Populär-wissenschaftlicher Vortrag über Chemie von Dr. Sulphurius

Textdaten
Autor: Franz Bonn
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Populär-wissenschaftlicher Vortrag über Chemie von Dr. Sulphurius
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 76, Nr. 1911–1913
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Braun & Schneider
Drucker:
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Heidelberg und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]
[81]
Populär-wissenschaftlicher Vortrag über Chemie von Dr. Sulphurius.

Von allen verbis auf µι ist das Schwierigste die Chemie, denn sie ist die Wissenschaft der Erscheinungen, bei welchen eine wesentliche Veränderung der Körper stattfindet, an welchen dieselben wahrgenommen, oder mit welchen dieselben hervorgebracht werden. Solche Erscheinungen sind das Verbrennen, das Rosten, das Vermodern, Verwesen und andere unangenehme Prozesse – und welcher Prozeß wäre überhaupt angenehm? – weßhalb man die Chemie im Ganzen zu den unappetitlichen und unangenehmen Wissenschaften zählen kann.

Wir wissen aus der Physik, (und wenn wir es auch nicht wissen, so ist es doch so) daß jeder Körper aus kleinsten Theilchen besteht. Diese kleinsten Theilchen sind nun entweder ungleich, dann nennt man den Körper zusammengesetzt, was z. B. bei modernen Damenkörpern vorkommt, oder sie sind gleich, dann reden wir von einem einfachen Körper und nennen diesen: Stoff, oder Element. Die Gleichbedeutung dieser Bezeichnungen kommt wohl daher, daß der Deutsche in seinem Elemente ist, wenn der „Stoff“ gut ist.

Schiller kannte nur vier Elemente, denn er sagt im Punschlied mehr wissenschaftlich als poetisch:

Vier Elemente,
Innig gesellt,
Bilden das Leben,
Bauen die Welt.

In neuerer Zeit hat sich der Elementarunterricht aber so wesentlich verbessert, daß wir eine Menge Urstoffe gefunden haben, und es ist unbestreitbar, daß sogar die menschliche Gesellschaft eine unheimlich große Zahl bedenklicher Elemente in sich birgt.

Einen dramatischen Stoff nennt man auch Sujet, – welches, wenn es mauvais ist, wieder ein solches bedenkliches Element bildet. Die meisten einfachen Stoffe sind glänzend, und diese heißen dann Metalle – mit Ausnahme solcher, die aus Seide oder Glanzpercal sind, in welchen Fällen man sie Seidenzeug oder Kattun nennt. Da aber nicht Alles Gold ist, was glänzt und auch nicht Alles glänzt, was ein Urstoff ist, so gibt es zur Abwechslung auch Nichtmetalle (Metalloide) und sind diese theils gasförmig, theils flüssig, theils fest. – Ein einfacher Körper erleidet, so lange er mit einem andern nicht in Berührung kommt, keine Veränderung; erst durch die Berührung von mindestens zwei einfachen [82] Stoffen entsteht eine chemische Erscheinung. So rostet altes Eisen erst durch die Berührung mit feuchter Luft, während z. B. alte Liebe nicht rostet, wenn sie auch noch so sehr an die Luft gesetzt ist. – Wenn sich die verwandten Theilchen einander anziehen, was bei Kindern reicher Leute die Kindsmägde besorgen, so entsteht eine chemische Verbindung. Es gibt nun bekanntlich eine Unzahl verschiedener Verbindungen, von welchen die bekanntesten die Studentenverbindungen sind, während eine der natürlichsten die eheliche Verbindung genannt wird.

