Paschawirtschaft in der Türkei

Textdaten
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Autor: Heinrich von Maltzan
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Titel: Paschawirtschaft in der Türkei
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46–47, S. 746–749, 760–762
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[746]
Paschawirthschaft in der Türkei.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.
Entwerthung des Paschatitels. – Ein Pascha von etwas und ein Pascha von nichts. – Ein alter stocktürkischer Pascha. – Die Grobheit als diplomatisches Hülfsmittel. – Der Schreckensmann im Hausgewand. – Plumpe Schmeichelei. – Wie ein Pascha umsonst lebt. – Der Hungerposten.


Ein Pascha von drei Roßschweifen, das war in der alten Türkei ein Titel, den die allmächtigen, vielgefürchteten allerhöchsten Würdenträger führten und den ein gewisser Zauber umgab. Uns klingt er seltsam, ja er fordert fast den Spott heraus. Noch mehr würde er es thun, wenn statt „Roßschweifen“, das nur ein beschönigender Ausdruck ist, der wahre Gegenstand, nach welchem diese Paschas ihre Würde benannten, stünde. Denn eigentlich waren es die Schweife der Yaks oder Grunzochsen, welche als alttürkische Heerzeichen im Lager eines Feldherrn aufgepflanzt wurden, und zwar je nach der Größe des Heeres, das er befehligte, mehr oder weniger. Der große Heerführer hatte drei, der mittlere zwei, der kleine einen Grunzochsenschweif als Heerzeichen. Später vergaß man den wahren Gegenstand, und der Titel verlor seine ursprüngliche Bedeutung. So lange aber das türkische Reich mächtig war, blieb ein „Pascha von drei Roßschweifen“ ein großer, gewaltiger Herr. Solcher Paschas gab es nicht viele, und selbst manche gewichtige Herren, sogar halbe Landesfürsten, wie der Bey von Tunis, mußten sich mit zwei sogenannten Roßschweifen begnügen. Ja, es gab solche mit einem einzigen, welche gleichfalls oft eine gewichtige Rolle spielten.

Heut zu Tage ist dies anders geworden. Wir leben in einer Zeit, in welcher die Titelsucht in allen Ländern reißende Fortschritte gemacht hat. Jedermann will Titel haben, und die Regierungen finden es sehr bequem, solche statt anderer Belohnungen auszutheilen. Selbst im Orient ist die Titelsucht eingerissen. Man kennt zwar dort nicht solch gänzlich bedeutungslose Titel, wie die unserer vielen Geheimen und anderer Räthe, ohne die eine deutsche Residenzstadt gar nicht gedacht werden kann, dafür sind aber solche Standesbezeichnungen, die ursprünglich nicht leerer Schall waren, wie Effendi, Bey, Agha, dem Loose verfallen, dem alle Titel erliegen, wenn sie zu häufig verliehen werden. Ein heutiger Bey ist ein erbärmliches Ding im Vergleich mit einem Bey vor dreihundert Jahren, der oft ein kleiner Landesherr war, Effendis sind gar so gemein geworden, daß der Volksmund von ihnen „fünf für einen Pfennig“ sagt.

Mit dem Paschatitel ist die Zeit zwar nicht ganz so schlimm gefahren, aber seinen frühern Werth hat er doch nicht mehr. Seit das altehrwürdige Symbol der „Roßschweife“ weggefallen ist, hat man diesen Titel dem europäischen Generalsrang in seinen verschiedenen Abstufungen gleichgestellt, den kleinen Pascha dem Brigade-, den mittleren dem Divisions-General, den großen (den früheren Pascha mit drei Roßschweifen) dem Marschall. Danach wäre freilich dem Paschatitel immer noch eine große Bedeutung geblieben, wenn nur die türkischen Generale in Wirklichkeit dieselbe Bedeutung hätten, wie die unsrigen. Aber mit dem Verfall der Armee ist auch der Generalstitel zu verhältnißmäßiger Unbedeutendheit herabgesunken; selbst die wirklichen Generale bedeuten nicht viel; wie viele giebt es aber nicht, die nur den Titel und gar keine Truppe zu befehligen haben! Pascha ist eben auch ein Titel geworden, der nicht immer ein Amt bedeutet. Dennoch giebt es Paschas, deren Titel nicht leerer Schall ist. Der Volksmund nennt sie „Paschas von etwas“ und die andern „Paschas von nichts“. Fragt man einen Bauer, was er unter diesem „etwas“ und diesem „nichts“ denn eigentlich verstehe, so wird man wahrscheinlich die tröstliche Antwort erhalten, daß das eine „etwas zu stehlen“ und das andere „nichts zu stehlen“ bedeute. Das „nichts“ ist allerdings nicht buchstäblich zu verstehen, denn selbst der erbärmlichste Pascha findet in der Unordnung aller Verwaltungszweige immer noch Gelegenheit, hier und da ein wenig zu stehlen, aber es ist ein „nichts“ im Vergleich mit dem, was die Andern auf die Seite bringen.

Der Statthalter einer Provinz ist gewöhnlich ein solcher „Pascha von etwas“, das heißt, er kann tüchtig stehlen und nebenbei eine fast unumschränkte Macht ausüben. Außerdem ist er meistentheils ein „großer“ Pascha, manchmal ein „mittlerer“. Es kommt indeß auch vor, daß selbst ein „kleiner“ Pascha einer [747] „von etwas“ ist und ein „großer“ einer „von nichts“; ja es ist mir ein Fall bekannt, wo ein großer „Pascha von nichts“ der Vorgesetzte eines kleinen „Pascha von etwas“ ist, ohne deshalb aus seinem „Nichts“ herauszukommen. Dieses Naturwunder hat sich in der Provinz Hedschaz in Arabien ereignet. Die Provinz besitzt als General-Gouverneur einen „großen“ Pascha, der in Mecca residirt. Da indeß der größte Theil seines Amtsbezirks nur auf dem Papier unterworfen, in Wahrheit aber unabhängig ist, so hat er nichts zu verwalten. Dagegen giebt es in seinem Bezirk eine Stadt, Dschedda, welche vollkommen unter türkischer Botmäßigkeit steht und in der er nach Herzenslust den „Pascha von etwas“ spielen könnte, besäße diese nicht einen kleinen Pascha als Untergouverneur, der ihm diese Mühe und Ehre abnimmt.

