Textdaten
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Titel: Osterwasser
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 261, 274
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[261] 

Schöpfen des Osterwassers.
Originalzeichnung von R. Püttner.

[274] Osterwasser. (Mit Illustration S. 26l.) Alles hat seine Zeit, die Zeit des Emporkeimens, der Blüthe und des Zerfallens. Diesem ehernen Naturgesetze sind ebenso wie die Menschen auch ihre Werke unterthan – und die schönsten Sitten und Bräuche machen von der Regel keine Ausnahme. Auch sie altern, verlieren an Frische und Zauber, bis sie verwelkt der Vergessenheit anheimfallen. An dieses Werden und Vergehen selbst der tiefsinnigsten Bräuche erinnert uns das stimmungsvolle Bild des Osterwasserholens.

Ein uralter Glaube führt die Mädchenschar zur Quelle um die stille feierliche Zeit, da am anbrechenden Ostermorgen der Himmel und die Wolken in Purpurgluth erröthen. Um diese Zeit soll die allmächtige Zauberin Natur in dem Wasser der Quellen und Ströme wunderbare Kräfte erzeugen. Von Geschlecht zu Geschlecht berichtete der Volksmund, daß das „Osterwasser“ Krankheiten heile, daß es Jugendfrische und Schönheit dem Körper verleihe, Glück dem in Liebe erwachenden Herzen und Reichthum dem ehrgeizigen bringe. Jahrhunderte lang lebte dieser Glaube und stärkte nach seiner Art die schwindende Hoffnung in Tausenden kämpfender Herzen, bis die Menschheit weiser wurde, an das Märchen nicht mehr glaubte und Trost und Hoffnung bei dem Zeichen des Kreuzes suchte, das vom hohen Thurme Wacht hielt über die Häuserschar der Stadt und die frühen Wanderer am Ostermorgen an größere Verheißung, dauernderes Glück, besseres Leben gemahnte! Von der Sitte des Osterwasserholens blieb nur die leere schöne Form übrig, und so zog man jahraus jahrein in der Osterfrühe zum Fluß und Quell in froher lustiger Schar. Aber auch dieser Brauch verlor sich fast gänzlich, denn ihm fehlte die innere Weihe! Vor Jahrtausenden, als noch die altheidnische Göttin Ostera gläubige Verehrer in allen Gauen des Landes zählte, wurde die Osternacht anders gefeiert. Ihre Priesterinnen wuschen sich in klaren Quellen das Gesicht und verrichteten damit ein Hochamt der Göttin, welche alljährlich die Erde nach langem winterlichen Schlaf zum neuen Leben weckte, wie das Bad den Körper erfrischt. Das Osterwasser war nur ein Symbol eines tiefsinnigen auf Naturanschauung beruhenden Glaubens. Später, als der Kultus der Göttin und ihre Tempel und Haine und ihre Priesterinnen verschwunden waren und nur die Erinnerung an die vergangene Zeit im Volke fortlebte, ward der Glaube zum Aberglauben, welcher dem Symbol die göttlichen Kräfte zuschrieb. Was einst nur die Göttin zu schaffen vermochte, das sollte jetzt das Osterwasser wirken. Thörichter Wahn, den die Erfahrung Lügen strafte. Der Brauch gerieth in Zeiten des Verfalls, und er suchte in Ausflüchten sein Heil. Nun hieß es, man müsse heimlich das Osterwasser holen, wenn man seine Kraft erhalten wolle, man dürfe von Niemand beim Schöpfen überrascht werden, mit Niemand ein Wort wechseln und so weiter, und so weiter! Thörichter Wahn auch dieses, hörte man bald sagen, und nur der Gewohnheit halber wanderte man, wenn die ewigen Sterne am Himmel erloschen, wenn die Klänge der Auferstehungsmesse in christlichen Kirchen verhallt und verstummt waren, zum klaren Quell, um gedanken- und glaubenlos einen alten Brauch zu üben. Aber die vergessene Frühjahrsgöttin grollt nicht der Menschheit, selbst jetzt noch lohnt sie die Mühe den Auserwählten unter ihren unbewußten Verehrern. Durch das werdende Licht am Himmelszelt, durch das Murmeln der neugeborenen Wellen, durch die erwachenden Lieder der Vögel weckte sie und weckt allezeit in den zweifelnden Herzen den festen Glauben an die Unsterblichkeit und Ewigkeit des Lebens. *