Oberlandesgericht München – Widerstand gegen die Staatsgewalt

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Mittheilung eines Urtheils des k. Oberlandesgerichtes München.
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1882, Nr. 25, Seite 247–252
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Kurzbeschreibung: Den Anordnungen gemeindlicher Vollzugsbeamten ist Folge zu leisten
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Mittheilung eines Urtheils des k. Oberlandesgerichtes München.

Das k. Oberlandesgericht München erkannte in der Sache gegen den Weinhändler I. F. von K. wegen Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt unter’m 20. Juli 1882 zu Recht:

Die Revision des I. F. gegen das Urtheil der Strafkammer des k. Landgerichtes W. vom 4. Mai 1882 wird unter Verurtheilung des Beschwerdeführers in die hiedurch veranlaßten Kosten verworfen.
Gründe.

Durch Urtheil des Schöffengerichtes beim k. Amtsgerichte K. vom 22. März 1882 wurde der verehelichte Weinhändler I. F. von [248] K. wegen Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt in idealem Zusammenflusse mit einem Vergehen der Körperverletzung zu einer dreiwöchentlichen Gefängnißstrafe und zur Kostentragung verurtheilt.

Die von dem Angeklagten eingelegte Berufung wurde von dem k. Landgerichte W. mit Urtheil vom 4. Mai dieses Jahres unter Verurtheilung desselben in die hiedurch erwachsenen Kosten verworfen.

Hiegegen hat I. F. rechtzeitig Revision eingelegt und sodann diese rechtzeitig durch seinen Vertheidiger Rechtsanwalt K. von W. dahin begründet, daß § 113 des Reichsstrafgesetzes verletzt sei, wobei Aufhebung des angegriffenen Urtheiles und Freisprechung des Angeklagten, eventuell Zurückverweisung der Sache an das k. Landgericht W. zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung beantragt wurde.

In der öffentlichen Verhandlung vor dem k. Oberlandesgerichte München stellte der k. Staatsanwalt den Antrag, die Revision zu verwerfen und den Beschwerdeführer in die hiedurch veranlaßten Kosten zu verurtheilen.

Die Revision des Angeklagten stützt sich auf die Behauptung der Verletzung des § 113 des Strafgesetzbuchs, indem von der Strafkammer angenommen worden sei, K. Fr. habe, als er erklärte, die in Frage stehende Kiste mit Fleisch müsse geöffnet werden, sich in rechtmäßiger Ausübung seines Dienstes befunden, während dieses nicht der Fall gewesen sei, da K. Fr. keine der in § 105 Abs. 1 der Strafprozeßordnung bezeichneten Persönlichkeiten sei, die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urtheiles die desfalls nothwendige Feststellung nicht enthielten, jedenfalls aber die außerdem erforderliche thatsächliche Begründung mangle, daß im gegebenen Falle Gefahr im Verzuge bestanden habe, oder es nicht möglich gewesen sei, zur fraglichen Durchsuchung einen Gemeindebeamten oder zwei Mitglieder der Gemeinde zuzuziehen, zu welcher Ansicht man auch gelangen müsse, wenn man die Anordnung des K. Fr., daß die Kiste mit Fleisch auf das Rathhaus gebracht werden solle, als Beschlagnahme auffasse, da der hierüber maßgebende § 98 der Strafprozeßordnung die gleiche Bestimmung wie § 105 Abs. 1 enthalte und überdies nach § 100 auch bei Gefahr im Verzuge nur der Staatsanwalt mit Ausschluß der Hilfsbeamten zur Anordnung der Beschlagnahme befugt sei.

Der Revision kann jedoch keine Folge gegeben werden.

Nach § 113 des Reichs-Strafgesetzbuchs macht sich strafbar, wer einem Vollstreckungsbeamten in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet.