Göthe sagt: „Diejenigen Naturen, die sich beim Zusammentreffen einander schnell ergreifen, nennen wir verwandt.“ Wenn Göthes Ausspruch richtig, so müßten Polizeidiener und Vaganten verwandt sein, denn zweifellos ergreifen die ersteren beim Zusammentreffen die letzteren gewöhnlich sehr schnell. Indessen sehen wir doch in allen Wagnerischen Opern, daß sich „schöne Seelen schnell finden“, wenn es auch auffallend bleibt, wie sich diese verwandten Personen immer so lange unverwandt anschauen können, wie dieses z. B. bei Senta und dem fliegenden Holländer der Fall ist. Je stärker nun die Verwandtschaft zweier Stoffe ist, desto rascher verbinden sie sich, was jedoch bei den civilisirten Völkern nicht der Fall ist, weil bei diesen die Verbindung unter nahen Verwandten sogar gesetzlich verboten ist. Sehr oft bildet der Zusammenhang der Dinge das Hinderniß für solche Verbindungen. Nehmen wir zum Beispiel einen Corpsstudenten und ein Stubenmädchen. Der Student und das Mädchen fühlen sich verwandt, sie ziehen einander an, aber das Mädchen ist an die Stube gebunden, der Student an sein Corps – dieser Zusammenhang bildet ein Hinderniß für die Verbindung. Dieses Hinderniß kann nur überwunden werden durch große Wärme, oder durch das Licht, an welches die Sache kommt, oder durch einen Schlag, der z. B. einen reichen Onkel trifft, oder durch Elektrizität. Tritt dann die Verbindung zwischen dem Corpsstudenten und dem Stubenmädchen endlich ein, so werden Stube und Corps frei und ein Chor oder eine Stube voll Kinder ist das gewöhnliche Resultat. Die chemische Verwandtschaft ist bei der Unzahl von Stoffen eine sehr verwickelte und vielfache, und daher kommt es auch, daß in der Chemie die Basen fast noch eine größere Rolle spielen, als im gewöhnlichen Leben. Hier sind es besonders die Kaffee-Basen, welche Alles durch die Säuren ihrer Unterhaltung zersetzen, während in der Chemie Basen und Säuren einander gegenüberstehen, und es neben ihnen nur noch neutrale Körper gibt, ungefähr dasselbe, was wir im verwandtschaftlichen Leben Vettern nennen. Weiter uns über die allgemeinen Grundsätze der Chemie zu verbreiten, halten wir für zwecklos, denn entweder verstehen meine verehrten Zuhörer ohnehin schon Chemie, dann wäre es vollständig überflüssig, oder es ist dies nicht der Fall, dann würde mein Vortrag auch nicht im Stande sein, dieselben ihnen beizubringen.

Gehen wir deßhalb sogleich zur unorganischen Chemie, d. i. zu den Erscheinungen über, welche die Verbindungen einfacher Gruppen hervorbringen und fangen wir mit den Nichtmetallen an, mit denen sonst nicht viel anzufangen ist. Hieher gehört der Sauerstoff (Oxygenium), welcher wegen seiner gänzlichen Geruch- und Farblosigkeit sich nicht zu politischer Thätigkeit eignet, gleichwohl aber nächst dem bayerischen Bier der verbreitetste Stoff ist. Auf der Verbindung mit dem in der Luft befindlichen Sauerstoff beruht alle Gährung, also auch die politische, und es ist daher eine vollberechtigte Redensart, wenn wir sagen: „es liegt etwas in der Luft.“ Ohne Sauerstoff könnte auch nicht (vide Hamlet) „im Staate Dänemark etwas faul sein“, freilich aber auch kein Unterthan frei athmen. Zum Glück wird der Sauerstoff von allen grünen Pflanzen im Sonnenschein gratis abgegeben, und kann als solcher nicht besteuert werden. Das Verbinden mit Sauerstoff heißt oxydieren – die Verbindung selbst Oxyd, und zwar oxytonon auf der letzten, paroxytonon auf der vorletzten und proparoxytonon auf der drittletzten Silbe. Wird der Sauerstoff mit Wasserstoff (Hydrogenium) verbunden, so nennen wir diese Verbindung Wasser. Wir wissen damit auch zugleich, auf welche Weise viele lyrische Gedichte, philosophische Abhandlungen und Leitartikel entstehen. Köpfe, in welchen die Verbindung von Sauer- und Wasserstoff lebhaft vor sich geht, nennt man Wasserköpfe. –

Wasserstoff wird am einfachsten dadurch gewonnen, daß man auf dem Haupte seines Feindes glühende Kohlen sammelt und diese mit Wasser bespritzt. Es verbindet sich dann der im Wasser enthaltene Sauerstoff mit der Kohle und der Wasserstoff wird frei, was uns aber nicht viel nützt, weil er sofort verbrennt. Weit nützlicher als der Wasserstoff ist für uns aus diesem Grunde das Wasser, welches zum Waschen, Aquarellmalen, Baden, Löschen, endlich zur Wein- und Bierfabrikation und dadurch mittelbar [83] zum Trinken verwendet wird. Zuweilen wird jedoch auch Wasser von einzelnen Enthusiasten ohne Zusatz von Wein und Bier genossen. Man kann Jemand reinen Wein einschenken – chemisch reines Wasser gibt es aber nicht. Das Wasser besitzt nämlich die Eigenschaft, viele Stoffe aufzulösen.

