Textdaten
Autor: Anonym (= Johann Jacob Bodmer)
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Titel: Polytimet
Untertitel: Ein Trauerspiel. Durch Lessings Philotas oder ungerathenen Helden veranlasset.
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1760
Verlag: Conrad Orell & Comp.
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Erscheinungsort: Zürich
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Quelle: SB Berlin = Commons
Kurzbeschreibung:
im VD 18 unter der Nummer 11719486
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[1]
Polytimet.
Ein Trauerspiel.


[2]
Personen.


  • Polemon, König.
  • Aristodemus, sein Feldherr.
  • Polytimet, des Aridäus Sohn, gefangen.
  • Strato, des Aridäus Feldherr.
  • Parmenio, Soldat.
  • Heerold des Aridäus.


Die Scene, ein Gezelt in dem Lager des Polemons.


[3]
Erster Auftritt.

Polytimet.

Was ist es denn für ein grosses Uebel, daß ich ein Gefangener bin? Ist es mehr, als daß eine Waagschale sinkt, wenn mehr Gewicht in die andere geleget wird? Oder daß der geworfene Stein nicht in der Luft hangen bleibt? Ich bin mit einem verlezlichen Cörper gebohren; welch Wunder, daß er Wunden empfangen, und daß man mich, als ich gefallen war, davon geschleppt hat? Ich habe mir doch keine dumme Kühnheit, keine unbesonnene Hize [4] vorzuwerfen; was Vorsicht mit Muth vereinigen kann, das habe ich gethan. Kühnheit ohne Verstand, und Verstand ohne Kühnheit taugen nichts; eines muß dem andern aufhelfen. Das Glük hat mich auch nicht völlig verlassen. Ehe ich fiel, habe ich Philotas meinem Vater gefangen zugeschikt; ehe man mich zu Boden riß, habe ich zween alte Krieger erlegt; und ich gab mich nicht gefangen, bis mein verwundeter Arm verweigerte, den Sabel zu schwingen. Ich sehe nicht, was für Schande darinn ligen kann. Noch bin ich glüklich, daß meine Wunde nicht tödtlich war. Ich werde meinen [5] Arm ein ander mal zur Beschüzung der guten Sache brauchen können. Auch ist meine Gefangenschaft nicht schwer. Der König Polemon scheint Achtung für mich zu haben; er hat mich in ein aufgepuztes, bequemes Zelt bringen lassen; der Wundarzt, dem er mich empfolen hat, ist von den geschiktesten. Sey es Höflichkeit oder Hofnung, seinem Sohn bey meinem Vater dieselbe gute Aufnahme zu erhalten.

[6]
Zweyter Auftritt.
Aristodem, Polytimet.

Aristodem.

Ich komme, den König Polemon bey dir zu melden; er wird gleich bey dir seyn.

Polytimet.

Was ist das für eine Herablassung, daß er zu seinem Gefangenen kommen will? Ich halte es für Edelmuth, und daß er mir so das Unglük, ein Gefangener zu seyn, versüssen wolle.

[7] Aristodem.

Prinz, deine Dapferkeit, die bey dieser Jugend so gesezt, so bedachtsam ist, verdienet dir die Freundschaft des Helden, wiewol das Glük dir diesmal gefehlt hat.

Polytimet.

Ich denke wol, daß ich den Vortheil den es mit zuerst gegeben, zugeniessen habe. Philotas redet mir das Wort.

Aristodem.

Halte den König nicht für so unedel, daß er dich nicht mit der Achtung unterschieden hätte, die nicht blos dem Sohn eines Königs, sondern jedem dapfern [8] Mann gebührt, wenn er gleich nicht seinen eigenen Sohn in dir zu verpflegen hätte. Du wirst seine Gedanken von ihm selbst hören. Siehe, er nähert sich.

[9]
Dritter Auftritt.
Polemon, Polytimet, Aristodem.

Polemon.

Laß dich umarmen, Polytimet. Ich umarme in dir deinen Vater, den ich so umarmete, als wir noch beyde Jünglinge waren, in der Blüte deiner muntern Jugend. Wir waren Freunde; listige Staatsschlangen, Schmeichler, schöne Schwäzer haben uns zu Feinden gemacht.

