Pflege, Erziehung und Schule des Hundes

Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl und Adolph Müller
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Pflege, Erziehung und Schule des Hundes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 759-761
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Thier-Charaktere. Nr. 9
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[759]
Thier-Charaktere.
Von Adolf und Karl Müller.
9.0 Pflege, Erziehung und Schule des Hundes.

In einem gesunden Körper wohnt eine gesunde Seele. Dieser Ausspruch bewährt sich vollkommen bei jedem naturwüchsigen Thiere. Das von den kräftigsten Eltern ererbte Gut, die Gesundheit, kann aber Nachlässigkeit und Lüderlichkeit untergraben, eine naturgemäße, emsige Pflege hingegen sie dem Thiere auf Lebenszeit befestigen. Einfache, kräftige Nahrung und Reinlichkeit sind die Factoren zur Begründung und Erhaltung der Gesundheit unserer Hausthiere, absonderlich des Hundes. Sein Behälter sei geräumig und luftig, im Sommer kühl, im Winter hingegen warm. Immer rein gehalten, übt die Umgebung auch auf den Hund den wohlthätigen Einfluß, daß er mit ihr sich selbst rein hält. Aber das Thier muß sich frei bewegen können, frei von der Last und dem Druck der Kette. Wie manche gesunde Kraft versiecht, wie viel Lebensmuth, Anhänglichkeit und Liebenswürdigkeit verschmachtet an diesen verhängnißvollen eisernen Banden! Wahrlich, dieses Elend an der Kette ist ein schwarzer Fleck auf den Gedenkblättern unserer Culturgeschichte und ruft in der düsteren Bedeutung der Worte „ein Hundeleben führen“ mit ernster Mahnung unsere Menschlichkeit an.

In der Hundekinderstube.
Originalzeichnung von F. Specht.


Der frei sich bewegende und entwickelnde Hund wird an Körper und Geist ein gesundes, gewandtes, vielseitiges und gehobenes Wesen. Man bringe ihn freundlich an seine Seite, leite und unterrichte ihn als Freund, um ihn zu demjenigen Hausthier heranzubilden, das unseres Verkehrs am würdigsten ist, und jede Mühe, die wir an seine Ausbildung wenden, belohnt sich ebenso angenehm als nutzbringend. Mag es doch nicht außerhalb der Erfahrung liegen, daß eine wohldressirte Hündin ihre höhere Hundebildung auch auf ihre Jungen in ihrer drollig nachäffenden Weise überzutragen versuchen sollte; denn unserm trefflichen Specht möchten wir gern glauben, daß er zu der reizenden Darstellung der instruirenden Hundemutter ein leibhaftiges Original vor Augen gehabt habe. Zwar verstößt die Peitsche in der vorliegenden Anwendung gegen bestimmte Paragraphen der Hundedressur; uns gewährt aber der Mißbrauch dieses gefürchteten Erziehungsinstrumentes einen köstlichen Einblick in das gemüthliche Leben der Hundekinderstube.

Unsere heutige Aufgabe geht allerdings über dieses Bild hinaus und leitet uns zu der angemessensten Form der Erziehung des Hundes in ihren Grundzügen hin. Wir folgen ihr mit großer Freudigkeit aus dem lebendigen Bereiche unserer Erfahrungen heraus und in dem warmen Bestreben, die glänzende Begabung unseres „Menschthieres“ in’s beste Licht zu stellen und dieser gemäß vor dem großen Forum der Gartenlaube eine würdige Behandlung und Schulung unseres Hundes zu befürworten.

[760] Die erste Grundlage der Erziehung des Hundes bildet frühzeitige, unausgesetzte und freundliche Beschäftigung mit ihm. Schon bei seiner Geburt walte das aufmerksame Auge seines Pflegers über dem kleinen Wesen; er unterstütze die Fürsorge der Mutter durch warmes und trocknes Betten der Jungen, helfe der Alten an Körperkraft auf durch gute, reichliche Nahrung, um so mittelbar auch die Ernährung der Jungen zu befördern. Gut genährt und von plagenden Schmarotzern gereinigt, entwächst das Hündchen gesund und kräftig den Säuglingswochen und tritt nunmehr in die Pflege seines Erziehers. Dieser beginnt in der achten oder neunten Woche die belehrende Beschäftigung mit dem jungen Schüler. Indem er den Kern aller Erziehung, welcher in dem alten Sprüchwort „Jung gewohnt, alt gethan“ liegt, vernünftig ausbeutet, sichert er sich weiter einen unfehlbaren Erfolg dadurch, daß er dem Schüler Alles – auch das Schwierigste – spielend beibringt. Dem jungen Hunde Appell lehren oder beibringen, heißt nichts anderes, als ihn durch humanen Umgang vertraulich, anhänglich, willig und folgsam machen.

