Paul Heyse (Die Gartenlaube 1885/10)

Textdaten
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Autor: Edwin Bormann
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Titel: Paul Heyse
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 172
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[172] Paul Heyse. Das oberflächliche litterarische Urtheil liebt es, sich mit einem Dichter durch ein bestimmtes Schlagwort abzufinden. In der Regel kennzeichnet man ihn nach dem Werke, das zufällig zuerst die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hat. Es ist das so bequem: man kennt und nennt z. B. Otto Roquette als den rhein-, wein- und wanderfrohen Dichter von „Waldmeisters Brautfahrt“. Damit hat man ihm ein- für allemal seine Stellung angewiesen und braucht dann nicht weiter zu fragen, ob er etwa noch Anderes geschrieben habe. So blieb bekanntlich Geibel für das große Publikum und sogar für einen Theil der Kritik sein Leben lang der „Backfischdichter“, als ob keine Juniuslieder, keine Brunhild, keine Heroldsrufe erschienen wären! Ebenso pflegt man auch Paul Heyse fast ausschließlich als unseren ersten Novellisten zu nennen und anzuerkennen, ohne zu beachten, daß er bei aller Meisterschaft in der Novelle geradezu der vielseitigste unserer lebenden Dichter ist. In liebenswürdig humoristischer Weise huldigt dem umfassenden Genie Heyse’s der geist- und gemüthvolle Leipziger Dichter Edwin Bormann in einer poetischen Epistel, welche wir, zugleich als Gruß zum fünfundfünfzigsten Geburtstag des Gefeierten (15. März) unsern Lesern vorführen. Die Redaktion.     


     An Paul Heyse in München.
 Eine Epistel.

Viellieber Sänger und Fabulist,
Du weißt wohl, wie ’s einem zu Muthe ist,
Wenn einer einem was möchte sagen,
Was er jahrelang heimlich im Herzen getragen?

5
– Gelt, nicht wahr, du weißt es? Und kurz und gut:

Just so ist mir’s eben jetzt zu Muth’.

Doch, kläng’s auch ein bischen kopfüber kopfunter,
Heut’ soll es, heut’ muß es vom Herzen herunter.
So hör’ es denn fri[s]ch von der Leber weg,

10
Was meiner Epistel tiefinnerster Zweck –:

Ich möchte dir sagen zu dieser Frist,
Wie lieb du als Mensch und Poet mir bist! –

Da freut sich manches Dichterlein,
Nennt’s nur Ein Musenpferdchen sein;

15
Und meint gar Wunder was es sei,

Hat’s erst der Flügelrosse zwei.
Du aber, du reitest wahrhaftig spazieren
Einen ganzen Marstall von Pegasusthieren! –
Bald seh’ ich dich, wie du die Welt durchsprengst

20
Auf dem tragischen Musen-Trakehnerhengst,

Bald trabst du mit festem Schenkelschluß
Durchs Land auf dem epischen Pegasus,
Bald reitest du mit bedächtiger Schnelle
Den Modegaul, die Roman-Isabelle,

25
Bald – Götterschauspiel für Laien und Kenner! –

Besteigst du den Vollblut-Novellenrenner,
Bald wiedrum mit himmelhochjauchzendem Muthe
Erklimmst du die lyrische Schimmelstute,
Ja manchmal – qui mal y pense, soit honni

30
Läßt gar du dir satteln das Stegreif-Pony!


Soll ich sie dir nennen, die Weiblein und Mannsen,
Die Lottkas und Judiths, die Balder und Jansen,
Die neben mir her in hellen Haufen
Wie alte Bekannte durchs Leben laufen?

35
Wie oftmals bin ich in all den Jahren

Mit der Arr[a]bbiata nach Capri gefahren!
Wie oftmals hört’ ich in wohliger Ruh’
Mariuccia’s süßem Geplauder zu!
Wie hab’ ich allzeit in trüben Stunden

40
Ein Trostwort in deinen Sprüchen gefunden!

Wie rührt mir die Seele wieder und wieder
Der schlichte Zauber deiner Lieder! …

Und wohin ich auch immer mag lauschen und blicken,
Dein Wort ist mir Labung und Herzerquicken!

45
Fährt auch ’mal ein Hagelwetter dazwischen,

Und hört man der Leidenschaft Blitze z[i]schen –
Ein Priester bist du von jener Kunst,
Die hoch uns erhebt aus der Straßen Dunst;
Denn alle dein Denken, dein Thun und Sein

50
Ist wahre Kunst, ist Sonnenschein. – –


So, Freund, da wär’ es denn heraus.
Nun runzle die Stirne nicht zorneskraus,
Daß Schwarz auf Weiß ich es hergeschrieben,
Was mir das Herz in die Feder getrieben

55
Und was man im lieben deutschen Land

Gemeiniglich dann erst thut bekannt,
Wenn der, den’s geht am nächsten an,
Es weder mehr lesen noch hören kann. –
Du weißt ja, wenn einer erst ’mal todt,

60
Dann kommt die Nachruf-Schwerenoth,

Dann wird mit prunkenden Nekrologen
Ins litterarische Feld gezogen –
Dann kriegt man es „zeitgemäß“ zu lesen,
Was uns der theure Ent[s]chlaf’ne gewesen.

65
Ich aber, ich frage mich immerdar,

Ob’s zeitgemäßer nicht fürwahr,
Solang’ ihm noch freudig das Herzblut quillt,
Zu sagen, was uns der Lebendige gilt? –

Leb’ wohl, du Mann vom goldenen Wort!

70
Leb’ wohl! Gott schütze dich fort und fort!

Leipzig, den 10. November 1884.   Edwin Bormann.