Nach der thatsächlichen Feststellung der Strafkammer begab sich [249] K. Fr., welcher als Fleischbeschauer und Fleischaufschlag-Einnehmer für die Stadt K. aufgestellt und verpflichtet ist, welcher bei Einnahme des ihm pachtweise überlassenen Fleischaufschlages nicht allein das vermögensrechtliche Interesse der Stadt vertritt, sondern dem auch obliegt, etwaigen Kontraventionen zu begegnen, solche zu entdecken, festzustellen und zur Bestrafung zu bringen, welcher demnach, weil in diesen beiden Eigenschaften unter öffentlicher Autorität einen Zweig der Verwaltung der Stadt K. ausübend, als Beamter im Sinne des § 359 des Strafgesetzes zu betrachten ist, am 7. Dezember 1881 Abends, nachdem er erfahren hatte, daß der Angeklagte I. F. durch einen von P. kommenden Fuhrmann eine Kiste Rindfleisch erhalten habe, ohne daß die durch ortspolizeiliche Vorschriften gebotene Verzollung beim Einbringen in die Stadt oder die Anmeldung zur Verzollung oder die Unterstellung des eingeführten Fleisches zur Fleischbeschau erfolgt war, in die Behausung des Angeklagten F. und kündigte diesem an, daß die Kiste mit Fleisch geöffnet und auf das Rathhaus gebracht werden solle, weil das unverzollt eingebrachte Fleisch der Konfiskation unterliege. Der von K. Fr., welcher sich sowohl als Fleischbeschauer, wie auch als Fleischaufschlag-Einnehmer in rechtmäßiger Ausübung seines Dienstes befunden habe, an den Angeklagten ergangenen Aufforderung zur Oeffnung der Kiste trat aber dieser, obwohl er über die amtliche Eigenschaft des Fr., insbesondere über dessen Eigenschaft als Fleischaufschlag-Einnehmer, keinen Zweifel haben konnte, weil Fr. schon der Ehefrau des Angeklagten hievon Mittheilung gemacht hatte und der zur Benachrichtigung des momentan abwesenden Angeklagten abgegangene I. Fr. demselben ausdrücklich gesagt hatte, er solle heimkommen, weil der Acciser da sei, hindernd entgegen, indem er dem K. Fr. drohte, ihn die Stiege hinabzuwerfen, und ihm wirklich einen Stoß versetzte, wodurch Fr. gezwungen wurde, unverrichteter Sache das Haus des Angeklagten wieder zu verlassen. Zugleich stellte die Strafkammer fest, daß bei der von K. Fr. im Hause des Angeklagten vorgenommenen fraglichen Handlung die Erfüllung besonderer Förmlichkeiten weder erforderlich, noch möglich gewesen sei, wenn der Zweck überhaupt erreicht werden sollte, da es sich nicht um eine förmliche Beschlagnahme und Durchsuchung im Sinne der Strafprozeßordnung, sondern nur um die augenblickliche Verfolgung und vorläufige Feststellung einer soeben in der Ausführung begriffenen Uebertretung durch den hiezu verpflichteten Bediensteten gehandelt habe.

Diese Feststellungen erschöpfen aber den Thatbestand eines Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 113 des Strafgesetzbuchs, indem insbesondere K. Fr. beim fraglichen Vorfalle als Vollstreckungsbeamter in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes handelte.

[250] Denn, da K. Fr. als Fleischbeschauer und Einnehmer des zur Verzinsung und Tilgung der Schulden der Stadt K. dienenden Fleischaufschlages aufgestellt ist und es ihm in dieser Eigenschaft zukommt, Kontraventionen zu begegnen, solche zu entdecken, festzustellen und zur Bestrafung zu bringen, erscheint derselbe als ein zur Handhabung der Ortspolizei bezüglich der Fleischbeschau und des Fleischaufschlaggefälles bestellter Beamter der Stadtgemeinde K., welcher zur Erforschung und Anzeige jener strafbaren Handlungen verpflichtet ist, welche durch Unterlassung der bezüglich der Beschau des eingeführten Fleisches gegebenen Vorschriften, sowie durch Hinterziehung des städtischen Fleischaufschlages verübt werden, und konnte deshalb die Strafkammer ohne Rechtsirrthum annehmen, daß derselbe bei Ausübung seines Dienstes als Fleischbeschauer und als Fleischaufschlag-Einnehmer als Beamter im Sinne des § 359 des Strafgesetzbuchs zu gelten habe.

Auf Grund des § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes, wornach die Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind und die nähere Bezeichnung derjenigen Beamtenklassen, auf welche diese Bestimmung Anwendung findet, durch die Landesregierungen zu erfolgen hat, und auf Grund des Art. 56 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes hiezu, wonach im Falle Bedürfnisses außer den als Amtsanwälten aufgestellten Gemeindebeamten, Bürgermeistern und deren Stellvertretern auch weitere Gemeindebeamte und Bedienstete als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft bezeichnet werden können, wurde in der kgl. Verordnung vom 31. August 1879, die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft betr., und zwar in § 1 Ziff. 3 bestimmt, daß als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft außer den in Art. 56 des Ausführungsgesetzes zum Reichs-Gerichtsverfassungsgesetz aufgeführten Personen noch bezeichnet werden die zur Handhabung der Ortspolizei aufgestellten Beamten und Bediensteten der Gemeinden bezüglich jener strafbaren Handlungen, zu deren Erforschung und Anzeige sie je nach ihrer Dienstaufgabe verpflichtet sind.

Es hat demnach K. Fr. bezüglich der in Ansehung der Uebertretung der Fleischbeschau-Ordnung und der Hinterziehung des städtischen Fleischaufschlages in der Stadt K. verübten strafbaren Handlungen als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft zu gelten, und erscheint es unrichtig, wie der Angeklagte geltendzumachen sucht, daß bezüglich dieser Eigenschaft des K. Fr. das angegriffene Urtheil keine Feststellung enthalte, da vielmehr in diesem festgestellt ist, daß K. Fr. als Fleischbeschauer und Fleischaufschlag-Einnehmer für die Stadt K. aufgestellt und verpflichtet sei und in jeder dieser Eigenschaften unter öffentlicher Autorität einen Zweig der Verwaltung der Stadt K. ausübe, sowie daß er hiebei nicht allein das vermögensrechtliche Interesse der Stadt vertrete, sondern ihm auch obliege, etwaigen Kontraventionen [251] zu begegnen, solche zu entdecken, festzustellen und zur Bestrafung zu bringen.

