Pius der Neunte (Die Gartenlaube 1869/51)

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Titel: Pius der Neunte (Die Gartenlaube 1869/51)
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[816] Pius der Neunte. „Den 28. November 1860 traf ich,“ schreibt uns ein ehemaliger Officier der päpstlichen Armee, „aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, in Rom ein, und erhielt, gleich vielen Anderen, die für Petri Stuhl gestritten und gelitten hatten, mehrere Tage erbärmliches Quartier in einem mit Ziegelsteinen gepflasterten Corridor des an die Kirche zum Kreuze von Jerusalem stoßenden Klosters. Meine große Sehnsucht, doch einmal den heiligen Vater zu sehen, blieb unerfüllt, da ich schon einige Tage nach meiner Ankunft in der Siebenhügelstadt nach dem Norden des Patrimoniums instradirt wurde, um einem daselbst stehenden Bataillon einverleibt zu werden. Den 19. Februar 1861 kehrte dieses durch massenhafte Desertionen ganz heruntergekommene und demoralisirte Corps nach Rom zurück, um bald nach seiner Ankunft daselbst aufgelöst zu werden.

Fast ein Vierteljahr blieb ich nach Auflösung unseres Corps in Rom und benutzte diese Zeit zur Besichtigung der so äußerst zahlreichen Merkwürdigkeiten dieser Stadt. Meine Absicht, eine Audienz bei Seiner Heiligkeit zu erhalten, konnte ich nicht durchsetzen, da die päpstlichen Militairs hierzu die Erlaubniß bei ihrem Corpschef, dem Brigadegeneral und dem Kriegsminister einzuholen hatten, was so viel hieß, als ad Calendas graecas geschickt werden. Diese Maßregel ist durch einen päpstlichen Ministerialbefehl vom Februar 1861, und zwar, wie ich in Erfahrung brachte, deshalb getroffen worden, weil sich päpstliche Soldaten in einer Audienz bei ihrem obersten Kriegsherrn unanständig benommen hatten. Den französischen Soldaten, die damals Vater Goyon befehligte und in strenger Zucht hielt, war stets freier Zutritt zum Papste gestattet, wie denn Fremde überhaupt leicht Audienz bei demselben erhielten. Pius der Neunte empfing sie sehr freundlich und unterhielt sich eben so mit ihnen. Da er nur Italienisch, Lateinisch und Französisch spricht, so bediente er sich, falls ein Fremder einer dieser drei Sprachen nicht mächtig war, eines der ihm zu Gebote stehenden zahlreichen Dolmetscher. Auf Verlangen schrieb er auch den Fremden eine Bibelstelle oder sonst einen frommen Spruch auf ein Bild, ein Blatt Papier und dergleichen, setzte aber nie seinen Namen darunter.

Da ich von einem Officier erfahren hatte, daß der Papst an jedem Freitage während der Fasten in der Peterskirche seine Andacht verrichte, so verfügte ich mich den 1. März, welcher auf einen Freitag der Fasten fiel, Morgens in Sanct Peter’s Dom, und stellte mich dicht an die Schweizer, welche zu beiden Seiten des Altars, an dem der Heilige Vater seine Andacht verrichten wollte, Spalier gebildet hatten. Eine lautlose Stille herrschte unter allen Anwesenden, worunter sich, wie ich hörte, die kurz vorher von Gaëta angelangten neapolitanischen Majestäten, sowie auch Mitglieder der unseligen bourbonischen Dynastie von der pyrenäischen Halbinsel befanden. Endlich erschien der Papst, gefolgt von verschiedenen hohen geistlichen Würdenträgern, kniete auf dem für ihn bereit gehaltenen Betstuhle nieder und verrichtete, die Hände gefaltet, den Blick oft nach oben gerichtet, seine Andacht. Viele Anwesende vergossen beim Anblicke des in tiefe Andacht versunkenen Oberhauptes der katholischen Kirche Thränen, und auch ich schied tiefgerührt von der Stelle, wo ich dasselbe zum ersten Male sah.

