Populär-wissenschaftlicher Wandervortrag des Dr. Sulphurius über Astronomie

Textdaten
Autor: Franz Bonn
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Titel: Populär-wissenschaftlicher Wandervortrag des Dr. Sulphurius über Astronomie
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 80, Nr. 2028–2029
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: UB Heidelberg, Commons
Kurzbeschreibung:
Illustrationen von Lothar Meggendorfer
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Populär-wissenschaftlicher Wandervortrag des Dr. Sulphurius über Astronomie.

„Per aspera – ad astra.“
„Die Astronomie braucht beißen.“

Die Astronomie – nicht zu verwechseln mit Gastronomie, welche übrigens auch eine sehr schöne Wissenschaft ist – dürfte wohl eine der ältesten Wissenschaften sein, denn die Sterne sind nicht, wie die elektrische Gasbeleuchtung, eine Erfindung der Neuzeit, sondern man kann mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit behaupten, daß sie schon da waren, ehe ein Menschenauge zu ihnen aufgeblickt hat.

Die Astronomie ist die Wissenschaft von den Weltkörpern und ihren Bewegungen, und würde eigentlich zu ihrem Studium bedeutende mathematische Kenntnisse voraussetzen. Wir werden indessen trachten, auch Denen verständlich zu sein, welche, wie z. B. viele Absolventen eines humanistischen Gymnasiums, von der Mathematik keinen Schein haben. Wir behandeln daher die Lehre von den Winkeln und Kreisen, obwohl die Wichtigkeit der letzteren schon daraus hervorgeht, daß es in neuerer Zeit eigene Kreislehranstalten gibt, nicht näher, wir halten uns auch bei den Kugeln, die ja jeder vom Kegeln her kennt, oder bei den Elipsen und Parabeln nicht länger auf, denn unsere Aufgabe kann es nicht sein, die Sache gründlich zu nehmen, vielmehr ist Oberflächlichkeit die Grundbedingung jeder populären Wissenschaft. Wenn wir wissen wollen, wie groß ein Weltkörper ist, oder wie weit er von der Erde oder von der Sonne entfernt ist, so dürfen wir ja nur in irgend einem Lehrbuch der Astronomie nachschlagen, und wäre es vollständig überflüssig, wenn wir uns selbst die Mühe machen wollten, derartige Dinge nochmal auszurechnen. Manche der wichtigsten astronomischen Beobachtungen [178] haben schon die alten Völker gemacht, welche die Sterne, lange vor Entstehung unserer Kalenderliteratur, als Kalender, als Uhr, Compaß und Wegweiser benützten. Wie jeder Gebildete aus Schiller’s „Wallenstein“ weiß, suchte man in früheren Zeiten zu lesen, was in den Sternen geschrieben stand, wozu es heutzutage aber an der nöthigen Zeit mangelt, weil man genug zu thun hat, wenn man lesen will, was in den Zeitungen geschrieben steht, und ist deßhalb auch die Astrologie oder Sterndeutekunst außer Uebung gekommen.

Wenden wir uns zu den astronomischen Erscheinungen, so ist uns natürlich von allen Weltkörpern der nächste – die Erde.

Es steht fest, daß die Erde eine kugelförmige Gestalt hat. Wer daran noch zweifeln wollte, könnte sich leicht einen unwiderleglichen Beweis verschaffen. Er kaufe sich einfach einen Erd-Globus, wie solche heutzutage sehr billig zu haben sind. Auch das Krummtreten der Stiefelabsätze könnte als schlagender Beweis für die Kugelform der Erde angeführt werden, wenn etwas, was jedes Kind weiß, überhaupt noch eines Beweises bedürfte. Der Umstand, daß wir uns auf einer sich um ihre Achse bewegenden Kugel befinden, erklärt wohl am Einfachsten den vielen Schwindel, der getrieben wird und läßt es auch nicht wunderbar erscheinen, wenn uns hin und wieder Manches zu rund wird. Daß sich die Erde um die Sonne bewegt, hat Galilei erfunden und jeder gründliche Kenner der Geschichte weiß, daß er diese Erfindung widerrief, nachdem man ihn zu Tode gefoltert hatte.

