30 Jahren im Dienste des Wolffschen Bureaus stehe und hier infolge Übermüdung ein Versehen begangen habe, das ich ungemein bedaure. – Auf weiteres Befragen bemerkte der Zeuge noch: Unser Kaiser pflegt die Reden, die er im Inlande hält, frei zu sprechen. Die Reden werden von einem Stenographen aufgenommen und alsdann der Wortlaut im Geheimen Zivilkabinett festgestellt. – Angekl. v. Lützow: Angesichts der räumlichen Verhältnisse des Königlichen Schlosses in Breslau war es Herrn de Grahl unmöglich, von seinem Standorte überhaupt etwas zu hören. Eine große Anzahl deutscher, russischer und französischer Blätter haben gemeldet: der Text habe „que mon père“ gelautet, daß dieser Text aber nicht gefallen habe, ebenso wie auf russischer Seite der Hinweis des Kaisers Wilhelm auf die Waffenbrüderschaft von 1813–15 nicht bequem war, und daß deshalb der abgeänderte Text zustande gekommen sei. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Ich verweise darauf, daß der Herr Zeuge die Rede des russischen Kaisers so verstanden hat, wie sie in Wirklichkeit gehalten worden ist, nur gerade am Schluß ist ihm ein Irrtum passiert. – Chefredakteur der „Täglichen Rundschau“, Heinrich Rippler, bekundete als Zeuge: Leckert kam zum ersten Male Ende August in die Redaktion der „Täglichen Rundschau“. Er stellte sich als Berichterstatter vor und bat um Aufnahme seiner Artikel mit dem Bemerken, daß er vorzügliche Verbindungen habe. Meines Wissens nach habe ich nur zwei kleine Artikel von Leckert aufgenommen. Als Leckert sich beschwerte, daß so wenig von ihm genommen werde, bemerkte ich ihm: Nachrichten, deren Quelle der Redakteur nicht kenne, verlieren an Wert. Darauf versicherte Leckert auf Ehrenwort: Er sei vom Staatssekretär v. Marschall empfangen worden, und dieser habe auf die Veröffentlichung seiner Artikel besonderen Wert gelegt. Leckert warf überhaupt sehr mit seinem Ehrenwort herum. Nach Erscheinen des bekannten Artikels in der „Deutschen Tageszeitung“ kam Leckert wieder in die Redaktion der „Täglichen Rundschau“ und erklärte in voller Entrüstung, daß er den Inhalt des ersten Artikels in allen Punkten aufrecht halte, er werde es der Redaktion der „D. T.-Z.“ schon „besorgen“. Die Nachricht von der Beurlaubung des Herrn v. Kotze bewahrheite sich ebenfalls, er habe Herrn v. Kotze selbst in Breslau gesehen. Leckert identifizierte sich stets mit v. Lützow. Ich gewann den Eindruck, daß auch der erste Artikel in der „Welt am Montag“ vollständig von Leckert herrührte. Leckert hat sich offenbar in großprahlerischer Weise mit fremden Federn geschmückt, denn v. Lützow sagte bei Wiedererzählung einzelner von Leckert gemachten Mitteilungen wiederholt: „Alles Schwindel.“ v. Lützow behauptete außerdem, daß einige Artikel, wie z. B. der über Herrn v. Kotze, deren Autorschaft Leckert in Anspruch nahm, von ihm verfaßt worden seien. v. Lützow gab der Vermutung Ausdruck, daß Leckert wahrscheinlich einen Gewährsmann habe, dieser gehöre aber nicht zu den höheren Beamten. Leckert, so sagte v. Lützow, sei ein Schwindler, den man preisgeben müsse. Ich hatte den Eindruck, daß Leckert nur ein Werkzeug des Angeklagten v. Lützow sei. – Angekl. Leckert gab auf Befragen zu, daß der Artikel über Herrn v. Kotze von v. Lützow herrühre. Dieser habe ihm aber ganz bestimmt versichert, daß er v. Kotze selbst in Breslau gesehen habe. Er (Leckert) gebe auch zu, daß er sich fälschlich für den Verfasser des Bronsart-Artikels Herrn Rippler gegenüber ausgegeben habe, er war aber von v. Lützow dazu autorisiert. – v. Lützow bestätigte das. – Chefredakteur Rippler: Leckert hat auch einen Berlepsch-Artikel fälschlich als sein Geistesprodukt ausgegeben; tatsächlich hat diesen Artikel v. Lützow verfaßt. Die Intimität der beiden geht auch daraus hervor, daß v. Lützow immer ganz genau unterrichtet war, was Leckert tat. Leckert hat wiederum alles, was v. Lützow erlebt hat, stets als Selbsterlebtes dargestellt. Dazu gehörten auch seine angeblichen Beziehungen zu dem Kriegsminister v. Bronsart. – Leckert: Ich hatte niemals Beziehungen zu dem Kriegsminister v. Bronsart. – Vors.: Angekl., ist bei Ihnen vielleicht eine starke Renommisterei mit im Spiele? – Leckert: Das gebe ich als möglich zu. – Oberstaatsanwalt: Ist vielleicht die Behauptung von der vom Herrn Reichskanzler gewährten Audienz auch auf diese Neigung zurückzuführen? – Leckert: Nein, die Mitteilung über die Begegnung mit dem Reichskanzler halte ich voll aufrecht. – Unter allgemeinen Spannung erschien hierauf Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfurt als Zeuge – Vorsitzender: Der Gerichtshof ist genötigt gewesen, Ew. Durchlaucht als Zeugen laden zu müssen, da der Angeklagte Leckert behauptet, von Ew. Durchlaucht in Breslau zu kurzer Unterredung empfangen worden zu sein. – Zeuge: Ich kann keine bestimmte Auskunft geben. Ich weiß, daß ich im Vorzimmer meiner Wohnung in Breslau einen jungen Mann gesprochen habe, der vielleicht der Angeklagte Leckert gewesen ist. Was er mir gesagt hat, weiß ich nicht mehr, ebensowenig, was ich ihm gesagt habe. Ich habe aber meinen Kammerdiener gefragt, ob ihm von dieser Begegnung noch etwas im Gedächtnis geblieben ist. Nach dessen Erinnerung wurde, als ich mich ankleidete, um ins Königliche Schloß zur Galatafel zu gehen, an der Tür geklopft. Der Kammerdiener öffnete und sah einen jungen Mann, der eine Karte und eine Manöverkarte vorzeigte und von mir empfangen sein wollte. Ich ließ dem jungen Mann sagen, daß dies nicht angehe, er bemerkte aber, daß er mir sehr wichtige Mitteilungen zu machen habe. Als ich aus meinem Zimmer trat, fand ich den jungen Mann in Vorzimmer. Er teilte mir etwas mit, ich kann jedoch mit Sicherheit darüber keine Auskunft geben. – Vors.: Fragten Ew. Durchlaucht vielleicht den jungen Mann noch irgend etwas? – Zeuge: Er teilte mir etwas mit, ich habe an ihn vielleicht auch eine Frage gerichtet. – Oberstaatsanwalt: Richtete der junge Mann an Ew. Durchlaucht vielleicht die Frage, wer Nachfolger des Fürsten Lobanow sein werde? – Zeuge: Das ist möglich, da die Sache damals durch die Zeitungen ging. Ich hätte aber schwerlich etwas antworten können, da mir nichts darüber bekannt war. – Leckert: Ich richtete an Ew. Durchlaucht eine Frage über die Aussichten des Grafen Kapnist als Nachfolger des Fürsten Lobanow. – Zeuge: Das ist möglich. – Hierauf wurde der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Freiherr v. Marschall v. Biberstein als Zeuge vernommen. Vorsitzender: Das Zeugnis Ew. Exzellenz ist vom Gericht in zwei Richtungen für erforderlich erachtet worden: einmal dahin gehend, in welchen Beziehungen Ew. Exzellenz selbst oder das Auswärtige Amt zu den Angeklagten Leckert und v. Lützow gestanden haben; sodann welche Stellung das Auswärtige Amt gewissen Zeitungen und den in den „reichsoffiziösen“ Zeitungen veröffentlichten Artikeln gegenüber einnimmt. Ich frage zunächst, ob Ew. Exzellenz einer von den beiden Angeklagten bekannt ist? Zeuge: Nein, den ersten Angeklagten habe ich nie gesehen. – Vors.: Haben Ew. Exzellenz den Angeklagten Leckert jemals empfangen? – Zeuge: Nein, einen so jungen Menschen würde ich überhaupt nie empfangen. Ich erkläre aufs bestimmteste, daß ich den jungen Mann niemals empfangen habe. Die einzige Möglichkeit wäre, daß er mir vielleicht einmal im Reichstage, wo mir manche Herren von der Presse vorgestellt werden, gleichfalls vorgestellt worden ist; ich erinnere mich aber dessen nicht. – Vors.: Ist Ew. Exzellenz bekannt, daß sich Leckert auf Beamte des Auswärtigen Amtes als Gewährsmänner seiner Nachrichten beruft, und daß er behauptet: er habe die Information zu seinen beiden Artikeln, die unter Anklage stehen, von Beamten des Auswärtigen Amtes, von der „Umgebung des Herrn v. Marschall,“ wie er sich ausdrückt? Haben Ew. Exzellenz vielleicht eine Umfrage unter den Beamten des Auswärtigen Amtes gehalten, um diesen Gewährsmännern auf die Spur zu kommen? – Zeuge: Nachdem mir bekannt geworden ist, daß sich der Angeklagte auf Beamte des Auswärtigen Amtes als seine Gewährsmänner beruft, habe ich sofort eine schriftliche Umfrage unter allen Beamten des Auswärtigen Amtes bis herab zu den Subaltern- und Unterbeamten gehalten, ob sie jemals eine Beziehung zu dem Angeklagten Leckert gehabt haben. Alle ohne Ausnahme haben diese Frage verneint. Dem Herrn Oberstaatsanwalt gegenüber habe ich mich bereit erklärt, erforderlichenfalls alle Beamten vom Dienstgeheimnis zu entbinden. Ich bin jedoch der Ansicht: es handelt sich in dieser Sache um den bekannten „großen Unbekannten“, der in Gerichtssälen so oft eine Rolle spielt. Was meine Kenntnis über das Zustandekommen der Depesche bezüglich des Kaisertoasts betrifft, so setzte ich voraus, daß der Stenograph nicht in der Lage sei, französisch zu stenographieren; ich habe deshalb den Toast des Kaisers von Rußland sofort so aufgeschrieben, wie ich ihn gehört habe, und habe den Text von einem hochgestellten russischen Beamten verifizieren lassen. Unter den Teilnehmern der Galatafel konnte gar kein Zweifel darüber obwalten und waltete nicht ob, was der Kaiser von Rußland gesagt habe. Ich reiste am 7. September nach Karlsruhe ab und las in der Zeitung zu meinem Erstaunen, daß das Wolffsche Bureau einen falschen Text der Rede veröffentlicht habe. Ich telegraphierte deshalb von Karlsruhe aus sofort an das Auswärtige Amt und wies dies an, Nachforschungen darüber anzustellen, wie es möglich war, daß das Wolffsche Bureau noch vor der Zustellung des amtlichen Wortlautes einen Vorbericht mit einem falschen Text veröffentlichte. Da hat sich dann ergeben, daß hier ein Versehen des Berichterstatters de Grahl vorlag. Herr de Grahl hat seinen Standort als „auf der Galerie“ eines Nebensaales oder in einem mit einer Erhöhung versehenen Nebensaale bezeichnet. Daß ein Doppeltext des Toastes vorhanden gewesen, von denen der eine reprobiert und der andere akzeptiert worden sei, sind müßige Erfindungen. Von Verabredungen nach dieser Richtung hin müßte ich etwas wissen, solche Verabredungen haben nicht bestanden. Das Hofmarschallamt hat mit diesen Dingen überhaupt nichts zu tun, sondern nur das Zivilkabinett. Als ich nach Berlin zurückkehrte, erfuhr ich von den Artikeln der „Welt am Montag“, die ich bis dahin gar nicht kannte und der „Staatsb.-Ztg.“, die sich mit der angeblichen offiziösen Preßwirtschaft und der Fälschung des Kaisertoastes beschäftigte. Ich war höchst erstaunt darüber, erwiderte aber dem Herrn Dr. Hammann auf dessen Frage, ob man eine Berichtigung loslassen solle, daß dies nicht nötig sei, da die Sache zu unsinnig sei, und daß eine Berichtigung höchstens vom Wolffschen Telegraphenbureau ausgehen könne. Letzteres hat dann auch bald darauf ein Dementi gebracht. Eines Tages erhielt ich einen Brief des Herrn Dr. Plötz mit Anfragen über die Wahrheit oder Unwahrheit der Mitteilungen. Dr. Plötz wurde von Herrn Dr. Hammann empfangen, und dieser ließ dem Dr. Plötz keinen Zweifel darüber, daß alles Schwindel sei. Dr. Plötz wurde gesagt, daß, wenn alles Schwindel sei, er doch kein Interesse haben könne, den Namen des Verfassers zu verschweigen. Daraufhin ist der Name des Herrn v. Lützow genannt worden. Ich erkundigte mich, weß Geistes Kind Herr v. Lützow sei, und erfuhr, daß dieser in Journalistenkreisen in dem Rufe stehe, ein Agent der politischen Polizei zu sein. Ich weiß, daß die Mitteilungen dieser Personen häufig am giftigsten wirken, denn diese Personen maßen sich oft eine gewisse Autorität an, die sie nicht besitzen, sie flüstern sich die Dinge von Ohr zu Ohr, und sie sind unfaßbar. Ich bat um den Besuch des Polizeipräsidenten; letzterer sagte mir bei der Unterredung: Herr v. Tausch habe ihm auch die Meldung gemacht, daß dieser Artikel aus dem Auswärtigen Amte stamme. Ich erwiderte, daß es für mich doch von großer Tragweite sei, wenn ein Beamter der Polizei seinem Vorgesetzten mitteile, eine begangene Infamie stamme aus einem Amte, dem ich vorstehe. Ich ersuchte um Ermittelung, ob etwa Herr von Lützow dahinter stecke; der Polizeipräsident bestätigte mir dies schon nach einiger Zeit, und ich fand meine Vermutung gleichfalls bestätigt, daß v. Lützow im Dienste der politischen Polizei stehe. Der Minister des Innern hat mir später das betreffende Aktenstück des Herrn v. Tausch zur Verfügung gestellt. Bei den Unterredungen mit diesem ergab sich der Eindruck, daß Herr v. Tausch alle Schuld auf Leckert wälzen und v. Lützow möglichst exkulpieren wollte. Ich erwiderte: Da einer von beiden sich die Mitteilung einfach aus den Fingern gesogen haben muß, so ist es nicht einzusehen, warum gerade Leckert dies getan haben muß. Ich habe später Herrn Dr. Hammann beauftragt, verschiedene Korrespondenten, die ihn besuchten, zu bitten, nachzuforschen, wer Herr v. Lützow eigentlich sei, und ihnen nahe zu legen, daß hier von einem Redaktionsgeheimnis keine Rede sein könne, denn hier handle es sich darum, ein Treiben zu entlarven, an dessen Beseitigung die anständige Presse das lebhafteste Interesse haben müsse. Es wurde dabei bestätigt, daß Herr v. Lützow als Agent der Polizei gelte. Der Zeuge ging nun auf die „Staatsbürgerzeitung“ ein. Schon seit länger als Jahresfrist seien in diesem Blatte Artikel erschienen, in denen angedeutet wurde, daß in dem Auswärtigen Amt die Quelle zu suchen sei, aus der die Verhetzungen von hohen Beamten gegeneinander stamten. Der Name des Zeugen werde mit einer „Kamarilla“ in Verbindung gebracht; es wurde behauptet, daß die Fäden der Intrigen in der Wilhelmstraße zusammenliefen und ähnliche Andeutungen mehr, die keinen Zweifel darüber ließen, daß die Spitze sich gegen das Auswärtige Amt richten solle. Es liege hier einer der Fälle vor, daß man eine bestimmte Person im Auge habe und doch vermeiden wolle, mit dem § 185 Str.-G.-B. in Konflikt zu kommen. Im vorigen Jahre sei in den „Münchener Neuesten Nachrichten“ ein Artikel über die Militärstrafprozeßnovelle erschienen. Damals habe die „Staatsbürger Zeitung“ ebenfalls angedeutet, daß die Quelle des Artikels im Auswärtigen Amt zu suchen sei und man bezwecke, die Minister Bronsart v. Schellendorf und v. Köller zu verhetzen. Es seien Ermittelungen nach dem Verfasser des Artikels angestellt worden, die aber nur den Erfolg gehabt hätten, festzustellen, daß in dem Ministerium des Innern keinerlei Indiskretion begangen sei. Als der Prozeß gegen v. Lützow im Gange war, habe er (Zeuge) vom Kriegsminister v. Goßler erfahren, daß Kriminalkommissar v. Tausch den Journalisten Kukutsch als denjenigen bezeichnete, welcher ihm anvertraute Geheimnisse verraten habe. v. Tausch habe erklärt, daß v. Lützow ihm diese Mitteilung gemacht habe. Dann sei im „Hamburger Korrespondenten“ ein Artikel über die Militärstrafprozeßordnung erschienen und ebenso unterm 28. April in der „Köln. Zeitung“ ein Artikel ähnlichen Inhalts, der Dinge enthielt, welche der Verfasser nur durch einen Vertrauensbruch erfahren haben konnte. Auch bei dieser Gelegenheit habe man auf das Auswärtige Amt verwiesen. Er (v. Marschall) habe vor einigen Tagen der „Kölnischen Zeitung“ mitgeteilt, daß dieser Artikel auch in dem gegenwärtigen Prozeß eine Rolle spielen würde, und hieran das Ersuchen geknüpft, ihm nunmehr den Verfasser zu nennen. Darauf habe er gestern ein Schreiben erhalten, worin sich Hauptmann a. D. Fritz Hönig als Verfasser bekenne, aber gleichzeitig die Versicherung abgegeben habe, daß seine Informationen nicht von irgendeinem Beamten herrührten, es sich vielmehr um eine Privatarbeit handle. Der Zeuge erörterte sodann die Geschäftsführung in dem Preßbureau des Auswärtigen Amtes, das unter der Leitung des Wirklichen Legationsrats Dr. Hammann stehe. Das Preßbureau sei ein notwendiges Übel, am liebsten wäre es ihm, wenn er dies Institut entbehren könnte. Es gäbe eine ganze Reihe von Blättern, welche die auswärtige Politik unterstützten, teils dadurch, daß sie der Regierung günstige Artikel aufnähmen, teils dadurch, daß sie beim Preßbureau des Auswärtigen Amtes anfragen ließen, ob von der ausländischen Presse verbreitete Nachrichten über deutsche Verhältnisse der Wahrheit entsprächen. Aber es habe dem Auswärtigen Amte stets fern gelegen, irgendwelchen Einfluß auf die Tendenz der Blätter auszuüben, die von ihm Informationen erhalten. Dr. Hammann empfange die Vertreter der Presse und habe die strenge Weisung, bei der Erteilung von Informationen alles zu vermeiden, was in der Öffentlichkeit irgendwelche Beunruhigung hervorzurufen geeignet sei. Auch in betreff der Hamburger Enthüllungen habe er angeordnet, daß außer den beiden Artikeln im „Reichsanzeiger“ keinerlei Inspirationen erfolgen sollten, aber trotz dessen seien in allen möglichen Zeitungen wohl über 100 Artikel über dies Thema erschienen, und auch dies werde dem Auswärtigen Amt in die Schuhe geschoben. Dies sei ein Punkt, wo die Presse selbst ansetzen müßte, um eine Änderung einzuführen. So wie bei uns, werde es bei allen auswärtigen Ministerien der Welt gehandhabt. Das Auswärtige Amt könne unmöglich deshalb, weil es gewisse Beziehungen zu bestimmten Blättern unterhält, für alle Artikel dieser Blätter verantwortlich gemacht werden. Diese Blätter bleiben völlig unabhängig. Selbst Artikel, die gegen ihn selbst gerichtet waren, gelten als offiziös. (Heiterkeit.) Vom Auswärtigen Amte seien niemals persönliche Angriffe ausgegangen, weder gegen aktive noch gegen frühere Minister und Beamte. Auf weiteres Befragen erklärte der Zeuge, daß er unter allen Umständen Strafantrag gestellt haben würde, wenn das Auswärtige Amt in irgendwelche Beziehung zu den „Unverantwortlichen“ gebracht würde. Herrn v. Lützow würde er nicht empfangen haben. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski richtete eine ganze Reihe von Fragen an Freiherrn v. Marschall, die feststellen sollten, inwieweit diesem die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten v. Lützow bekannt seien und inwieweit die in verschiedenen Blättern erschienene Behauptung, daß v. Lützow wegen Verdachts der Spionage aus dem Offiziersstande entfernt sei, auf Inspiration des Auswärtigen Amtes zurückzuführen sei. Herr v. Marschall erklärte, daß er über letztere Frage nichts wisse. – Auf eine Frage des Rechtsanwalts Glatzel erwiderte Freiherr v. Marschall, daß er es dem Gerichtshofe überlassen müsse, über die mala fides der „Staatsbürgerzeitung“ sich zu entscheiden; aber wenn einer so systematisch mit Anklagen gegen das Auswärtige Amt vorgehe, wie die „Staatsbürgerzeitung“, so müsse man doch annehmen, daß ihm vollständiges Material zur Verfügung stehe, und deshalb sei auch anzunehmen, daß seine eigene (des Zeugen) Tätigkeit zur Ermittelung der Urheberschaft ihm bekannt sein mußte. Es frage sich, auf Grund welchen positiven Materials die „Staatsbürgerzeitung“ sich berechtigt glaubte, systematisch so schwere Angriffe gegen einen Minister zu richten, bisher sei solch Material nicht in die Erscheinung getreten. – Vert. Rechtsanwalt Glatzel: Seit Jahren besteht in der Presse, welche sich nicht für offiziös hält, die Überzeugung, daß eine offiziöse Preßmißwirtschaft, wie sie von der „Staatsbürger Zeitung“ behauptet wurde, tatsächlich existiert, daß eine Reform dringend notwendig sei und auch von Allerhöchster Stelle mit Rücksicht auf die Verwirrung, die dadurch angerichtet werde, als berechtigt anerkannt worden sei. – Frhr. v. Marschall: Er könne seine Beziehungen zur Presse nicht noch enger ziehen, als er es getan, wenn nicht das Staatsinteresse darunter leiden solle. Er wünschte, daß er mit der Presse überhaupt nichts zu tun hätte, denn er wisse, daß damit immer Anfeindungen verknüpft seien. Es gehe aber nicht anders. Von einer Preßmißwirtschaft im Auswärtigen Amte könne keine Rede sein; die Preßmißwirtschaft liege in allererster Reihe darin, daß gewisse Blätter eine Polemik mit einem anderen Blatte gar nicht führen zu können vermeinen, ohne daß sie den Gegner als „offiziös“ denunzieren. – Rechtsanwalt Glatzel: Daß eine Preßmißwirtschaft besteht, zeigt doch die Tatsache, daß ein so anerkannt offiziöses Blatt, wie die „Kölnische Zeitung“ auf Allerhöchsten Befehl aus dem Schlosse verbannt worden ist. – Freiherr v. Marschall: In keinem Ministerium der Welt kann man den Zeitungen, welche sich bereit erklären, Ansichten der Regierung Raum zu gewähren, zur Pflicht machen, niemals irgend etwas gegen ein Regierungsamt zu schreiben. – Rechtsanwalt Glatzel wünschte die Verlesung eines Artikels der „Staatsbürger Zeitung“, aus welchem hervorgehen werde, daß es der „Staatsbürger Zeitung“ nicht auf eine Beleidigung des Freiherrn v. Marschall, sondern auf die Bloßlegung eines Krebsschadens und auf die Reform offenbarer Mißverhältnisse ankam. – Oberstaatsanwalt Drescher: Wenn doch noch Verlesungen stattfinden sollen, so beantrage ich die Verlesung einer Broschüre, welche schon in diesem Hause Gegenstand gerichtlicher Maßnahmen geworden ist. Sie wird beweisen, daß die „Staatsbürger Zeitung“ und die antisemitische Presse am allerwenigsten sich zu echauffieren Veranlassung hat über Angriffe, die gegen die Umgebung des Kaisers erhoben werden. Die Broschüre ist betitelt „Geheimes Judentum“, „Nebenregierung“ und „Jüdische Weltherrschaft“. Diese Broschüre enthält die pöbelhaftesten Angriffe gegen den Hof, behauptet, daß die Umgebung des Kaisers – unter besonderem Hinweis auf Herrn v. Lucanus – aus Judenabkömmlingen besteht und daß ein förmlicher Ring die Entschlüsse des Kaisers beeinflußt. Der Verfasser war der Gesinnungsgenosse der „Staatsbürger Zeitung“, der bekannte Karl Paasch, der von dieser nach allen Richtungen hin verherrlicht worden ist. Wo war denn gegenüber dieser Broschüre die „Staatsbürger Zeitung“, um im Interesse des Staates ihre Stimme zu erheben? – Der Gerichtshof beschloß: die Verlesung nach Schluß der Zeugenvernehmung vorzunehmen. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski beantragte darauf die Vorladung des Chefs des Geheimen Zivilkabinetts, Wirkl. Geheimen Rats Dr. v. Lucanus oder dessen Sekretärs, um die Stunde feststellen zu können, wann Herr de Grahl den richtigen Wortlaut erhalten hat. – Zeuge de Grahl erklärte, daß dies zwischen 10 und 11 Uhr abends gewesen sein müsse. – Oberstaatsanwalt: Ich muß doch entschieden bitten, mitzuteilen, zu welchem Zweck derartige Anträge dienen sollen. – Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Bei einem so hervorragend politischen Prozeß ist es doch nötig, die denkbar größte Klarheit zu verbreiten. Uns liegt natürlich daran, festzuhalten, daß Herrn de Grahl der erste Wortlaut aus der Umgebung des Kaisers zugestellt ist. – Oberstaatsanwalt: Will Herr v. Lützow wirklich bei dieser ungeheuerlichen Behauptung bleiben, dann fordere ich ihn auf, nun endlich klipp und klar den Namen der Person zu nennen, die er im Auge hat. Dazu sollte ihn doch sein eigenes Ehrgefühl bewegen. – v. Lützow erklärte sich dazu nicht imstande. – Wirkl. Legationsrat Dr. Hammann gab zu: er habe davon gesprochen, daß v. Lützow in journalistischen Kreisen als Polizeivigilant gelte; seine Gewährsmänner seien v. Huhn, Dir. Dr. Mantler u. a. Die Informationen zu den die Person des Herrn v. Lützow betreffenden Nachrichten, betr. das ehrengerichtliche Verfahren und dessen Ausgang, rühren nicht von ihm, sondern wahrscheinlich von ganz anderen Personen her. – Die Vernehmung des Legationsrats Prinzen Alexander v. Hohenlohe-Schillingsfürst beschränkte sich darauf, daß der Zeuge erklärte, weder Leckert noch v. Lützow je gesehen oder einen von ihnen empfangen zu haben. – Wirkl. Legationsrat v. Hollstein erklärte als Zeuge, daß er Leckert zum ersten Male sehe und von Zuwendung von Nachrichten an diesen durch seine Person absolut keine Rede sein könne. – Direktor Dr. Mantler von Wolffs Telegraphenbureau: Er habe das viel besprochene Dementi in der „Deutschen Tageszeitung“ veranlaßt, um den vielfachen Erörterungen über die Meldung des Wolffschen Bureaus bezüglich des Kaisertoastes ein Ende zu machen. Soweit er sich erinnere, ist die erste Depesche um ¼12 Uhr hier im Bureau eingegangen, die Berichtigungsdepesche traf erst wahrscheinlich nach 1 Uhr ein. Da es Sonnabend nacht war, so lag für das Bureau keine Möglichkeit vor, diese Berichtigung wenigstens noch den Berliner Blättern mitzuteilen. – Der folgende Zeuge war der Verleger des „Breslauer Generalanzeiger“ Werle: Er habe v. Lützow als Manöverberichterstatter engagiert. Dieser habe ihm dann in Breslau Leckert als seinen Bekannten und geschickten Journalisten vorgestellt. Letzterer habe gesagt, daß er eine Unterredung mit dem Reichskanzler gehabt habe. Nachdem er versichert, daß alles, was er darüber melden werde, Tatsachen seien, habe er Leckert aufgefordert, das Manuskript einzuschicken und das sei denn auch geschehen. Er sei dann von Leckert mit den 100 Mark hineingelegt worden. v. Lützow habe ihm bei Antritt der Verbindung geschrieben, daß er Hofstaatenbeziehungen habe. – Oberstaatsanwalt: Ich möchte vom Angeklagten v. Lützow wissen, zu welchen Hofstaaten er Beziehungen habe. – Angekl.: Das habe ich wohl nicht gesagt, ich habe wohl nur von Beziehungen zu Hofkreisen, militärischen Kreisen u. dgl. gesprochen. – Oberstaatsanwalt: Welche Beziehungen hatten Sie zu Hofkreisen? – v. Lützow: Direkte Beziehungen habe ich nicht im Auge gehabt, sondern nur gesagt, daß ich infolge meiner gesellschaftlichen Stellung mit derartigen Kreisen in Berührung komme und mancherlei höre. – Alsdann erschien als Zeuge Kriminalkommissar v. Tausch. Er bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei seit etwa vier Jahren mit dem Angeklagten v. Lützow bekannt, auf welche Weise die Bekanntschaft entstanden sei, wisse er nicht mehr. – Vors.: Hat v. Lützow der Polizei Dienste geleistet, Recherchen vorgenommen oder dergleichen? – Zeuge: Jawohl. Wenn mir ein Artikel aufstieß, von welchem ich annahm, daß er die Polizei beschäftigen könne, dann wandte ich mich an Herrn v. Lützow und bat ihn, den Verfasser zu ermitteln. Wir müssen derartige Leute haben. Was v. Lützow zu erledigen hatte, war durchaus harmlos und keineswegs unehrenhaft. – Vors.: Sie mußten also doch annehmen, daß v. Lützow der geeignete Mann war, der bereit ist, derartige Aufträge zu erledigen? – Zeuge: Das habe ich angenommen. – Vors.: Also diese Beziehungen zwischen Ihnen und dem Angeklagten v. Lützow haben vier Jahre bestanden? – Zeuge: Jawohl, ungefähr solange. – Vors.: Wie war es nun, als der Artikel in der „Welt am Montag“ erschien? Haben Sie sich dabei auch an v. Lützow gewandt, um den Verfasser zu ermitteln? – Zeuge: Ich fragte Herrn v. Lützow nach dem Verfasser des Artikels der „Welt am Montag“. Da nannte er sich selbst und fügte hinzu: Der Artikel rührt vom Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Freiherrn v. Marschall her, der Leckert die erforderlichen Informationen gegeben hat. Ich hielt es für unglaublich, daß sich das Auswärtige Amt zur Unterbringung eines inspirierten Artikels eines so blutjungen Menschen wie Leckert bedienen werde. Ich erzählte die ganze Sache in Form eines Vortrages dem Herrn Polizeipräsidenten, der natürlich auch den Kopf schüttelte. Am folgenden Tage erklärte mir der Polizeipräsident: Er habe sich bei Herrn v. Marschall erkundigt und erfahren, daß alles Schwindel sei. Ich habe alsdann Herrn v. Lützow kommen lassen, ihm das Ergebnis mitgeteilt und ihn gebeten, nur in Form eines Berichts die Entwickelung der ganzen Angelegenheit darzustellen: v. Lützow blieb aber dabei, daß die Sache der Wahrheit entspreche. v. Lützow sagte: Leckert ist gar nicht so unbedeutend, wie ich vielleicht annehme. Der junge Mann habe vortreffliche Verbindungen, er sei in Breslau von Herrn v. Marschall in jovialer Weise empfangen worden. v. Lützow hat mir dies auch noch schriftlich versichert. Ich kam schließlich zu der Überzeugung, daß v. Lützow von Leckert düpiert worden sei. – Vors.: Haben Sie v. Lützow ‚aufgefordert, Ihnen Leckert einmal vorzustellen? – Zeuge: Nein, ich kannte Leckert von Ansehen vom Breslauer Kaisermanöver aus. Ich bin der Ansicht, daß Leckert in der Tat einen Hintermann hat, denn ich halte ihn für zu unerfahren in der Politik, um sich selbst eine so fein eingefädelte Intrige auszudenken. Sein Gewährsmann dürfte natürlich in anderen Kreisen zu suchen sein. Der Hintermann dürfte mehr die Absicht gehabt haben, dem Staatssekretär von Marschall ein Bein zu stellen. – Vors.: Es wäre nun sehr interessant, diesen Hintermann kennen zu lernen. – Zeuge: Es ist nicht unmöglich, daß dieser Hintermann noch gefunden wird. – Staatssekretär v. Marschall: Die Annahme des Kommissars, daß Leckert einen Hintermann habe, ist ja recht interessant, es wäre aber wünschenswert, wenn der Herr Beamte seine Anschauung begründete. Ist es dem Herrn Kommissar nicht bekannt, daß die Polizei Leute benutzt hat, die sich Skandalartikell aus den Fingern sogen zu Angriffen gegen das Auswärtige Amt? Ich erinnere nur an Herrn Normann-Schumann. – v. Tausch: Wir sind Polizeibeamte, Herr Staatssekretär, und wir müssen Leute haben, die bei der Presse bekannt sind. Einen Herrn, der beim „Ulk“ oder den „Fliegenden Blättern“ angestellt ist, können wir allerdings nicht gebrauchen. Wir auf der Polizei treiben keine Politik. Wir erfüllen nur die Aufträge, die wir bezüglich der Ermittelung journalistischer Angelegenheiten erhalten. Es ist fern von uns, auf eigene Faust Politik zu treiben. – Staatssekretär v. Marschall: Der Herr Polizeikommissar verteidigt sich gegen Vorwürfe, die kein Mensch gegen ihn erhoben hat. Ich erinnere den Kriminalkommissar nur daran, daß ein gewisser Normann-Schumann auch von ihm zur Ermittelung in Preßsachen benutzt worden ist, und daß sich dann herausgestellt hat, daß dieser selbe Vertrauensmann v. Normann-Schumann fast alle die Skandalartikel gegen das Auswärtige Amt selbst verfaßt hat, bezüglich deren er von Herrn v. Tausch mit Ermittelungen betreffs der Urheber betraut war und die sämtlich aus den Fingern gesogen waren. Nach den Erfahrungen, die Herr v. Tausch mit diesem Herrn v. Normann-Schumann gemacht, möchte ich doch, daß er sich näher erklärt, was er gerade in diesem Falle hier meint, daß Herr Leckert doch wohl einen Hintermann gehabt habe und sich diese Dinge nicht aus den Fingern gesogen habe. Es ist mir das sehr wichtig, denn ich muß annehmen, daß dieser von dem Kriminalkommissar in der Luft gelassene „Hintermann“ zum Piedestal für weitere Verdächtigungen gegen das Auswärtige Amt werden könnte. – Zeuge: Ich habe schon gesagt, daß ich Leckert nicht für politisch genug erfahren halte, Intrigen einzufädeln. – Vors.: Aus dem Protokoll, welches Sie mit Leckert aufgenommen haben, geht hervor, daß er Ihnen bald Herrn v. Marschall, bald Herrn v. Hollstein als seinen Gewährsmann bezeichnet hat. Zuletzt hat er gesagt, er habe sein Ehrenwort gegeben, den Mann nicht namhaft zu machen, da dieser sonst seine Stellung verlieren könne. Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß ein Beamter für nichts und wieder nichts sich in die Hände eines so jungen Menschen geben sollte? – Zeuge: Ja gewiß, ich halte aber doch an der Annahme fest, daß Hintermänner existieren. – Oberstaatsanwalt: Hat Lützow für die Dienste, die er leistete, Bezahlung erhalten? – Zeuge: Jawohl, er ist für seine Zeit, die er uns opferte, entschädigt worden. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie die Stellung des Herrn v. Lützow denn nicht ebenso aufgefaßt, wie die der sogenannten Vertrauensmänner, welche in den politischen Prozessen eine Rolle spielen? – Zeuge: Nein, keineswegs. Wir müssen Leute an der Hand haben, welche in der Presse bekannt sind. Wir haben noch andere Journalisten an der Hand, aber niemals habe ich einem von ihnen eine Zumutung gestellt, durch deren Ausführung sie sich in ihrer Ehre gekränkt finden konnten. – Vors.: Wenn Sie nun z. B. durch direkte Anfrage bei einer Zeitung auf die Antwort gefaßt sein müssen: „Ja, das ist Redaktionsgeheimnis,“ werden Sie sich dann nicht eines Ihrer Journalisten bedienen? – Zeuge: Ja gewiß, wie soll man es anders machen? Ich muß, um in Preßsachen informiert zu sein, befähigte Leute an der Hand haben, es geht ja gar nicht anders. – Oberstaatsanwalt: Ich will auch gar keinen Vorwurf etwa gegen die Polizei erheben, denn ich weiß, daß diese ohne die Mitarbeit solcher Vertrauensleute nicht ihren Aufgaben gerecht werden kann. Es fragt sich bloß, wie man die Tätigkeit dieser Leute selbst beurteilt. – Zeuge v. Tausch: Und besonders der Polizei! Wenn jemand anderen Behörden Dienste leistet, so sagt man, „sie erhalten Informationen“. Wenn uns solche Dienste erwiesen werden, dann heißt es „Spitzel“. Das haftet uns nun einmal an. Wenn andere Behörden Journalisten Informationen erteilen, so werden die betreffenden Journalisten auch gefragt, wo wohl die eine oder die andere Nachricht herrühre. – Vert. R.-A. Dr. Lubczynski: Ist dem Zeugen bekannt, daß auch vom Preßbureau ganz anständige Personen mit der Mission betraut werden, Verfasser bestimmter Artikel zu ermitteln. – Zeuge v. Tausch: Aber gewiß. Ohne solche Rechercheure kommt doch keiner mehr aus, solche Rechercheure werden in Patentsachen gebraucht, jeder Rechtsanwalt gebraucht sie. – Vert.: Sehen Sie die Vertrauensleute, die andere Behörden benutzen, anders an, als diejenigen, die Sie benutzen? – Zeuge: Keineswegs. – Staatssekretär v. Marschall: Das Auswärtige Amt hat aus ganz besonderen Gründen seit mehreren Jahren bei der Ermittelung der Urheberschaft von Artikeln nicht mehr die Hilfe der politischen Polizei in Anspruch genommen. Dies ist nur bezüglich des schon erwähnten Artikels der „Münchener Neuesten Nachrichten“ der Fall gewesen. Es wäre doch interessant zu erfahren, welche Erfahrungen Herr v. Tausch bei dieser Gelegenheit mit Herrn v. Lützow gemacht hat. – v. Tausch: Ich habe von Herrn v. Bronsart den Auftrag erhalten, den Verfasser des Telegramms der „Münchener Neuesten Nachrichten“ zu ermitteln. Ich habe v. Lützow damit beauftragt. Dieser kam mit der Meldung, daß die Notiz aus dem literarischen Bureau stamme. Die angestellten Recherchen ergaben die Unrichtigkeit dieser Behauptung. Damit war die Sache zu Ende. Ich hatte die Empfindung, daß mich Herr v. Lützow wohl düpiert habe, da er keine Beweise bringen konnte und die angestellte Untersuchung auch ergeben hatte, daß die Beschuldigung unwahr sei. Herr v. Lützow hatte sich damit entschuldigt, daß ihm dann sein Gewährsmann wohl etwas vorgeschwatzt habe. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie Veranlassung genommen, Ihrem höchsten Chef, Herrn v. Köller, über das Ergebnis der Ermittelungen und Ihre Erfahrungen mit v. Lützow Mitteilung zu machen? – Zeuge: Ich habe jeden Tag Herrn v. Windheim Mitteilung gemacht. Dem Herrn Minister Mitteilung zu machen, war ich nicht befugt. – Oberstaatsanwalt: Hat Ihnen v. Lützow Namen genannt und für den Betreffenden Geld verlangt? – Zeuge: Ja, er nannte den Namen des Schriftstellers Kukutsch, dem er 100 Mark geben solle. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie nicht ermittelt, daß das alles Unwahr- heiten waren? – Zeuge: Mit Sicherheit nicht. In solchen Fällen spielen für uns 100 Mark auch keine so große Rolle, um darauf noch weiter zu recherchieren. Ich habe dem Kriegsministerium Mitteilungen gemacht, die 100 Mark sind vom Kriegsministerium erstattet und ich habe sie Herrn v. Lützow gegeben. Dieser brachte eine mit „Kukutsch“ unterschriebene Quittung. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie nach diesen Erfahrungen doch noch Herrn Lützows Behauptungen über die „Hintermänner“ des Leckert Glauben beimessen können? – Zeuge: Ich glaubte es ihm, weil es Leckert bestätigte. – Rechtsanwalt Glatzel: Hat der Zeuge einen bestimmten Verdacht, daß seine Recherchen nach dem Hintermann noch Erfolg haben werden. Kann er mit einem bestimmten Namen hervortreten? – Der Zeuge besann sich einige Zeit, ob er dies tun solle, als aber alle Parteien, ebenso Herr v. Marschall, die Nennung des Namens für wünschenswert erklärten, nannte v. Tausch den Namen eines ehemaligen Konsuls v. Ecuador, Namens René aus Stettin. – Leckert versicherte, daß er diesen gar nicht kenne, ebenso Frhr. v. Marschall. Der Gerichtshof beschloß, René sofort vorzuladen. – v. Marschall betonte, v. Tausch habe die Nachricht, daß die Mitteilung aus dem literarischen Bureau stamme, dem Kriegsministerium zuerst ohne jeden Zusatz als seine eigene Meinung mitgeteilt. – Der nächste Zeuge war Oberstleutnant Gäde: Ich kenne Herrn v. Lützow nicht persönlich, habe nie mit ihm gesprochen und ihm nie einen Auftrag gegeben. Was seine Glaubwürdigkeit betrifft, so kann ich folgendes sagen: Während der Amtstätigkeit des Generals Bronsart v. Schellendorf als Kriegsminister habe ich die Angelegenheiten der Presse zu bearbeiten gehabt. Zweck und Inhalt dieser Preßtätigkeit waren nur sachlicher und technischer, niemals persönlicher und politischer Art. Es mußten aber manchmal Nachforschungen nach der Urheberschaft bestimmter Artikel angestellt werden. Dies war namentlich bei einem Artikel der „Münchener Neuesten Nachrichten“ über die Militärstrafgerichtsordnung der Fall, an welchen sich Artikel des „Hannov. Couriers“ und der „Berliner Neuesten Nachr.“ schlossen, die gleichfalls den Eindruck der Indiskretion machten. Dann kamen Artikel über die Nebenregierung und den General v. Hahnke. General v. Bronsart hat allen diesen Dingen vollständig fern gestanden, wie ich hier in aller Öffentlichkeit mit allem Nachdruck betone. Ich stehe mit meiner Person dafür ein! Kriegsminister v. Bronsart hat keinen dieser Artikel verfaßt oder inspiriert, er war von ihnen aufs peinlichste berührt. Diese Artikel waren mit großem Raffinement so geschrieben, daß man annehmen durfte, sie stammen aus dem Kriegsministerium. General v. Bronsart hatte deshalb alle Veranlassung, den Urhebern dieser perfiden Machenschaften auf die Spur zu kommen, deshalb bediente man sich der Hilfe der politischen Polizei. Ich habe nur mit Herrn v. Tausch verhandelt; General v. Bronsart hat diesen nicht gesprochen, wie er auch niemals einen Journalisten empfangen hat. Herr v. Tausch hatte mir gesagt, daß er mit solchen Nachforschungen Herrn v. Lützow betraut hatte. Dieser nun hat sich in zwei Fällen als Vertrauensmann der politischen Polizei nicht als glaubhaft erwiesen. Bezüglich des Telegramms der „Münchener Neuesten Nachrichten“ hat v. Lützow dem Herrn v. Tausch berichtet, er habe sich an die Herren des Literarischen Bureaus herangemacht und ein Herr Kukutsch habe versprochen, gegen einen Betrag von 50 Mark nähere Mitteilungen über die Provenienz dieser Angriffe zu machen. Die 50 Mark wurden angewiesen, Herr v. Tausch brachte eine ihm von Herrn v. Lützow übergebene angebliche Quittung des Kukutsch, die ich dem Vorsitzenden überreiche. Die Nachrichten blieben aber aus und Herr Kukutsch hat dann bei Gelegenheit der eingeleiteten Disziplinaruntersuchung eidlich bestritten, über die Provenienz dieser Depesche etwas zu wissen. Bei dieser Sachlage hat dann Herr v. Tausch selbst zugegeben, daß Herr v. Lützow sich nicht immer als zuverlässig erwiesen habe. Bald darauf kam aber Herr v. Tausch wieder mit der Meldung, daß Herr v. Lützow nun eine andere Quelle habe. In dem „Hannov. Courier“ war ein ähnlicher Artikel über die Militärstrafgerichtsordnung erschienen, nach der Behauptung des Herrn v. Lützow sollte Herr v. Vangerow, der Vertreter des „Hannov. Cour.“, bereit sein, den Verfasser zu nennen, wenn er eine Entschädigung erhielte. Diese sollte nicht in Geld bestehen, sondern in der Überlassung eines offiziellen, aus dem Kriegsministerium stammenden Artikels über das Militärstrafgerichtsverfahren. Mit Genehmigung des Kriegsministeriums habe ich dann eine ganz harmlose Stilprobe zu Papier gebracht, welche durch Vermittelung des Herrn v. Tausch, Herrn v. Lützow zugestellt wurde. Eines Tages erhielt ich einen Brief des Herrn v. Vangerow. In diesem teilte er mit, daß Herr v. Lützow den betreffenden Artikel direkt aus dem Kriegsministerium erhalten habe, mit dem Zusatze, dem Kriegsministerium lege sehr daran, daß dieser Artikel in die Presse lanciert werde. v. Vangerow setzte in dem Briefe auseinander, daß er diesem Wunsche nachgekommen sei und den Artikel in der „Nationalzeitung“ und im „Hannoverschen Courier“ veröffentlicht habe, aber doch sich vergewissern möchte, ob es richtig sei, daß das Kriegsministerium die Veröffentlichung wünsche. Daraus habe ich gesehen, daß Herr v. Lützow seinen Auftrag geradezu auf den Kopf gestellt hat und habe Herr v. Tausch gesagt, er sehe nun wieder, wes Geistes Kind Herr v. Lützow sei. Herrn v. Vangerow habe ich mitgeteilt, daß v. Lützow ihm etwas vorgeredet habe. – Auf Befragen des Oberstaatsanwalt bestätigte der Zeuge, daß Frhr. v. Marschall seinerseits alle Hebel in Bewegung gesetzt habe, um den auf Herrn v. Köller geworfenen Verdacht der Indiskretion zu beseitigen. Dies sei ihm auch in dankenswerter Weise gelungen. – Staatssekretär v. Marschall betonte, daß Herr v. Köller seinerzeit mit Herrn v. Tausch über diese Angelegenheit gesprochen habe, aber wohl jetzt erst zu seinem Staunen hören werde, daß der Verdacht gegen ihn gar nicht von Herrn v. Bronsart ausgegangen sei, sondern durch v. Lützow-Tausch. Letzterer hatte, wie der Vorzeuge bekundet hat, ihm gegenüber schon gesagt, daß der Urheber der Depesche im Literarischen Bureau sitze. – v. Tausch: Ich habe täglich dem Polizeipräsidenten über meine ganze Tätigkeit in dieser Angelegenheit Bericht erstattet. Daß ich dem Minister v. Köller nicht mitgeteilt habe, die Ermittelungen in Sachen des literarischen Bureaus seien resultatlos verlaufen, liegt daran, daß ich annehmen mußte, Exzellenz v. Köller sei darüber schon unterrichtet, und daß ich nicht über den Kopf meines Chefs hinweg an den Minister Bericht zu erstatten habe. Ich bin um keines Haares Breite von meiner amtlichen Aufgabe abgewichen und muß den Herrn Vorsitzenden bitten, mich gegen solche Vorwürfe in Schutz zu nehmen. – Staatssekretär v. Marschall: Ich bin hier nicht dazu da, Vorwürfe zu erheben, sondern Aussagen zu machen, selbst wenn sie dem Kriminalkommissar unangenehm sind. – Zwischen den beiden Zeugen entspann sich darauf eine Diskussion über den Zeitpunkt, in welchem Herr v. Tausch mit dem Minister v. Köller in der Angelegenheit gesprochen habe. v. Marschall erklärte die Zeitangaben des Herrn v. Tausch für irrig. – Rechtsanwalt Glatzel: Er möchte gern wissen, ob Herrn v. Köller denn schließlich mitgeteilt worden ist, wer der wirkliche Verfasser der Depesche sei. – Staatssekretär v. Marschall: Herr v. Köller ist zweifellos davon unterrichtet, daß der Verdacht, der gegen ihn erhoben wurde, als vollständig beseitigt anzusehen war. Allerdings war er wohl nicht davon unterrichtet, daß der Verdacht gegen ihn im Kriegsministerium durch Herrn v. Tausch erweckt worden sei. – v. Tausch (mit erhobener Stimme): Ich bin doch hier nicht als Angeklagter, sondern als Zeuge! – Sehr dramatisch gestaltete sich die Vernehmung des Hilfsarbeiters im Ministerium des Innern, Schriftstellers Kukutsch: Er habe von keiner Behörde jemals auch nur einen Pfennig bezahlt erhalten, außer vom literarischen Bureau, mit dem er in einem Vertragsverhältnis stehe. – Vors.: Der Angeklagte v. L. behauptet, daß er Ihnen 50 Mark gezahlt habe. – Zeuge (entrüstet): Das ist eine Lüge! – Vors.: Hier ist die Quittung. – Zeuge: Ich habe niemals durch Herrn v. Lützow oder Herrn v. Tausch 50 Mark erhalten. Die Quittung ist nicht von meiner Hand unterschrieben! (Große allgemeine Bewegung.) – Auf Befragen erklärte v. Lützow: Er bleibe dabei, daß der Text der Quittung von ihm, die Quittung selbst durch Herrn Kukutsch geschrieben sei. Er will von Kukutsch wiederholt Mitteilungen und auch eine Arbeit erhalten und ihm dafür 50 Mark gezahlt haben. Der Zeuge erklärte auf wiederholte Vorhaltung des Vorsitzenden auf seinen Eid, daß er Herrn v. Lützow niemals einen Dienst geleistet und niemals 50 Mark von ihm empfangen habe. – Angekl. v. Lützow blieb bei dem Gegenteil. Der Vorsitzende wies darauf hin, daß die eidliche Aussage des Zeugen bis jetzt unverdächtig erscheine und hiernach er einer schweren Urkundenfälschung beschuldigt werde. – Der Zeuge erzählte dann unter wiederholten Ausbrüchen seiner Empörung, daß er v. Lützow, von dem er wußte, daß er manches auf dem Kerbholze hatte und als Polizeispion gelte, stets gemieden und mit ihm gar keine Beziehungen gehabt habe. Da habe er zur Zeit der Köllerkrisis eine Postkarte mit Antwort von dem Angeklagten erhalten, in welchem er um eine Unterredung bat. Er habe die angebogene Karte gar nicht benutzt und eine Antwort nicht gegeben. Der Zufall führte den Angeklagten dann eines Tages mit ihm in einem Kaffeehause zusammen. Als er in dem Zeitungsschrank suchte, habe Herr v. Lützow auch nach Zeitungen gesucht und ihn dabei von der Seite scheu angesehen. Da habe er aus Höflichkeit gefragt, was er eigentlich von ihm wünsche. v. Lützow habe geantwortet, er wisse ja, daß er (Kukutsch) schon einmal eine Broschüre geschrieben habe, und da er dies auch getan, wolle er ihn bitten, das Manuskript durchzusehen. Dies habe er rundweg abgelehnt; darauf habe sich die ganze Unterredung beschränkt. Später habe er, außer auf der Journalistentribüne ganz flüchtig, niemals mehr mit v. Lützow gesprochen. Er habe von der ungeheuerlichen Behauptung des letzteren erst erfahren, als er zu Herrn v. Marschall beschieden wurde. Er habe bei dieser Gelegenheit sofort seiner höchsten Empörung darüber Luft gemacht und erklärt, daß, wenn eine Quittung vorhanden sei, diese gefälscht sein müsse. – Staatssekretär v. Marschall und Legationsrat Dr.Hammann bestätigten das, auch, daß Kukutsch sofort den Strafrichter in Anspruch nehmen wollte. Staatssekretär v. Marschall hatte Kukutsch gesagt, daß er gar nichts tun und alles der kurz bevorstehenden Haupt- verhandlung überlassen solle. – v. Lützow: Ich bleibe dabei, daß ich mit Herrn Kukutsch mindestens 30 Mal gesprochen und von ihm allerlei Mitteilungen erhalten habe. Ich bleibe dabei, daß Herr Kukutsch die Quittung unterschrieben hat und ich ihm im Café der Potsdamerstraße 50 Mark gezahlt habe. – Alle Versuche, die Widersprüche miteinander in Einklang zu bringen, scheiterten. – Kukutsch blieb mit vollster Entschiedenheit dabei, daß alles, was v. Lützow über ihn gesagt habe, Lug und Trug sei, daß er bis dahin geglaubt habe, einen Tropf vor sich zu haben und nun sehe, daß er ein Teufel sei. – Der Vorsitzende mußte den Zeugen wiederholt zur Ordnung rufen. – Vert. Rechtsanwalt Schmielinski verwahrte sich für seine Person entschieden gegen die Behauptung des Herrn v. Tausch, daß sich auch Rechtsanwälte Vigilanten halten. v. Tausch erwiderte, daß er dabei an große Prozesse und an Dr. Fritz Friedmann gedacht habe. – Am dritten Verhandlungstage nahm sofort nach Eröffnung der Sitzung das Wort Oberstaatsanwalt Drescher: Mit Rücksicht auf den gestrigen Aufsehen erregenden Zwischenfall habe ich bei dem Untersuchungsrichter des Landgerichts I den Antrag gestellt, gegen den Angeklagten v. Lützow die Untersuchung wegen schwerer Urkundenfälschung und Betruges zu eröffnen und ihn in dieser neuen Sache in Haft zu nehmen. Bezüglich des früheren Konsuls René sind die Nachforschungen des Kriminalkommissars v. Tausch von Erfolg gewesen. Herr René befindet sich in einem Berliner Hotel, er ist aber, wie er behauptet, krank und kann an Gerichtsstelle nicht erscheinen. Ich beantrage, Herrn René sofort vorschriftsmäßig zu laden. Kriminalkommissar v. Tausch hat sich bereit erklärt, dies auszuführen und einen Arzt mitzunehmen. Herr René ist noch gestern abend ausgegangen, er wird wohl sehr krank nicht sein. Sollte der Befund durch den Arzt ein Erscheinen des Herrn René vor Gericht nicht verbieten und dieser sich trotzdem weigern, dann müßte Kriminalkommissar v. Tausch ermächtigt werden, Herrn René sofort zu sistieren. Andernfalls beantrage ich die kommissarische Vernehmung des Herrn René. – Der Gerichtshof beschloß, dem Antrage des Oberstaatsanwalts zu entsprechen. – Vert. R.-A. Dr. Lubczynski: Mir ist gestern abend die Adresse der Dame mitgeteilt worden, die nach der Behauptung des Angeklagten v. Lützow in dem Café anwesend gewesen sein soll, als der Zeuge Kukutsch die Quittung unterschrieb. Ich habe die Dame sofort telegraphisch aufgefordert, mit dem nächsten Zuge hierher zu kommen. Die Dame wohnt in St. Johann a. d. Saar. – Darauf bekundete Redakteur Heller, Berliner Vertreter des „Hannöverschen Couriers“ als Zeuge: Bei einer gelegentlichen Begegnung auf der Straße mit v. Lützow habe dieser von seiner Affäre gesprochen und ihm gesagt: der Artikel in der „Welt am Montag“ rühre von ihm her. Staatssekretär v. Marschall sei noch vor ganz kurzer Zeit der in dem Artikel vertretenen Meinung gewesen. Nunmehr hetze er ihm den Staatsanwalt auf den Hals, er werde es aber Herrn v. Marschall schon „anstreichen“. Er (Zeuge) habe diese Äußerung für Renommisterei gehalten. Er sei von Kollegen vor v. Lützow gewarnt worden. Auf der Journalistentribüne des Reichstages habe er das zweifelhafte Vergnügen gehabt, in der Nähe des v. Lützow zu sitzen und infolgedessen viele Räubergeschichten von letzterem mitangehört. Einmal habe ihn v. Lützow durch eine grundfalsche Nachricht hineinlegen wollen. Er (Zeuge) habe damals für den „Frankfurter Generalanzeiger“ und die „Tribuna“ korrespondiert. v. Lützow sei einmal von ihm beauftragt worden, einige Berichte für die „Iribuna“ zu schreiben. Eines Tages sei v. Lützow in sein Bureau gekommen und habe ihm eine angeblich „authentische“ Nachricht über den bevorstehenden Rücktritt des Kultusministers Bosse überbracht. Nachträglich hatte er (Heller) erfahren, daß die Nachricht vollständig erfunden sei. Ein anderes Mal habe ihm v. Lützow mitgeteilt: er sei von Herrn v. Stumm beauftragt, Material zu dem Prozeß zu sammeln, den Hofprediger Stöcker gegen die „Saarbrücker Zeitung“ angestrengt hatte. Er (Heller) habe v. Lützow versprochen, sich wegen Materials umzusehen. Die Behauptung des v. Lützow: er (Zeuge) habe ihm die Türschwelle abgelaufen, um Nachrichten zur Affäre Eulenburg zu erhalten, sei ihm unerfindlich. – Es gelangte darauf ein Artikel der „Frankfurter Zeitung“ zur Verlesung, in dem mitgeteilt wurde: v. Lützow entstamme einer alten mecklenburgischen Adelsfamilie. Sein Vater sei ein höherer Offizier gewesen. Er selbst habe seine Ausbildung im Kadettenhause erhalten. Er habe sich mit einem Fräulein Bellair verheiratet, das in Wahrheit Frau Kunze hieß und eine Tochter des bekannten Hofzauberkünstlers Bellachini sei. Die Mutter des v. Lützow sei eine Schwester der bekannten Gräfin Seydewitz, die als Hofdame der Frau Prinzessin Karl seinerzeit am Königshofe in Berlin eine hervorragende Rolle spielte. – Angekl. v. Lützow erklärte: In dem Artikel sei viel Falsches mit wenig Wahrem vermischt gewesen. – Darauf wurde der Zeuge René vernommen. Er bekundete auf Befragen des Vorsitzenden, daß er keinen der Angeklagten kenne und niemandem Material für die beiden Artikel der „Welt am Montag“ geliefert habe. Er habe für solche Sachen überhaupt kein Verständnis. Er habe die Artikel erst kennen gelernt, nachdem sie erschienen waren. – Vert. R.-A. Glatzel: Haben Sie irgendwelche Beziehungen zum Auswärtigen Amt, oder sind Sie dort einmal empfangen worden? – Zeuge: Nein, niemals. Ich habe gelesen, daß Kriminalkommissar v. Tausch gestern meinen Namen genannt hat. Ich erkläre unter meinem Eide, daß ich Herrn v. Tausch nicht kenne und keinerlei Beziehungen zur Polizei unterhalte. – Vert. R.-A. Dr. Lubczynski: Sie werden sich erinnern Herr Zeuge, daß wir uns einmal in einer Gesellschaft getroffen haben. Haben Sie sich nicht damals eines freundschaftlichen Verhältnisses gerühmt, welches zwischen Herrn v. Lucanus und Ihnen bestehe? – Zeuge: Ich kann nur gesagt haben, daß Herr v. Lucanus mich kennt, und das ist wahr. – Vert.: Ist es denn richtig, daß Sie sich mit Politik beschäftigen? – Zeuge: Ja, ich habe für den Landtag kandidiert und auch einige Artikel geschrieben, ich stelle aber entschieden in Abrede, daß ich irgendwie berufsmäßige Journalistik betreibe. – Vert. R.