Pius der Neunte ist von mittlerer Statur. Obgleich ziemlich wohlbeleibt, ging er damals so schnell und lebhaft einher, wie ein noch ganz [817] rüstiger Mann; und, obwohl bald siebenzig Jahre alt, und während einer fünfzehnjährigen Regierung schwer geprüft und hart heimgesucht, sah er, wenn man sein gebleichtes Haupthaar nicht in Betracht zog, fast jugendlich aus. Selbst auf seiner Stirn waren kaum Furchen bemerkbar.

Diese nämliche Frische der Erscheinung fiel mir auf, da ich den Papst später einmal in der Lateran-Basilika sah. Dieses Gotteshaus gilt bekanntlich für die erste Kirche der katholischen Christenheit, und wird daher „Omnium Urbis et Orbis ecclesiarum Mater et Caput“ genannt. Die Tiara auf dem Haupte, wurde Pius zum Hochaltare getragen, an dem der Apostelfürst Messe gelesen haben soll, und auf dem nur der Papst oder ein von ihm Bevollmächtigter celebriren darf. Wie in allen Basiliken, so steht auch im Lateran der Celebrirende mit dem Gesichte dem Volke zugewendet. Während des von Pius gehaltenen Hochamtes ließ sich das Sängerchor von Sanct Peter - wie immer ohne Orgelbegleitung - hören. Die Stimme des Papstes klang kräftig und rein. Den Segen nach dem Hochamte ertheilte er, Regens halber, nicht vom Balcon der Basilika herab, sondern in derselben, und sang die Segensworte ebenso kräftig, als vorhin das Hochamt. In feierlichem Zuge kehrte er hierauf in den Vatican zurück.

War dieser Zug des Heiligen Vaters großartig, so war es ungleich mehr der, den er den 27. Mai, am Feste des Heiligen Philipp Reri, des Patrons von Rom, von dessen Kirche aus über die Engelsbrücke nach seiner Residenz hielt. Der feierliche Wagenzug war rechts und links von den unvermeidlichen Schweizern umgeben. Pius saß in einem Staatswagen, der von sechs Rappen gezogen wurde. Das Riemenwerk derselben war mit rothem Saffian überzogen, und das Gold an dem Wagen so verschwenderisch angebracht, daß sich der erste Fürst der Welt seiner nicht hätte zu schämen brauchen; wer freilich dabei an den Peterspfennig dachte, konnte ein leichtes Kopfschütteln nicht unterdrücken.

Man hat gar Vieles, und zwar oft sehr Lächerliches über das Privatleben Pius des Neunten geschrieben. Was darüber, namentlich durch die französische Journalistik, in die Welt gedrungen, kann theils als erfunden, theils als unwahr, theils als entstellt bezeichnet werden, und zwar eben so sicher, als es schwer ist, aus dem Vatican etwas Bestimmtes über jenen interessanten Gegenstand zu erfahren.

Ich habe nach allen Seiten hin Erkundigungen über die Lebensweise Pius des Neunten eingezogen, und zwar bei Personen, von denen ich voraussetzen konnte, daß sie im Stande waren, darüber nähere Auskunft zu ertheilen. Was ich darüber erfuhr, war, daß Pius äußerst einfach lebt und für seine Person fast gar keine Bedürfnisse hat. Freigebig gegen Arme und Hülfsbedürftige, mitleidig gegen Noth und Elend, läßt er Keinen, der sich in seiner Bedrängniß an ihn wendet, leer ausgehn; ja, seine außerordentlich große Freigebigkeit führt ihn oft so weit, daß er Geschenke macht und Gaben spendet, die ihm selbst gewiß Entbehrungen auferlegen. Ich könnte zur Bekräftigung des so eben Gesagten einen sehr eclatanten Fall anführen, muß dies jedoch unterlassen, um nicht auf einen traurigen Proceß der neuesten Zeit zurückzukommen, in welchem ein Schmuck eine seltsame Rolle spielte …

Nur äußerst selten werden hohe distinguirte Personen zur Tafel des Papstes gezogen, und ebenso selten speist der Papst bei solchen auswärts. Während meines Aufenthaltes in Rom that er dies zweimal, und zwar bei den neapolitanischen und spanischen Bourbonen im Quirinal. Bei solchen Gelegenheiten nimmt der Papst aber stets einen höhern Sitz ein, als seine Gastgeber.