[10] Polytimet.

O! ich habe meinen Vater oft sagen gehört, Polemon wäre der großmüthigste von allen Griechen, und er wäre einmal des Aridäus Busensfreund gewesen. Welches unglükliche Schiksal hat zween so vortrefliche Könige zu Feinden gemacht?

Polemon.

Fremde Verbrechen, falsche Erzehlungen; dazu half die Entfernung, und daß wir nur durch andere Zungen, durch eigennüzige, falsche und niederträchtige Diener mit einander Unterhandlung gepflogen haben. [11] Du bist der Abdruk deines Vaters, sein Ebenbild im innerlichen und im äusserlichen, das tauglichste Werkzeug, unsere Herzen wieder zu vereinigen. Ich gebe dir die Freyheit; geh zu deinem Vater, und sag ihm: „Polemon hält die Macht und das Schwert nicht für das, wodurch die Götter ihr Urtheit sprechen; nein, sie haben gewissere Richter in unsern Busen geleget, die darinn laut ihren Willen und unsere Pflichten reden. Die Begierde, mehr Völker zu beherrschen, ist nicht die Springfeder, die sein Herz beweget; sie hat nicht die Wafen ihm in die Hände gegeben. [12] In seinem Herzen pocht mit höhern Schlägen die Begierde Glükliche zu machen. Diese zu erfüllen hat er Provinzen genug, an deren Glük er arbeiten kann; und der Krieg ist ein verkehrter Weg, Glükliche zu machen. Lasset uns das Land, um welches wir streiten, und, um es zu haben, es zuerst verwüsten, dem von unsern beyden Söhnen geben, der uns heute die stärkste Probe giebt, daß er königlich denke.“

Polytimet.

Wie königlich muß der Sohn denken, der solche Beyspiele von grossen Gedanken [13] von seinem Vater empfängt, der dabey hergekommen ist! Doch auch mein Vater hat es mir daran nicht mangeln lassen; und ich würde des Preises gewiß seyn, wenn ich ihm von weitem folgen könnte.

Polemon.

Du hast in diesem Streit der grossen Denkens-Art keinen fürchterlichen Mitbuhler. Mein Sohn träumt nur Wafen, Läger und Schlachten; das gröste, was er weiß, ist Schwert und Sieg. Er unterscheidet nicht sehr zwischen dem Schwert und der Ursache, die es in die Faust zu nehmen berechtigt. Er schreibt [14] ihm eine Kraft zu, das Recht zu machen. Ich wollte ihm gern eine grosse Erfahrung geben, daß er sich betriegt.

Polytimet.

Ich wünschte, daß du selbst den Streit der Großmuth übernommen, und meinen Vater zu deinem Gegner gewählt hättest. Nur an ihm hättest du den Mann gefunden, der dir die Wage gehalten hätte. Wir beyde Jünglinge werden sehr schwache Gedanken für grosse geben. Was für ein edler Gedanke war es schon, daß du solchen Weg erdachtest, die Freundschaft zwischen zween Königen herzustellen, die so ergrimmt gegen einander [15] im Felde ligen? daß du den Antrag thust, und ihn durch mich thust? daß du mich meinem Vater wider giebst, ohne daß du für mich einiche Sicherheit nehmest?

Polemon.

Sollte ich den grossen Aridäus durch dergleichen Mißtrauen erniedrigen? Welche Beschimpfung, wenn ich dächte, er könnte fähig seyn, mir meinen Sohn zu vorenthalten, da ich ihm den seinen zurük schike! O! ich vermuthe, daß er gleich izo damit umgehet, mir eben dieses Zeichen der Großmuth zu geben, das ich ihm gebe: und ich bitte dich zu ihm [16] zurükzueilen, daß mein Sohn nicht bey mir wieder ankomme, ehe du aus meinem Lager weggegangen bist.

Polytimet.