Was die Größe des Erdballs anlangt, so bedürfte eine um den Aequator gelegte Landstraße fünftausendeinhundert Meilensteine, und wollte man einmal zur Abwechslung um die Erde ein Futteral machen, so müßte die Oberfläche desselben etwas mehr als neun Millionen Quadratmeilen messen. Ob nicht ein solcher Ueberzug, ähnlich wie die Jäger’sche Normalkleidung, sehr viel in sanitärer Beziehung für sich hätte, überlassen wir der Beurtheilung der einschlägigen Fachwissenschaften.

Von den Polen viel zu sagen, wollen wir aus politischen Gründen unterlassen, und ebenso würden wir fürchten, durch eine nähere Besprechung des Aequators, der Meridiane, des Zeniths etc. etc. einer unangenehmen Länge und Breite zu verfallen, welche am Ende über den Horizont der Geduld unserer verehrten Zuhörer hinausgehen würde.

Wir gehen deßhalb sofort auf den treuen Begleiter der Erde – den Mond, über. Der Mond ist ein Himmelskörper, der sich wegen seiner Wandelbarkeit vor allen andern Freunden besonders auszeichnet. Er wird wegen seiner Harmlosigkeit mit Recht „guter Mond“ genannt und ist der Liebling verliebter und schwärmerischer Naturen. Er zerfällt, wie eine gebratene Gans, in 4 Viertel, nur daß bei der Gans gewöhnlich acht Gänseviertel gemacht werden, und nimmt, wie die menschliche Liebe, ab und zu. Wenn er neu ist, sieht man ihn gar nicht; wenn er voll ist, was bei manchem Menschen viel öfter der Fall ist, verbreitet er ein sehr magisches Licht und wird von den Hunden angebellt und, was auf ihn keinen größeren Eindruck macht, von den lyrischen Dichtern besungen. Eine merkwürdige Erscheinung, welche man jedoch in allen Städten beobachten kann, ist das sofortige Aufhören der Straßenbeleuchtung, sobald Vollmond im Kalender steht. Noch merkwürdiger ist der Einfluß des Mondes auf das Meer, der in dem Wechsel von Ebbe und Fluth zu Tage tritt, aber in Gegenden, die vom Meere entfernt liegen, nicht beobachtet werden kann. Ob der Mond bewohnt ist oder nicht, steht wie so manches Andere noch nicht fest. Jedenfalls beweisen die sogenannten „Mondkälber“ für diese Frage nichts, da sie lediglich, und zwar leider nicht allzu selten, unter uns Menschen vorkommen. Vom Monde kommt der zweite Tag der Woche, der Mondtag, her, welcher von vielen Handwerkern blau gemacht zu werden pflegt, was jedoch weiter nichts ist, als eine über Gebühr verlängerte Sonntagsfeier.

Die Sonne ist sehr häufig im Gasthof, da und dort sogar ersten Ranges und der Mittelpunkt unseres Planetensystems. Ihr Schein folgt gewöhnlich auf Regen, oder er geht demselben voraus.

Wer sich einen Begriff von der Größe der Sonne im Verhältniß zur Größe der Erde machen will, der darf sich nur eine Münze aus Silber prägen lassen, welche eine Million Mark werth ist und diese Münze sodann neben ein Markstück, das er sich zu diesem Zwecke dann wohl leicht verschaffen kann, hinlegen. Bei Vergleichung der beiden Münzen wird rücksichtlich ihres Umfanges ein ziemlich bedeutender Unterschied zu Tage treten, den man sich jedoch auch so vorstellen kann, wenn man das Vermögen eines Millionärs mit dem eines Mannes vergleicht, der nur noch ein Markstück besitzt.

Die Sonne scheint auf Gerechte und Ungerechte und macht in dieser Richtung, sowie in mancher anderen, wenig Unterschied. Zum Schutze gegen ihre Strahlen bedienen wir uns im Walde verschiedener Bäume und im Uebrigen der Sonnenschirme. Obwohl der Mensch der Sonne unendlich viel zu verdanken hat, ruhte er doch nicht, bis er auch an ihr einige Flecken entdeckte.