Nichts Unsinnigeres kann erdacht werden, als der alte Gebrauch der Thier-Schultyrannen. Man ließ den Hund dreiviertel oder ein Jahr in völliger Zügellosigkeit zu einem wahren Tölpel voller Unarten heranwachsen, und nun brachte man ihn plötzlich in das Fachwerk einer Dressur hinein, deren Pedanterie und Schablonenmäßigkeit jedem einsichtsvollen Thierkundigen geradezu lächerlich erscheinen muß. Wer kennt nicht das kriechende Avanciren und abwechselnde „Couche tout beau“ vor dem „Dressirbock“, diesem Popanz der Hühnerhund-Schule? – wer nicht das pedantische Lenken an langer Dressirleine im Felde nach der sogenannten Stubendressur, wo dem oft mit Korallen und Peitsche mißhandelten Thiere so recht exemplarisch die „graue Theorie“ alle Lust zur Jagd, alle Anhänglichkeit und Liebe an den Herrn auf ewig austrieb, gerade so wie die Eindrücke einer einseitigen Schultyrannei den menschlichen Geist verdüstern und nicht selten jeder höheren Entwicklung entfremden? Wer mag es wohl nicht schon gesehen haben, daß der Stock, den der lernbegierige Pudel aus dem Wasser holen soll, wenn dieses heitere Gemüth ihn kurz vorher als ein Werkzeug der Mißhandlung kennen gelernt hat, nun ihm auch ein Gegenstand des Abscheus und der Furcht bleibt, vor dem das geängstete Thier zurückweicht, statt ihn als ein beliebtes Gebrauchsstück seines Herrn freudig herbeizubringen? Gewiß sind Viele schon Zeugen jener großen Kurzsichtigkeit gewesen, wodurch selbst Wasser liebende Hunde vor diesem Elemente einen gründlichen Widerwillen bekommen, wenn ihre herrischen Gebieter beim Zagen der Schüler, in’s Wasser zu gehen, zu jener vermeintlichen Radicalcur der Gewalt griffen, den Hund entweder in’s Wasser zu stoßen oder, an Hals und Rücken gepackt, hineinzuwerfen! Solche Mißerzieher sind auch die Urheber der traurigen Erscheinung „verschlagener“ und „handscheuer“ Hunde, dieser Armensünder des Prügelsystems, die bei dem Pfiff oder Ruf ihres Tyrannen zusammenschrecken und sich verkriechen, durch deren ganzes Leben sich sozusagen der brennende Faden der Furcht und des Zagens zieht! Doch Dank der unverwüstlichen Natur unseres ebenso intelligenten als geduldigen Thieres gingen selbst aus dieser traurigsten aller Schulen zuweilen vortreffliche, brauchbare Hunde hervor; aber bei weitem die meisten wurden für ihr Leben verpfuscht und viele talentvolle kamen nicht zur vollen Entwicklung ihrer Eigenthümlichkeiten[WS 1].