Ich eile, König, deine Befehle zu verrichten; ich werde meinem Vater sagen, daß ich in meiner Gefangenschaft den zweyten Vater an dem König Polemon gefunden habe. Ich lasse einen grossen Theil von meinem Herzen bey dir zurük.

[17]
Vierter Auftritt.
Aristodem, Polemon.

Aristodem.

Mein König, ich muß dir ein Gerücht nicht verschweigen, das durch das Lager gehet, wiewol es auf lauter Ungewißheit beruhet. Und das ist mein Trost, daß es darauf beruhet, denn es meldet etwas sehr betrübtes. Die Götter wenden alles Unglük von deiner königlichen Person und deinem Hause ab!

[18] Polemon.

Ist meinem Sohn etwas menschliches begegnet? O! seine Gefangennehmung war schon sehr menschlich. Er rann mit solcher Unbedachtsamkeit in die Feinde, als wenn ihm unbekannt wäre, daß er einen verlezlichen Leib hat. Und dieses hielt er für Dapferkeit. Aber sage deine Zeitung; ich habe mich längst gegen alle Zufälle des Schiksals gerüstet.

Aristodem.

Man sagt, daß er eine geringe Wunde empfangen habe; aber untröstlich gewesen [19] sey, daß sie nicht tödtlich war, und daß es nur eine war.

Polemon.

Wie ausschweifend! Wen die Götter genesen lassen, der kann das Schwert nochmals für das Vaterland ziehen, und die erste Niederlage verbessern. Das wäre grösser gedacht gewesen.

Aristodem.

Er soll seine Wunde wieder aufgerissen haben; und als man sie wieder verbunden, wieder aufgerissen haben. Man vermeldt, daß er sie tödtlich gemacht habe.

[20] Polemon.

Welche Raserey! Ich wußte wol, daß ein wildes, ungeordnetes Feuer in seinen Adern tobete; aber dergleichen Wuth hielte ich ihn nicht für fähig. O Himmel! wenn das wäre, so müßte ich glauben, daß die Götter es mit meinem Reiche gütig meynten, wenn sie die Sorge für seine Glükseligkeit nicht der Macht dieses Unsinnigen vertrauten.

Aristodem.

Mein Herr, haben wir Polytimeten nicht zu eilfertig zurükgeschikt? Wenn unser Prinz nicht mehr wäre, und Polytimet [21] wäre unser Gefangener, so hätte das Glük sich erkläret, für wen es sich erklären sollte. Dein Recht triumphierte; du könntest dir dann für seine Auslösung alles bedingen.

Polemon.

Wie! Aristodem schämt sich nicht dem niederträchtigsten Gedanken nachzuhängen. Ich sollte Aridäus durch die Handlung eines Jünglings besiegen, der im Kopf verrükt war, der vielleicht in einem Wundfieber rasete; einem Wahnsinn sollte ich seine Niederlage und meinen Sieg schuldig werden! Seine Niederlage würde [22] preiswürdiger als mein Sieg seyn. Kein Wort mehr hievon. Aber ist, der dort kömmt, nicht der Hauptmann Parmenio, der mit Philotas gefangen worden? Wir werden bald wissen, ob das Gerücht wahr geredet hat. Braver Parmenio, lebet Philotas?

[23]
Fünfter Auftritt.
Parmenio, die vorigen.

Parmenio.

Er lebet, König, der dapfere; doch, daß er lebet, ist seine Schuld nicht. Ein Herold ist mit mir gekommen, der dir Philotas Auswechslung gegen Polytimet antragen soll.

Polemon.

Ich danke dieses mal dem Gerüchte, daß es uns betrogen hat. Was mag es so schwazhaft oder so zornig gemacht haben [24] seinen Tod zu leugen? Und, Parmenio, was willst du damit sagen, daß er nicht durch seine Schuld lebe?

Parmenio.