Der einzige Türke in Hedschaz, dem das Leben nicht sauer gemacht wird, ist eben dieser kleine Pascha von Dschedda. Dieser Würdenträger war zur Zeit meiner letzten Anwesenheit in jener Stadt ein gewisser Nuri-Pascha, ein Original, das es sich wohl verlohnt ein Bischen näher zu betrachten, besonders deshalb, weil er einer der letzten Vertreter einer aussterbenden Race ist, nämlich der alten stocktürkischen Beamtenclasse, die in unserer Zeit, wo Alles von der Kultur beleckt wird, immer seltener wird. Er ist eigentlich ein fürchterlicher Barbar, den man anderswo kaum dulden würde, aber nach Arabien, wo man alles Moderne als halbeuropäisch und ketzerisch verdammt, paßt er. Seine Rohheit selbst flößt hier ein gewisses Vertrauen ein, denn je roher ein Türke, desto fanatischer ist er gewöhnlich auch, und der Fanatismus blüht ja in diesem Lande noch mit ungeschwächter Pracht.

Nuri-Pascha ist ein alter Soldat, vom Gemeinen auf vorgerückt. Durch einschmeichelnde Eigenschaften hat er gewiß die Gunst seiner Vorgesetzten nicht errungen. Daß er es überhaupt zum Pascha gebracht hat, ist ein Beweis, daß eine rücksichtslose Haudegennatur und ein starres Stocktürkenthum selbst heutzutage in der Türkei noch geschätzt werden, oder vielmehr vor zwanzig Jahren noch geschätzt wurden, so lange ist es nämlich her, seit er sein Paschathum errungen hat, das wohl stets nur ein „kleines“ bleiben wird; denn für etwas Höheres ist er denn doch ein „ungeschliffener Diamant“. In seinen jüngeren Jahren soll er eine Zeitlang in Albanien fürchterlich gehaust haben, und man erzählt sich haarsträubende Dinge von seiner dortigen Wirksamkeit und munkelt, daß er noch jetzt ganz grauenerregende Andenken aus jener Zeit bewahre. So sagte mir ein alter Dscheddaner, der sich einer gewissen Vertraulichkeit mit dem alten Tiger rühmte, derselbe schlafe auf einer Matratze, die ganz mit Menschenhaaren gefüllt sei und zwar von Menschen, deren Köpfe er alle eigenhändig abgesäbelt habe. Der Dscheddaner sagte dies nicht etwa tadelnd, sondern glaubte das Lob des grimmen Pascha zu singen; waren doch die Geköpften alle Ungläubige gewesen.

Aber manches einseitige Parteilob klingt dem Andersdenkenden wie Verleumdung. So habe auch ich die fürchterliche Matratze zwar gesehen, jedoch nie an die Menschenhaare darin glauben können. Ebensowenig glaubte ich an ein anderes, aus ähnlicher Quelle stammendes Gerücht, wonach die Rosenstöcke im Harem des Pascha statt in Blumentöpfen in Menschenschädeln wüchsen und zwar natürlich auch von Menschen, die er alle selbst geköpft habe. Verweisen wir dies in’s Gebiet der Fabel. Indeß, wenn man den finstern Pascha ansah, so begreift man sehr gut, wie solche Fabeln entstehen konnten. Es war ein altes Janitscharengesicht, mit buschigen weißen Augenbrauen, unter denen ein Paar stechende Augen lauerten und eine Raubvogelnase kühn hervorragte; der Mund war groß und öffnete sich oft in einer Weise, die den Vergleich mit einem Haifisch nahe legte. Jetzt war die ganze Gestalt zwar vom Alter etwas mitgenommen, das heißt abgezehrt und verwittert, aber sie verrieth noch immer große Energie, und ihre schnellen Bewegungen zeugten, daß hier noch Gluth unter der Asche glimmte. Von jener trägen Ruhe und Genußsucht, welche die Paschas von gewöhnlichem Schlag kennzeichnet und die sich in gedunsener Leibesfülle und sinnlichem Gesichtsausdruck offenbart, war hier keine Spur. Leidenschaften herrschten auch hier, aber es waren die Leidenschaften eines tollkühnen Haudegens, eines geborenen Räuberhauptmanns, nicht die eines Genußmenschen.