-A. Gennrich: Stehen Sie in Beziehungen zu irgendwelchen Persönlichkeiten, welche im Auswärtigen Amt verkehren? – Oberstaatsanwalt: Ich halte es doch für wünschenswert, daß der Verteidiger das Beweisthema angibt, auf welches sich diese Fragen beziehen. Seine Fragen gleichen einer Art Examen, die Zeugen können dadurch in ein eigentümliches Licht gestellt werden. – Vert.: Es ist doch möglich, daß der Zeuge von Personen, die im Auswärtigen Amt verkehren, Nachrichten erhalten hat, die er gesprächsweise weiter erzählt hatte. – Vors.: Wie soll der Zeuge das wissen. Er hat unter seinem Eide versichert, daß er keinerlei Beziehungen zum Auswärtigen Amt und auch nicht zu einem der Angeklagten habe, ich halte damit die Angelegenheit für erledigt. – Kriminalkommissar v. Tausch: Er sei gestern von der Verteidigung gefragt worden, ob er einem Verdacht nach einer bestimmten Persönlichkeit nachgehe. Er habe zunächst Bedenken gehabt, darauf einzugehen, damit es aber nicht scheine, als ob er von angeblichen Ermittelungen bloß phantasiere, habe er schließlich den Namen René genannt. Er habe dies keineswegs leichtsinniger Weise getan. Er habe von zwei ganz verschiedenen Seiten Mitteilungen erhalten, die auf Herrn René hinwiesen. Da aber nur ein Verdacht vorlag, habe er die Absicht gehabt, im stillen weiter zu recherchieren. Es sei ihm bisher nicht möglich gewesen, die Recherchen vor- zunehmen. Die Quelle dieser Mitteilungen zu nennen, lehne er aus dienstlichen Gründen ab. – Staatssekretär v. Marschall: Auf die Frage des Herrn Rechtsanwalts Gennerich erlaube ich mir zu bemerken: Es gewinnt den Anschein, daß nunmehr die dritte Kategorie von Hintermännern ins Feld geführt werden soll. Die erste Kategorie waren die Beamten des Auswärtigen Amts, die zweite diejenigen Leute, die im Auswärtigen Amt verkehren und nun kommt die dritte Kategorie, d. h. Leute die mit Leuten verkehren, welche im Auswärtigen Amte verkehren, das genügt. (Heiterkeit) Wenn Kriminalkommissar v. Tausch betont, er sei noch immer mit Erhebungen nach dem angeblichen Hintermann beschäftigt, so muß ich bemerken, daß er vom Auswärtigen Amt keinen Auftrag dazu erhalten hat; er hat seit vier Jahren überhaupt keinen Auftrag vom Auswärtigen Amt erhalten. – Kriminalkommissar v. Tausch: Vom Auswärtigen Amt habe ich keinen Auftrag erhalten; es gibt aber außer dem Auswärtigen Amt noch eine Behörde, die mir viel näher steht, das ist das Berliner Polizeipräsidium. Ob ich von dieser Behörde einen Auftrag erhalten habe, kann Herr v. Marschall doch nicht wissen. – Staatssekretär v. Marschall: Ich will auch nicht unterlassen, zu erklären, daß ich Herrn René nicht kenne und dieser auch im Auswärtigen Amt unbekannt ist. – Es sollte darauf der Korrespondent der Kölnischen Zeitung, v. Huhn, vernommen werden. Vorher erbat sich Freiherr v. Marschall das Wort: Es handelt sich um einen Artikel der Kölnischen Zeitung vom 28. April d. J. über das Schicksal der Militärvorlage. Der Artikel hat gewaltiges Aufsehen hervorgerufen, weil er große Bekanntschaft mit diskreten Dingen verriet und anknüpfend an die Pensionierung des Generals v. Spitz Angriffe gegen den General v. Hahnke richtete. Im Ministerium des Innern waren nach meiner Kenntnis Erhebungen über den Verfasser des Artikels angestellt worden. Als angeblicher Verfasser der Korrespondenz wurde v. Huhn ermittelt und als solcher auch an höchster Stelle gemeldet. Da Herr v. Huhn zu den Journalisten gehört, die im Auswärtigen Amte verkehren, so fragte ich ihn deshalb vor einiger Zeit. Herr v. Huhn behauptete, daß er diesem Artikel vollständig fernstehe und bereit sei, dies jederzeit zu beschwören. Ich fragte darauf bei dem Ministerium des Innern an, woher die falsche Beschuldigung gegen Herrn v. Huhn stamme. Ich erhielt die Antwort: „Von Herrn v. Tausch.“ Auf meine weitere Frage, woher Herr v. Tausch dies habe, wurde mir gesagt: von einem sehr wertvollen Vertrauensmann, den man aber nicht nennen dürfe. Es ist von Interesse, daß die Vertrauensmänner der politischen Polizei nachweisbar dieser schon in drei Fällen falsche Nachrichten übermittelt haben. Mir ist es ganz gleichgültig, welche Vertrauensmänner die politische Polizei verwendet, wenn aber diese Vertrauensmänner wagen, mich oder Beamte meines Ressorts zu verleumden, so muß ich mich dagegen wehren. Ich bitte den hohen Gerichtshof um Verzeihung, daß ich so weit auf diese Dinge eingehe, das Treiben gegen das Auswärtige Amt geht aber schon seit Jahren fort; der Gerichtshof wird mir nachfühlen, daß ich jetzt diese Gelegenheit benutze, um die Dinge in voller Öffentlichkeit klarzulegen. – Vors.: Herr v. Tausch, von wem hatten Sie die Nachricht über Herrn v. Huhn? – v. Tausch: Von einem ganz zuverlässigen Agenten, von dem ich bisher noch niemals eine falsche Nachricht erhalten habe. – Vors.: Wollen Sie diesen Mann nennen? – v. Tausch: Nein. – Vors.: Ich nehme an, daß Sie sich dabei auf den § 53 stützen? – v. Tausch: Jawohl. – Vors.: Herr Kommissar, ich weise Sie darauf hin, daß § 53 Ihrer vorgesetzten Dienstbehörde nur in den Fällen das Recht gibt, Ihnen die Erlaubnis zur Aussage zu versagen, wenn Interessen des Reiches oder der Bundesstaaten gefährdet erscheinen. Und nun fordere ich Sie auf, sich sofort zum Herrn Polizeipräsidenten v. Windheim zu begeben und ihm zu sagen: der Gerichtshof erachtet es für notwendig, den Namen Ihres Gewährsmanns zu erfahren. – Kriminalkommissar v. Tausch entfernte sich aus dem Saale. – Journalist v. Huhn erklärte hierauf auf Befragen des Vorsitzenden: Er habe den in Frage stehenden Artikel der „Kölnischen Zeitung“ nicht verfaßt und auch in keiner Weise inspiriert. Er stehe zu dem Artikel in keinerlei Beziehung. – Schriftsteller v. Vangerow bestätigte im allgemeinen den Inhalt der Zeugenaussage des Oberstleutnants Gaede. v. Lützow habe sich bei ihm mit der Frage eingeführt, ob er dem Kriegsminister einen Gefallen erweisen wolle. Da er (Zeuge) ein Verehrer des Kriegsministers sei und bezüglich der Militärstrafprozeßordnung auf demselben Boden stehe wie der Kriegsminister, so habe er sich bereit erklärt, den Artikel, den v. Lützow ihm mit der Versicherung gegeben habe, daß der Minister dessen Veröffentlichung gern sehen würde, bei den nationalliberalen Zeitungen unterzubringen. – Dies sei bei der „Nationalzeitung“ und dem „Hannoverschen Courier“ geschehen. – Oberstaatsanwalt: Nachdem Sie nun den Verlauf der Verhandlung gelesen haben, haben Sie dann nicht den Eindruck gewonnen, daß Ihnen der Artikel gewissermaßen nur als Lockspeise gegeben wurde und daß es Lützow nur darum zu tun war, den Namen des Verfassers zu erfahren, der den Artikel in den „Münchener Neuesten Nachrichten“ und dem „Hannoverschen Courier“ geschrieben hatte? – Zeuge: Ja, jetzt ist mir ja alles klar, nachdem ich erfahren, daß v. Lützow im Dienste des Kriminalkommissars v. Tausch stand. Der Angeklagte fragte mich. im Laufe des Gesprächs, ob ich nicht den Verfasser der fraglichen Artikel kenne, was ich verneinte. – Oberstaatsanwalt: Nun ja, das war für ihn die Hauptsache, es war so eine Art Kunststück, welches er angezettelt hatte. Wenn er von Ihnen den Namen des Verfassers erfahren hätte, würde er ihn sofort an den Kriminalkommissar v. Tausch verraten haben. – Zeuge: Ja, ja das ist mir auch klar, zumal Herr v. Tausch bereits in derselben Angelegenheit bei mir gewesen war. – Lützow: Aber Herr Oberstaatsanwalt, ich war es doch nicht, der das Kunststück angezettelt hatte, sondern mein Auftraggeber, der mir sagte, ich sei nur die Mittelsperson. – Oberstaatsanwalt: Und wer war das? – Angekl.: Herr von Tausch. – Oberstaatsanwalt: Das genügt mir, ich wollte nur feststellen, daß Sie im Dienste der Polizei standen und unter der Maske eines Mannes erschienen, der vorgab, nur journalistische Zwecke zu verfolgen. – Hierauf trat eine Pause von einer halben Stunde ein. Nach Wiedereröffnung der Sitzung teilte der Vorsitzende mit, daß Umstände eingetreten seien, welche die Anordnung einer weiteren Pause von einer Stunde notwendig machen. Während der Pause fuhren Oberstaatsanwalt Drescher, Rechtsanwalt Lubszynski und der Angeklagte v. Lützow vom Gerichtsgebäude in einer Droschke weg. Nach Wiedereröffnung der Sitzung nahm das Wort Oberstaatsanwalt Drescher: Ich möchte gern Aufschluß geben über die Notwendigkeit, die die Pause veranlaßt hat. Der Verteidiger des Herrn v. Lützow, Herr Rechtsanwalt Dr. Lubszynski, hatte uns mitgeteilt, daß sein Klient jetzt bereit sei, die volle Wahrheit zu sagen und vollständige Auskunft über Verhältnisse zu geben, die bisher noch nicht zur Sprache gekommen seien. Sein Klient müsse aber in seine Wohnung geführt werden, damit er von dort eine AnzahlDokumente holen könne. Ich habe mich im Einverständnis mit dem Herrn Vorsitzenden veranlaßt gesehen, die Fahrt nach der Wohnung des Herrn v. Lützow zu machen und wir haben von dort eine Anzahl Schriftstücke mitgebracht. Ob diese für diese Verhandlung wesentlich sein werden, habe ich noch zu prüfen; ich behalte mir Erklärungen darüber vor. Inzwischen hat v. Lützow seinem Verteidiger eine Erklärung abgegeben, die ich vorzutragen bitte. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Unter dem niederschmetternden Ereignis von gestern abend und im Andenken an die Ehre seiner Familie hat Herr v. Lützow sich veranlaßt gesehen, mir die ganze Wahrheit einzugestehen. Dies Geständnis ist zu Protokoll gebracht worden und lautet: Am 27. September hat Lützow die Information von Leckert erhalten (und zwar mit der Spitze gegen Eulenburg und der Quelle Marschall). An demselben Abend habe ich es der „Welt am Montag“ gegeben. In der nächsten Woche bin ich mehrere Male bei Tausch gewesen und habe ihm auf seine Frage gesagt, daß ich die Sache gebracht und von Leckert erhalten hätte. Er nahm die Sache auf wegen der Quelle Marschall, und zwar deswegen, weil, wie ich weiß, Tausch von jeher eine große Animosität gegen Marschall besitzt. Er sagte mir, ich solle diese Sache nochmals haarklein zu Papier bringen, weil er die Absicht habe, diese ganze Sache an den Botschafter Grafen Philipp Eulenburg mitzuteilen, um ihm dadurch wieder einmal zu zeigen, wie Exzellenz v. Marschall gegen die Umgebung des Kaisers konspiriere. v. Tausch hat mich über die Sache bis zum äußersten „ausgequetscht“ und ich habe ihm alles so haarklein erzählt, bzw. geschrieben, weil ich fest von der Wahrheit der Leckertschen Information überzeugt war. Tausch hat dann auch an den Grafen Philipp Eulenburg, wie er uns sagte, nach Liebenberg geschrieben und ihm mitgeteilt, daß er eine wichtige Sache für ihn habe. Eulenburg hat ihm, wie ich gesehen habe, geantwortet, er komme nächstens nach Berlin und freue sich, ihn dann begrüßen zu können. Inzwischen animierte mich Tausch sehr, recht den Leckert auszufragen, um genau über die Gewährsmannschaft Bescheid zu wissen und die Fortsetzung am nächsten Montag zu bringen, damit die Sache nicht einschliefe. Inzwischen sollte ich mehrfach berichten, was ich auch getan habe. Dann wolle er dafür Sorge tragen, daß der Kaiser durch Eulenburg alles erfahre, damit wir endlich dann den Marschall beim Wickel hätten. Um Tausch nun gefällig zu sein, und weil ich mich vollständig in seinen Händen befand, im übrigen aber an die Wahrheit der Sache auch glaubte, habe ich mich auch um die Unterbringung des zweiten Artikels bemüht. Am Montag, nachdem der zweite Artikel erschienen war, ließ er mich zu sich holen und erzählte mir, der Teufel wäre los im Auswärtigen Amt und der Polizeipräsident wäre hinbefohlen worden. Es wäre letzterem nichts übriggeblieben, als mich zu nennen. Ich solle nun nochmals ihm einen eingehenden Bericht geben, um damit zu Philipp Eulenburg zu gehen. Er werde mich decken und schützen. Ich solle ganz beruhigt sein. Die ganze nächste Woche ließ er mich rufen und erzählte mir, das Auswärtige Amt sei ganz versessen darauf, die Sache weiter zu verfolgen. Am Sonnabend ließ er mich durch einen Wachtmeister nach dem Polizeipräsidium sistieren und sagte mir, er müsse mich verhaften. Ich solle nicht sagen, daß ich mit ihm in Verbindung gestanden habe. Zwischen uns bliebe es wie bisher. Er war in fürchterlicher Angst. Am Sonntag sagte er mir: Die Sache wird für uns alle sehr schlimm; die Sache mit Kukutsch kommt auch heraus. Bleiben Sie aber nur fest. Am 15. gab er mir 100 Mark und von da an sahen wir uns sehr wenig. Bei der zweiten Verhaftung war Tausch wieder in fürchterlicher Angst. (Lützow wurde nach seiner ersten Verhaftung wieder in Freiheit gesetzt.) In Sachen Kukutsch habe ich zu erklären: Als der Artikel in den „Münch. N. Nachr.“ erschienen war, bestellte mich Tausch zu sich und sagte, Kriegsminister Bronsart habe ihm (Tausch) gesagt, daß Bronsart den Minister Köller für den Informator des Artikels halte. Er (Tausch) möchte sich bemühen, das herauszubekommen und ihm dafür Beweise zu liefern. Hierauf machte mich Tausch „scharf“ und beauftragte mich, bei den Angestellten des Literarischen Bureaus das auszuforschen. Ich versuchte nun innerhalb der nächsten 8–14 Tage Kukutsch hinten herum für die Sache zu interessieren und sagte das auch Tausch. Fast täglich sagte mir Tausch, der Kriegsminister habe das größte Interesse; es könne kosten, was es wolle, das bei Kukutsch herauszubekommen. Diese Versuche waren vergeblich. Tausch aber hatte sich inzwischen schon engagiert, da er bei Herrn von Bronsart den Namen Kukutsch schon genannt hatte. Darauf veranlaßte mich Tausch, einen anonymen Brief an das Kriegsministerium zu schreiben folgenden Inhalts: „Wollen Sie wissen, wer gegen Sie putscht, so fragen Sie Hammann, Eckart und Kukutsch.“ Diesen Brief hat Herr v. Bronsart erhalten. Ich habe diesen Brief von einem Hausdiener schreiben lassen. Dann erzählte er, daß eine Untersuchung gegen „Unbekannt“ eingeleitet sei, in der die drei (eigentlich vier) Personen als Zeugen vernommen wurden. Hierüber geriet v. Tausch in große Angst, weil auf diese Weise sein Vorgesetzter v. Köller von der Sache erführe und er ihm noch nichts gemeldet habe. Um nun seine Auskunft bezüglich des Kukutsch Herrn von Bronsart gegenüber aufrechtzuerhalten und glaubhaft zu machen, sagte er mir: Geben Sie mir eine Quittung mit dem Namen „Kukutsch“, und da ich bei allen Quittungen, die ich im Laufe der Jahre gegeben, immer irgendeinen falschen Namen auf Wunsch des v. Tausch im politischen Interesse gegeben hatte und er mir immer gesagt hatte, es sei ganz gleichgültig, welcher Name darauf stände, so ließ ich diese Quittung durch einen Dritten mit dem Namen Kukutsch unterzeichnen. Auf die Ähnlichkeit kam es mir gar nicht an, da ich noch niemals die Schrift von Kukutsch gesehen hatte. Ich hatte bei der ganzen Sache nur den Auftrag Tauschs ausgerichtet. Welche Feindschaft dieser gegen v. Marschall hatte, geht daraus hervor, daß er mich am 29. Oktober bei meiner letzten Verhaftung aufforderte, bei der Verhandlung anzugeben, daß Hoenig, der v. Tausch schon damals bekannte Verfasser des Artikels in der „Köln. Ztg.“ „Flügeladjutanten-Politik“, vom Prinzen zu Hohenlohe empfangen werde, wodurch der Verdacht erweckt werden sollte, daß diese Artikel doch aus dem Auswärtigen Amte kämen. Ich mußte Tauschs Aufträgen schon deshalb nach jeder Hinsicht folgen, da ich in meiner Existenz vollständig von ihm abhängig war. Ich bekam 200 Mark von ihm monatlich. Er drohte mir fast jeden Monat, mir das Gehalt zu entziehen, wenn ich nicht durch Bringen von Nachrichten sein Interesse mehr berücksichtigte. Ich hatte mich bisher in der Verhandlung gebunden erachtet, von diesen Verhältnissen nicht zu reden, da ich ihm mein Ehrenwort gegeben hatte, das Verhältnis nicht zu berühren. Da ich aber jetzt in der Öffentlichkeit, insbesondere durch die angebliche Fälschung so gebrandmarkt bin, so sehe ich mich im Interesse. der Gerechtigkeit genötigt, alles aufzudecken.“ – Soweit die protokollarische Erklärung des Angeklagten v. Lützow, die begreiflicherweise eine furchtbare Erregung im Gerichtssaale hervorrief. Auf die Frage des Vorsitzenden an v. Lützow, ob er sich der Schwere seiner Beschuldigung, die einen bis dahin als ehrenhaft geltenden Mann aus der Reihe der Ehrenmänner streichen würde, voll bewußt sei, erklärte v. Lützow, daß er die volle Wahrheit sage. – Vors.: Herr v. Tausch, seit wann stehen Sie in Beziehungen mit dem Angeklagten v. Lützow? – Zeuge: Seit 1891 oder 92. Er war bei uns Agent. – Vors.: War die Verbindung sehr enge? – v. Tausch: O ja, er kam oft, aber dann auch mal wochenlang nicht. – Vors.: Ist einmal die Rede davon gewesen, daß Sie Polizeirat werden sollten? – v. Tausch: Zu meinem Bedauern. – Vors.: Haben Sie jemals dem Angeklagten v. Lützow die Aufforderung zukommen lassen, Ihre Verdienste in den Zeitungen herauszustreichen? – v. Tausch: Das ist mir nicht in Erinnerung. Bei einem Landesverratsprozeß hat er mir sogar direkt Verlegenheiten durch einen Artikel bereitet. – Vors.: In den Papieren ist ein Schriftstück vorhanden. Haben Sie das geschrieben? – v. Tausch: Das kann ich nicht sagen. So ganz wie meine Schrift sieht es nicht aus. – Der zur Verlesung gebrachte, aus Köln datierte Brief beginnt: „Sie haben doch die Sache nicht in den Lokalanzeiger gebracht? Das würde gefährlich sein.“ Dann heißt es: „Ein bißchen können Sie mich herausstreichen, aber so, daß man es nicht merkt und nicht auf Sie als Quelle kommt. Schreiben Sie, daß Kriminalkommissar v. Tausch in dem Landesverratsprozeß sich große Verdienste erworben habe.