Man hatte Mühe ihn zu verhintern, daß er seine Wunde nicht aufrisse, sie tödtlich zu machen. Er machte dem Schiksal bittere Vorwürfe, daß es ihm durch eine Wunde nicht lieber den Tod als die Gefangenschaft zugetheilt hat. Er verabscheuete sich in jedem von seinen Mitgefangenen, indem er glaubte, daß er sich in jedem vervielfältigt erblikte. Er wußte keinen grössern Schimpf, als entwafnet [25] zu seyn. Als der König Aridäus ihn in ein aufgepuztes Zelt bringen ließ, hielt er es für eine hönische Höflichkeit, denn er glaubte, das Zelt wäre einer Beyschläferinn desselben. Er stampfte, er winselte, er weinte; aber es war kein kindisches Weinen; er fürchtete, du würdest ihn mehr als dein Reich lieben; du würdest dich zu allem verstehen, ihn aus der Gefangenschaft zu retten. Er nennte sich deinen schlimmsten Feind. Er stellte sich die spöttische Verachtung vor, die einem Prinzen folgen müßte, der gegen Provinzen ausgelößt worden; das war ein Gedanke, den seine fühlende Seele nicht [26] ertragen konnte. Und kaum faßte er sich wieder, als er hörte, daß Polytimet dein Gefangener wäre, wie er des Aridäus: Er hat mich des Vertrauens gewürdigt, daß ich mit dem Herolden des Aridäus gehen soll; ich soll bezeugen, daß er nicht an seiner Wunde gestorben sey, wie man etwan argwohnen könnte. Aber Philotas hat mir eignen Befehl aufgegeben, ich soll seine Unbedachtsamkeit entschuldigen, die dich und dein Reich fast ins Verderben gestürzt hätte. Er bittet dich, ihm seinen Fehler zu vergeben.

[27] Polemon.

Es war das Werk eines raschen unbesonnenen Jünglings, daß er so mit zugeschlossenen Augen, ohne Noth und unbegleitet, unter die Feinde gelaufen. Er braucht noch Zeit und Erfahrung zum Helden zu wachsen. Aber er hat sich sein Unglük zu wichtig vorgestellt; er stürzte mit seiner unzeitigen Hize nur sich selbst, sein Leben in Gefahr; ich und mein Reich waren noch fern vom Verderben.

Parmenio.

Was es seyn mag, so bittet er dich, keine Ungnade deswegen auf ihn zu werfen. [28] Das ist, was der Sohn dir sagen läßt; der Prinz sagt dir noch mehr. Er bittet dich sehr, ihn nicht ehender auszulösen bis morgen. Eine gewisse Bedenklichkeit, ein gewisser Anschlag nöthige ihn zu dieser Verzögerung.

Polemon.

Welches spizfündige Unterscheiden! Ist der Prinz ein anderer als mein Sohn, und bin nicht ich der Prinz meines Sohns? Er kann mir überlassen, diese Sache zu überlegen. Ich fürchte, sein Entwurf möchte eine neue Uebereilung seyn; was kann es anders seyn? Hast du nichts genaues davon bemerket?

[29] Parmenio.

Er wollte nicht, daß ich vernünfteln sollte. Ich solte nur behalten, was er mir vorsagte, damit ich es wieder sagen könnte. Er untersagte mir Gründe zu fragen. Ich sollte blindings gehorsamen.

Polemon.

Hast du dir so den Gebrauch deiner Vernunft nehmen lassen, Soldat?

Parmenio.

Als ich ein wenig empfindlich darüber ward, so wußte er mir so süsse zu schmeicheln, als ob er mich mit Schmeicheleyen bestechen wollte. Er bekam mich [30] ganz; bald trauete ich mir selbst nicht mehr. Ich mußte ihm schwören, zu machen, daß er erst morgen sollte ausgelößt werden. Warum zwar erst morgen, das weiß ich nicht; das verlangte ich auch nicht zu wissen. Genug, ich wußte daß er es so wollte, und ich wollte alles was er wollte. Hätte er mir ein Verbrechen, ein Bubenstük befohlen, ich hätte es begangen.

Polemon.