Zum Diplomaten nach dem Schulbegriff war Nuri-Pascha sichtlich nicht geeignet, denn natürlich fehlte es ihm an aller und jeder Geschmeidigkeit. Aber sonderbar, es war ihm oft geglückt, Unterhandlungen zu günstigem Abschluß zu bringen und zwar hauptsächlich durch eine bei ihm sehr entwickelte, jedoch keineswegs diplomatische Eigenschaft: die Grobheit. Mancher kleine Häuptling, der mit der Pforte unterhandelte, war durch Nuri-Paschas Grobheit zur Annahme von Bedingungen geschreckt worden, die man durch die schönsten Worte nie von ihm erlangt haben würde. Es soll ein höchst ausdrucksvolles Schauspiel geboten haben, einen arabischen Scheich, der doch gewöhnlich in der Grobheit auch das Seinige leistet, in Unterhandlung mit dem grimmen Pascha zu sehen. Anfangs nahmen Beide kaum von einander Notiz, das heißt der Scheich trat lärmend beim Pascha ein, warf sich flegelhaft hin, grüßte aber kaum; der Pascha dagegen drehte ihm den Rücken und that, als sei er gar nicht da. Verlor dann der Scheich die Geduld und fing er an, sich geräuschvoll zu räuspern, um seine Anwesenheit in Erinnerung zu bringen, so drehte sich der Pascha wohl nach ihm um, sah ihn flüchtig an, aber etwa so, wie man einen Hund ansieht, den man zur Thür hinauswerfen will. Nach Erschöpfung der stummen Grobheiten kam es zu den lauten. Der Scheich fing an, sich unverschämte Ausdrücke zu erlauben, wohl in der Meinung, den Türken, den der echte Araber sich immer feig vorstellt, einzuschüchtern; aber hier fand er seinen Mann, der ihm zu antworten verstand. Nun folgte ein Concert von Schimpfworten, arabischen und türkischen, in dem die erstere Sprache vielleicht den Sieg des Wortreichthums, die letztere aber, wenigstens in des Paschas Munde, den der Energie davontrug. Der Araber schaute erstaunt auf. Einen Türken, der so schimpfen konnte, hatte er noch nicht gesehen. Er bekam plötzlich Respect vor ihm und ließ sich soweit einschüchtern, daß er Dinge versprach, die man sonst nie von ihm erlangt hätte. Die Pforte wußte sehr wohl, warum sie gerade diesen Pascha nach Arabien geschickt hatte.

Selbst den Europäern gegenüber erwies sich des Paschas Grobheit manchmal wirksam. So erinnere ich mich eines Falles, wo ein englischer Telegraphenbeamter nach Dschedda kam, um von dort aus einen Anschluß an das unterseeische Kabel des rothen Meeres zu Stande zu bringen. Er stellte höchst vortheilhafte Bedingungen, welche von der Pforte selbst dem Pascha und den Notabeln von Dschedda dringend zur Annahme empfohlen worden waren; überall würde man seinen Plan willkommen geheißen haben, in Dschedda dagegen erregte er allgemeine Entrüstung, denn gerade das, was man dort am allerwenigsten wünschte, war eben der Telegraph. Man wollte keine schnelle Verbindung mit Constantinopel, die ja auch zur Vermittlung von Beschwerden benutzt werden könnte und überhaupt den ganzen üblichen Schlendrian zu stören drohte.

Selbst alle großen Kaufleute waren dagegen, denn der Araber ändert seine Handelsgewohnheiten höchst ungern. Man drang in den Pascha; man bot ihm sogar Geld, daß er den Unglücksmann unverichteter Sache fortschicke. Das Geld nahm er natürlich an und that dann dafür Das, was er auch unbestochen gethan haben würde, denn ihm war der Telegraph noch viel verhaßter, als den Anderen. Da der Telegraphist vom türkischen Ministerium gut empfohlen worden war, so glaubte er wenigstens auf eine höfliche Aufnahme rechnen zu dürfen. Aber da irrte er sich sehr. Der grimme Pascha empfing ihn auf eine Weise, daß ihm alle Lust zu weiteren persönlichen Verhandlungen verging und er die Sache seinem Consul überließ. Dieser Consul erfreute sich ausnahmsweise der Gunst des Pascha, weil er gut türkisch sprach und ihn richtig zu behandeln wußte. In diesem Fall aber setzte er gar nichts durch; der Engländer mußte wirklich seinen Plan aufgeben, und darum hat Dschedda niemals einen Telegraphen bekommen.

Auch ich lernte den alten Stocktürken kennen, und da er mir gegenüber keinen besondern Grund besaß, seiner beliebten Grobheit die Zügel schießen zu lassen, so konnte ich mich eines wenn auch nicht höflichen, so doch erträglichen Empfanges rühmen. Mit der Zeit brachte ich es sogar dahin, daß, wie mir Andere sagten, der Pascha mich durch zuvorkommende Artigkeit auszeichnete. Die Anderen waren freilich nöthig, um mir das zu sagen; denn was man bei diesem Pascha „Artigkeit“ nannte, verdient nach europäischen Begriffen diesen Namen nicht. Nach unserer Ansicht ist es zum Beispiel gar nicht artig, wenn uns ein Vornehmer, dem wir einen Staatsbesuch machen, in Nachthemd und Unterhosen empfängt und nicht von seinem Bette aufsteht, [748] auf dem er nur aus Laune liegt. Beim grimmen Pascha galt solcher Empfang aber als Zeichen großer Gunst. So wurde auch ich mehrmals empfangen und von den im öffentlichen Saale wartenden Honorartioren sehr um diese Gnade beneidet. Gewöhnlich lag dann der Alte im einem kleinen Nebenzimmer, in der oben beschriebenen leichten Tracht, auf der Erde (denn die altmodischen Türken verschmähen Bettgestell und dergleichen), nur durch die fürchterliche Matratze vom Fußboden getrennt. Viel Notiz nahm er nicht von dem Eintretenden, ja er drehte ihm meist den Rücken und das Gesicht der Wand zu. Aber er wußte sehr gut, wer eintrat, und wehe dem Unbefugten, der sich vermaß, in dieses Heiligthum einzudringen! Dann klatschte er leicht in die alten knochigen Hände und flugs erschienen zwei riesige Neger und beförderten den Eindringling die Treppe hinab.

In dieser bequemen Lage liebte es der Pascha, sich unterhalten zu lassen. Die Besucher mußten ihm Geschichten erzählen. Er zeigte ihnen dabei zwar nur seinen „ungebeugten Rücken“, aber er hörte sie doch. War das Geschichtchen gut und hatte es eine recht beißende Spitze, dann merkten wir an den Bewegungen der langen ausgestreckten Figur, daß der Pascha sehr heiter sein müsse. Dann verkrümmte sich die stramme Gestalt, um aber gleich wieder mit großer Spannkraft in die gerade Lage zurückzuschnellen, und das eine der alten mageren Beine flog, wie im Jubel, etwas in die Höhe. Das war der Gipfelpunkt der Heiterkeit.

