Oberlandesgericht München – Winterdienst

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichtes München vom 18. Mai 1888
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1888, Nr. 26, Seite 241–242
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Kurzbeschreibung: Gleichstellung von Grundstücksbesitz und Nießbrauch bei der Pflicht zum Winterdienst
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichtes München vom 18. Mai 1888
in der Sache gegen die Oekonomenswittwe Helene S. von R. wegen Übertretung straßenpolizeilicher Vorschriften.

Den Strafbestimmungen des §. 366 Nr. 10 des St.-G.-B. unterliegt derjenige, der die zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit, Reinlichkeit und Ruhe auf den öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder Wasserstraßen erlassenen Polizeiverordnungen übertritt.

Die von dem zuständigen Stadtmagistrate R. unterm 20. April 1876 erlassenen ortspolizeilichen Vorschriften erklären in §. 25 unter Anderem die Besitzer von Anwesen oder Grundstücken an den öffentlichen Straßen oder Plätzen der Stadt für verpflichtet, soweit ihr Besitz an diese Straßen oder Plätze grenzt, die Trottoirs und Fußwege fortwährend von Eis und Schnee frei zu halten.

Indem der Gesetzgeber die Sorge für Sicherheit, Reinlichkeit und Bequemlichkeit auf den örtlichen Verkehrswegen als einen Gegenstand der Ortspolizeiverwaltung erklärt, ermächtigt er diese offenbar nicht blos die Art und Weise zu bestimmen, auf welche die vorgesehenen Zwecke erfüllt werden sollen, sondern auch die zum Vollzuge dieser Vorschriften Verpflichteten zu bezeichnen, da sonst die Ertheilung derartiger Vorschriften geradezu illusorisch wäre. – Daß die Hausbesitzer zur Reinhaltung der an ihren Häusern sich hinziehenden Straßentheile ortspolizeilich verhalten werden können, ist unbestritten und ergibt sich auch aus dem Vorbehalte des zweiten Absatzes des §. 44 der Gemeindeordnung (Ges.-Bl. 1866/69 S. 595).

Sind nun die Hausbesitzer zur Erfüllung solcher Verpflichtungen in dem angezogenen §. 25 der einschlägigen Vorschriften für verpflichtet erklärt, ohne daß zwischen den einzelnen Arten derselben unterschieden worden wäre, so unterstehen denselben zweifelsohne auch jene Personen, denen, wie solches bei der Angeklagten der Fall ist, lediglich die Nutznießung an einem Hause zusteht. Die Angeklagte, welche fragliches Haus in Folge des ihr hieran eingeräumten Nutzgenusses seit dem Jahre 1884 bewohnt, sohin nach Maßgabe des bayr. Landrechts Thl. II Cap. V §. 2 als juristische Besitzerin [242] desselben erscheint, ist in Folge dieser ihrer Eigenschaft gehalten, die ihr durch den mehrberegten §. 25 der ortspolizeilichen Vorschriften auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen und daher wegen Unterlassung dieser Erfüllung am 25. Dezember vorigen Jahres mit Recht der Strafbestimmung des §. 366 Nr. 10 des St.-G.-B. für verfallen erklärt worden.

Hieran würde auch durch den Umstand, wenn bisher ein Anderer die Reinhaltung des Trottoirs von Eis und Schnee und zwar in Folge einer privatrechtlichen Verpflichtung hiezu besorgt hätte, nichts geändert, indem für den Vollzug der in der ortspolizeilichen Vorschrift vom 20. April 1876 §. 25 den Anwesensbesitzern auferlegten öffentlich rechtlichen Verpflichtung nur besagte Besitzer strafrechtlich verantwortlich erscheinen, und sich dieser Haftung keineswegs durch Berufung auf die privatrechtliche Verpflichtung eines Andern entziehen, sondern gegen denselben nur ihren civilrechtlichen Regreß nehmen können.

(Zeitschrift für Gesetz- und Rechtspflege Bd. X S. 976, 1055. Sammlung Bd. III S. 313, Bd. IV S. 7 bezw. 9. S. 215.)

Selbst wenn die Angeklagte im guten Glauben fragliche Unterlassung begangen hatte, würde die Anwendung des §. 366 Nr. 10 a. a. O. nicht ausgeschlossen erscheinen, da dieser §. sich nicht gegen Rechtsverletzungen, sondern lediglich gegen Rechtsgefährdungen richtet, und daher seine Anwendbarkeit durch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit Seitens des Handelnden nicht bedingt ist.