Nachmittags gegen vier Uhr fährt Pius gewöhnlich spazieren; er verläßt aber meistens den Wagen, um eine Strecke Weges zu Fuß zurückzulegen. Auf solchen Spazierfahrten hat er immer eine Escorte bei sich, die jedoch eher dazu bestimmt ist, allzu Neugierige fern zu halten, als die Person des Papstes zu schützen, denn darin stimmen selbst die eingefleischtesten Gegner des Papstes überein, daß er ein herzensguter Kirchenfürst ist und das Beste seines Volkes will, ohne freilich das Wohl seiner Unterthanen fördern zu können, weil er, in den Vatican gebannt, nicht weiß, wie es in seinem Lande zugeht und wessen es bedarf. Wirklich entbehrt dieser Vorwurf nicht der Begründung. Persönlich sieht sich Pius nicht in seinem Staate um, und nur selten verläßt er den Vatican auf kürzere Zeit. Er überträgt Alles seinen Ministern und durch diese wurde, obgleich er selbst seit seinem Regierungsantritt nie den Nepotismus gehegt, ein elendes Protections-System aufrecht erhalten, das seine Regierung in den Augen aller rechtlich Denkenden herabsetzen muß und seinen Feinden stets neue Waffen in die Hand giebt.

Ich will hier auf ein Feld hinweisen, das ich vollständig kennen gelernt habe und auf dem das Protectionssystem im reichlichsten Maße gewuchert und unermeßlichen Schaden angerichtet hat: es ist dies das päpstliche Heer. Eine förmliche scandalöse Chronik könnte ich darüber schreiben, wie in diesem gerade die Unfähigsten und Unwürdigsten befördert, verdienstvolle Männer dagegen mißachtet, vernachlässigt und bei Seite geschoben, Orden an ganz verdienstlose, ja selbst schlechte Subjecte verliehen wurden.

Zu meiner Zeit spielten die französischen Legitimisten, diese erbärmlichen Egoisten, welche den Papst nur als ein Werkzeug zur Erreichung ihrer eigenen Zwecke ansehen, im päpstlichen Heere die Hauptrolle. Die Heloten desselben waren die Deutschen, und ich warne, durch die traurigsten Erfahrungen belehrt, jeden Landsmann vor dem Eintritt in den päpstlichen Militärdienst. Ist es schon höchst unangenehm, in einem Lande zu sein, dessen Einwohner Alles. was die päpstliche Uniform trägt, hassen, meiden und fliehen, so ist dieses Leben für den deutschen Legionär noch um so lästiger, unangenehmer und trauriger, als er von seinen französischen, belgischen, schweizerischen und irländer Cameraden über die Achsel angesehen wird. –

Alle diese Eindrücke beschäftigten mich wieder lebhaft in den Tagen, die dem von Pius dem Neunten angesetzten Concil vorausgingen – diesem Concil, welches nichts als ein Werk der im Vatican so mächtigen Väter der Gesellschaft Jesu ist. Zwar ist man auf einer gewissen Seite aus allen Kräften bemüht, die Behauptung aufrecht zu erhalten, Pius der Neunte sei kein Werkzeug irgend einer Partei, allein dem muß schnurstracks widersprochen werden. Ein Fürst, der nur durch Andere sieht und hört, kann nicht selbstständig, nicht unparteiisch handeln; ein Fürst, der nur das sieht und hört, was ihm Andere vorlegen und sagen, muß das Spielzeug dieser werden. Viel Unheil würde dem Kirchenstaate, der Welt, wenigstens der katholischen, erspart worden sein, wenn die Päpste sich ein wenig in den verschiedenen Ländern umgesehen hätten, öfter aus dem Vatican und ihrem Reich herausgekommen wären.“