Einmal sogar wälzte er sich buchstäblich auf dem Bauche, wenn man bei einem so mageren Manne überhaupt von Bauch reden konnte. Dann lag der Kopf schief in den Polstern; die Beine standen in spitzigen Winkeln in die Höhe, und ein muthwilliges Zucken durchlief die ganze Gestalt. Bei dieser Gelegenheit bekam man auch sein Gesicht zu sehen; er lachte nicht fein, sondern in einer so ausgelassenen Weise und mit so kräftigen Gesichtsbewegungen, daß man bei einem Andern vielleicht an Tollheit geglaubt hätte. Darum beehrte er auch wohl meist die Wand mit dem Anblicke seines Gesichts.

Einmal machte ich die Entdeckung, daß der Alte, trotz seiner eigenen Grobheit, dennoch für Höflichkeit von Seiten Anderer, ja selbst für Schmeichelei nicht unempfänglich sei. Aber ihm durfte nicht fein geschmeichelt werden; dafür hatte er gar kein Verständniß. Je gröber, desto besser, weil desto verständlicher. Zwar erreichte die Schmeichelei selten ihren Zweck, denn bei ihm hieß es, wie beim Könige der Thiere: „Grob oder höflich, ich fresse dich doch“, aber es freute ihn demungeachtet. Im besagten Falle war die Schmeichelei eine ganz besonders plumpe und erregte deshalb nur desto größere Befriedigung. Ein griechischer Branntweinhändler hatte, in dem Wahne, dadurch etwas vom Pascha zu erlangen, dessen Lob in einem in Aegypten in italienischer Sprache erscheinenden Winkelblatte gesungen, und was für ein Lob! Eine Lüge gröber als die andere, ja der Alte wurde für Dinge gepriesen, von denen notorisch war, daß er sie zu thun verweigert habe. So zum Beispiel hieß es, er habe den Armen drei große Cisternen (in dem wasserarmen Dschedda eine ungeheure Wohlthat) geschenkt, während Jedermann wußte, daß er sie theuer verpachtet hatte. Eine dieser Schmeicheleien war jedoch so seltsam, daß man sie dem Pascha gar nicht recht mitzutheilen wagte. Es hieß nämlich, Nuri-Pascha habe sich als „ein Mann des Fortschritts“ und als „aufgeklärt“ erwiesen. Es war nicht räthlich, ihm diese beiden Begriffe wortgetreu zu verdolmetschen, namentlich das letztere Beiwort, das dem alten Fanatiker eher wie Tadel klingen mußte. Das wußte auch der junge türkische Arzt, der den Uebersetzer spielte, sehr gut; denn als der Pascha fragte: „Aufgeklärt? Was ist das für ein Ding?“ erwiderte er beschönigend, es sei ein Mann, der „viel Gutes thue“. Dies ließ sich zwar der Alte gefallen, aber es kitzelte seine Heiterkeit besonders, daß er „viel Gutes thun“ solle. Er „viel Gutes thun“? Es war eine kostbare Ironie! Denn die geleerten Taschen aller Bürger von Dschedda waren da, um zu bezeugen, daß alles Gute, was er that, nur seiner Casse zu Gute kam.

Daß er natürlich auch ein „Vater der Wittwen und Waisen“ genannt wurde, war nur eine beliebte orientalische Uebertreibung, die in keiner Lobhudelei zu fehlen pflegt und deshalb ganz in der Ordnung gefunden wurde. Insofern war sie auch richtig, als er sehr oft bei Wittwen und Waisen in die Stelle des verstorbenen Vaters eintrat, indem er nämlich dessen Vermögen im Besitz nahm, um es natürlich für sich zu behalten, die Hinterbliebenen aber großmüthigst in ein Armenhaus steckte, wo sie Wohnung bekamen, für Kost jedoch auf Almosen angewiesen waren. Bei Erbschaftsprocessen spielte er sehr gern den Vermittler, das heißt er nahm gewöhnlich die Erbschaftssummen, wie es hieß, in „Verwahrung“. War dann endlich der Proceß entschieden, so hätten die Erben ebenso gut in den Mond zu steigen versuchen können, als den grimmen Pascha zur Herausgabe der Erbschaft zu bewegen.

Zuweilen gefiel es ihm, als ein Mann zu erscheinen, dem der Rechtspunkt über Alles ginge. So kam es während meiner Anwesenheit in Dschedda vor, daß die ehemalige Sclavin eines reichen Türken daselbst starb, die Jedermann für bettelarm gehalten hatte, in deren Hause sich aber, in alten Lumpen versteckt, eine sehr ansehnliche Summe vorfand. Diese Summe hätte, nach dem gewöhnlichen Rechtsgebrauch, den Söhnen der Verstorbenen, deren sie zwei und zwar beide von ihrem zweiten Mann, einem Ostindier, besaß, und die unter englischem Schutz standen, gehören sollen. Der englische Consul nahm für diese auch wirklich Besitz davon. Aber er hatte ohne den Pascha gerechnet. Dieser entwickelte unerwarteter Weise die Rechtsfrage dahin, daß er behauptete, die Alte müsse das Geld ihrem ersten Gebieter gestohlen haben, dieses gehöre folglich den Erben des reichen Türken, für deren Rechte der Pascha plötzlich ein lobenswerthes Interesse an den Tag legte. Ob diese selbst etwas davon wußten? Schwerlich! denn, nachdem der Pascha von den ihm gehorsamen Richtern einen ihm günstigen Spruch erlangt hatte und der englische Consul gezwungen worden war, das Geld herauszugeben, wurde der Erben mit keiner Silbe mehr erwähnt. Kein Mensch wußte auch etwas von ihnen und ob sie überhaupt vorhanden waren. Den wahren Erben aber kannte Jedermann; natürlich war es der Pascha.