Der Sonnenaufgang, welchen viele Menschen weit öfter auf der Bühne, als in Wirklichkeit beobachtet haben, und der Sonnenuntergang, eine Erscheinung, die wegen ihrer Häufigkeit den Meisten bekannt sein dürfte, veranlassen den Wechsel zwischen Tag und Nacht, ohne welchen unser Leben sich wesentlich anders gestalten würde. Ebenso wird der Wechsel der vier Jahreszeiten mit der Stellung der Erde zur Sonne in Zusammenhang gebracht, während es doch eigentlich in unserem Klima nur zwei Jahreszeiten gibt, die sich dadurch unterscheiden, daß wir bald den Sommer-, bald den Winterüberzieher tragen müssen, was lediglich von der Witterung abhängt und bereits ebensogut im Winter als im Sommer, wie im Frühling oder Herbste vorkommen kann.

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Außer der Sonne und dem Monde sehen wir im Weltenraume die Sterne, von welchen wir drei Arten unterscheiden: die Fixsterne, die Planeten und die Kometen.

Den hervorragendsten Standpunkt nehmen die Fixsterne ein. Das sind solche, welche eine fixe Stellung haben, oder sonst durch genügende Kapitalien, oder zureichenden, schuldenfreien Grundbesitz gut situirt sind und auf einer soliden Basis stehen. Sie sind sehr angesehen, haben ihr eigenes Licht – gewöhnlich brennen sie Gas – und verändern nie ihren Standpunkt. Ihr Gewicht und Einfluß ist größer, als der der andern Sterne, und dreht sich deßhalb Alles im sie. Ihre Entfernung von der Erde ist so groß, daß wir nie sicher wissen können, ob die Fixsterne, die wir sehen, noch in Wirklichkeit existiren; denn wenn ihr Licht Jahrtausende braucht, bis es zu uns gelangt, so können dieselben schon Jahrhunderte lang verschwunden sein, während wir noch immer ihre Lichtstrahlen sehen. Es ist dies ein Umstand, der der Astronomie selbstverständlich eine außerordentliche Sicherheit verleiht. Die Fixsterne nehmen wegen ihrer Bedeutung in der Sternenwelt denselben Rang ein, wie etwa die Millionäre auf Erden, nur daß sie nicht so selten sind, wie diese, denn am Himmel gibt es weit mehr Sterne erster Größe, als zum Beispiel in unserer modernen Kunst und Literatur.

Im Gegensatze zu den Fixsternen verändern die Planeten oder Wandelsterne ihre Stellung fortwährend und gleichen in dieser Beziehung den Tagespolitikern aller Zeiten. Die Planeten müssen, wie die Postboten, in einer bestimmten Zeit ihren Kreislauf vollenden und könnten mit Leporello singen: „Keine Ruh’ bei Tag und Nacht!“ Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es kaum ein Dutzend dieser Sterne, derweil wir nicht sicher sind, ob nicht während unseres Vortrags wieder ein paar neue Planeten entdeckt werden. Ein Lehrbuch der Astronomie, welches brauchbar bleiben will, wird daher am Besten thun, die Namen der bekannten Planeten gar nicht aufzuführen.

Die Planeten sind unter den Sternen dasselbe, was der Mittelstand in der socialen Welt ist, und wenn es ihnen nicht besser geht, als dem Mittelstande auf Erden, so haben sie wohl alle Ursache zu ziemlicher Unzufriedenheit.

Die dritte Klasse der Sterne bilden die Kometen. Unter diesen versteht man Sterne mit Millionen Meilen langen Lichtschweifen, welche ein unstetes Wanderleben führen und keine Stabilität besitzen, weßhalb man über sie auch sehr wenig Genaues weiß. Die Kometen sind die Proletarier unter den Sternen; ihr zahlreiches Erscheinen hat etwas Unheimliches an sich. Sie sind namenlos, wie die meisten Poëten, und berechnet Wurms ihre Zahl auf 64,000 Millionen, wobei er sich freilich um ein paar auf oder ab geirrt haben kann. Wenn deßhalb auch die Kometen gegenüber den Planeten bedeutend in der Mehrzahl sind, so können sie doch nie die Herrschaft des Weltsystems an sich reißen, noch weniger dieselbe behaupten, und alle derartigen Pläne sind Nebelstreifen ohne festen Kern.

