Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Pariser Theater
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 786
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[786] Pariser Theater. Es ist schon schwer, sehr schwer, in Paris das tägliche Brod zu verdienen; noch viel schwerer ist es für Künstler und Schriftsteller, sich bemerkbar zu machen und unter dem dichten, hastigen Gedränge in den Tempel des Ruhmes zu gelangen; am allerschwersten wird es aber dem dramatischen Dichter, die Kinder seiner Muse auf die Bretter zu bringen, zumal wenn er es ernst mit seiner Kunst meint und nicht den Launen und dem schlechten Geschmack des Tages huldigen will. Die Laufbahn des französischen dramatischen Dichters ist schön, wenn sie ihn zum Ziele führt. Denn er gewinnt nicht nur Ehre und Ruhm, sondern auch viel Geld. Scribe hat mehrere Millionen hinterlassen, und Alexander Dumas Sohn und Victorien Sardou haben die erste Million bereits eingeheimst, obgleich Jener das Schwabenalter kaum zurückgelegt und dieser es kaum erreicht hat. Allein wie Viele gehen mit ergrautem Haupt herum, deren Stücke in den bestaubten Cartons schlummern! Je ernster das Streben des dramatischen Dichters ist, desto höher thürmen sich auf seinem Wege die Schwierigkeiten auf, die er unmöglich zu überwinden vermag, wenn er nicht einflußreiche Freunde besitzt, oder in der Presse sich einen Namen gemacht. Die schönste Hoffnung eines Pariser dramatischen Dichters ist es, sein Werk im Théâtre français aufgeführt zu sehen. Dieses Theater wird von den Franzosen, nicht so ganz mit Unrecht, als die erste Bühne der Welt betrachtet. Der Dichter, der in diesem Hause einen Sieg davonträgt, darf getrost in die Zukunft blicken. Dieser Sieg wird jedoch unter vielen Hunderten kaum von einem Einzigen errungen. Die Organisation des Théâtre français, oder wie dasselbe officiell heißt: Comédie Française, ist eben der Art, daß es fast ein Wunder ist, wenn ein junger dramatischer Dichter durch sein bloßes Talent dort ein Werk anbringt.

Das Théâtre français gehört zu den vier vom Staate subventionirten Theatern, unterscheidet sich aber von den andern Theatern durch seine eigenthümliche Verwaltung. Die vorzüglichsten Mitglieder desselben sind „Sociétaires“, d. h. sie theilen unter sich den Gewinn zu gleichen Theilen. Zeichnet sich ein neuengagirtes Mitglied durch ein bedeutendes Talent aus, so wird es von den Sociétaires zu ihrem Mitglied ernannt und genießt mit ihnen die eben erwähnten Rechte. Weniger begabte Mitglieder des Theaters beziehen blos ihr Gehalt von der Verwaltung und können von dieser auch entlassen werden.

Das Werk, welches ein Dichter dem Théâtre français einreicht, wird zuvor der Prüfung des ersten Secretairs unterworfen; nur solche Dichter, von denen bereits ein Stück in einem der subventionirten Pariser Theater zur Aufführung gekommen, genießen das Recht, ihr Werk unmittelbar dem Comité des Theaters zu überreichen. Drei lange Monate muß der arme Poet in Sehnsucht schmachten, bis ihn das Comité einladet, sein Werk vorzulesen. Mit Zittern und Zagen, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, folgt er der Einladung. Das Comité, aus den Sociétaires, und zwar bloß aus den männlichen zusammengesetzt, hört unter dem Vorsitze des Administrators das Stück, das entweder sogleich nach der Lectüre angenommen wird oder das Comité stimmt durch Kugelung ab. Wird das Stück abgewiesen, so theilt der Administrator dem Poeten unter vier Augen das unglückliche Resultat mit und vergißt dabei nicht, die Pille durch allerlei nichtssagende Complimente, durch fein gedrechselte Tröstungen auf die Zukunft zu versüßen. Wird nun das aus lauter Schauspielern zusammengesetzte Comité bei seinem Verdict von rein ästhetischen Grundätzen geleitet? Sind die Mitglieder desselben im Stande, den Kunstwerth eines dramatischen Werkes zu beurtheilen? Das sind Fragen, die in diesem Augenblick die Pariser literarische Presse sehr beschäftigen. Die Schauspieler des Théâtre français werden bei dem unbeschränkten Richteramte gewöhnlich von zwei persönlichen Interessen geleitet. Jeder von ihnen sucht vor Allem, ob das eingereichte Stück eine glänzende Rolle für ihn enthält, sodann, ob das Werk Casse machen werde, da ein Theil des Gewinnstes ihm zu Gute kommt. Es versteht sich fast von selbst, daß das Urtheil des Comités nicht selten durch Einflüsse von Oben bestimmt wird.

Als subventionirte Bühne hat das Théâtre français zwar die Verpflichtung, jährlich zwei neue Stücke zur Aufführung zu bringen; allein es braucht in dieser Beziehung durchaus nicht ängstlich zu sein. Emil Augier liefert ihm jedes Jahr ein Werk, das über hundert Vorstellungen erlebt; wenn aber ein zweites neues Stück mißglückt, so braucht die Direction nur nach ihrem sehr reichen classischen Repertoire zu greifen, und so kommt es, daß die jungen Dichter im Théâtre français Thür und Thor verschlossen finden. Ja, es ereignet sich häufig, daß das Comité Stücke verweigert, denen in anderen Theatern ein glänzender Erfolg zu Theil wird. Ponsard’s L’honneur et l’argent ist vom Théâtre français abgewiesen worden und hat im Odeon-Theater den lebhaftesten Beifall gefunden. Einige dramatische Dichter nun, deren Werke das Comité des Théâtre français vor Kurzem abgelehnt, schlagen gegenwärtig in der Presse einen gewaltigen Lärm. Sie verlangen, daß besagtes Comité nicht bloß aus Schauspielern, sondern zum Theil aus namhaften Schriftstellern und bewährten Kritikern zusammengesetzt sei, daß man ihre Hervorbringungen richte, aber nicht hinrichte. Bei dieser Polemik bekommt die Regierung manche derbe und wohlverdiente Ohrfeige. Hat nicht die Regierung ein halbes Menschenalter hindurch die Aufführung der Victor Hugo’schen Dramen verhindert? Und als man endlich, dem dringenden Verlangen des Publicums nachgebend, die Aufführung des „Hernani“ gestattete, hat man sich veranlaßt gesehen, dieses Stück trotz, oder vielmehr wegen des glänzenden Erfolges, wieder vom Repertoire verschwinden zu lassen. Die Polemik, welche durch die Wirthschaft im Théâtre français hervorgerufen worden, zeigt deutlich, daß man der Willkürherrschaft müde ist, und als solche hat sie eine Bedeutung, die nicht unterschätzt werden darf.