So flossen denn ganz hübsche Sümmchen in seine Casse und blieben auch darin; denn für seinen Hausstand verausgabte er wenig. Nicht, als ob er schlecht gelebt hätte – im Gegentheil, es herrschte Ueberfluß bei ihm; aber die Sorge hierfür überließ er seinen treuen Dscheddanern, namentlich den reichen Kaufleuten, die ihn mit allem Möglichen, Eßbarem wie nicht Eßbarem, Nützlichem wie Unnützem, umsonst versahen. So besaß er vier stattliche abessinische Sclaven, die, in kostbare Gewande gekleidet, mit schweren goldenen Ketten behangen und mit theuren Ringen geschmückt, die Aufwärter im Audienzsaale machten. Alles, was diese braunen Jünglinge an und um sich hatten, ja ihre eigenen Personen, waren Geschenke bewundernder Untergebenen. Ebenso soll der ganze Harem des alten Stocktürken nur aus geschenkten Sclavinnen bestanden haben, die mit geschenktem Schmuck geziert, in geschenkte Kleider gehüllt und mit geschenkten Lebensmitteln ernährt wurden. Auch für sein Haus gab er nichts aus; es war eine Amtswohnung.

Daß ihm natürlich daran gelegen sein mußte, einen so fetten Posten recht lange zu behalten, begreift sich. Er ergriff hierzu das beste Mittel, das nämlich, diesen Posten als recht schlecht zu schildern, ja er trieb die List so weit, daß er von Zeit zu Zeit eine Bittschrift an’s Ministerium richtete, man möge ihn doch desselben entheben. Aber der alte Wolf, der auch ein Bischen Fuchs war, wußte sehr wohl, daß keine Bittschrift beim Ministerium Erhörung findet, wenn sie nicht von Bestechungssummen begleitet ist, und wohlweislich unterließ er es, solche einzusenden, blieb deshalb auch ruhig auf seiner Stelle, die er einen wahren „Verbannungsposten“ nannte. Der einzige Türke, der ihm hätte schaden können, wenn es ihm gelungen wäre, die wahre Natur des „Verbannungspostens“ zu entdecken, war der „große“ Pascha „von nichts“, der Statthalter der ganzen Provinz, sein Vorgesetzter. Mit diesem aber spielte er ein sehr geschicktes Spiel. So oft derselbe nach Dschedda kam und im Hause seines Untergebenen abstieg, wurde er vorerst durch einen schlechten Empfang und eine ganz niederträchtige Verpflegung in Erstaunen gesetzt. Machte er darüber eine Bemerkung, so wurde ihm in dem beliebten Donnerwetterton erwidert, er verstehe nichts davon, wie schlecht und uneinträglich die Statthalterschaft von Dschedda sei. Er möge es nur selber einmal versuchen, ob er etwas aus diesem Amte herausschinden könne. Er (Nuri-Pascha) selbst sei es müde, länger auf diesem Hungerposten zu bleiben. [749] Glaubte der große Pascha dies nicht und erklärte sich wirklich bereit zur Probe, so überließ ihm sein Untergebener uneigennützig die Zügel der Verwaltung. Aber er hatte dafür gesorgt, daß deren sämmtliche Fäden so verwickelt waren, daß ein sehr langer Aufenthalt, der allein die nöthige Erfahrung geben konnte, dazu gehörte, um sie zu entwirren. Die Bürger von Dschedda, die den großen Pascha als einen noch hungrigeren Blutegel ansahen und von ihm noch größere Erpressungen erwarteten, als von dem kleinen, den sie bereits mit ihrem Blut genährt hatten und gesättigt zu haben glaubten, standen dem Letzteren getreulich gegen den Ersteren bei.

Wenn der große Pascha sich beim kleinen beschwerte, daß die Bürger nicht nur keine Geschenke machten, sondern sogar im Zahlen der Abgaben säumig seien, so antwortete ihm die Donnerstimme, er kenne eben Dschedda nicht, die Bürger seien alle arm und könnten nichts leisten. Glaubte auch dies der „Große“ nicht und nahm Haussuchungen und Pfändungen vor, so hatte man dafür gesorgt, daß er nur die allererbärmlichsten Dinge vorfand, durch deren Besitzergreifung er sich nicht bereicherte, wohl aber auf sein eigenes ganzes Thun und Treiben das gehässigste Licht warf.

Man wußte ihn auch geschickt in Verwicklung mit dem religiösen Fanatismus zu bringen. In ganz Hedschaz, also auch in Dschedda, giebt es nämlich Leute, die aus irgend einem religiösen Grunde, der meist auf Abstammung vom Propheten beruht, steuerfrei sind, welche selbst die gierigsten Paschas schonen müssen, weil der Fanatismus der Menge jene beschützt. Auf solche Leute hetzte man den „Großen“, verschwieg ihm aber geflissentlich ihre geistliche Eigenschaft. Diese erfuhr er erst, nachdem er sich bereits an ihnen vergriffen und dadurch den Sturm der Entrüstung aller frommen Mohammedaner auf sein Haupt beschworen hatte. So wurde es ihm bald verleidet, Pascha in Dschedda spielen zu wollen. Er gab es auf, zog ab und berichtete auch wohl an’s Ministerium, er habe sich überzeugt, die Stelle in Dschedda sei wirklich erbärmlich. Man möge nur den unausstehlichen Nuri-Pascha, zur Strafe für seine beleidigende Grobheit, dort lassen.