Nach § 102 der Reichs-Strafprozeßordnung kann nun bei demjenigen, welcher als Thäter oder Theilnehmer einer strafbaren Handlung oder als Begünstiger oder Hehler verdächtig ist, eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume, sowie seiner Person und der ihm gehörigen Sachen sowohl zum Zwecke seiner Ergreifung, als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuthen ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde. Da die Strafkammer als erwiesen angenommen hat, daß der Angeklagte I. F. verdächtig erschien, eine Kiste Rindfleisch erhalten zu haben, ohne daß von seiner Seite die nach ortspolizeilicher Vorschrift gebotene Anregung der Fleischbeschau durch den städtischen Fleischbeschauer erfolgt, und ohne daß die Verzollung des Fleisches oder die Anmeldung zur Verzollung geschehen war, erschienen Verfehlungen durch I. F. gegen ortspolizeiliche Vorschriften angezeigt und war zu vermuthen, daß eine Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde, wonach die Voraussetzung des § 102 der Strafprozeßordnung, unter welcher eine Durchsuchung bei dem Thäter oder Theilnehmer einer strafbaren Handlung zulässig erscheint, gegeben war.

Die Anordnung von Durchsuchungen steht nach § 105 Abs. 1 der Strafprozeßordnung dem Richter, bei Gefahr im Verzuge auch der Staatsanwaltschaft und denjenigen Polizei- und Sicherheitsbeamten zu, welche als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft den Anordnungen derselben Folge zu leisten haben. Daß Gefahr im Verzuge war, lassen die thatsächlichen Feststellungen gleichfalls entnehmen, indem das angegriffene Urtheil als erwiesen annahm, daß bei der von K. Fr. vorgenommenen dienstlichen Handlung die Erfüllung besonderer Förmlichkeiten nicht möglich war, wenn der Zweck überhaupt erreicht werden sollte, woraus hervorgeht, daß, wenn Fr. länger zugewartet hätte und nicht sogleich selbst zur Durchsuchung geschritten wäre, der mit der letzteren verbundene Zweck des Auffindens von Beweismitteln nicht hätte erreicht werden können, daß demnach Gefahr im Verzuge war. Hiernach lag ein Fall vor, in welchem gemäß § 105 Abs. 1 der Strafprozeßordnung K. Fr. als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung anzuordnen befugt war. Wenn der Strafkammer auch nicht darin zugestimmt werden kann, daß es sich nicht um eine förmliche Durchsuchung im Sinne der Strafprozeßordnung gehandelt habe, da in dem Verlangen des K. Fr., daß der Angeklagte die in Frage stehende Kiste öffnen solle, eine Durchsuchung dieser Kiste als Mittel, durch den Inhalt derselben festzustellen, ob sich I. F. gegen ortspolizeiliche Vorschriften verfehlt habe, im Sinne des § 102 der Strafprozeßordnung erblickt werden muß, [252] so war hiezu keineswegs, wie in der Revision weiter geltendgemacht wird, die Zuziehung eines Gemeindebeamten oder zweier Mitglieder der Gemeinde erforderlich, weil § 105 Abs. 2 der Strafprozeßordnung diese Zuziehung nur vorschreibt, wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitzthumes ohne Beisein des Richters oder Staatsanwaltes stattfindet, hier aber nur der Inhalt einer bestimmten Kiste in Frage stand, mithin die Zuziehung von Gemeindebeamten oder Gemeindemitgliedern nicht geboten war.

Es hat demnach K. Fr., als er die Kiste des Angeklagten einer Durchsuchung unterstellen wollte und diesen zu deren Oeffnung aufforderte, in rechtmäßiger Ausübung seines Dienstes als Gemeindebeamter gehandelt, und kann es, nachdem der Angeklagte ihm schon in Ausübung dieser Amtshandlung durch Gewalt und Bedrohung Widerstand geleistet hatte, überhaupt nicht weiter darauf ankommen, ob in der nebenbei gemachten Aeußerung des Fr., daß die Kiste mit Fleisch auf das Rathhaus gebracht werden solle, eine Beschlagnahme im Sinne des § 98 der Strafprozeßordnung zu finden und ob nach den Feststellungen der Strafkammer K. Fr. zur Vornahme derselben im Hinblicke auf § 100 der Strafprozeßordnung befugt gewesen sei.

Die Revision des I. F. ist sonach unbegründet und war deshalb unter Anwendung des § 505 Abs. 1 der Reichs-Strafprozeßordnung wie geschehen zu erkennen.