“ – Vors.: Nach dem Inhalte dieses Briefes scheint v. Lützow von Ihnen nicht bloß zu polizeilichen Ermittelungen benutzt worden zu sein, sondern auch, um im Interesse Ihrer Karriere Sie und Ihre Verdienste herauszustreichen. – v. Tausch: Ich habe ihm die Nachrichten über den Landesverrat gegeben, weil er sie gern journalistisch verwerten wollte. – Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Ist der Zeuge v. Marschall denn animos gegen Sie? – v. Tausch: Ja, es ist ja bekannt, daß Herr v. Marschall der politischen Polizei nicht sehr zugetan war, und alle Versuche, ihn davon zu überzeugen, daß er im Irrtum sei, wenn er denke, die Polizei treibe Politik, mißglückten, weil er mich als Vertreter der politischen Polizei nicht empfing. – Staatssekretär v. Marschall: Ich weise es zurück, daß ich persönlich animos gegen den Kriminalkommissar gestimmt sei. Allerdings hatte ich Verdacht gegen ihn aus dem Grunde, weil es mir auffiel, daß die geheime Polizei Vertrauensmänner sich auswählt, die geflissentlich Beamte des Auswärtigen Amtes heruntersetzten, verdächtigten und verleumdeten. Ich habe v. Tausch allerdings niemals empfangen. Ich habe einen begründeten Verdacht, daß Herr v. Tausch bemüht gewesen ist, die Beamten des Auswärtigen Amtes herabzusetzen, und ich muß einräumen, daß ich zu der geheimen Polizei kein Vertrauen habe. Mein Mißtrauen datiert schon aus der Zeit des Herrn Normann-Schumann, den ich wohl, ohne ihm nahezutreten und ohne Bedenken als einen recht gefährlichen Menschen bezeichnen darf. Als Herr v. Caprivi ins Amt gelangte, erschienen in der „Saale-Zeitung“ heftige Angriffe gegen ihn, und bald darauf gegen Seine Majestät den Kaiser, Herrn v. Caprivi und mich Artikel, welche höchst tendenziös abgefaßt waren. Wir wandten uns an die politische Polizei, aber ohne Erfolg. Da erhielten wir, wenn ich nicht irre, Anfang 1891 von einem Herrn Fritz Brentano, der sich als Mitredakteur der „Saale-Zeitung“ bezeichnete, einen Brief, worin er anzeigte, daß er dem Auswärtigen Amt den Namen des Verfassers der Skandalartikel mitteilen könne. Wir baten Herrn Brentano, nach Berlin zu kommen; er folgte der Aufforderung. Hier verhandelte im Auftrage des Auswärtigen Amts Hauptmann Ebmeier mit ihm. Brentano sagte, alle diese Skandalartikel rühren von einem Beamten der geheimen Polizei her. Wir gaben der geheimen Polizei den Brief des Herrn Brentano und baten um Ermittelungen. Wenige Tage darauf erhielt das Auswärtige Amt einen Brief von Brentano, in welchem dieser sich bitter darüber beschwerte, daß man ihn verraten habe; man habe ihm seitens der politischen Polizei denselben Brief vorgelegt, den er an das Auswärtige Amt gerichtet habe. Dieser Umstand mußte naturgemäß das Vertrauen zu der geheimen Polizei erschüttern und das Auswärtige Amt brach von nun ab alle Beziehungen zu der politischen Polizei ab. War doch schon die Verwendung des Normann-Schumann höchst sonderbar. Dieser Herr wurde im Auftrage der politischen Polizei nach Leipzig geschickt, um die Bewegung der antisemitischen Partei zu überwachen. Und was tat Herr Normann-Schumann? Er schrieb selbst die Skandalartikel, deren Verfasser zu ermitteln er dann beauftragt wurde. Natürlich haben seine Ermittelungen dann keinen Erfolg gehabt. Ich habe nun in der Person des Herrn v. Lützow eine gewisse Ähnlichkeit mit Herrn Normann-Schumann gefunden. Deshalb hat sich bei mir eine Stimmung herausgebildet, die nicht Animosität ist, die man aber auch nicht Vertrauen zu nennen pflegt. Ich halte die ganze Geschichte mit den Vertrauensmännern für eine verfehlte, denn die Leute erhalten, wenn sie damit betraut werden, Verfasser von Artikeln zu ermitteln, eine Aufgabe, die sie nicht lösen können. Ich muß sagen, daß ich nach meiner Kenntnis von den Vertrauensmännern zu der Überzeugung komme, daß sie Berichte erstatten, die von A bis Z falsch sind. So sind doch namentlich auch die Vertrauensmänner des Herrn v. Tausch, die in den in diesem Prozeß zur Sprache gebrachten Fällen in Tätigkeit getreten sind, von Anfang bis zu Ende unwahr gewesen. Wenn Herr v. Tausch glaubt, Vertrauensmänner haben zu müssen, so ist das seine Sache. Wenn aber die Vertrauensmänner des Herrn v. Tausch sich erdreisten, mich, meine Beamten und das Auswärtige Amt zu verleumden, so flüchte ich mich in die Öffentlichkeit und brandmarke dies Treiben. (Große anhaltende Bewegung.) – Vors.: Herr v. Tausch, ist denn die Behauptung des Angeklagten wahr, daß Sie ihm Ihre Freude über das Erscheinen des Artikels ausgedrückt haben? – Zeuge: Nein. – Vors.: Glauben Sie denn, daß v. Lützow sich so etwas rein aus den Fingern gesogen haben kann? – v. Tausch: Jawohl. (Herr v. Marschall rief dazwischen: Ah, nun auf einmal!) v. Tausch behauptete, daß er nicht seine Befriedigung über den Artikel ausgedrückt, sondern im Gegenteil gesagt habe, wie der Angeklagte solchen Unsinn schreiben könne. Er selbst habe nur den Artikel der „W. a. M.“ dem Botschafter in Wien, Grafen Philipp Eulenburg, zugeschickt, den er in Abbazia kennen gelernt und dem er zu Dank verpflichtet war. – Der Vorsitzende machte Herrn v. Tausch nunmehr darauf aufmerksam, daß er unter dem Eide stehe und dem Zuchthause verfallen sei, wenn er Falsches sage. – Der Vorsitzende ließ darauf Satz für Satz die Erklärung des v. Lützow durchgehen und hielt sie dem Zeugen v. Tausch vor. Dieser gab zum Teil sehr weitschweifige Erklärungen, zum Teil erklärte er die Behauptungen des Lützow für Unwahrheiten, „Lügen“ usw. An den Fragen beteiligten sich auch wiederholt der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Lubszynski und Oberstaatsanwalt Drescher. Letzterer erinnerte daran, daß v. Tausch ja wohl eine Haussuchung bei Herrn v. Lützow abgehalten habe, wobei nur wenig herausgekommen sei; damit stehe doch im Widerspruch, daß bei dem heutigen Besuch in der Lützowschen Wohnung noch eine ganze Reihe Schriftstücke vorgefunden worden sei. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Lubszynski, ließ sich bestätigen, daß die erste Haussuchung von zwei durch Herrn v. Tausch entsandte Kriminalbeamte vorgenommen worden sei. v. Tausch suchte über alle in dem Lützowschen Geständnisse enthaltenen Punkte Auskunft zu geben, wurde aber wiederholt vom Vorsitzenden darauf verwiesen, daß seine Ausführungen nicht die Sache träfen. – Freiherr v. Marschall: Er erinnere sich, daß er bei seiner Unterredung mit dem Minister v. Bronsart von diesem erfahren habe, daß der Verdacht, die Nachricht der „Münch. N. N.“ stamme aus dem Ministerium des Innern, zuerst von Herrn v. Tausch erhoben worden sei; er erinnere sich aber weiter, daß Herr v. Bronsart bei dieser Gelegenheit auch von einem anonymen Brief gesprochen habe. – Legationsrat Dr. Hammann bestätigte das. Als der Kriegsminister die Hilfe des Auswärtigen Amtes in Anspruch nahm, um den Verfasser des Artikels zu ermitteln, habe der Kriegsminister oder Assessor Sachs, Leiter des offiziösen, zum Ministerium des Innern ressortierenden Königlichen Literarischen Bureaus, davon gesprochen, daß er einen anonymen Brief erhalten habe, durch welchen in ihm der Verdacht gegen das Ministerium des Innern noch verstärkt worden sei. – Vors.: Auffallend ist es hiernach, daß die Angaben, die v. Lützow macht, lebhaft bestritten werden und sich nun doch wenigstens zum Teil als richtig erweisen. – v. Lützow: Herr v. Tausch hatte mich ja veranlaßt, den anonymen Brief zu schreiben. – Zeuge v. Tausch: Ja, der Herr Kriegsminister wollte Herrn Kukutsch decken. Es war eine ganz harmlose Schiebung, über die der Oberstleutnant Gäde Auskunft geben kann. – Vors.: Das ist mir nicht recht verständlich. – Vert.: Wie konnte Kukutsch dadurch gedeckt werden? Der Verdacht mußte doch nur noch mehr verstärkt werden. – Vors.: Es ließe sich vielleicht denken, daß so getan werden sollte, als wolle man durch einen anonymen Brief auf Kukutsch hinweisen. – Zeuge v. Tausch: Jawohl, so war es. – Vors.: Es ist dies immerhin ein eigentümliches Verfahren. – Zeuge v. Tausch: Es handelte sich auch um recht eigentümliche Verhältnisse. Es ist nicht wahr, daß ich Angst gehabt habe, ebenso unwahr ist die Darstellung des Angeklagten v. Lützow, bezüglich des Zustandekommens der Quittung. – Vors.: Ich bitte mir aus, keinen so hohen Ton anzuschlagen. Sie haben nur auf meine Fragen zu antworten, soweit Sie nicht als Anstifter einer Fälschung zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind. Ich bitte mir aus, hier im angemessenen Tone zu reden! – Angekl. v. Lützow: Er habe den Auftrag erhalten, bei Kukutsch diskret nach den näheren Umständen Erkundigungen einzuziehen, was er davon wisse, daß ein solcher Artikel ergangen sei. Herr v. Tausch habe gesagt, er habe im Kriegsministerium erfahren, daß der Minister des Innern von der Sache wissen müsse. Er habe später erklärt, daß auch das Literarische Bureau davon wisse. Er, (Angeklagter), habe sich deshalb Herrn Kukutsch nähern müssen. – Vors.: Herr v. Tausch, ist es öfter vorgekommen, daß v. Lützow Quittungen mit anderen Namen unterschrieb? – Zeuge: Nein. – Vors.: Die Quittungen müssen doch noch dort sein. Herr v. Lützow soll auch Quittungen mit dem Namen Maschke unterschrieben haben. – Zeuge: Ach ja, wenn er selbst Geld erhielt, schrieb er Maschke, bekam aber ein anderer das Geld durch ihn, dann schrieb er dessen Namen. – Vert. R.-A. Dr. Lubczynski: Mein Klient bittet mich ausdrücklich, Herrn Kukutsch um Verzeihung zu bitten, daß er sich gestern unter dem Banne des Herrn v. Tausch habe hinreißen lassen, ihn dadurch zu beleidigen, daß er ihn eines Meineides für fähig hielt. – Vors. (zum Zeugen Kukutsch): Ich freue mich, daß Ihnen der Angeklagte loyaler Weise diese Genugtuung gibt. – Kriminalkommissar v. Tausch legte noch an ihn gerichtete Briefe des Angekl. v. Lützow vor, worin letzterer allerlei von Kukutsch erzählt. v. Lützow gab zu, diese Briefe geschrieben zu haben, behauptete aber, daß sie bestellte Arbeit seien; Herr v. Tausch habe die Briefe haben wollen, um die einmal gesponnenen Fäden weiter zu führen und um Belege in der Hand zu haben. – v. Tausch bezeichnete diese Behauptungen als unwahr. – Auf eine Zwischenbemerkung des Oberstaatsanwalt, daß man den jetzigen Geständnissen des v. Lützow auch nicht ohne weiteres rückhaltlos glauben dürfe, da sie doch wohl nur unter dem Eindruck der drohenden Anklage wegen Urkundenfälschung abgegeben seien, bemerkte Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Er könnte zeugeneidlich versichern, daß der Angeklagte v. Lützow schon bei der ersten Unterredung mit ihm gesagt habe: er wolle Herrn v. Tausch so lange halten, wie es irgend gehe, wenn es aber nicht mehr gehe, gebe er ihn preis. – Auch bezüglich der weiteren belastenden Behauptungen des v. Lützow wurde v. Tausch in ein scharfes Kreuzverhör genommen, wobei er immer wieder Behauptungen als „Lügen“ bezeichnete. Dazu gehöre auch die Behauptung, daß ein Brief, den v. Lützow an ihn in Sachen des Artikels der „Welt am Montag“ geschrieben, „bestellte Arbeit“ gewesen sei. – Die weiteren Angaben v. Lützows über den in der „Köln. Ztg.“ enthaltenen Artikel seien von A bis Z unwahr. Da Lützow behauptet, v. Tausch habe ihm die Information erteilt, daß der Artikel von Herrn Hönig herrühre, der von dem Prinzen Alexander Hohenlohe empfangen werde, wurde Prinz zu Hohenlohe vernommen. Er erklärte, daß er Herrn Hönig nicht empfangen habe. – Rechtsanwalt Dr. Lubczynski erklärte sich wiederum zum Eide darüber bereit, daß ihm schon vor drei Tagen v. Lützow gesagt habe: die Seele der ganzen Intrigen gegen Herrn v. Marschall sei Kommissar v. Tausch, der alle Fäden dirigiere. Herr v. Tausch habe sehr wohl gewußt, daß der Verfasser des Artikels Herr Hauptmann Hönig sei, es aber so dargestellt habe, als ob Herr v. Huhn der Autor sei. – Kriminalkommissar v. Tausch erklärte alles für unwahr. – Staatssekretär v. Marschall: Es ist allerdings wunderbar, daß bis dahin Herr v. Huhn als der Verfasser bezeichnet war, daß ich erst durch mein Schreiben an die „Köln. Ztg.“ den wirklichen Verfasser kennen gelernt habe, während v. Lützow, wie er jetzt angibt, schon am 29. v. Mts. angegeben hat, Hönig sei der Verfasser. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski beantragte, den Oberstleutnant Gäde und Hauptmann Hönig als Zeugen zu vernehmen. – Oberstaatsanwalt Drescher: Es sei heute eine so große Menge neuer Gesichtspunkte in die Beweisaufnahme hineingezogen worden, daß die Prozeßbeteiligten kaum in der Lage sein werden, alle Rätsel zu lösen. Man müsse doch auch Herrn v. Tausch Gelegenheit geben, sich auf alle die Anschuldigungen, die gegen ihn erhoben werden, zu verteidigen. Es sei zu befürchten, daß man mit diesem Prozesse nicht zu Ende kommen werde, wenn man die neu zu erwartenden Strafprozesse gewissermaßen schon in diesem Verfahren zum Gegenstande der Beweisaufnahme mache. Darüber verliere man die Pointe dieses Prozesses. Er bedauere, daß er gegen den Angeklagten v. Lützow eine neue Anklage werde erheben müssen. Es könne sich auch fragen, ob Herr v. Tausch nicht wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung und zur Anstiftung der Beleidigung im Falle des zweiten Eulenburg-Artikels zur Verantwortung zu ziehen sei. Deshalb sei es doch im Interesse der Gerechtigkeit geboten, Herrn v. Tausch Zeit zu seiner Verteidigung zu lassen. Allerdings sei es geboten, durch den gegenwärtigen Prozeß so viel Aufklärung wie möglich zu schaffen, aber man dürfe doch nicht so weit über den vorgesteckten Rahmen hinausgehen. – Verteidiger R.-A. Dr. Lubczynski erwiderte, daß er mit dem Geständnisse seines Klienten zu Ende sei und weitere Beweisanträge nicht stellen werde. – Auf eine Frage des Vorsitzenden an den Zeugen v. Tausch erwiderte dieser, daß der Polizeipräsident ihm untersagt habe, den Namen des Gewährsmannes betr. die Angelegenheit v. Huhn zu nennen. – Darauf wurde nochmals Oberstleutnant Gäde vernommen: Der Verdacht, daß die Informationen aus dem Literarischen Bureau gekommen seien, war schon aufgetaucht, habe aber bei ihm keinen Glauben gefunden. Herr v. Tausch sei in dieser Angelegenheit bei ihm gewesen, und habe den Verdacht gegen einige Herren des Literarischen Bureaus aufrecht erhalten. Um den Verdacht gegen die betreffenden Herren weniger verletzend zu machen, sei der Plan gefaßt worden, einen anonymen Brief an den Kriegsminister herzustellen und darin die Namen der Herren zu erwähnen. Wer die Idee zu diesem Vorgehen gegeben, könne er nicht sagen. Die ganze Sache sollte gewissermaßen eine Maske, ein Kniff sein, um daraufhin bequemer Recherchen anknüpfen zu können. Am folgenden Morgen sei der Brief bereits im Besitze des Kriegsministers gewesen. Ihm, Zeugen, sei dann später die angeblich von Kukutsch unterschriebene Quittung über 50 Mark gezeigt worden, er habe aber an der Echtheit der Unterschrift gezweifelt. Daß Herr v. Tausch bei dieser Fälschung seine Hand im Spiele gehabt, traue er ihm nicht zu. Den Brief wollte Herr v. Tausch durch eine andere Person schreiben lassen. – Redakteur Dr. Holländer bestätigte zeugeneidlich die Behauptung des Angeklagten Dr. Plötz, daß v. Lützow zur Aufnahme des Eulenburg-Artikels und des zweiten Artikels gedrängt und dann mit den Worten gedroht habe: „Sie dürfen mich nicht im Stiche lassen, sonst werde ich einen Hexentanz heraufbeschwören, daß Ihnen angst und bange wird; Sie ahnen nicht, welche Mittel mir zu Gebote stehen.“ – Der Zeuge wurde vom Vorsitzenden wiederholt darüber befragt, ob er es mit journalistischem Anstande für vereinbar halte, daß eine Zeitung aus geschäftlichen oder sonstigen Gründen solche, schwere Beleidigungen enthaltende Sensationsnachrichten veröffentlicht. Dr. Holländer wies darauf hin, daß Herr v. Lützow den Inhalt des Artikels wiederholt als richtig versichert und später gesagt habe: Herr v. Marschall habe sich vor Freude über den ersten Artikel den Bauch vor Lachen gehalten. – Der Vorsitzende erklärte dem Zeugen, daß seine Ansicht über journalistischen Anstand doch sehr wunderbar sei. Er halte es für eine Preßmißwirtschaft, daß ein Zeitungsorgan sich mit aller Freude solcher ganz ins Blaue hinein geschriebenen Sensationsnachrichten bemächtige und gar keine Anstalten treffe, die Wahrheit zu kontrollieren, bloß um der erste mit der Nachricht zu sein. – Der Zeuge erwiderte: Wenn der Artikel sich nicht bewahrheitete, so konnte er jedenfalls dazu beitragen, einen politischen Intriganten zu enthüllen. – Dr. Langen, der Verleger der „Welt am Montag“, bestätigte im allgemeinen die Angaben des Angeklagten Dr. Plötz. Letzterer suchte den Zeugen Holländer von dem Verdacht zu entlasten, als ob er bei der Aufnahme des Artikels irgendwie mitgewirkt habe. Weder bei diesem, noch bei ihm selbst sei irgend ein geschäftliches Interesse im Spiele gewesen. – Der Verhandlung wohnte der Direktor des Hofmarschallamts Geh. Regierungsrat Rath bei. – Am letzten Verhandlungstage bemerkte Oberstaatsanwalt Drescher: Oberstleutnant Gäde habe den Wunsch, eine Erklärung abzugeben. – Oberstleutnant Gäde: Aus Loyalität gegen die Herren des Literarischen Bureaus habe ich folgendes zu erklären: 1. der Verdacht gegen das Literarische Bureau hat sich darauf beschränkt, daß einer der betreffenden Herren wissen könne, von wem die Notiz in den „Münchener Neuesten Nachrichten“ herrühre, aber jeder Verdacht der eigenen Täterschaft und Beihilfe erschien von vornherein ausgeschlossen; 2. die Quittung mit der Unterschrift Kukutsch ist im Kriegsministerium von vornherein nicht für echt gehalten worden, so daß der Verdacht, amtliche Schriftstücke preiszugeben, auf Herrn Kukutsch bei seiner Vernehmung nicht mehr bestand. – Oberstaatsanwalt Drescher: Ich habe aus Wien die telegraphische Mitteilung erhalten, daß der Botschafter Graf Philipp Eulenburg den dringenden Wunsch habe, hier vor Gericht Auskunft zu erteilen über einige in der Verhandlung zur Sprache gekommenen Tatsachen. Ich habe diesem berechtigten Wunsche Folge gegeben und den Herrn Botschafter ersucht, sich hier einzufinden. Außerdem habe ich den Chefredakteur des „Berliner Tageblatts“, Herrn Dr. Arthur Levysohn als Zeugen geladen, und zwar bezüglich einer Stelle in einem Artikel vom Oktober d. Js., laut welcher der Angeklagte Leckert im Auswärtigen Amt empfangen sein soll. Ich möchte Auskunft darüber haben, wie das „Berliner Tageblatt“ zu dieser Notiz gekommen ist, ganz besonders ob sie nicht auf den Kriminalkommissar v. Tausch zurückzuführen ist. – Oberstaatsanwalt: Ich habe in der „Staatsbürger Zeitung“ gelesen, daß Staatssekretär v. Marschall hier eine Rede gegen die „Staatsbürger Zeitung“ gehalten habe, die tatsächliche Irrtümer enthalte. Danach gewinnt es den Anschein, daß noch der Versuch unternommen werden wird, nachzuweisen, die Hetz- und Skandalartikel seien auf das Auswärtige Amt zurückzuführen. Bisher hat die Verhandlung hierfür nichts ergeben. Es ist auch nicht einmal der schwache Versuch gemacht worden, dies zu beweisen. Ich frage den Angeklagten Berger, ob er sich mit den neuesten Ergüssen der „Staatsbürger Zeitung“ identifiziert. Wenn ja, dann bitte ich, mit den Beweisen endlich einmal herauszurücken. – Vert. R.