Oberlandesgericht München – Zwang und Gewerbefreiheit

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 15. Oktober 1886
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1886, Nr. 39, Seite 332–334
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Kurzbeschreibung: Vorschriften im öffentlichen Interesse stellen keine Einschränkung der Gewerbefreiheit dar
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichtes München vom 15. Oktober 1886
in der Sache gegen den Fleischhändler J. N. von M. wegen Übertretungen in Bezug auf die Fleischbeschauordnung.

Nach Art. 74 des Pol.-Straf-Ges.-Buches vom 26. Dezember 1871 wird an Geld bis zu 45 Mark bestraft:

1. wer den ober- oder ortspolizeilichen Vorschriften über Beschau des zur menschlichen Nahrung bestimmten Viehes vor und nach der Schlachtung zuwiderhandelt;
2. wer andere verkäufliche Nahrungsmittel, Eßwaaren oder Getränke der durch ober- oder ortspolizeiliche Vorschrift angeordneten Beschau entzieht.

Auf Grund dieser gesetzlichen Bestimmung, sowie der Art. 40 und 41 der Gemeindeordnung und nach Maßgabe der Art. 3 und 6 des Pol.-Straf-Ges.-Buchs erließ nun der Stadtmagistrat München bezüglich der Beschau und Veraufschlagung von eingeführtem rohen Fleisch, Speck, Eingeweiden und anderen Fleischwaaren am 17. September 1880 eine von der k. Regierung von Oberbayern, Kammer des Innern, für vollziehbar erklärte und in Nr. 76 der Münchner Gemeindezeitung, [333] Jahrgang 1880 S. 933, veröffentlichte ortspolizeiliche Vorschrift, nach deren §. 1 Fleisch, Speck, Eingeweide und sonstige Fleischwaaren, welche in rohem Zustande in die Stadt eingebracht werden, mit einem thierärztlichen oder von einem verpflichteten Fleischbeschauer ausgestellten Zeugnisse darüber versehen sein müssen, daß das Thier, von welchem diese Theile herrühren, vor der Zertheilung beschaut und in allen Theilen gesund befunden worden sei, während nach deren §. 3 alsbald nach Einbringung solcher Gegenstände in die Stadt, und zwar, insoferne dieselbe mittels der Bahn erfolgt ist, der Empfänger, außerdem der Einbringer verpflichtet erscheint, dieselben mit dem Begleitzeugnisse zum Zwecke der Beschau in die Sanitätsanstalt des städtischen Schlacht- und Viehhofes, oder sofern es sich nicht um Bestandtheile von Pferden handelt, in die städtische Freibank zu verbringen, wo dann, und zwar in ersterer die Beschau während der jeweiligen Schlachtzeit, in letzterer in den Morgenstunden von 7½ bis 8½ Uhr vorgenommen wird. Im §. 4 wird weiter bestimmt, daß Gegenstände, welche bei dieser Beschau nicht beanstandet werden, mit einer Plombe zu versehen seien, wofür ein Betrag von 5 Pfennig an den Beschauer zu entrichten ist, und welche vor Verwendung des treffenden Fleischtheiles etc. nicht abgenommen werden darf. Im Schlußparagraphen 7 wird endlich statuirt, daß diese Vorschriften 14 Tage nach ihrer Verkündung in der Münchner-Gemeindezeitung in Kraft treten, sowie, daß damit §. 3 Abs. 3 der Schlacht- und Viehordnung vom 9. August 1878 außer Wirksamkeit tritt.

Diese ortspolizeilichen Vorschriften des Stadtmagistrats München stehen jedoch keineswegs, wie die Revision meint, im Widerspruche mit den Grundsätzen der Reichsgewerbeordnung, indem, wenn auch die letztere unbestrittenermaßen auf dem Grundsatze der Gewerbefreiheit beruht, welchen schon deren erster Paragraph durch die Bestimmung zum Ausdrucke bringt, daß der Betrieb eines Gewerbes Jedermann gestattet sei, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind, durch diese Bestimmung aber nur die Zulassung zum Betriebe eines Gewerbes von den Schranken, mit denen sie früher umgeben war, befreit, keineswegs aber die allgemeinen und örtlichen Beschränkungen, welche der Ausübung eines Gewerbes im öffentlichen Interesse, insbesondere in Rücksicht auf die Gesundheitspflege auferlegt sind, aufgehoben werden wollten.

Denn die Reichsgewerbeordnung gibt prinzipiell nur Norm bezüglich der Berechtigung zum Gewerbebetrieb, der Zulassung zu demselben, da sie über die Art und Weise der Gewerbeausübung nur vereinzelte Bestimmungen enthält, und den Erlaß von die Ausübung eines Gewerbes in öffentlichem Interesse beschränkenden Bestimmungen der Landesgesetzgebung anheimstellt, so daß alle über die Art und [334] Weise eines Gewerbsbetriebes im allgemeinen Interesse gegebenen landespolizeilichen Vorschriften von der Reichsgewerbeordnung in keiner Weise betroffen werden, und die Gewerbtreibenden hiernach die für Alle geltenden polizeilichen, bau-, feuer-, gesundheitspolizeilichen etc. Vorschriften zu beobachten haben, und überdieß im §. 144 der Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869 die Bestrafung von Gewerbtreibenden wegen Zuwiderhandlungen gegen ihre Berufspflichten mit einer einzigen, die Medizinalpersonen betreffenden Ausnahme, nach den darüber bestehenden Landesgesetzen ausdrücklich vorbehalten wurde.

Hieraus ergibt sich unzweideutig, daß die landesrechtlichen Bestimmungen, deren Tendenz dahin geht, das Publikum im Verkehre mit den Gewerbtreibenden vor Beschädigungen, Uebervortheilungen, Belästigungen etc. zu schützen, insoweit nicht die Reichsgewerbeordnung selbst oder andere Reichsgesetze in dieser Richtung erschöpfende Bestimmungen enthalten, vollen Anspruch auf Geltung neben der Reichsgewerbeordnung haben.

Die Berufspflichten der Metzger, Fleischer, Fleischwaarenhändler, nämlich die Pflichten, die ihnen nach der Art ihres Gewerbes in Bezug auf die Ausübung desselben obliegen, betrifft es aber, wenn sie angehalten werden, das von ihnen zum Verkaufe bestimmte Fleisch, oder die zu diesem Zwecke von außen eingeführten Fleischwaaren vor dem Verkaufe der Beschau zu unterstellen, und haben daher der derartige Zuwiderhandlungen mit Strafe bedrohende Art. 74 des Pol.-Straf-Ges.-Buchs und die auf Grund desselben erlassenen ober- oder ortspolizeilichen Vorschriften neben der Reichsgewerbeordnung unbedingte Geltung.