Auf diese Weise können Landparthieen, Lebenspläne, Liebeshoffnungen, Projekte und Spekulationen aller Art sehr leicht zu Wasser werden. Wenn es also heißt: „wie wir aus bester Quelle vernehmen“, so ist damit bezüglich der Reinheit der Nachricht noch nichts bewiesen. Führt das Wasser Kohlensäure, Salze etc. mit sich, so heißt es Mineralwasser, welches man heut zu Tage überall auch unächt haben kann und dessen Gebrauch im Sommer das Bedürfniß aller Gebildeten und eingebildeten Kranken geworden ist. Ist das Wasser in nächster Nähe, so nennt man es Soda-Wasser (es ist so da), kommt es recht weit her, so nennt man das: städtische Wasserleitung, welche in der Regel hohe Gemeindeumlagen nach sich zieht. Ungenießbar ist das Meerwasser, was schon der König in Thule beweist, der deßhalb „keinen Tropfen Meer trank.“ Noch bitterer sind die Thränen des Menschen. Sie sind der wahre Sauerstoff des Daseins und doch ist sie zu vergießen oft so süß!

[89] Der Stickstoff (nitrogenium), welcher 4/5 unserer Atmosphäre ausmacht, ist trotz seines Namens sehr unschädlich und lebt, weil er eine sehr geringe Verwandtschaft hat, außerordentlich isolirt. Nur eine starke Base von ihm ist uns bekannt; sie schreibt sich Ammoniak und hält sich gerne an unreinlichen Orten auf. Ein bei Damen sehr gebräuchlicher Stickstoff ist der Stramin oder Kaffeesack.

Im Gegensatze von dem Stickstoffe hat das Chlor eine sehr große und ausgebreitete Verwandtschaft. Es dient zum chloroformieren und schmerzlosen Zahnausreißen, bietet aber sonst, ebenso wie Brom und Fluor, wenig Unterhaltung. –

Viel lustiger ist das Jod. Von diesem kommt zweifellos das Jodeln her; es beruht dies auf der Wechselbeziehung zwischen den Kröpfen der jodelnden Sennerinnen und der Jodsalbe. Jod ist übrigens auch im Häring enthalten. Wird daher ein Häring im Katzenjammer nüchtern genossen, so verbindet sich der Jammer mit dem Jod und es bleiben nur die Katzen über, welche sich dann, weil sie sehr scheu sind, leicht vertreiben lassen. – In seiner Verbindung mit Silber bildet das Jod, obwohl es sehr giftig ist, ein Haupternährungsmittel für Photographen.

Ein außerordentlich verbreiteter Stoff ist auch der Schwefel, welcher nicht nur gediegen in der Erde, sondern noch gediegener überall da vorkommt, wo der Mensch recht gescheidt sein will. Den gediegensten Schwefel finden wir deßhalb in wissenschaftlichen Vorträgen und gelehrten Abhandlungen, nicht minder in Wahlversammlungen und Parlamenten.

Unter Schwefelblumen verstehen wir populär gewordene Phrasen der Zeit, deren es so viele gibt, daß wir keine derselben anführen können.

Seit seiner im Jahre 1669 erfolgten zufälligen Entdeckung wird der Phosphor nicht selten, aber meistens ohne Erfolg, zum Vergiften von Ehemännern und Ratten verwendet.

Während man Vereine und Versammlungen sehr leicht, die Civilehe sogar dem Bande nach auflösen kann, kann Kohle nur in schmelzendem Gußeisen aufgelöst werden. Ist die Kohle krystallisirt, so ist sie härter als der eigensinnigste Bauernschädel und heißt Diamant. Aus dem Stoffe der Kohle wird die Druckerschwärze gewonnen – wenn man das überhaupt einen Gewinn nennen kann, denn darüber sind wir Gelehrten alle einig, daß die Druckerschwärze, wenn sie nicht vorsichtig angewendet und mäßig genossen wird, eines der schädlichsten Gifte ist, welches, unter den Menschen verbreitet, großes Unheil anrichten kann.