So viel Umstände wegen einer Kleinigkeit mir zu sagen; mich zu überreden, daß ich ihn erst morgen auswechseln sollte: [31] Gewiß schweigest du mir mehr, als du weist. Ich will versuchen, ob meine Drohungen weniger vermögen, als seine Schmeicheleyen. Aristodem, laß ihm zwanzig Prügel für seine Fertigkeit geben, um zwanzig süsse Worte ein Bubenstük zu begehen.

Parmenio.

O gefürchtete Majestät, sey mir nicht ungnädig, ich will mehr sagen als ich weiß; nur hinweg mit den Prügeln; ich zittere vor Prügeln; ich kann nur die Degenspizen vertragen. Dazu habe ich die Knochen, daß sich die Eisen, nicht das Holz darauf schartig hauen.

[32] Polemon.

Wenn du die Prügel fürchtest, so fürchte die Lügen. Plaudre die Wahrheit, Kerl.

Parmenio.

Ich will seine Worte sagen, Philotas Worte: Der Sohn wollte gern wieder bey seinem Vater seyn; aber der Prinz kann nicht, und will nicht. Das verwehrt ein guter Einfall, ein Geschenk des Glüks, womit es die Jünglinge gern beschenkt; ein Einfall, als es oft in das albernste Gehirn wirft; er hatte ihn ertappt, blos ertappt; von dem seinigen, sagt er, wäre nicht das geringste dazu gekommen; so [33] ein Gedanke, woran sein Verstand keinen Antheil hätte, den er darum mit mir nicht überlegen könnte, der verschwände, wenn er ihn mittheilte; wovon er nur sagen könnte, was er nicht ist. Vielleicht ein kindischer Einfall, aber glüklich genug, weil er noch keinen glüklichern gehabt hätte; der unschuldigste Einfall, so unschuldig als ein Gebet.

Polemon.

Das sind Worte eines Halbkopfs, Parmenio, du leihest sie ihm; Räthsel, die du zuerst nicht verstehest. Die Erwähnung der Prügel hat dir den Verstand genohmen.

[34] Parmenio.

O, er hat mich zu seinem Papagey gemacht; ich habe nicht verstanden; ich habe nur behalten, was er mir vorgesagt; und jezt habe ich dir alles wieder hergeplappert. Zwar hat er mir erlaubt, eine Ursache zu ersinnen, warum er erst morgen will ausgewechselt werden; aber ich Dummkopf habe umsonst darauf gesonnen, das erste mal auf eine Unwahrheit. Ich konnte sie nicht erfinden. Ich hätte nicht geglaubt, daß das Leugen so schwer wäre.

[35] Polemon.

Aristodem, laß den Herold zu uns hereinkommen. Vielleicht kann er mir einiges Licht geben, was diese Verzögerung bedeuten soll. Mein wilder, unzeitiger, kindischer Held scheint eine eigene Ausschweifung zu bruten. Tritt ab, Parmenio.

[36]
Sechster Auftritt.
Heerold, Polemon, Aristodem.

Polemon.

Deine Gesandschaft, Heerold, ist unnöthig geworden. Schon wird Polytimet bey seinem Vater, dem König, zurüke seyn. Ich habe ihn, ohne mehr Sicherheit zu begehren, als die Großmuth des Königs Aridäus, ihm wieder gesandt, und er bringt ihm mehr als Vorschläge zur Auswechslung einzelner Personen; Vorschläge, die Wafen niederzulegen, [37] und das Blut der Menschen zu schonen. Sage mir indessen, wie hat Philotas seine Gefangenschaft ertragen?

Heerold.