Kehren wir dieser düsteren Knechtung den Rücken und beschauen uns die heitere Unterweisung auf humaner Grundlage. Durch häufigen Verkehr und dadurch, daß wir ihn selbst füttern, haben wir uns des kleinen Zöglings Zuneigung bereits in hohem Grade erworben. Wir haben ihn an Namen, Ruf und Pfiff und – ist es ein Hühner- oder anderer Jagdhund – nach und nach auch an die Leine gewöhnt. Nun führen wir ihn mit uns spazierend in’s Freie, anfangs nur kurze Strecken, allmählich weiter. Schon in der zwölften Woche kann eine fleißigere Lehre im Apportiren beginnen. Indem man schon frühe vor dem Hündchen spielend etwa einen Ball hinrollt, wird es eifrig danach springen, ihn haschen, aufnehmen und dem freundlich es zu sich Lockenden bald auch bringen. In Kurzem werden Wiederholungen dieser Spielübungen, welche den Schüler jedoch niemals ermüden, wohl aber beleben sollen – demselben zur Gewohnheit, die er bei allmählich ernsterer, aber immer milder Behandlung, wie durch Belobungen und Schmeicheleien, stets lieber gewinnt. Auf dieser Grundlage baut man nun leicht weiter. Man beginnt alsdann mit hierzu sich eignenden Racen, wie dem Pudel, Hühnerhund, der Dogge, dem Neufundländer und selbst dem Pommer, die Lehre, das Verlorene und Versteckte zu suchen. Zuerst verbirgt man das vom Hunde Herbeizubringende vor seinen Augen, so daß er es sogleich auf den Zuspruch: „Such’, verloren!“ ohne Mühe hervorholen kann. Allmählich geht man weiter und hat bei einem einigermaßen gelehrigen Thiere bald die Freude, außerordentlich schnelle Fortschritte zu bemerken. Nach jedem gelungenen Versuche belobe man den Hund oder reiche ihm zeitweis nach dem Zustandebringen besonders schwieriger Aufgaben einen Leckerbissen. Von entschiedenem Erfolge bei den Uebungen mit meinen Hühnerhunden war immer die Weise, daß ich einen mit Heu ausgestopften Kaninchenbalg, den man bei dem Größerwerden des Hundes mit einem Hasen- und zuletzt mit einem beschwerten Fuchsbalg vertauscht, eine immer weiter geführte Strecke bis zu einem verborgenen Orte auf dem Boden hinschleifte, sodann den im Stalle oder an einer Leine liegenden Hund auf die Spur des Geschleiften mit dem beschriebenen Zurufe hetzte. Alle meine Zöglinge begriffen, nachdem sie erst einmal ohne Anstand apportirten, sofort das Versteckte zu suchen und zu bringen schon im ersten Vierteljahre ihres Lebens. Ich habe bei mehreren die Freude erlebt, daß sie weite Strecken nach dem Verlorenen zurückgingen, ja ich habe sogar einen besonders begabten Hühnerhund herangezogen, welcher halbe Stunden Wegs weit dies immer willig und mit sicherem Erfolge that. Keine bessere Vorübung, eine Wildfährte zu verfolgen, das gefundene oder gefangene Wild oft fernher herbeizubringen, giebt es für den Zögling, als die beschriebene.

O trefflicher, unvergeßlicher Caro, wie gedenken wir Brüder deiner gerade bei diesem Abschnitte der Dressur so lebhaft! Wohl ruhst du, leider zu frühe und ohne Nachkommenschaft geschieden, nun im Grabe, aber die Thaten deiner Intelligenz auf Jagd und Spaziergang leben noch fort im Allen, die Zeugen deiner Liebenswürdigkeit, Klugheit und großen Bravour waren! Mit Stolz und Freude verkünden wir deinen Ruhm in diesem Blatte, und besonders eine ergötzliche Thatsache mache die lebendige Runde in dem Gebiete der Gartenlaube.

Eine Stadt am Main, wo uns vor wenig Jahren noch ein lieber, jagdbeflissener Oheim wohnte, dem wir den dreijährigen schwarzen Riesenhund mit der großen stolzen Fahnenruthe nicht ohne Herzweh überließen, sollte der Ort der unvergeßlichsten That Caro’s werden. An einem der Stadt benachbarten Badeorte fiel einst unserem Oheim vor dem Nachhausewege ein, Freund Caro eine Probe seiner glänzenden Fertigkeit im Verlorensuchen ablegen zu lassen. Er ließ zu dem Ende sein Taschentuch auf seinem Sitze in dem besuchten Vorplatze des Tempels der trügerischen Göttin Fortuna mit der Bitte an die Versammlung zurück, es für den in einer Viertelstunde erscheinenden Meister Caro zur Entwicklung seines Talentes fein liegen zu lassen. Herr und Hund waren eine Weile weggegangen, als es einem Spielgehülfen des grünen Tisches gefiel, den als Schalk bekannten Oheim düpiren zu wollen, indem er das Taschentuch in die Schooßtasche seines eleganten Fracks verbarg. Unter großer Erwartung des Publicums erschien endlich Meister Caro innerhalb der angegebenen Zeit auf der Bühne. Majestätisch-sicher markirte er jeden Ort, wo sein Herr sich vorher aufgehalten, und auch besonders scharf und wiederholt die Stelle auf dem Sessel, wo noch vor Kurzem das Taschentuch gelegen. In kluger Ahnung umging er nun mit hoch gehobener Nase den Umkreis, und im Nu hatte der vortreffliche Spürsinn durch allen Parfüm hindurch das Taschentuch im Croupier-Fracke gewittert. In sichtlicher Verlegenheit ob der Entdeckung des Hundes drehte sich der Mann der Roulette zu wiederholten Malen vor der schnuppernden Nase des Thieres wie eine Glücksscheibe im Kreise herum, bis plötzlich – o vergeltendes Schicksal! – unter homerischem Gelächter des Publicums der göttliche Caro den halben Schooß des Fracks mit dem theuren Fund durch einen derben Riß sich annectirte und mit dem corpus delicti im Rachen wie der Wind davonjagte! –