[90] Weit unschädlicher ist die Kohle, wenn sie mit Sauerstoff verbunden ist, was man Kohlensäure nennt. Diese hat einen lebhaft aufbrausenden Charakter, ist zum Ersticken sehr geeignet und außerordentlich gesund als Champagner, bei dem Mancher sehr alt werden kann, bis ihm die Mittel erlauben, ihn zu trinken. – Von dem einfachen Kohlenwasserstoffgas auch nur zu sprechen, ist so außerordentlich gefährlich, daß es nur geschehen könnte, wenn sich die verehrten Zuhörer mit Sicherheitslampen versehen würden, wie die Bergleute, was sich aber wegen eines einzigen chemischen Vortrags nicht rentieren dürfte.

Ueber das Leuchtgas etwas zu sagen, ist bei der nahe bevorstehenden Einführung der elektrischen Beleuchtung nicht mehr zeitgemäß.

Wir wenden uns deßhalb zu den Metallen. Die leichten von denselben sind schwer auszusprechen, wie Strontium, Magnium, Calcium, wogegen die schweren leicht auszusprechen sind, z. B. Silber, Gold, Eisen, Zinn etc. –

Zu den Kalien gehören vor Allem die Musikalien, welche von Klavier- und Singschülerinnen mit Vorliebe zwecklos in großen Ledertaschen herumgetragen zu werden pflegen, sowie die Chemikalien, welche bei den Materialisten, deren es heut zu Tage leider sehr viele gibt, zu haben sind. – Dem Kalium ähnlich ist das Natrium, dessen Verbindung mit Chlor als Kochsalz besteuert wird. Man sagt darum, daß in unseren Staaten die Steuern immer gesalzener werden. – Kieselsaures Natron heißt auf chemisch – Glas. Je nach dem in der Verbindung vorherrschenden Oxyd unterscheidet man Kali-, Blei-, Natron-, Augen-, Trink-, Saug-, Wein-, Liqueur-, Bier- und Wassergläser u. s. w. Das Milchglas hat dabei die besondere Eigenthümlichkeit, daß es diese Bezeichnung auch dann beibehält, wenn man Schnaps aus demselben trinkt.

An der Spitze der Metalle steht das Eisen, welches bekanntlich die Noth bricht, natürlich aber nur da, wo sie am schwächsten ist, denn da wo sie am höchsten ist, ist ja ohnehin die Hilfe in der Regel am nächsten. Wenn wir wissen wollten, wie Eisen schmeckt, müßten wir Tinte gesoffen haben. Die Verbindung des Eisens mit Cyan (schon dem Namen nach verschieden von dem im Gebirge und Bauernkomödien häufig vorkommenden Enzian) gibt das sogenannte Berliner Blau, das sich durch seine schlechten Kalauer allenthalben sehr unvortheilhaft bekannt gemacht hat.

Wie sehr Eisen zur Blutbildung beiträgt, beweist der Gebrauch desselben in der Form von Messern und Bajonettspitzen, welch’ letztere auch vom nationalökonomischen Standpunkte aus bei Weitem nicht so nützlich sind, als der Pflug oder die Eisenbahnschiene.

[102] Zu den schweren Metallen zählt auch das Blei, das in seinen chemischen Verbindungen sehr giftig, und nur in seiner Verbindung mit Holz als Bleistift unschädlich ist, obwohl man auch daran nicht viel schlecken soll. Als bekannt können die chemischen Verbindungen des Quecksilbers und des Silbers gelten und bleibt uns somit nur das Gold über, was sehr angenehm ist, da überhaupt selten genug etwas überzubleiben pflegt.