[760]
Wie ein Pascha abgesetzt und wieder eingesetzt wird. – Schreckliche Sühne für die Christenverfolgung. – Der alte zähe Patriot.


Einmal aber gelang es doch einem Feinde, den kleinen Pascha von dem angeblichen Hungerposten zu verdrängen. Es war dies ein Grieche, der den gebildeten Europäer spielte, aber in Wirklichkeit der vollkommenste Asiat war. Alle Laster und Kniffe, die man den Asiaten vorwirft, waren bei ihm vertreten. Zu den ersteren gehörte, daß er, obgleich Christ, einen vollständigen Harem besaß, der jedoch zu seinem Kummer nur aus schwarzen und dunkelbraunen Sclavinnen bestand. Er sehnte sich aber nach einer Tscherkessin und fand auch wirklich im Geheimen eine solche. Damit hatte er jedoch den Fanatismus der Mohammedaner verletzt; diese sahen die Erlaubniß, Sclaven zu besitzen, als ein Vorrecht ihres Glaubens an. Die dunklen Schönheiten hatte man ihm gegönnt, die weiße dagegen erregte Neid. Man bestürmte den Pascha mit Vorstellungen, und dieser setzte es auch wirklich durch, daß die Tscherkessin dem Griechen genommen wurde. Da er bei dieser Gelegenheit den Mann auf eine empfindliche Weise bloßstellte, indem dessen Consul die Sache erfuhr und den Griechen, der ja als europäischer Schützling gar keine Sclaven haben durfte, zur Rechenschaft zog, so hatte er sich denselben zum Todfeind gemacht. Der Grieche war viel zu schlau, um nicht die wahre Natur des angeblichen Hungerpostens zu kennen, und er schwur, nicht zu ruhen, bis er den Pascha davon verdrängt habe. Da er reich war, so gelang ihm dies durch Bestechungen in Constantinopel vortrefflich, denen Nuri-Pascha keine Gegenbestechungen entgegensetzen konnte; denn er hatte ja stets petitionirt, daß man ihn seiner Stelle entheben möge. Nun wurde, sehr zu seinem Leidwesen, diese Bitte erhört. Aber es verging kein halbes Jahr, so war er wieder eingesetzt, und zwar durch Vermittelung ebendesselben Griechen. Er hatte den Zorn desselben entwaffnet, indem er sich, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben, zu einer Höflichkeit herabließ, ihm einen Brief voller Entschuldigungen schrieb, der noch dazu von Geschenken begleitet war. Den Griechen rührte nur eines dieser Geschenke, das, man wird es errathen, in nichts Anderm als – einer Sclavin bestand. Der dankbare Grieche bestach von Neuem, um das Ergebniß der ersten Bestechung rückgängig zu machen; und Nuri-Pascha, der sich inzwischen auf einem andern Posten unmöglich gemacht hatte, wurde, angeblich wieder zur Strafe, nach Dschedda zurückversetzt. Sein Nachfolger hatte nämlich in Dschedda ein solches Chaos gefunden, die Leute waren ihm so verarmt, die ganze Stelle so erbärmlich vorgekommen, daß er nach Constantinopel schrieb, der Posten sei wirklich der schlechteste in der Türkei, ein wahrer Strafposten.

So haben die treuen Dscheddaner ihren alten lieben Nuri-Pascha wieder und werden ihn auch wohl behalten bis an sein seliges Ende. Sie sind damit nicht gerade unzufrieden, denn einmal haben sie sich an die Launen des alten Tigers schon gewöhnt, und dann glauben sie eben an das arabische Sprüchwort, wonach ein voller Blutegel besser ist als ein leerer.

Zuweilen hat jedoch der Posten in Dschedda auch seine Schattenseiten, namentlich wenn Verwickelungen mit europäischen Mächten vorkommen. Unter den Geschichtchen, welche man damit in Verbindung bringt, giebt es eines, das zwar ein bischen schauerlich klingt, weshalb ich jede zartnervige Leserin im Voraus warne (wie man in der Schaubude ankündigt: „Jetzt wird geschossen“), welches jedoch so vollkommen orientalisch ist, daß kaum etwas Anderes einen treueren Begriff von Dem geben kann, was man im Orient noch heutzutage für möglich hält. Ich sage nicht: „was noch möglich ist“ (obgleich ich an diese Möglichkeit glaube), denn ich kann für das Geschichtchen keine Bürgschaft übernehmen. Da es aber in Dschedda geglaubt und allgemein erzählt wird, auch Niemand, nicht einmal der dort lebenden Europäer, etwas Unwahrscheinliches daran findet, so kann man es wenigstens als Probe des Ortsgeistes anführen. Es ist eigentlich ein kleines Stück Weltgeschichte, denn es betrifft die blutige Christenverfolgung in Dschedda oder vielmehr die Sühne, welche die europäischen Mächte dafür verlangten. So viel ich mich erinnere, haben sich zu jener Zeit die europäischen Zeitungen mehrmals mit den von Frankreich erzwungenen Geldentschädigungen beschäftigt, welche die Pforte den Hinterbliebenen der Opfer der Verfolgung zahlen mußte, sowie mit den sentimentalen Telegrammen des Sultans an Napoleon den Dritten, worin Jener sein tiefes Bedauern über den Vorfall ausdrückte und die Diesem Gelegenheit verschafften, sich wieder einmal als den alleinigen Verfechter der Humanität zu geberden. Ob damals in Europa viel von der Verfolgung verlautet hat, welche die Urheber derselben getroffen, weiß ich nicht, da ich damals im Orient war. In Dschedda dagegen sprach und spricht man noch heute nur von der Strafe und weiß von den Entschädigungen und den Humanitätstelegrammen nichts. Eine Strafe hat jedenfalls stattgefunden, das heißt, eine gewisse Anzahl Menschen, die man für die Verfolger hielt, büßten mit dem Leben. Eigentlich hätte aber die Strafe, wenn sie einmal den wahren Verfolgern gelten sollte, die sämmtliche Bevölkerung von Dschedda treffen müssen, denn fast die ganze Stadt hatte daran theilgenommen.