-A. Glatzel: In der Darstellung des Staatssekretärs v. Marschall sind einige Irrtümer enthalten bezüglich der Zeit, in welcher Minister v. Köller von den Nachforschungen nach dem Urheber des Artikels in den „Münchener Neuesten Nachrichten“ Kenntnis erhalten hat. – Staatssekretär v. Marschall: Der Herr Kriegsminister v. Bronsart hatte meine Hilfe zur Ermittelung des Urhebers des Artikels erbeten und den Verdacht auf Herrn Minister v. Köller geworfen. Nachdem sich herausgestellt hatte, daß dieser Verdacht vollständig unbegründet war, hat Herr v. Köller hiervon erfahren und damit die Angelegenheit für erledigt erachtet. Ich habe nie den Verdacht gegen Herrn v. Köller gehabt. – Vert. R.-A. Glatzel: Ich muß dabei bleiben, daß Herr v. Köller Aufklärung über den Namen des Verfassers des Artikels seinerzeit verlangt, aber nicht erhalten hat. Ich beantrage deshalb, die Minister v. Köller und v. Bronsart als Zeugen zu laden. – Oberstaatsanwalt: Ich ersuche, den Antrag abzulehnen. Es kommt doch lediglich darauf an, ob der Angeklagte Berger sich der Beleidigung gegen Beamte des Auswärtigen Amtes im Sinne des § 186 des Str.-G.-B. schuldig gemacht hat. – Vert. Rechtsanwalt Glatzel: Wenn ich aber beweisen will, daß gerade für eine monarchisch gesinnte, loyale Zeitung alle Veranlassung vorlag, immer wieder darauf hinzuweisen, daß der Verdacht, es bestehe eine offiziöse Preßwirtschaft, nicht beseitigt sei, so ist doch die Vernehmung der von mir vorgeschlagenen Zeugen erforderlich. – Der Gerichtshof behielt sich die Beschlußfassung über den Antrag des Verteidigers vor. – Unter allgemeiner Spannung wurde darauf der Botschafter des Deutschen Reiches am Kaiserlichen Hofe zu Wien, Graf Philipp zu Eulenburg als Zeuge in den Saal gerufen. – Auf Antrag des Oberstaatsanwalts forderte der Vorsitzende den Kriminalkommissar v. Tausch auf, während der Vernehmung des Botschafters den Saal zu verlassen. Graf Philipp Eulenburg bekundete: Ich kenne den Kriminalkommissar v. Tausch von Abbazia her; er befand sich dort in dienstlicher Funktion. Ich war in: Abbazia als Vertreter des Auswärtigen Amts. Ich bin daselbst Herrn v. Tausch oftmals begegnet; er war von sehr freundlichem Wesen, ich habe ihm dies freundliche Wesen erwidert. Das war im Frühjahr 1894. Seitdem habe ich ihn nur selten gesehen. Ich glaube, ich sah Herrn v. Tausch erst wieder bei der Anwesenheit des Kaisers von Österreich in Stettin und noch einmal bei einer anderen ähnlichen Gelegenheit. Kriminalkommissar v. Tausch spielte in meinem Leben eine so wenig hervorragende Rolle, daß ich mich nicht erinnern kann, wo ich ihn zum letzten Male gesehen habe. Das letzte Lebenszeichen von ihm war ein Brief, den ich im Oktober d. Js. nach Liebenberg erhielt. Dieser Brief enthielt einen Zeitungsartikel, der sich mit der Fälschung des Zarentoastes beschäftigte. Herr v. Tausch fragte mich in dem Briefe, ob er mich sprechen könnte, er habe mir in bezug auf diesen Artikel interessante Mitteilungen zu machen. Da ich Herrn v. Tausch als fleißigen und tüchtigen Beamten kannte, habe ich ihm in freundschaftlicher Weise geantwortet, daß er mich vielleicht in Berlin würde sprechen können. Schon damals hatte ich übrigens nicht die Absicht, Herrn v. Tausch zu empfangen, weil das, was ein Kriminalkommissar für interessant hält, mich nur interessiert, wenn es meine eigene Person betrifft. Ich pflege mich nicht um Dinge zu bekümmern, die mich nichts angehen. Der Brief des Herrn v. Tausch wird wahrscheinlich in den Papierkorb gewandert sein. Ich habe mit Herrn v. Tausch absolut keine anderen Beziehungen gehabt, als ganz äußerliche. Eine andere Korrespondenz als diesen Brief hat es zwischen uns nicht gegeben. Ich erkläre hier, wo jedes Wort unter meinem Eide geht: es ist eine Verleumdung und böswillige Erfindung, wenn behauptet wird, ich habe Beziehungen zu Herrn v. Tausch unterhalten, und zwar solche, die mit dem Artikel der „Welt am Montag“ im Zusammenhang stehen. Derartigen Machenschaften intriganter Natur und derartigen Verleumdungen, wie sie in diesen Artikeln zutage treten, stehe ich gänzlich fern. Über die Angelegenheiten dieses Prozesses habe ich mit Exzellenz v. Marschall gesprochen und zwar in der zwischen uns üblichen vertraulichen Weise. Etwas Weiteres habe ich nicht auszusagen. – Vors.: Herr v. Tausch hat die Übersendung des Artikels damit begründet: er habe sich Ihnen gegenüber zu Dank verpflichtet gefühlt? Graf zu Eulenburg: Ich kann die Gefälligkeit, die ich Herrn v. Tausch erwiesen, sofort mitteilen. Ich wurde gebeten, mich für eine Dekoration für Herrn v. Tausch zu interessieren. Diese ist ihm verliehen worden, dafür hat er mir gedankt. – Vert. R.-A. Schmielinski: Ist in dem Brief an Sie irgendwie erwähnt gewesen, daß der gleichzeitig übersandte Artikel aus der „Welt am Montag“ aus dem Auswärtigen Amt stamme? – Graf Eulenburg: Nein, auch nicht andeutungsweise. – Vert. R.-A. Dr. Lubczynski: Der Angeklagte v. Lützow behauptet: v. Tausch habe ihm gesagt, Graf Philipp Eulenburg habe ihn aufgefordert, ihm mitzuteilen, wenn er etwas Interessantes habe? – Graf Eulenburg: Ich glaube nicht; es müßte denn sehr weit zurückliegen. – Hierauf wurde Kriminalkommissar v. Tausch wieder in den Saal gerufen. – Oberstaatsanwalt: Herr Kriminalkommissar v. Tausch: Sie hatten behauptet, daß Sie dem Artikel in der „Welt am Montag“ gar keine Bedeutung beigelegt und ihn für lächerlich und dumm gehalten haben. Warum haben Sie sich trotzdem mit dem Artikel an den Botschafter Grafen zu Eulenburg gewendet? – v. Tausch: Der Botschafter hatte mir gelegentlich gesagt: ich solle ihm mitteilen, wenn ich einmal etwas Interessantes habe. Als nun der Artikel in der „Welt am Montag“ erschien, hielt ich ihn doch für interessant genug, um ihn dem Grafen zu Eulenburg zu schicken. Ich war von vornherein überzeugt, Exzellenz Graf zu Eulenburg werde nicht annehmen, daß ich gegen Herrn v. Marschall hetze. – Vors.: Davon reden wir nicht. Ich frage: Wenn Sie als Beamter dem Herrn Botschafter einen solchen Artikel zusenden, so spricht sich darin schon gewissermaßen die Behauptung aus, daß der Artikel doch „nicht ganz ohne“ ist. – v. Tausch: Ich habe schon vor Wochen dem Herrn Präsidenten v. Windheim, Herrn Geheimrat Friedheim und Herrn Geheimrat Muhl bezüglich meines Briefes an den Herrn Botschafter Mitteilung gemacht und dabei bedauert, daß Graf Eulenburg nicht hier sei; er hätte den Vermittler zur Ausgleichung der Differenzen zwischen Herrn v. Marschall und uns abgeben können, damit die Verdächtigungen gegen die politische Polizei endlich einmal aufhören. – Staatssekretär v. Marschall: Ich frage den Herrn Kommissar, zu welcher Zeit und in welcher Form ich solche Verdächtigungen gegen ihn ausgesprochen haben soll? – v. Tausch: Exzellenz haben ja selbst gesagt, daß Sie zu uns kein Vertrauen hatten. – Vors.: Die drei Fälle der Tätigkeit Ihrer Vertrauensmänner, die hier zur Sprache gekommen sind, konnten allerdings nicht dazu beitragen, das Vertrauen zu stärken. – Staatssekretär v. Marschall: Wenn ich hier öffentlich ausgesprochen habe, daß ich zu dem Teil der politischen Polizei, dem Herr v. Tausch vorsteht, kein Vertrauen hatte, so kann doch darin für Herrn v. Tausch keine Veranlassung gelegen haben, Herrn Grafen Eulenburg im Oktober den erwähnten Brief zu schreiben. Wo habe ich Verdächtigungen gegen Herrn v. Tausch ausgesprochen? – v. Tausch: Zu dem Herrn Präsidenten v. Windheim. – Staatssekretär v. Marschall: Herr Präsident v. Windheim hatte allerdings bei seinem Antrittsbesuch gefragt, warum wir nie die politische Polizei in Anspruch nehmen. Da habe ich ihm geantwortet: Seit der Affäre Normann-Schumann haben wir kein Vertrauen mehr zur politischen Polizei. – Vors.: Herr v. Tausch, wo haben Sie denn die Legitimation her, die Interessen der politischen Polizei in solcher Art nach außen hin wahrzunehmen? Konnten Sie das nicht Ihren Vorgesetzten überlassen? – v. Tausch: Die Angelegenheiten der Presse waren mir unterstellt. – Oberstaatsanwalt: Also was Sie selbst für lächerlich und dumm hielten, erschien Ihnen doch interessant genug für den deutschen Botschafter? v. Tausch: Ich hatte die Absicht, dem Botschafter die nackten Tatsachen zu unterbreiten. Ich bin noch heute der Ansicht, daß Leckert Hintermänner hat. Ich wollte auch gern den Herrn Grafen zu Eulenburg sprechen, um die Differenzen mit Herrn v. Marschall auszugleichen. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie Ihrem direkten Vorgesetzten Herrn Polizeipräsidenten v. Windheim Bericht erstattet, daß Sie die Absicht hatten, den ersten Artikel der „Welt am Montag“ an den Grafen Eulenburg zu schicken? – v. Tausch: Ich glaube, daß der Polizeipräsident davon wußte. – Oberstaatsanwalt: Ich bitte mir eine bestimmte Antwort aus. – v. Tausch: Bericht habe ich dem Herrn Polizeipräsidenten über die Übersendung des Artikels an den Grafen Eulenburg nicht erstattet. – Oberstaatsanwalt: Weshalb nicht? – v. Tausch: Ich hielt das nicht für eine dienstliche Angelegenheit. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie Ihren Vorgesetzten von der Kukutschen Quittungsangelegenheit Mitteilung gemacht? – v. Tausch: Nein. – Oberstaatsanwalt: Und warum nicht? – v. Tausch: Ich hielt es für nebensächlich. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie auch den zweiten Artikel der „Welt am Montag“ an den Grafen Eulenburg gesandt? – v. Tausch: Nein, diesen Artikel hielt ich nicht für wesentlich. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie Herrn Chefredakteur Dr. Levysohn vom „Berliner Tageblatt“ erklärt, daß Leckert im Auswärtigen Amt empfangen werde? – v. Tausch: Nein. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie gar nicht darüber gesprochen? – v. Tausch: Ja, ich habe über Leckert gesprochen, aber ich habe etwas derartiges nie von ihm erzählt. – Oberstaatsanwalt: Ist es Ihnen nunmehr gestattet worden, den Namen Ihres Gewährsmanns zu nennen, den Ihnen Herr v. Huhn als Verfasser des Artikels in der „Kölnischen Zeitung“ bezeichnete? – Zeuge: Ja, es ist der Journalist Stärk vom „Berliner Tageblatt“ gewesen. – Oberstaatsanwalt: Herr Stärk war gestern abend bei mir; er ist als Zeuge geladen und wird vernommen werden. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Ich muß meine Verwunderung aussprechen, daß Kriminalkommissar v. Tausch seiner Mappe immer neue Briefe entnimmt, die er schon am ersten Tage seiner Vernehmung hätte produzieren müssen, da er doch geschworen hat, nichts zu verschweigen. Doch dies nur nebenbei: daß v. Tausch ein besonderes Interesse an der Veröffentlichung des ersten Artikels hatte, halte ich für erwiesen. Herr v. Tausch wird es mir nicht übel nehmen, wenn ich der Überzeugung Ausdruck gebe, er hat den ersten Artikel schon vor seinem Erscheinen in der „Welt am Montag“ gekannt. – v. Tausch: Ich habe weder diesen, noch sonst einen politischen Artikel inspiriert. – Vert.: Halten Sie es nicht für einen politischen Artikel, wenn Sie Nachrichten über den Gesundheitszustand des Kaisers in die Presse lancieren? – v. Tausch: Das habe ich nie getan. – Vert.: Haben Sie auch niemals einen verletzenden Artikel über einen Ihrer Vorgesetzten, den Polizeirat Graf v. Stillfried in die Presse gebracht? – v. Tausch: Niemals. – Vors.: Bei dem großen und berechtigten Interesse, welches dieser Prozeß erregt, ist gewiß eine möglichst weitgehende Aufklärung geboten; ich möchte aber doch den Herrn Verteidiger bitten, seine Anträge auf Beweiserhebung zu den von ihm angeregten Punkten – vorläufig nicht zu stellen. – Der nächste Zeuge war der Chefredakteur des „Berliner Tageblatts“, Dr. Arthur Levysohn. – Vorsitzender: Herr Doktor! Im „Berliner Tageblatt“ ist eine Notiz erschienen des Inhalts: Leckert werde im Auswärtigen Amt empfangen. Von wem haben Sie diese Notiz? – Zeuge: Von dem Kriminalkommissar v. Tausch. – Vors.: Unter welchen Umständen geschah das? – Zeuge: Eines Abends erschien Herr v. Tausch bei mir und bat mich um die zweite Hälfte des von uns gebrachten Föllmerschen Artikels. Er sagte: er habe nur die erste Hälfte, die zweite sei ihm abhanden gekommen. Diese Unterredung fand am 21. Oktober d. Js. statt. Ich wollte jedoch der politischen Polizei keine Dienste leisten; es wurde mir auch sehr bald klar, daß der ganze Besuch des v. Tausch nur ein Vorwand war, wie diese Herren gewöhnlich irgendeinen Vorwand vorschützen. Im Laufe der Unterredung fragte ich Herrn v. Tausch: Wer sind denn eigentlich diese Leckert und Lützow? – Oberstaatsanwalt: Ich beantrage, daß während der weiteren Vernehmung des Herrn Zeugen, Kriminalkommissar v. Tausch den Saal verläßt. – Der Gerichtshof gab dem Antrage statt. Kriminalkommissar v. Tausch wurde vom Vorsitzenden aufgefordert, den Saal zu verlassen. – Darauf fuhr der Zeuge Dr. Levysohn fort: Kriminalkommissar v. Tausch sagte hierauf: Leckert ist ein Mann, der in feuilletonistischer Weise und als Theaterreferent für verschiedene Zeitungen, so u. a. für die „Tägliche Rundschau“ tätig ist. Ich fragte weiter: Wie kommt Leckert dazu, sich auch mit Politik zu befassen, und wie kommt v. Lützow zu der Verbindung mit Leckert? v. Tausch antwortete: Leckert hat Beziehungen zum Auswärtigen Amt, v. Lützow ist hierbei nur ein Strohmann und der Düpierte gewesen. Alles dies wurde von mir notiert und veröffentlicht. Der betreffende Artikel wird getreuer als ich die Ereignisse wiedergeben. Ich ahnte damals auch noch nicht die Bedeutung der Sache. – Vors.: Kriminalkommissar v. Tausch hat soeben unter seinem Eide bekundet, daß er nie zu dem Chefredakteur Dr. Levysohn gesagt habe: Leckert wird im Auswärtigen Amt empfangen. – Dr. Levysohn: Ich halte meine Aussage vollkommen aufrecht. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski: Ist Ihnen vielleicht die Veröffentlichung der Unterredung von v. Tausch verboten worden. v. Tausch behauptet: Er habe Ihnen gesagt: Das bleibt unter uns und darf nicht veröffentlicht werden. – Dr. Levysohn: Das ist möglich; ich bezog das aber in der Hauptsache auf die Mitteilungen, die er mir über verschiedene hochgestellte Persönlichkeiten gemacht hatte. – Vors.: Hat dabei v. Tausch auch den Namen des Herrn Staatssekretärs v. Marschall erwähnt? – Zeuge: Das ist mir nicht mehr erinnerlich. – Vors.: Vielleicht hat v. Tausch Sie gebeten, nicht über die Sache, aber über die Quelle zu schweigen? – Zeuge: Ich erinnere mich jetzt, daß Herr v. Tausch sagte: Das bleibt aber unter uns. Ich habe das auf die ungeschminkten Ausdrücke bezogen, die v. Tausch über die Regierung machte. Auf die Mitteilungen bezüglich Leckert, der ich überhaupt damals geringe Bedeutung beilegte, bezog sich das nicht. v. Tausch sprach oft zu mir über die Regierung in den ungeschminktesten Ausdrücken, so daß ich ihm mißtraute und es für eine Provokation hielt. Ich wußte, daß ich einen Beamten vor mir hatte, ich habe deshalb die Mitteilungen niemals für das „Berliner Tageblatt“ benutzt. – Vert. R.