Parthenope. Ein Seegemählde bei Neapel

Textdaten
Autor: Johann Gottfried Herder
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Parthenope
Untertitel: Ein Seegemählde bei Neapel
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1796, S. 124 – 130
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1796
Verlag: Michaelis
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Neustrelitz
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung: Die Chiffre P. wird Johann Gottfried Herder zugeschrieben.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[124]
Parthenope.

Ein Seegemählde bei Neapel.


Ermüdet von des Tages schwerem Brande,
     Setzt’ ich danieder mich ans kühle Meer.
Die Wellen wallten liebend hin zum Strande
     Des holden Ufers, das mich rings umher

5
Umfieng mit seinem zaubrischen Gewande,

     Mit seiner gaukelnden Sylphiden Heer;
Der Liebe luftger Schleier, rings umflogen
Von Zephyretten, spielte mit den Wogen.

Und über mir, hoch über mir in Lüften

10
     Des blauen Äthers säuselte der Baum,

Der reingeläutert von der Erde Düften,
     Ein himmlisches Gewächs, den runden Saum
Umschreibet mit der Sonne goldnen Schriften,
     Und giebt dem Fluge der Begeistrung Raum

15
Die schlanke, schöne Königinn der Bäume,

Die Pinje rauschte mich in goldne Träume.

[125]

Ich hört’! und aus des Meeres leisen Wogen
     Erhob sich einer Stimme Silberton:
»Vernimm mich! Nie hat dich dein Herz betrogen,

20
     Du liebest Wahrheit, und verdienst zum Lohn,

Daß dir die Hülle werd’ emporgezogen,
     Die alle Wesen bis zum lichten Thron
Der schaffenden Natur in Schatten hüllet;
Vernimm mich, und dein Herz wird dir gestillet.«

25
Ich sah; und aus des Meeres zarten Wellen

     Hob eine Nymphe göttlich sich empor.
Ihr Antlitz schien die Dämmrung aufzuhellen,
     Bis an der Sonne goldnes Abendthor.
Die Wogen küßten sie mit sanftem Schwellen;

30
     Um ihren Busen wallt’ ein reger Flor;

Sie sang; ein Saitenspiel von zarten Saiten
War schüchtern, ihre Stimme zu begleiten.

Sie sang: »Was rings dir deine Blicke zeigen,
     Was alldurchwallend die Natur bewegt,

[126]
35
Was droben dort in jenem heilgen Schweigen

     Des Athers, drunten sich im Staube regt,
Und in der Welle spielt, und in den Zweigen
     Der Fichte rauscht, und dir im Herzen schlägt,
Und dir im Auge, jetzt von Thränen trübe,

40
Jetzt freudentrunken himmlisch glänzt, ist – Liebe.


Nur Liebe war die Schöpferinn der Wesen,
     Und ward der Liebgebohrnen Lehrerinn.
Willst du den Sinn des großen Buches lesen,
     Das vor dir liegt; sie ist die Seele drinn.

45
Und will dein Geist, und soll dein Herz genesen,

     So folge treu der hohen Führerinn;
Wer außer ihr, der Mutter alles Lebens,
Natur und Wahrheit suchet, sucht vergebens.

Sie ist Natur; sie bildete Gestalten,

50
     Naht und verknüpfet und beseligt sie;

Sie läßt den Keim zur Blume sich entfalten,
     Daß in der schönen Blume Liebe blüh’.

[127]

Die zarten Bande, die das Weltall halten,
     Die ewigjunge rege Sympathie,

55
Die Himmelsglut, in der die Wesen brennen,

Wie willst du anders sie, als Liebe nennen?

Schau, wie die Welle, nahend dir, am Rande
     Des Ufers spielet, und es leise grüßt;
Sie gleitet weg von dem geliebten Strande,

60
     Zerfließend, wie ein süßer Wunsch zerfließt,

Und kehrt zurück zu dem geliebten Lande,
     Wie wiederkehrend sich das Herz ergießt;
So drängen sich mit immer neuem Schwellen
In aller Schöpfung Meer der Liebe Wellen.

65
Schau, wie umher der ganze Himmel trunken,

     Sich spiegelt in des Meeres Angesicht!
In Amphitritens heil’gen Schooß gesunken,
     Wie wallt, wie zittert dort der Sonne Licht!
Und droben glühen schon der Liebe Funken,

70
     Die Sterne. Sieh, auch Luna säumet nicht;
[128]

Sie schleicht heran mit zarten Silberfüßen,
Um ihren Liebling, ihren Freund zu grüßen.

Dort steht sie; sieht bescheiden sich im Spiegel
     Der Wellen an, und weilt und schämet sich,

75
Und blickt hinan zu jenem Schlummerhügel:

     »Endymion, ich lieb’, ich liebe dich!«
Und drückt auf ihn der Sehnsucht zartes Siegel:
     »Endymion, auch du, du liebest mich!« – –
So sang Parthenope; mit süßen Schmerzen

80
Fuhr ihrer Stimme Pfeil zu meinem Herzen.


Ich sah, ich sah, bei ihren Freudenmahlen
     Die Götter in der Freuden Ueberfluß.
Da labet Zevs sich in den süßen Strahlen
     Des schönen Jünglings mit dem ewgen Kuß.

85
Sein Auge küßt; es küßt zu tausendmalen,

     Und blickt in alle Himmel Wohlgenuß;
Läßt Göttlichkeit in jede Ader fließen,
Und reine Liebe sich durchs Weltall gießen.

[129]

Ach, sprach ich, und die Menschheit, in der Kette

90
     Der Erdewesen sie der erste Ring,

O! daß sie noch das Kleinod Unschuld hätte,
     Das ihr die Mutter an den Busen hing,
Als liebend mit den Göttern um die Wette
     Ihr erster Mutterkuß sie froh umfing;

95
»Geh, sprach sie, zartes Kind. Im Erdgetümme

Wird Lieb’ und Unschuld dir allein zum Himmel.

»Versäume nie, zu stolz für diese Freuden,
     Die Lieb’ und Unschuld auf beblümter Flur.
Verschmähe nie dein Glück, und suche Leiden

100
     Der Unvernunft auf falscher Weisheit Spur!«

Ach, aber ach, getrennt von ihnen beiden,
     Von Lieb’ und Unschuld, Wahrheit und Natur,
Wie taumelt jetzt der Mensch, und sucht dem Herzen
Ein süßes Gift, für Liebe – Gram und Schmerzen.

[130]
105
So seufzte ich. Die Königinn der Wogen

     Erhob noch einmal ihren Silberton:
»Vernimm dein Herz. Nie hat es dich betrogen.
     Du liebest Unschuld, und sie wird dein Lohn.
Was unter diesem goldnen Himmelsbogen

110
     Von meinem Meere, bis zu Jovis Thron

Erklingt, das klinget dir im Herzen wieder,
In deinem Herzen.« – Und sie schlüpfte nieder.

P.