Als den Gipfel der Schande, die einen Krieger betrefen könnte. Er hätte seine Wunde aufgerissen, wenn man ihn nicht sorgfältig bewachet hätte. Die Nachricht, daß Polytimet eben so wol gefangen wäre, machte ihn nicht viel ruhiger; es schien, daß daher eine neue Reihe Gedanken und Entwürfe bey ihm entstanden wären. Wohin sie aber zieleten, bleibt verborgen. Er überlegete öfters mit sich selbst, und [38] überlegete seinen Zustand mit lauter Stimme. Ohne daß man ihn zu behorchen gesucht hätte, hat man ihn sagen gehört: „Welcher Gedanke war es, den jezt ein Gott in mir dachte! Ich will ihn fesseln. Wie weit er sich verbreitet! Wenn ich an meinen Wunden gestorben wäre, so würde die Sache ein ganz anders Ansehen gewonnen haben; denn mein Vater hätte alsdenn einen gefangenen Prinzen gehabt, für den er sich alles bedingen können; und der König, sein Feind, hätte nur den Leichnam eines gefangenen Prinzen gehabt. – – – Folglich, worauf kömmt es an? – –“ [39] Denn schlug er sich mit Todes-Gedanken; er philosophierte über Leben, Zeit, Endzwek, Tod; es schien, daß er sich zum Sterben auffoderte.

Polemon.

Unsinnig, verzweifelt! Ich muß fürchten, daß er gegen sich selbst etwas blutiges in Gedanken habe. Soll ich ihn für ausschweifend genug halten, Aristodem, daß er sich selbst das Leben nehmen könnte, damit er den Ausschlag für mich lenkte, den der gefangene Polytimet, wenn Philotas nicht gefangen wäre, auf meine Seite brächte? Welche verkehrte Denk-Art, welche Niederträchtigkeit, wenn das [40] wäre! Ich wünsche, daß Aridäus ihn vor ihm selbst bewahre; Philotas hat den wildesten Feind in seinen eigenen fieberhaften Adern.

Heerold.

Beruhige dich, König; Philotas hat kein Schwert.

Aristodem.

Das Verhängniß hat neue Geschichten gebohren; ich sehe dort den Strato, des Aridäus Feldherrn, der herwerts kömmt; und mit ihm kömmt Polytimet wieder.

[41] Polemon.

Polytimet wieder, und mit Strato! Sie kommen gewiß mit Nachrichten von schwerem Inhalt beladen. (Zu Polytimet.) Was bedeutet diese schnelle Wiederkunft, Polytimet, mein junger, mein neuer Freund? So hoffe ich dich bald nennen zu dörfen.

[42]
Siebender Auftritt.
Polytimet, Strato, die vorigen.

Polytimet.

Was wir dir zu verkündigen haben, beklemmt mein Herz zu stark, als daß ich die Nachricht aussprechen könne. Strato mag sie erzehlen. Ich bringe dir, grosser König, in meiner Person deinen Gefangenen wieder. Philotas hat mich überwunden, aber nicht durch den sanftmüthigen und menschlichen Sieg, den du so edelmüthig vorgeschlagen hast; durch [43] einen blutigen Sieg, der dir Wehmuth kosten wird.

Polemon.

O ihr Götter, hat Philotas gegen sich selbst gewütet?

Strato.

Mächtiger König! mein Herr, der König Aridäus stellte sich in seinem friedfertigen Gemüthe vor, euere beyden Söhne würden die Mittels-Personen zwischen ihren Vätern werden. Er wollte ihn in sein Gezelt führen, ihn seinen Befehlhabern zu zeigen, und ihm einiche grosse Vorschläge zu thun. Philotas weigerte [44] sich öffentlich sehen zu lassen, weil er das Kennzeichen eines Soldaten missete. Ich bekam Befehl, ihm ein Schwert zu geben. Er betrachtete es mit tiefsinniger Aufmerksamkeit. Ein Schwert, sagte er, und zitterte vor Freuden. Er redete zu dem Schwerte. Da zog er es, und that damit einen Streich durch die Luft. Es hat den Zug gut, sprach er. Wir dachten, daß er damit spielete. Wir verwunderten uns über die wunderbare Vermischung vom Kind und Helden. Jezt haute er um sich wie in dem dichtesten Treffen, indem er rief: Entsezen! Wieder umringt. Kaltes Entsezen! Was nun Gefährten, [45] Freunde, Brüder! Wo seyt ihr? Alle todt? Ueberall Feinde? Ueberall! Hier durch! Nihm das! Und du das! Und du das! – – – Das dünkte mich zu ernsthaft. Ich gieng auf ihn zu, und rief, daß er sich fassen sollte. Aber er schrie: Auch du, Strato, auch du! Sey großmüthig; tödte mich; nihm mich nicht gefangen. Und wenn ihr alle Stratos wäret; doch will ich mich gegen euch alle, gegen eine Welt will ich mich wehren. – – Thut euer bestes, Feinde! – – Aber, ihr wollt mich nicht tödten; ihr wollt mich lebendig? Ich lache nur; mich lebendig? Ich lache nur. Mich! Eher will ich dieses mein Schwert, will ich [46] – – – in diese meine Brust – – – eher – – – Ehe wir uns dessen versahen, stak das Schwert in seiner Brust.