Einzelne Gruppen von Sternen nennen wir Sternbilder, obwohl dieselben eigentlich keine Bilder sind und auch nicht entfernt so aussehen, wie wir sie nennen.

Das bekannteste Sternbild ist der große Bär, welcher auch [186] Wagen genannt wird, weil die Figur der Sterne, die zu ihm gehören, einem Bären eben so ähnlich sieht, wie einem Wagen.

Nicht weit vom großen Bären befindet sich der kleine Bär, und da auch dieser Wagen genannt wird, ist es natürlich, daß bei diesen beiden Wagen ein Fuhrmann nicht fehlen darf.

Eben so wenig kann es uns überraschen, einen Jäger am Himmel zu finden, wenn wir bedenken, daß es, außer dem großen und kleinen Bären, noch verschiedene andere jagdbare Thiere unter den Sternen gibt. Mit diesen ist jedoch die astronomische Thierwelt noch keineswegs erschöpft. Da sehen wir noch einen Stier, einen Widder, einen Krebs und einen Scorpion, ja sogar einen Pegasus, bekanntlich eine Art von Pferden, die noch ärger und häufiger mißhandelt wird, als der gemeine Droschkengaul. Auch Fische fehlen nicht und machen es begreiflich, daß auch ein Wassermann unter den Sternen Beschäftigung findet.

Wie dieser, dann die Jungfrau, der Schütze, die Zwillinge und die Waage in den Thierkreis gekommen sind, wird indessen ewig ein astronomisches Räthsel bleiben.

Eine sehr klassische Gesellschaft von Sternen bilden der Perseus, die Andromeda, die Cassiopeia, der Antinous und der bekannte Herkules, den wir jedoch ebenso, wie den Bären, auch auf Märkten und in Kunstreiterbuden nicht selten finden.

Die Unendlichkeit des Weltraums gestattet der Einbildungskraft des Menschen, sich nach Belieben zu ergehen, und doch gibt es selbst heutzutage noch Menschen genug, für welche eine andere Sternkunde weit mehr Interesse hat, als die Astronomie – wir meinen die Kunde jener Sterne, die zu Neujahr wie Sternschnuppen zahlreich auserwählten Sterblichen in die Knopflöcher fallen und Manchem lieber sind, als alle Fixsterne miteinander. Die in dieser Sternwelt vorkommenden Erscheinungen sind bezüglich ihrer Gründe freilich oft fast noch räthselhafter, als die eigentlichen astronomischen Erscheinungen, von denen wir zum Schluß nur noch zwei in’s Auge zu fassen haben – die Milchstraße und das Nordlicht. Von diesen zeichnet sich die erstere durch den Luxus ihrer Beleuchtung besonders aus. Sie ist überhaupt eine der stolzesten und schönsten Straßen der Welt und wird kaum von irgend einer der Prachtstraßen unserer europäischen Großstädte an Glanz und Ausdehnung erreicht. Wie viele Hausnummern die Milchstraße hat, ist bis jetzt noch nicht genau berechnet worden, und ebenso fehlt uns ein zuverlässiges Adreßbuch ihrer Bewohner. Woher der anspruchslose Name „Milchstraße“ stammt, ist uns, wie gar Vieles, unbekannt. Da wüßten wir beinahe noch eher, was ein Nordlicht ist. Es würde indessen zu weit führen, wollten wir Etwas, wovon wir selbst, wie die meisten Astronomen, nichts Gewisses wissen, unsern Zuhörern zu erklären suchen. Wenn wir aber erst einmal, was nicht mehr lange hergehen wird, das ganze Weltsystem nach allen Richtungen vollständig durchschauen und beherrschen, wenn mittels der Electricität die Sterne uns erreichbar geworden sind, und wir mittels verbesserter Telescope einmal um die Ecke zu sehen gelernt haben werden, dann wird uns Manches Sternschnuppe sein, was wir jetzt noch wie eine räthselhafte Inschrift vergeblich zu entziffern suchen.

v. Miris.