Und wenn ich hierzu die Versicherung gebe, daß der Hund von mir niemals einen Schlag bekam, dann bedarf es wohl keiner besonderen Empfehlung unserer Lehrweise. Jeder Hund wird bei der angedeuteten Behandlung ohne alle Gewaltmaßregeln alles das begreifen und willig lernen, was er überhaupt zu lernen fähig ist. Denn durch einseitiges, kurzsichtiges Meistern wird [761] alles das nur irre geleitet, ja unterdrückt und verdorben, was aus der Naturgabe des Hundes heraus sich in der Schule der Erfahrung mit den verschiedensten Zügen der Eigenthümlichkeit oft so überraschend entfaltet. Man wecke – wir wiederholen es – nur die Anhänglichkeit und Liebe des Thieres. Beide leisten das scheinbar Unmögliche. Auch hier mögen Thatsachen sprechen. Unser „Bruno“ gerühmten wackeren Wesens konnte ohne uns Brüder fast nirgends sein. Einst nahm ich ihn mit auf einer Reise von Staden in der Wetterau über Friedberg per Eisenbahn nach Darmstadt. Dort aus dem dunkeln Eisenbahnbehälter gethan, folgte er mir in die Stadt. Ich legte ihn in meinem Logis an den Fuß einer Bettstelle mittels eines leichten Strickes an und ging auf längere Zeit aus. Während meiner Abwesenheit riß sich das nach mir verlangende Thier los, sprang zu dem offnen Fenster des untern Stocks hinaus in den Hof und suchte, wie später in Erfahrung gebracht wurde, viele Straßen vergeblich nach mir ab, weil ein Platzregen meine Spur für die Nase des Hundes gänzlich verwischt hatte. Zuletzt wurde das treue Thier noch von dem Director des Bahnhofes gesehen, wie es längs der Schienengeleise gen Frankfurt davoneilte. Bruno war am Abend des folgenden Tages in der geliebten Heimath – fünfzehn Stunden unbekannten Wegs weit – angekommen! Seine große Aufmerksamkeit verband sich mit seiner Anhänglichkeit an den Herrn, und beide Eigenschaften ließen den Hund Manches erlernen und empfangen, wozu ein Hühnerhund gewöhnlichen Schlags kein Interesse zeigt. Bald hatte er auf unseren Excursionen, die fast stets Forschungen in der Natur gewidmet waren, sich es abgemerkt, daß unter Anderem Vogelnester gesucht wurden, und in kurzer Zeit verhalf uns seine vortreffliche Nase rasch und sicher zu Nestern aller Art: das kluge Thier fand sie wie Hühner und Hasen.

Aber dieses Absehen, gleichsam dieses Nachahmen menschlicher Handlungen von Seiten des Hundes ist nur ein Product vielfältigen freundlichen Verkehrs mit ihm, und wir kommen zurück zu der thatsächlichen Wahrheit: der Mensch zieht den Hund durch milde, freundliche Behandlung und durch häufigen Umgang mit sich zu sich heran. Aber auch umgekehrt dem Menschen könnte der gefügige, geduldige Hund seine Leidenschaft und Rohheit bändigen lehren. Vergißt unser Thier doch so leicht Mißhandlungen, vergilt es doch solche nicht selten durch Handlungen der aufopferndsten Liebe! Darum ihr Alle, die ihr Menschlichkeit und warmes Gefühl für unsere Mitgeschöpfe in der Brust heget, wendet sie an bei jedem Thiere, das im Dienste der Menschheit seine trefflichsten Eigenschaften offenbart!

Adolf Müller.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Eigenthümkeiten