Polemon.

O der verkehrten Dapferkeit, o des mißlungenen Helden! Wie habe ich meinen Sohn, wie hat das Reich seinen Erben verloren! Das habe ich dem Herzen zu danken, das, von schwindlichten Entzükungen betäubt, nicht mehr siehet und nicht mehr höret! Mein armer Sohn war lauter Herz, lauter Empfindung! Kopf und Verstand erlagen darunter.

[47] Aristodem.

Noch kann ich ihm meine Bewunderung nicht entziehen; wiewol diese sehr von Mitleiden und Kummer bestritten wird. Seine Seele hatte bey schwindlichten Empfindungen ungewöhnliche Schönheiten; er rasete zwar, aber auf eine erhabene Art; er blieb in der grösten Ausschweifung groß.

Polemon.

Nihm dir nicht vor, meine Wehmuth mit Antithesen und Sophismen zu lindern. Es war Betäubung des Verstands! Verwirrung der Begrife, die darum nicht [48] edler sind, weil sie auf den höchsten Gipfel des Unsinns gestiegen waren.

Strato.

Wir hielten es für wütende Schwermuth. Der sterbende Prinz sagte, es wäre Ueberlegung gewesen, er hätte durch seinen Tod seinem Vater Länder erkämpfen wollen, die das Lösegeld des gefangenen Polytimeten seyn sollten. Saget, so rief er sterbend, meinem Vater, wie ihr mich gesehen habet, einen Jüngling, gestrekt auf den Boden, das Schwert in der Brust! – – – He! ein treflicher, ein grosser Anblik! – – – Sein blutiger Entwurf [49] ist ihm gelungen, König; ich habe Befehl dir für Polytimet alles, worauf du gültige oder ungültige Ansprache hast, abzutreten. Aridäus hält jede Tugend seines Sohns von ungleich höherm Werthe als eine Provinz. Der Vater würkt in ihm stärker als der Herrscher; er sezt das Beste seines Staats nicht darinn, daß er Provinzen gewinne, sondern daß er Glükliche mache. Durch Polytimetens Verlust würde er ein Land ersparen, aber allen den Seligkeiten den Weg verschliessen, welche Polytimetens Denkens- und Gemüths-Art seinem Reiche verspricht. Er verabscheuet den Gedanken, daß er Polytimeten [50] einer Herrschsucht, die Bestes des Staats heißt, aufopfern sollte.

Polemon.