Es war kein vorbereitetes Werk, und von Anstiftern konnte dabei nicht die Rede sein, sondern es war ein unmittelbarer, blutiger Ausbruch des wüthenden Fanatismus, der wie eine Lawine in kürzester Zeit verheerend daherbrauste und Alles mit sich fortriß. Mochte man auch einige Schuldige aussondern, die gerade zufällig einen tödtlichen Streich geführt hatten, schuldig waren Alle, schuldig freilich nur in unserm Sinne, verdienstvoll dagegen vom Standpunkt der Dscheddaner, und dieser Standpunkt ist heute noch nicht aufgegeben. Es war etwas wie Lynchjustiz, nur in’s Orientalische übersetzt; denn der fanatische Pöbel glaubte, eine Art von Gerechtigkeit auszuüben; er tödtete die Europäer ja nicht ihres Glaubens wegen, sondern er war gereizt und gleichsam herausgefordert worden durch verschiedene jener Verletzungen der orientalischen Sitten und Beleidigungen der mohammedanischen Religion, wie sie sich die Europäer jetzt fast überall im Orient erlauben und die sie sich auch in Dschedda gestatten wollten – eine große Ungeschicklichkeit in einer so fanatischen Stadt. Wer in einem Glashaus wohnt, soll nicht mit Steinen werfen.

Aber die europäischen Mächte, namentlich England und [761] Frankreich, welchen beiden Nationen die meisten der Opfer angehörten, wollten Sühne haben. Zuerst kam ein englisches Geschwader nach Dschedda, dessen Befehlshaber vom Pascha die Köpfe der Verfolger verlangte. Dieser gerieth in nicht geringe Verlegenheit. Wen sollte er eigentlich ausliefern? Diejenigen, von denen es bekannt war, daß sie wirklich einen tödtlichen Streich geführt hatten, waren gleich beim Nahen des Geschwaders nach Mekka geflohen, wo die Pforte ohnmächtig ist. Die Zahl derer, welche mehr oder weniger gehetzt und verfolgt hatten, war Legion. Indeß, er mußte Jemand zur Strafe ziehen. Aus dieser Verlegenheit half er sich durch eine grausame List. Er ließ plötzlich ausrufen, die Regierung brauche so und so viel Lastträger, und versprach diesen einen guten Lohn. Wirklich fanden sich einige Dutzend ein. Es war am Abend, denn angeblich sollten die Lastträger des Nachts, von den Engländern ungesehen, Waffen ausschiffen helfen. Kaum waren sie im Fort, wohin man sie bestellt hatte, angekommen, als sie umzingelt und niedergemacht wurden. Die Dscheddaner behaupten, die Engländer selbst hätten letzteres Werk ausgeführt. Vielleicht wäre es dem Pascha lieber gewesen, wenn sie es gethan hätten, aber Dergleichen liegt nicht in ihren Gewohnheiten, wenigstens in der Türkei nicht; in Ostindien ist dies freilich anders. Wahrscheinlich war jedoch ein englischer Commissär gegenwärtig; denn die Sühne mußte ja constatirt werden.

Obgleich die Leute so geheim wie möglich getödtet und sogleich begraben worden waren, so wußte es doch am anderen Morgen die ganze Stadt. Das ärmere Volk zitterte; kein gemeiner Mann glaubte sich mehr seines Lebens sicher. Man zieh den Pascha der schreiendsten Ungerechtigkeit; denn wenn vielleicht auch die hingerichteten Lastträger ebenso schuldig waren, wie alle anderen Dscheddaner, so waren sie doch lediglich deshalb als Opfer gefallen, weil sie eben gemeine Männer waren, für deren Leben kein reicher Verwandter Bestechungssummen bieten konnte. Die Entrüstung gegen den Pascha war in der niederen Volksclasse so groß, daß es gewiß zu einem Aufstand gekommen wäre, hätte nicht die Furcht vor einem Bombardement durch die englische Flotte das Volk im Zaume gehalten. Ganz anders war jedoch die Stimmung in den vornehmeren Kreisen. Diese sind in Dschedda ebenso fanatisch, ja vielleicht fanatischer als das Volk. An der Christenverfolgung hatten sie in jeder Beziehung regen Antheil genommen. Wie schön war es nun nicht vom Pascha, daß er sie ganz geschont und, statt die Opfer aus ihrer Mitte zu wählen, die armen Lastträger, die wahrscheinlich viel weniger schuldig waren als sie, hingerichtet hatte! Das Lob des grimmen Paschas tönte damals aus dem Munde manches reichen Kaufherrn, und an Opfern, welche seiner finsteren Macht gebracht wurden, fehlte es nicht. Doch dieser Jubel sollte bald in wüthende Schmähungen, jenes Lob in scharfen Tadel umschlagen.