Dieser Stoff hat die merkwürdige chemische Eigenschaft, daß es am leichtesten sich in geprägtem Zustande verflüchtigt und bei dem Menschen in der Regel einen großen Durst erweckt, der durch nichts zu stillen und die Quelle manchen Unheils ist. Was in Aegypten die Pyramiden, im Norden die Hünen-Gräber sind, das sind in Kalifornien die Goldgräber, doch wird es auch, wie schmutzige Wäsche, vielfach ausgewaschen, was jedoch sehr mühsam und langweilig ist, und deßhalb häufig unterlassen wird. Zu Schmuckgegenständen verwendet man in neuerer Zeit sehr vielfach Talmi, was nicht nur dieselben Dienste thut, sondern auch weit billiger ist und daher, wenn es uns gestohlen wird, weniger Schaden verursacht. Soviel von der unorganischen Chemie!

Wir kämen nun zu der interessanteren Seite unserer Aufgabe, zur Darstellung der organischen Chemie.

Es springt in die Augen – nehmen Sie diese also gefälligst in Acht – daß, wollten wir dieselbe mit der gleichen Gründlichkeit behandeln, wie die unorganische, dieses uns zu weit führen müßte. Unter organischer Chemie begreifen wir nämlich die Lehre von der Verbindung zusammengesetzter Gruppen. Bei der Unzahl von solchen Verbindungen ist aber selbstverständlich diese Lehre eine sehr verwickelte, und wird es daher das Beste sein, wenn wir uns nur in allgemeinen Betrachtungen ergehen.

[103] Alle organischen Substanzen bestehen aus Verbindungen von Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Schwefel. Kohle ist überall dabei. Es ließe sich daher dieselbe als das semitische Element der chemischen Welt bezeichnen. Die Verbindung so vieler Stoffe ist natürlich eine unendlich mannigfaltige.

Nun sagt schon ein altes Sprichwort: „Viel’ Köpfe, viel’ Sinn.“ Alle diese verschiedenen Köpfe unter einen Hut zu bringen, vermag nur das Leben selbst. Wenn auch die Chemie, besonders in neuerer Zeit, in das Leben auf vielfache Art einzugreifen versteht und zwar dadurch, daß sie, statt guter, gesunder Erzeugnisse der Natur, auf allen Gebieten schädliche Surrogate geschaffen hat – man denke nur an Wein und Bier und schüttle sich – so müssen wir doch offen gestehen, daß durch die organische Thätigkeit des Lebens der Pflanze und des Menschen so manche Wechselwirkung der Stoffe entsteht, welche in künstlicher Weise auf chemischem Wege vorerst Gott sei Dank noch nicht hervorgebracht werden kann.

Wir könnten bei der Betrachtung der zusammengesetzten Gruppen, welche, soferne sie die Grundlage des Ganzen bilden, die Chemie im Gegensatz zur Politik – Radikale nennt, und, bei der Betrachtung ihrer meist geheimen Verbindungen, viel von Essigsäure, Äpfelsäure (auch Frankfurter Äpfelwein genannt), saurer Milch, Morphium, Äther, Pflanzenschleim, Harzen und Leim reden, wenn unsere Zuhörer uns auf den letzteren gehen würden, aber wir eilen lieber zum Schlusse. Ist es doch ein unleugbarer Vorzug der populären Wissenschaft vor der eigentlichen, daß ihre Abhandlungen rascher ein Ende haben.

Wir wissen, daß der Körper des Menschen ein Aggregat von Stoffen ist, welche alle zusammenhalten, so lange das Leben in dem Körper wohnt. Sobald dasselbe aber auszieht, folgen die Stoffe dem Gesetze der Anziehung und wie ein unbewohntes Gebäude zerfallen wir entweder auf dem Wege der freiwilligen Zersetzung oder auf dem der trockenen Destillation.

Diese Ähnlichkeit mit unsern Gebäuden erklärt es, wenn wir manchen Menschen ein altes, manchen ein fideles oder gar ein flottes Haus nennen. – Das Ende vom Lied Beider ist leider Fäulniß und Verwesung! Trotz dieser unleugbaren chemischen Thatsache ist es aber keineswegs nöthig, daß wir deßhalb Pessimisten werden, vielmehr läßt sich der vernünftige Mensch weder durch Chemie noch durch sonst eine Naturwissenschaft den Humor verderben, sondern erinnert sich zur rechten zeit an Goethe’s Wort:

Encheiresin naturae nennt’s die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie!

v. Miris.