-A. Gennerich: Hatten Sie die Empfindung, als ob Kriminalkommissar v. Tausch die Beziehungen Leckerts zum Auswärtigen Amt als eigenes Erlebnis hinstellte oder hatten Sie den Eindruck, als ob er dies von v. Lützow erzählt erhalten hat? – Zeuge: Ich hatte die Empfindung als ob v. Tausch dies alles aus eigener Wissenschaft erzählte. – Darauf wurde der betreffende Artikel aus dem „Berliner Tageblatt“ verlesen. – Staatssekretär Freiherr v. Marschall: Unmittelbar nach dem Erscheinen des in Frage stehenden Artikels fragte ich Herrn Dr. Levysohn nach dem Entstehen des Artikels. Herr Dr. Levysohn erzählte mir genau dasselbe, was er hier soeben ausgeführt hat, er stellte nur die Sache so dar, als ob er seine Mitteilungen von einem Anonymus habe. Den Namen v. Tausch nannte er nicht; er sagte: er könne den Namen seines Gewährsmannes nicht nennen. Hierauf sagte ich zu ihm: Ich kann Ihnen aber den Namen nennen, es ist Kriminalkommissar v. Tausch. Herr Dr. Levysohn antwortete darauf nicht, ich hatte aber die Empfindung, als wenn das, was ich gesagt hatte, nicht falsch sei. – Oberstaatsanwalt: Angesichts dieser Aussagen ist der Augenblick gekommen, den ich fürchtete, der Augenblick, in dem ich gezwungen bin, den folgenschweren Antrag zu stellen, den Zeugen, Kriminalkommissar v. Tausch wegen dringenden Verdachts des wissentlichen Meineides zu verhaften. (Große anhaltende Bewegung.) – Vorsitzender: Der Gerichtshof wird über diesen Antrag beraten. – Nach kurzer Zeit trat der Gerichtshof wieder in den Saal. Der Vorsitzende befahl, den Zeugen v. Tausch wieder in den Saal zu rufen. – Vors.: Herr Kriminalkommissar, wollen Sie bei Ihrer Aussage bleiben? – Zeuge: Ich habe nie zu Dr. Levysohn gesagt, daß Leckert im Auswärtigen Amt empfangen worden sei. – Vors.: Haben Sie den Artikel im „Berliner Tageblatt“ gelesen? – Zeuge: Jawohl, ich sagte aber sofort zu Herrn Geheimrat Friedheim: Da sehen Sie doch, da ist ja alles veröffentlicht, und gerade das, was ich gar nicht gesagt habe, ist gesperrt gedruckt. – Vors.: Ihre Vernehmung ist hier zu Ende und wenn Sie noch etwas zu sagen haben, so ist es jetzt die höchste Zeit dazu. Sie bleiben also bei Ihrer Behauptung, Sie haben nie zu Dr. Levysohn gesagt, daß Leckert im Auswärtigen Amt empfangen werde? – v. Tausch: Jawohl. – Vorsitzender: Der Gerichtshof hat beschlossen: den Zeugen Kriminalkommissar v. Tausch wegen dringenden Verdachts des wissentlichen Meineides zu verhaften. (Große anhaltende Bewegung.) Es steht Ihnen zu, gegen diesen Beschluß Beschwerde beim Königlichen Kammergericht zu führen. – v. Tausch hob noch einmal die Hand in die Höhe und rief: Ich schwöre, was ich gesagt habe, ist wahr. – Vors.: Kriminalkommissar v. Tausch ist in das Untersuchungsgefängnis abzuführen. – v. Tausch ersuchte den am Stenographentisch sitzenden Polizeisekretär Lührs, seine Frau zu benachrichtigen und ihr einige Mitteilungen zu machen, er wurde alsdann von zwei Gerichtsdienern abgeführt. – Darauf wurde nochmals Hauptmann Hönig über den in der „Kölnischen Zeitung“ enthaltenen Artikel mit der Überschrift: „Flügeladjutanten-Politik“ vernommen. – Vors.: Herr Zeuge, können Sie uns sagen, wer der Verfasser des am 28. April in der Kölnischen Zeitung erschienenen Artikels ist? – Zeuge: Ich bin der Verfasser dieses Artikels. Ich habe auch niemals ein Hehl daraus gemacht, daß ich der Verfasser des Artikels bin. Ich habe es jedem zugegeben, der mich danach gefragt hat. Bereits am 17. April wurde ich von dem Abgeordneten Eugen Richter in der Freisinnigen Zeitung als Verfasser genannt. Eine große Anzahl anderer Blätter hatte diese Notiz übernommen, es ist mir deshalb vollständig unverständlich, daß Kriminalkommissar v. Tausch nicht auch den Verfasser gekannt haben sollte. – Oberstaatsanwalt: Herr Zeuge: Stehen Sie zum Auswärtigen Amt oder zu einem Beamten des Auswärtigen Amts in Beziehungen? – Zeuge: Nein, ich bestreite unter meinem Eide, daß ich auch nur in der allerentferntesten Weise irgendwelche Beziehungen zum Auswärtigen Amt jemals gehabt habe. – Oberstaatsanwalt: Bezieht sich Ihre Erklärung auch auf den von Ihnen verfaßten Artikel im Hamburgischen Korrespondent? – Zeuge: Ja gewiß. – Oberstaatsanwalt: Haben Sie Beziehungen zum Kriegsministerium oder zum Kriegsminister General v. Bronsart unterhalten? – Zeuge: Nein, ich nehme dies auch auf meinen Eid. Ich erkläre: Ich habe während des letzten Jahres nicht die Ehre gehabt, mit dem Herrn General zu sprechen. – Es folgte die Vernehmung des Fräulein Adeline Wenz, das auf ein Telegramm des Verteidigers R. A. Dr. Lubczynski von Breslau nach hier geeilt war, weil sie nach der früheren Angabe des Angeklagten v. Lützow in jenem Café zugegen gewesen sei, wo der Zeuge Kukutsch die Quittung geschrieben haben sollte. Die Zeugin bekundete, daß die Quittung nicht in einem Café, sondern in der Wohnung des Angeklagten v. Lützow zustande gekommen sei. v. Lützow habe gesagt, daß er ihr eine Quittung diktieren möchte, habe sich dann aber eines anderen besonnen mit der Bemerkung, daß Herr v. Tausch, für den die Quittung bestimmt sei, am Ende ihre Handschrift erkennen könne. Er habe deshalb das Dienstmädchen Emma rufen lassen und dieser den Text der Quittung diktiert. Sodann habe er den Hausdiener rufen lassen, der auf seine Veranlassung den Namen „Kukutsch“ unter das Schriftstück setzen mußte. – Vors.: Ist Ihnen dies nicht aufgefallen? – Zeugin: Nein, gar nicht, er sagte, Herr v. Tausch wolle es haben. Ich wußte, daß er von Herrn v. Tausch abhängig und ganz in dessen Gewalt war. Er beklagte sich häufig darüber und gab zu erkennen, daß er sich gern von Herrn v. Tausch befreien möchte, denn er empfinde schwer das wenig Ehrenhafte seiner Tätigkeit. – Vors.: Hat v. Lützow Ihnen gegenüber den Namen v. Marschall erwähnt? – Zeugin: Nein, dessen entsinne ich mich nicht, wohl aber, daß er den Namen des Grafen Eulenburg nannte. – Vors.: Hat der Angeklagte v. Lützow auch mal einen Brief an den General v. Bronsart geschrieben? – Zeugin: Ja, wenigstens hat er einen solchen durch den Hausdiener schreiben lassen, des Inhalts: „Wollen Sie wissen, wer gegen Sie putscht, so fragen Sie Eckert, Hamann, Kukutsch.“ – Es folgte die Vernehmung des Journalisten Gingold Stärk, der beim Berliner Tageblatt Redakteur war. Er bekundete: Etwa vor Jahresfrist sei er durch einen Polizeiwachtmeister zum Kommissar v. Tausch gebeten worden, um Auskunft über seine Personalien zu geben. Nachdem er dem Kommissar die gewünschte Auskunft gegeben, habe er sich entfernen wollen. Der Kommissar habe ihn aber zurückgehalten mit der Bemerkung: „Hören Sie mal, Sie scheinen gute Verbindungen zu haben, Sie könnten eigentlich der Polizei einen Dienst erweisen, indem Sie uns Auskunft erteilen. Ich verlange durchaus nichts Unanständiges oder Ehrenrühriges von Ihnen, Sie sollen uns nur den Namen des Verfassers eines Artikels nennen, wenn wir es für nötig halten. Er (Zeuge) habe sich zwei Stunden Bedenkzeit ausgebeten und dann das Anerbieten akzeptiert, weil er fürchtete, Herr v. Tausch würde sich für eine Ablehnung rächen, daß er ihn, da er Österreicher sei, als lästigen Ausländer ausweise. – Vors.: Hat Kommissar v. Tausch sich Ihnen gegenüber über Herrn v. Marschall ausgesprochen? – Zeuge: Ja, er hielt den Herrn Staatssekretär für einen Usurpator, der die Stellung nicht verdiene, die er einnehme. Kommissar v. Tausch hatte eine andere politische Richtung wie Herr v. Marschall. Wie die meisten Gegner des Herrn v. Marschall ist v. Tausch ein enragierter Bismarckianer. Graf Herbert Bismarck schien ihm für den Posten des Staatssekretärs weit mehr als Herr v. Marschall passend. Ich wurde wiederholt von Herrn v. Tausch aufgefordert, mich zu bemühen, in Beziehungen zum Auswärtigen Amt zu gelangen, er nannte mir wiederholt den Namen des Herrn v. Hollstein, an den ich mich wenden sollte. Ich schrieb auch an Herrn v. Hollstein, erhielt aber keine Antwort. Dann wandte ich mich persönlich an Dr. Hammann mit der Bitte, mich durch Auskünfte unterstützen zu wollen. Auch hier erfuhr ich Abweisung. – Während der Vernehmung dieses Zeugen war der Polizeipräsident v. Windheim im Saale als Zuhörer erschienen. – Oberstaatsanwalt zu Gingold Stärk: Wußten Sie, daß Sie in dem Augenblick nicht mehr im Auswärtigen Amt empfangen wurden, als bekannt wurde, daß hinter Ihnen nicht das Berliner Tageblatt, sondern v. Tausch stand? – Zeuge: Das höre ich heute zum ersten Male. – Staatssekretär v. Marschall: Ich kann über den Zeugen folgende Auskunft geben. Ich möchte in bezug auf Herrn v. Hollstein darauf hinweisen, daß dieser hochehrenhafte und hochverdiente Beamte der Mittelpunkt der gehässigen Aktionen gegen das Auswärtige Amt und besonders heftig angegriffen worden ist. An diesen wandte sich zuerst, soviel ich mich erinnere, eines Tages ein neuer Journalist, namens Gingold Stärk, der eine Karte von Dr. Levysohn vom Berliner Tageblatt überbrachte und bat, daß er zur Empfangnahme von Informationen zugelassen werden möge. Der Mann machte nicht einen günstigen Eindruck und sollte nicht empfangen werden. Später erfuhr ich, daß es dem Herrn doch gelungen sei, Zutritt bei zwei Herren verschiedener Abteilungen zu erlangen. Ich merkte dies an einigen Notizen, die im Berliner Tageblatt erschienen und gab dem betreffenden Diener den strikten Befehl, den Herrn bei niemand mehr anzumelden. Wir hatten den Eindruck, als ob wir diesem Manne gegenüber sehr vorsichtig sein müßten. Als die ersten Artikel über diesen Prozeß erschienen, bekam ich einen Brief von Herrn Stärk mit einer anonymen Karte, deren Inhalt sich anscheinend gegen Herrn v. Lützow wenden sollte. Ich ließ mir Herrn Dr. Hammann kommen, dieser sagte aber sofort: „Exzellenz, lassen Sie die Finger davon! Das ist sicher eine Falle!“ Es war dann in der Tat ein Verdacht aufgestiegen, daß mit dieser anonymen Karte uns ein Paroli geboten werden und der Beweis konstruiert werden sollte, daß das Auswärtige Amt in Beziehung zu irgendeinem anrüchigen Menschen stehe, während wir bis dahin ganz integer dastanden. Als Herr Stärk eine Antwort erbat, habe ich ihm die anonyme Karte durch den Diener einfach zurückgeben lassen. Ich möchte aber den Zeugen Stärk bitten, mir zu sagen, wie er dazu gekommen ist, Herrn v. Huhn fälschlich als Verfasser des Artikels der Köln. Ztg. zu nennen ? – Zeuge Stärk: Ich kann sagen: ich bin auf das peinlichste berührt worden von den Mitteilungen des Herrn Staatssekretärs. Ich kenne die Herren Leckert und Lützow gar nicht, habe auch nie im Auswärtigen Amte einen Besuch zu dem Zweck gemacht, die Herren im Auswärtigen Amte auszuhorchen. Die anonyme Karte habe ich von Herrn Dr. Levysohn empfangen, um sie dem Auswärtigen Amt zu übermitteln und dort mitzuteilen, daß eine solche Karte beim „Berliner Tageblatt“ eingelaufen sei. – (Dr. Levysohn bestätigte das.) Ich hatte keine Ahnung von der Affäre Leckert-Lützow, ich stehe allen Dingen vollkommen fern, habe niemals versucht, für Herrn v. Tausch zu spionieren und nur den Interessen des „Berliner Tageblattes“ zu dienen gesucht. – Staatssekretär v. Marschall: Durch Herrn v. Tausch war amtlich gemeldet worden, daß der Artikel der „Köln. Ztg.“ von Herrn v. Huhn herrühre. Wie kam der Zeuge zu solcher Information? – Zeuge: Ich habe Herrn v. Huhn allerdings genannt, denn ich wußte, daß dieser Herr Korrespondent der „Köln. Ztg.“ ist. – Vors.: Auf Grund einer so dünnen Unterlage konnten Sie doch aber nicht solche Mitteilungen machen. – Zeuge: Ich habe auch nur eine Vermutung ausgesprochen, daß Herr v. Huhn der Verfasser sei. – Vors.: Die „Köln. Ztg.“ hat doch aber viele Korrespondenten; wie können Sie denn einen bestimmten Herrn, von dessen Verfasserschaft Sie nichts wußten, mit Namen nennen? – Zeuge: Ich habe das nur getan unter der ein für alle Male festgestellten Voraussetzung, daß gegen den Herrn nichts unternommen werde. – Vors.: Ein Kriminalbeamter verfolgt doch gewiß bestimmte Zwecke mit einer solchen Frage. – Wirkl. Legationsrat Dr. Hammann: Ich kann nur bestätigen, was Herr Staatssekretär v. Marschall über das Auftauchen des Herrn Gingold-Stärk im Auswärtigen Amt gesagt hat. Stärk ist auf dem Auswärtigen Amt erschienen, um angeblich für das „Berl. Tageblatt“ Informationen zu holen. Er ist von Anfang an mit etwas Mißtrauen behandelt worden, weil sein Auftreten nicht ein derartig zurückhaltendes war, wie man es bei einem ersten Besuche verlangen konnte. Er ist deshalb nicht empfangen worden. Der Herr meldete sich nach einigen Wochen wieder und ich entschloß mich, einen Beamten zu beauftragen, den Herrn doch einmal zu empfangen, um zu wissen, was er wünsche. Der Beamte hatte denselben ungünstigen Eindruck. Ich habe dann Dr. Levysohn bitten lassen, wenn er Informationen von mir wünsche, mir doch einen mir bekannten Herrn zu senden. Es war der dringende Verdacht aufgetaucht, daß Herr Stärk dem Auswärtigen Amt eine Falle stellen wollte und ein Abgesandter des Herrn v. Tausch war. Dieser Verdacht wurde noch bestätigt durch Mitteilungen, die wir von Herrn Direktor Dr. Mantler erhielten, ferner durch Mitteilungen des Dr. Runge vom Wolffschen Telegraphenbureau. Letzterer hatte sich über die Person des Herrn Stärk bei Herrn v. Tausch erkundigt und dabei die glänzendste Auskunft erhalten: er sei ein konservativer Herr, der volles Vertrauen verdiene usw. An einer Fußnote war von Herrn v. Tausch sogar bemerkt: „Geeignet auch zu großen politischen Aktionen.“ Dadurch war für mich der Ring geschlossen, daß Herr Stärk ein Vertrauensmann des Herrn v. Tausch war. – Vors.: Ich will Herrn Dr. Levysohn Gelegenheit geben, sich zu äußern: Haben Sie von den Beziehungen des Herrn Stärk zu Herrn v. Tausch etwas gewußt? – Zeuge: Nicht das geringste. Ich habe nicht ein Sterbenswort davon gewußt, nicht die leiseste Ahnung davon gehabt. Was die anonyme Karte betrifft, so habe ich die natürlich dem Herrn Staatssekretär nicht in der Absicht zugestellt, ihm eine Falle zu stellen, sondern ganz im Gegenteil. – Vors.: Das hat auch niemand vermutet. – Auf jede weitere Beweisaufnahme wurde alsdann allseitig verzichtet. – Es nahm hierauf das Wort: Oberstaatsanwalt Drescher: Meine Herren Richter! Wir nähern uns dem Ende eines großen Prozesses, eines Prozesses von hoher, eminent politischer Bedeutung, eines Prozesses, der in den letzten Tagen überreich war an unerwarteten Ereignissen und überreichen Zwischenfällen, an dramatischen Szenen. Der Gipfelpunkt wurde heute erreicht in dem Moment, als ein Mann zur Haft gebracht wurde, der in dieser Sache eine gefahrbringende, eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Es ist nicht meine Aufgabe, auf die Vorgänge, die zu dem Sturze dieses Mannes geführt haben, hier näher einzugehen. Der Mann wird seinem verdienten Schicksal nicht entgehen. Jetzt aber schon ein voreiliges, endgültiges Urteil zu fällen, würde dem obersten Grundsatze der Rechtspflege: „audiatur et altera pars“ widersprechen. Wenn ich also über alle Vorgänge, die diesen Mann berühren, hinweggehe, so kann ich doch schon sagen: dienstlich ist er schwer kompromittiert. Ich habe gesagt, daß dieser Prozeß eine eminent hohe politische Bedeutung hat. Allerdings ist diese Bedeutung nicht in den Persönlichkeiten der Angeklagten begründet. Da ist zuerst Leckert jun. Er ist ein junger, unerfahrener Mann von 20 Jahren, der vor drei Jahren noch die Schulbank drückte. Er mag in seiner an Größenwahn streifenden Eitelkeit wirklich geglaubt haben, er habe das Zeug zu einem Journalisten in sich. Richtig ist es ja, daß er als solcher Unglaubliches, Ungeheuerliches geleistet hat. Der zweite Angeklagte ist ein Mann von hohem, berühmten Namen, ein früherer Offizier. Er steht auf der gleichen Stufe, wie sein Geschäftsgenosse Leckert. Er besitzt allerdings Lebenserfahrung und Gewandtheit, allzuviel Gewandtheit. Aber auch ihm fehlt die Liebe zur Wahrheit und die Liebe zur Ehre. Ich komme auf die in dem Prozesse viel besprochene Stellung der Vertrauensmänner. Man glaubt augenscheinlich, daß der Behörde durch die Anstellung von Vertrauensmännern ein gewisser Makel anhaftet. Dagegen muß ich die Behörde schützen. Leider sind wir gezwungen, solche Vertrauensmänner zu halten. Eine andere Frage ist allerdings, in welcher Weise die Vertrauensmänner benutzt werden und welche Personen sich dazu hergeben. Werden solche Vertrauensmänner angenommen, dann muß es auch mit großer Vorsicht und großem Takt geschehen, sonst treten derartige Verhältnisse ein, wie sie der Prozeß aufgedeckt hat. Wo liegt denn nun aber die eminent politische Bedeutung des Falles? Sie liegt in den Personen der Beleidigten und in dem Gegenstande der Beleidigung. Beleidigt sind: Graf zu Eulenburg, der Hofmarschall des Kaisers, ein hochgeachteter Mann aus der nächsten Umgebung des Monarchen, an den sich bisher noch niemand herangewagt hat. Beleidigt sind ferner: Staatssekretär v. Marschall, Prinz Alexander zu Hohenlohe und Wirkl. Legationsrat Dr. Hammann in bezug auf ihre Amtsehre. Dem Hofmarschall zu Eulenburg ist der Vorwurf einer Fälschung, eines Vertrauensbruchs, eines Verrats, gemacht: Er soll die Intentionen Sr. Majestät eigenmächtig durchkreuzt haben zum Schaden seines Vaterlandes und englischen Einflüssen gehorchend. Das ist ein Vorwurf, wie er schwerer kaum gedacht werden kann. Es ist bei dieser Gelegenheit wieder das Wort „Nebenregierung“ benutzt worden. Ich muß sagen: mir ist diese Bezeichnung in meinem dienstlichen Leben – darum allein kann es sich handeln, nicht aber um meine persönliche politische Stellung – öfter begegnet und ich muß sagen: es ist ein nichtsnutziges Wort, das in jedem Falle geeignet ist, die Ehrfurcht gegen Se. Majestät den Kaiser zu verletzen, unter Umständen sogar ein Wort, welches eine Majestätsbeleidigung enthält, insofern als Sr. Majestät Mangel an Willensstärke vorgeworfen und er als gefügiges Werkzeug irgendeiner Klique hingestellt werden soll. Ich würde keinen Augenblick zaudern, gegen jeden mit einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung unter Umständen vorzugehen – mag er einer Partei angehören, welcher er wolle –, der dieses Wort unter besonderen Umständen anwendet. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß vor Jahren dieser Vorwurf gegen den Chef des Zivilkabinetts in dreistester Weise von antisemitischer Seite erhoben worden ist. Dieses nichtsnutzige Wort ist auch dazu benutzt worden, um Angriffe gegen das Auswärtige Amt und seinen Chef zu erheben. Diese Angriffe sind nicht neu. Der Anklageartikel ist eigentlich nur eine Fortsetzung einer langen Reihe anderer Artikel und Vorwürfe, die mehr oder, weniger versteckt an die Öffentlichkeit gekommen sind. Da mag irgendein Angriff gegen die Umgebung Sr. Majestät erhoben werden, sofort heißt es: „Die Nebenregierung ist im Spiele,“ alle Ministerveränderungen werden auf die Tätigkeit des Auswärtigen Amtes zurückgeführt, welches als die Brutstätte aller Kabalen und Intrigen geschildert wird, und so sollte man es kaum glauben, daß alles mögliche dem Auswärtigen Amte aufgebürdet wird. Ja, was sind denn das für Zustände? Ist es nicht im Staatsinteresse dringend geboten, einmal Klarheit zu schaffen? Öffentliche Berichtigungen des Staatsanzeigers nutzten nichts, man stürzte sich vielmehr wieder auf diese Berichtigungen. Dagegen hilft nur das eine Mittel: Strafantrag und Gerichtsentscheidung. Es mußte endlich einmal klare Rechnung gemacht werden, es mußte den Leuten, die immer wieder mit ihren versteckten Angriffen hervortraten, zugerufen werden: „Heraus aus dem Busch!“ Aber hat denn dieser große Prozeß den Zweck erreicht? Ich fürchte, daß diejenigen, welche bisher diese unberechtigten Vorwürfe erhoben hatten, mit „Nein!“ antworten werden. Wenn es die Hauptaufgabe des Prozesses sein sollte, die Hintermänner zu ermitteln, welche hinter den beiden Artikeln in der „Welt am Montag“ standen, so mag auch dieser Zweck als verfehlt bezeichnet werden. Aber ich glaube gar nicht, daß Leckert einen Hintermann gehabt hat. Ich meine, die Hauptaufgabe dieses Prozesses ist gewesen, den Beweis dafür zu erbringen, daß alle die Vorwürfe, welche seit langer Zeit und systematisch gegen das Auswärtige Amt geschleudert wurden, in nichts zerfallen, daß sie unwahr sind von A bis Z. Und das ist meiner Überzeugung nach im vollsten Umfange erreicht. Was nun die Artikel der „Welt am Montag“ betrifft, so liegt bei Leckert und Lützow Beleidigung wider besseres Wissen vor. Leckert bestreitet seine Schuld und sagt, er hätte dem Lützow keine Information gegeben, die in die Presse kommen sollte, alles sei nur gesprächsweise erzählt worden. Ferner behauptet er, daß er nicht den Namen Eulenburg genannt habe. Aber diese Behauptungen sind Ausflüchte, denn es steht fest, daß Leckert einen wenigstens im Inhalt ähnlichen Artikel vor der Veröffentlichung in der „Welt am Montag“ schon dem Zeugen Rippler zur Veröffentlichung angeboten hat. Ferner ist erwiesen, daß Leckert den Lützow nach dem Erscheinen des ersten Artikels in der „Welt am Montag“, der ja in der gesamten Presse – zu ihrer Ehre sei es gesagt – mit Recht als kecke Erfindung und erlogene Behauptung gebrandmarkt wurde, mittels Postkarte zur Besprechung des weiteren Operationsplanes aufforderte. Er räumte hierdurch seine Täterschaft gewissermaßen ein. – Man muß sich verwundert fragen, kann denn ein nur einigermaßen vernünftiger Mensch solch eine Nachricht für wahr halten, wenn er nicht einen zuverlässigen Gewährsmann hat. Besteht hier aber ein Gewährsmann? Nie und nimmermehr! Es handelt sich vielmehr um den „großen Unbekannten“. Hat der Angeklagte aber keinen Gewährsmann, so hat er sich die Sache eben aus den Fingern gesogen, mag dies noch so unglaubwürdig erscheinen. Bei einem solch hohlen Renommisten ist es schon zu glauben. Welch eine Unverschämtheit von Leckert, zu behaupten, daß er eine Audienz beim Reichskanzler gehabt habe! Und mir scheint, er glaubt noch heute, daß er eine Audienz beim Reichskanzler gehabt hat. Wie hat der Angeklagte nicht Herrn Werle, den Verleger des „Breslauer Generalnzeiger“ angelogen! Ich behaupte, daß Leckert wider besseres Wissen gehandelt hat, und dasselbe will ich mit Bezug auf Lützow nachweisen. Der erfahrene, gewandte v. Lützow soll nicht zu der Überzeugung gekommen sein, daß Leckert ein hohler, leerer Renommist war? Sollte v. Lützow noch nicht aus seinem angeblichen Irrtum herausgekommen sein, als die gesamte Presse seinen ersten Artikel verdammte und den Inhalt als dumm und albern bezeichnete? Seine „Enthüllungen“ sind nicht als bare Münze sofort anzunehmen, denn sie sind doch nur unter dem Eindrucke zustande gekommen, daß für ihn nun alles verloren sei. Deshalb hat er Herrn v. Tausch schließlich fallen lassen. Helfen kann ihm dies blutwenig, für seine bona fides ist damit nichts, aber auch gar nichts bewiesen. Zweifellos ist auch, daß beide Angeklagte mündlich den Freiherrn v. Marschall und Beamte des Auswärtigen Amtes verleumderisch beleidigt haben. Lützow hat unter wiederholtem Bruch seines Ehrenwortes dem Dr. Plötz versichert, daß er in Sachen des Artikels vom Freiherrn v. Marschall empfangen worden sei. Er hat dies schließlich zugestehen müssen und ist damit der mündlichen Verleumdung überführt. Dazu tritt die schriftliche Verleumdung in dem an Herrn v. Tausch erstatteten Bericht. Für Dr. Plötz dürfte der § 186 in Anwendung zu bringen sein, zunächst sicher bezüglich des ersten Artikels, den er trotz seiner Ungeheuerlichkeit für wahr gehalten haben mag, da sein Gewährsmann der bis dahin unverdächtige v. Lützow war. Zweifelhaft ist die Sache bei dem zweiten Artikel. Bei diesem hat sich Dr. Plötz in ganz loyaler Weise bei autoritativer Stelle erkundigt und man könnte sich wundern, daß trotzdem der zweite Artikel erschienen ist. Aber er hat doch Zusätze gemacht, die bekundeten, daß er selbst nicht mehr an die Wahrheit der im ersten Artikel aufgestellten Behauptungen glaubte. Seine Erklärung, die er über die Aufnahme des zweiten Artikels gegeben, klingt immerhin glaubwürdig. Ich muß anheimgeben, den Angekl. Dr. Plötz nur wegen des ersten Artikels aus § 186 zu verurteilen. Föllmer und Leckert sen. werden verantwortlich gemacht für den Passus in der Staatsbürger Zeitung“: „Auch will man mutmaßen, daß hinter der Sache Freiherr v. Marschall und der Prinz zu Hohenlohe stehen.“ Das sind schwere Beleidigungen dieser beiden Herren. Föllmer hat diese Preßkundgebung gewollt und auch erreicht. Wenn es nun auch sehr leichtfertig und gewissenlos ist, wenn Herren der Presse mit der Ehre anderer so mir nichts, dir nichts umgehen, so mag doch dem Angeklagten Föllmer zugute gehalten werden, daß er mehr aus Unverstand gehandelt hat. Die üble Nachrede aus § 186 bleibt bestehen. Was Leckert sen. betrifft, so halte ich ihn für nichtschuldig, denn er hat nur im Interesse seines Sohnes gehandelt, ohne Kenntnis der Artikel. Der Angeklagte Berge ist verantwortlich für zwei Artikel, die den Vorwurf enthalten, daß für alles, was irgendwie schlechtes passiert, vom Auswärtigen Amte angezettelt werde. Dieser Vorwurf zieht sich durch zahlreiche Artikel der „Staatsbürger Zeitung“. Es ist kaum glaublich, daß ein Blatt wie die „Staatsbürger Zeitung“ sich dazu versteigen kann, in seinem blinden Haß gegen Herrn v. Marschall so schwere Vorwürfe zu erheben. Diese beiden Artikel tragen durchaus den Charakter von Verleumdungsartikeln, ihre Pointe richtet sich deutlich gegen das Auswärtige Amt. Die Redakteure der „Staatsbürger Zeitung“ haben seit Monaten gegen das Auswärtige Amt gehetzt; es wäre loyal, wenn der Vertreter der Zeitung jetzt nach Schluß dieser Beweisaufnahme, die kein Titelchen eines Verdachts gegen das Auswärtige Amt hat bestehen lassen, mit dem Zugeständnis hervorträte: „Ich habe mich überzeugt, daß ich mich geirrt habe.“ Das wäre loyal und das wäre deutsche Art, die die „Staatsbürger Zeitung“ ja immer zu vertreten behauptet. Bis jetzt hat Herr Berger aber ein derartiges Wort nicht gefunden. Bei der Strafzumessung kommt in Betracht die ungeheuere Schwere der gegen den Staatssekretär Freiherrn v. Marschall geschleuderten Beleidigungen und daß wir ein ganzes Nest von Verleumdern vor uns haben, in welches man mit fester Hand hineingreifen muß. Leckert muß trotz seiner Jugend einen empfindlichen Denkzettel haben. Ich beantrage gegen Leckert 1 Jahr 6 Monate Gefängnis. Gegen Lützow kommt in Betracht, daß er als ehemaliger Offizier und Träger eines altehrwürdigen Namens mit der Ehre anderer Menschen besonders vorsichtig umzugehen hat, ferner, daß er sich mit Herrn v. Tausch in Verbindung gesetzt hat und recht viele Verbindungen besaß, in welche seine Verleumdungen durchsickern konnten. Trotz seiner „Enthüllungen“ liegen auch bei ihm mildernde Umstände nicht vor. Ich beantrage auch gegen ihn 1 Jahr 6 Monate Gefängnis. Gegen Dr. Plötz beantrage ich mit Rücksicht auf die guten Folgen, die die Sache schließlich gehabt hat, eine Festungshaft von 1 Monat, gegen Berger 2 Monate Festungshaft, gegen Föllmer 300 Mark Geldstrafe, gegen Leckert sen. Freisprechung. Das Ergebnis dieser Verhandlungen muß allgemein als ein glückliches bezeichnet werden. Dem Herrn Staatssekretär persönlich ist an der Bestrafung der einzelnen Angeklagten nichts gelegen, er hatte seine schwer gefährdete Ehre zu wahren, deshalb hat er sich in die Öffentlichkeit geflüchtet. Der Gerichtshof wird, denke ich, nicht umhin können, den schwer beleidigten Herren zu sagen: Wir gewähren euch den nachgesuchten Schutz und geben euch euer Recht! – Vert. Rechtsanwalt Dr Gennerich hielt nicht für ausgeschlossen, daß Leckert einen Hintermann gehabt habe, obgleich dessen Existenz durch die Verhandlung nicht nachgewiesen sei und bat den jungen und bisher unbescholtenen Angeklagten nur aus dem milderen Beleidigungsparagraphen zu bestrafen. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Lubczynski sprach zunächst namens der gesamten Verteidigung dem Vorsitzenden den Dank aus für den Takt und die Umsicht, mit der die Verhandlungen geleitet wurden. Darauf gab der Verteidiger in kurzen Zügen ein Bild von der wechselvollen Vergangenheit des Angeklagten v. Lützow, der auf Grund widriger Geschicke an den Abgrund gelangte, dem Herrn v. Tausch in die Hände fiel, erst dessen Werkzeug und dann dessen Kreatur wurde. Was v. Lützow als Polizeiagent gelitten habe, sei nicht zu sagen. Man muß, so führte der Verteidiger des Weiteren aus, sich daran erinnern, daß v. Tausch den Angeklagten zu den sonderbarsten und verwerflichsten Schiebungen mißbrauchte, die sich bis an die Stufen des Thrones heranwagten. Er befand sich in einer entsetzlichen Zwangslage. Sein schließlich abgegebenes Geständnis macht durchaus den Eindruck der Wahrhaftigkeit, denn es ist abgegeben unter der Wucht der Ergebnisse der Beweisaufnahme und unter dem Drucke der Erkenntnis, daß Herr v. Tausch ihn, den Angeklagten, nicht einmal gegen den Vorwurf der groben Fälschung zu schützen unternahm. Der Angeklagte ist sich keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß die beiden Artikel schmähliche Beleidigungen eines hochverehrten, makellos dastehenden Mannes enthalten, er wehrt sich nur mit allen Kräften dagegen, daß diese Beleidigungen wider besseres Wissen erhoben seien. Nichts ist dafür erwiesen, daß er erst selbständig den Namen Eulenburg in den Artikel hineingebracht hat. Dem Herrn Oberstaatsanwalt ist darin beizupflichten, daß unter normalen Verhältnissen der Inhalt der Artikel als ein ganz ungeheuerlicher sofort erkannt worden wäre. Die Verhältnisse waren aber nicht normal; die vielen vorhergegangenen Zeitungsartikel und die immerhin noch nicht dagewesene Tatsache, daß ein Berichterstatter des Wolffschen Bureaus einen Kaisertoast auf eigene Hand hierhertelegraphierte, zeigen, daß die Verhältnisse nicht normal waren. Zweifelhaft ist Lützows Schuld in den beiden anderen Fällen. Der Bericht an Herrn v. Tausch ist nicht als bestellte Arbeit anzusehen, v. Lützow hat sich darin doch nur eines – wenn auch unehrenhaften, so doch pflichtgemäßen – Auftrages erledigt und ihm steht der Schutz des § 193 zu. Dasselbe trifft bei den Bemerkungen zu, die er dem Dr. Plötz gegenüber gemacht hat, eventuell würde hier ein mildes Strafmaß am Platze sein. Ich beantrage deshalb, den Angeklagten nur wegen einer Beleidigung aus § 186 zu verurteilen. Halten Sie dem Angeklagten sein Geständnis zugute, denn es ist doch der Ausgangspunkt geworden zu einer vollständigen Klärung der Situation. v. Lützow ist unter dem dämonischen Einfluß des Kommissars v. Tausch gewesen, dessen Rolle nun ausgespielt ist. v. Lützow wird die ihm aufzuerlegende Strafe ertragen und sich einen neuen Beruf suchen. Erschweren Sie ihm dies nicht durch eine so hohe Strafe. Niemand wird sich eines gewissen Mitgefühls für diesen Angeklagten erwehren können, der nun seinem Schicksale erlegen ist. Rechnen Sie seine Strafe nach Monaten und bringen Sie einen Teil der Untersuchungshaft in Anrechnung! – Oberstaatsanwalt Drescher: Ich muß meinen Strafantrag vervollständigen und berichtigen. Ich habe bei Dr. Plötz 1 Monat, bei Berger 2 Monate Festungshaft in Antrag gebracht. Das ist nach § 186 nicht zulässig, ich beantrage daher das gleiche Maß von Gefängnis. Ferner beantrage ich Einziehung der Schriften, Unbrauchbarmachung der Platten und Formen und Publikation des Erkenntnisses im „Reichsanzeiger“, in der „Staatsbürger Zeitung“ und der „Welt am Montag“. – Rechtsanwalt Schmilinski führte aus, daß der Angeklagte Dr. Plötz sehr wohl an der Wahrheit seiner Mitteilungen glauben konnte. – Rechtsanwalt Dr. Braß betonte, daß sein Klient Föllmer abends in größter Eile die kleine Notiz geschrieben und daß ihm dabei nicht die Absicht und das Bewußtsein einer Beleidigung innegewohnt habe. – Rechtsanwalt Glatzel verteidigte die Haltung der „Staatsb. Ztg.“. – Nach fast dreistündiger Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Roeseler folgendes Urteil:mDer Gerichtshof hat als erwiesen angesehen, daß der Angeklagte v. Lützow gegen einen Sold von monatlich 200 Mark im Dienste des Kriminalkommissars v. Tausch stand, daß er diesem nicht nur Auskünfte über Verfasser von Artikeln usw. erteilte, sondern ihm auch zur Förderung seiner (v. Tausch) persönlichen Interessen behilflich war. v. Lützow hat den ersten Artikel der „Welt am Montag“, welcher schwere Beleidigungen auf Grund unwahrer Tatsachen gegen den Oberhofmarschall Grafen August Eulenburg enthielt, auf Grund der Informationen des Leckert geschrieben. Letzterer hat nach Ansicht des Gerichts wider besseres Wissen gehandelt, denn er ist mit seinem angeblichen Gewährsmann nicht herausgekommen. Leckert ist also der verleumderischen Beleidigung schuldig; die Behauptung, daß er einen Gewährsmann gehabt, erscheint unglaubwürdig. Bei v. Lützow hat der Gerichtshof hinsichtlich des ersten Artikels nur eine Beleidigung im Sinne des § 186 für vorliegend erachtet. Es ist ja befremdlich, daß er einem jungen Menschen so ungeheure Behauptungen geglaubt hat, aber das Gegenteil läßt sich nicht beweisen. Auch der zweite Artikel ist vollständig aus der Luft gegriffen und enthält schwere Beleidigungen. Bezüglich des Angekl. Dr. Plötz hat der Gerichtshof nur eine Beleidigung, begangen durch die Veröffentlichung des ersten Artikels, für vorliegend angesehen und angenommen, daß Dr. Plötz die in den Artikeln enthaltenen Tatsachen für wahr hielt. Es war ferner Leckert wegen verleumderischer Beleidigung des Freiherrn v. Marschall und anderer Beamten des Auswärtigen Amtes zu verurteilen. v. Lützow ist auch in diesen Fällen nur aus § 186 für schuldig befunden; es ist nicht angenommen worden, daß er die Mitteilungen über Freiherrn v. Marschall, Dr. Hammann usw. an Plötz wider besseres Wissen gemacht hat. Wegen der Mitteilungen in seinem Bericht an v. Tausch ist er freigesprochen worden. Angeklagter Berger ist verantwortlich für die in zwei Artikeln der Staatsbürger Zeitung enthaltenen Beleidigungen. Der Gerichtshof hat die volle Überzeugung erhalten, daß in diesen Artikeln die Vorwürfe gegen Freiherrn v. Marschall nicht abgeschwächt, sondern verschärft und weiter verbreitet werden sollten. § 193 St. G. B. steht dem Angeklagten Berger nicht zur Seite. Von einer angeblichen Preßmißwirtschaft des Auswärtigen Amtes kann hier gar keine Rede sein. Das Gericht sieht für vollständig widerlegt an, daß das Auswärtige Amt mit Hetzartikeln in Verbindung steht, wie es auch erwiesen ist, daß von den Behauptungen, die Leckert und Lützow über die Beziehungen des Freiherrn v. Marschall zu den Artikeln aufgestellt, auch nicht ein Wort wahr ist. Föllmer hat sich einer schweren Beleidigung schuldig gemacht, nicht dagegen Leckert sen. Die Verhandlung hat erwiesen, daß es sich um arge Mißbräuche der Presse durch schwere Verunglimpfungen eines hochstehenden und makellosen Beamten handelt. Man fühlt sich beschämt, wenn man sieht, wie durch einen unreifen Menschen und einen Agenten der politischen Polizei die Ehre von tadellos dastehenden Personen in der frivolsten und leichtsinnigsten Weise angetastet werden kann. Das ist die Preßmißwirtschaft, das ist der Unfug, gegen den mit aller Schärfe Front gemacht werden muß. Der Gerichtshof hat sich deshalb im allgemeinen den Anträgen der Staatsanwaltschaft angeschlossen und verurteilt: Leckert wegen verleumderischer Beleidigung in drei Fällen zu 1 Jahr, 6 Monaten Gefängnis. v. Lützow wegen wiederholter Beleidigung auf Grund des § 186 zu 1 Jahr, 6 Monaten Gefängnis, Dr. Plötz zu 500 Mark Geldstrafe, Berger zu 1 Monat Gefängnis, Föllmer zu 100 Mark Geldstrafe. Leckert sen. ist freigesprochen worden. Zu einer Anrechnung der Untersuchungshaft lag keine Veranlassung vor. – Angekl. v. Lützow erklärte sich zum Antritt der Strafe bereit, Leckert behielt sich eine Erklärung vor, ebenso der Oberstaatsanwalt bezüglich des v. Lützow.

  1. Vgl. den Prozeß Moltke-Harden im 3. Bande.