Unbesonnener, schwacher Philotas, wie fruchtlos hast du dein Leben verlohren! wie nüzlicher, wie glorreicher hättest du es behalten, wenn du geseztere Ueberlegungen gemacht hättest! O Strato, sein Tod hat meinen schönsten Entwurf verderbt. Er sollte mit Polytimet einen stillern Kampf von Grossmuth, von Begriffen der wahren Ehre, von Liebe des Staats, die Liebe der Nation, und nicht der Länder ist, versucht haben; und der [51] Sieger sollte die Provinzen bekommen haben, um die ich mit Aridäus im Felde lige. Wenn er in diesem Streit untergelegen wäre, so wäre er in einem heroischen Streit untergelegen, und ich hätte meinen Sohn zu reifern Begriffen empor wachsen gesehen. Ich fluche den Schmeichlern, den Pedanten, den gelehrten Ignoranten, die seine Begriffe von Hoheit, von Grösse, von Regieren nicht in bessere Ordnung gebracht, oder ihm lieber falsche eingepflanzt haben. Sie haben mir meinen Sohn getödtet. Sie sollten ihm gesagt haben, daß ein Sohn nicht so ohne seinen Vater, ein Prinz nicht so ohne seinen [52] König, ohne die Götter, über sein Leben richten dörfe, daß er ohne ihre Einwilligung nicht sterben darf, daß seine Person des Staats, der Nation ist. Er hat mich mit seinem Tode hintergangen, er hat mich um sein Leben betrogen, er hat es nicht ihm selbst allein, er hat es zugleich mir und dem Reiche geraubt, und dieses ohne die Frucht zu erhalten, die er sich in seinem schwindlichten Kopfe vorgestellt hatte. Denn haltet mich nicht für so niederträchtig, daß ich von seinem raschen, blöden Beginnen einichen Nuzen ziehen wolle. Das wäre so viel, als in seine verstiegnen, schwindlichten Phantasien [53] einwilligen, und sie gut heissen, und sich mit ihm schuldig machen. – – – Du hast über ihn gesieget, Polytimet! erstlich, als du deine Gefangenschaft mit der Stärke des Geistes ertrugest, der weiß, daß der Zufall, die Menge der Feinde, die Uebermacht der Waffen keine Schande machen; als du deinem Schiksal stille gehalten, und ein Leben nicht weggeworfen hast, für welches du deinem Vater, deinem Reiche, den Göttern, Rechenschaft schuldig bist: hernach als du, nachdem du des Philotas Tod vernommen, so ohne Ausflüchte, ohne Sophismen, so geradezu, zu deinem Sieger zurük kamest, gerechter [54] als Philotas, der das Schwerdt, des Aridäus Geschenke, gebraucht, ein Leben zu zernichten, auf welches dieser ein Recht hatte.

Polytimet.

Richte deinen Sohn nicht mit dieser Schärfe, König, er hatte eine starke Seele; zwar waren seine Grundsäze falsch und wurmstichig, aber er war ihnen mit einem Muthe, einer Standhaftigkeit getreu, die ihre Verdienste hat. Wie groß wäre er geworden, wenn er für die Grösse, für die Hoheit selbst gethan hätte, was er für das gethan hat, das er dafür [55] hielt? Seine lezten Worte, sagt man mir, waren: Wenn mein Vater sich rächen wollte, so sollte er ihn wieder lebendig machen. So gering, so verächtlich hielt er das Leben, das ihm die prächtigsten Aussichten von Macht, irdischer Glükseligkeit und Vergnügungen aller Arten versprach, ein Leben, das andere wünschenswerth halten, die mit Noth, Elend, Armuth, Schmerzen umgeben sind.

Polemon.

Aber er verachtete es gegen Länder, gegen Herrschaften, die er von höherm [56] Werthe hielt, als einen Prinzen, der zur Erquikung, zur Glükseligkeit der Menschen empor wächßt. Das ist nicht groß, dessen entgegen gesezte Seite groß ist. Für jeden, der sein Wesen, sein Daseyn, den Werth, den Nuzen seines Daseyns fühlt, ist es nicht gleichgültig zu seyn oder nicht zu seyn. Dein Leben, Polytimet, ist würdiger, als Philotas Tod. Dir gebe ich die Provinzen, die unter uns auf der Spize des Degens flatterten. Ich verzeihe mich aller Ansprache auf dieselben. Von dir regiert, werden sie die Glükseligkeit geniessen, welche, und nicht [57] die Herrschaft, das Ziel und die Ehre der Regenten seyn soll.

Polytimet.

Großmüthiger König, du vergiebst Provinzen, die eben dieses Vergeben derselben dich ihrer am würdigsten zu seyn beweiset. Welches Unglük, daß die Zweytracht zwischen zwo so edeln Seelen, wie Polemons und Aridäus sind, hat Feindschaft säen können!

Polemon.

Gehe zu Aridäus, eile und sage ihm, daß Polemon schmachtet, bis er ihn mit [58] der aufrichtigen Zärtlichkeit umarmen kann, die ihn in seinen glükseligsten Tagen mit ihm vereiniget hat.