Man lächelte in Dschedda verächtlich über die (wie man es nannte) Dummheit der Engländer, die sich durch die Hinrichtung einiger ganz unbedeutender Menschen hatten täuschen lassen. Nun kam aber die französische Flotte an, und deren Führer verlangte gleichfalls blutige Sühne. Der Pascha ließ freilich sagen, man habe bereits die Schuldigen hingerichtet; aber der Franzose war besser unterrichtet. Er verlangte nicht die Köpfe von armen Teufeln, sondern die der angesehensten Leute. Einzelne besonders Gravirte konnte man freilich unter diesen auch nicht bezeichnen. Alle waren mehr oder weniger schuldig. Der Franzose hielt auch vielleicht nicht die Vornehmen für schuldiger, als die geringen Leute, aber er ging von dem Grundsatze aus, daß von zwei sonst gleich großen Verbrechern der gebildetere stets der strafbarere ist, und dann wollte er, daß die Sühne einen weiten Widerhall habe; dies konnte er nur durch die Hinrichtung einer Anzahl der Vornehmen erreichen. Sein Gesuch oder vielmehr sein Befehl war von der Pforte selbst unterstützt, und die Drohung eines Bombardements gab ihm noch mehr Nachdruck. Der Pascha mochte sich drehen und winden, mit seiner Grobheit und seinem Schimpfen kam er diesmal nicht aus – er mußte wiederum eine Anzahl Köpfe ausliefern.

Abermals griff er zu einer grausamen List. Da die Verhandlung zwischen ihm und dem französischen Admiral geheim geblieben war, so schöpften die Vornehmen keinen Verdacht, als eines Tages der Pascha bei ihnen herumschickte und sie zur – Abendmahlzeit einladen ließ. Einige Dreißig der reichsten Grundbesitzer und Kaufleute fanden sich ein. Unter diesen waren mehrere Zechgenossen des Paschas (denn der Alte trank gerne Raki), die dieser vielleicht gern gerettet hätte. Aber er konnte sie nicht warnen, ohne Alarm zu veranlassen. Alle wurden hingerichtet.

Wiederum behaupten die Dscheddaner, die Hinrichtung sei von den Europäern besorgt worden, aber auch die Franzosen spielen nicht ohne Noth die Henker. Jedenfalls hatten sie Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß ihnen eine großartige Genugthuung zu Theil geworden war.

Der Einzige, der von dieser Schlächterei Vortheil zog, war Niemand anders als der Pascha. Er ward auf einmal wieder volksthümlich, ja man fing an, ihn für uneigennützig zu halten. Hätten diese Vornehmen ihm nicht ungeheure Summen für ihr Leben bieten können, und hatte nicht sein Pflichtgefühl sie ausgeschlagen? Man vergab ihm die erste ungeschickte Grausamkeit und nannte ihn einen gerechten Mann, der ohne Ansehen der Person richtet. Diese „Gerechtigkeit“ hatte übrigens auch ihren goldenen Boden, denn unter den Hingerichteten waren mehrere, die nur unmündige Kinder hinterließen und deren Vermögen der Pascha „in Verwaltung nahm“. Die Vornehmen tadelten ihn zwar scharf, aber insgeheim; sie zitterten jetzt mehr denn je vor ihm und machten ihm reichere Geschenke als jemals zuvor.

Indeß, nachdem man von einem Menschen so viel Schreckliches berichtet hat, fühlt man, gleichsam um die Ehre der Menschheit zu retten, das Bedürfniß, doch auch einmal, wenn es nur irgend möglich ist, etwas Gutes von ihm zu sagen. Haben doch auch oft die größten Bösewichte ihre rettende Eigenschaft. Eine solche rettende Eigenschaft war beim grimmen Pascha sein Patriotismus. Patriot war er, zwar einseitig und nach der alten Schule, aber glühend. Ich glaube, er wäre im Stande gewesen, für einen patriotischen Zweck all’ sein zusammengeraubtes Geld herzugeben. Dazu hatte er freilich keine Gelegenheit, denn nach seiner Ansicht war die Regierung faul, weil von modernen Ideen angekränkelt, und hätte jede patriotische Spende nur zu Reformen verwandt. Reformen waren aber, nach des Pascha Ansicht, von Uebel. Aus ihnen leitete er den ganzen Verfall des türkischen Reiches ab. Sein Ideal waren die alten Zustände, wie sie zur Janitscharenzeit bestanden. Er war also eigentlich ein Mann der schroffsten Reaction, aber dennoch ein aufrichtiger Patriot, der sich nur in den Mitteln irrte. Die traurige Wahrheit, daß weder Reaction noch Reformen die Türkei retten können, durfte man ihm natürlich nicht sagen. Reformen können einen kranken Staat vielleicht heilen, nicht aber einen todten neubeleben. Indeß er glaubte, daß seinem Vaterlande noch etwas Lebenskraft innewohne. Ein Ausfluß seines Patriotismus war namentlich auch seine Furcht und sein Haß gegen die europäischen Mächte. Wie alle Stocktürken haßte er jedoch am glühendsten Rußland. Der Moskoff (wie man den Russen in der Türkei nennt), das war der Schreckenspopanz, den er, selbst in dem von der russischen Grenze so weit entfernten Dschedda, stets vor Augen hatte. An einen baldigen Krieg mit Rußland glaubte er steif und fest. Das Ergebniß, das er von diesem Kriege erwartete, war, wenn man ihn öffentlich reden hörte, natürlich ein siegreiches für die Türkei, eine Wiederkehr des alten Glanzes und der alten Macht. Aber in intimem Kreise sprach er sich ganz anders aus. Er war viel zu gut von den ungeheuren Mitteln Rußlands unterrichtet und kannte auch viel zu genau die Fäulniß der türkischen Zustände. Dann pflegte er wohl zu sagen:

„Mit uns ist’s vorbei. Die alte türkische Tapferkeit lebt zwar noch, aber was vermag Tapferkeit in einem Zeitalter, wo solche Erfindungen des Teufels, wie die neuen Kanonen, die Hinterlader, die Panzerfregatten etc., Alles entscheiden?“

Dann blickte der grimme Pascha schwermüthig zu Boden, und einmal sah ich sogar bei einer solchen Gelegenheit etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte, wie nämlich bei dem Gedanken an die Auflösung seines Vaterlandes eine einsame Thräne an der grauen Wimper des grimmigen verwitterten Alten erglänzte.