Oberlandesgericht München – Verkehr mit Arzneimitteln 7

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichtes München vom 15. November 1887
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1888, Nr. 1, Seite 4–5
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Kurzbeschreibung: Überlassung von Arzneimitteln an Patienten zur Selbstanwendung ist nicht zulässig
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichtes München vom 15. November 1887
in der Sache gegen den Heilkünstler E. P. zu M. wegen Uebertretung in Bezug auf Arzneimittel.

Der Strafe des §. 367 Nr. 3 des Strafgesetzbuchs unterliegt, wer ohne polizeiliche Erlaubniß Gift oder Arzneien, soweit der Handel mit denselben nicht freigegeben ist, zubereitet, feilhält, verkauft oder sonst an Andere überläßt.

Hienach rechtfertigt die Verurtheilung P’s auf Grund der angezogenen Gesetzesstelle sich schon deßhalb, weil er, wie in dem angefochtenen Urtheile thatsächlich festgestellt ist, die bezügliche flüssige Arzneimischung durch Einpinselung der Körpertheile seiner Patienten mit derselben an solche Personen überließ, und diese Auffassung der Strafkammer keineswegs als eine rechtsirrthümliche erachtet werden kann.

Denn unter überlassen, bezüglich dessen das Gesetz eine Definition nicht enthält, versteht man nach des Wortes landläufiger Bedeutung das Aufgeben des Gewahrsams einer Sache Seitens einer Person zu Gunsten eines Dritten, der das Eigenthum an derselben erwerben oder selbe sonst an sich bringen will.

Daß auch der §. 367 Nr. 3 des Strafgesetzbuches dieses Wort in gleichem Sinne verstanden wissen will, ergibt sich schon aus dessen Wortlaut, indem er nicht nur das Bereiten, Verkaufen, Feilhalten von Giften und Arzneien, sondern im Gegensätze hiezu, wie namentlich aus dessen Schlußsatze „oder sonst an Andere überläßt“, unzweideutig hervorgeht, jede Besitzentäußerung Seitens des Verfertigers oder Inhabers derartiger Stoffe an Dritte, jedes der polizeilichen Bewilligung ermangelnde Inverkehrbringen derselben mit Strafe bedroht.

Hat Angeklagter daher, wie feststeht, die in Rede stehende, als Arzneimittel im Sinne der lit. A. der kaiserlichen Verordnung vom 4. Januar 1875, den Verkehr mit Arzneimitteln betr. (Reichs-Ges.-Blatt [5] 1875 Seite 5 ff,) zu erachtende Flüssigkeit ohne die polizeiliche Genehmigung hiezu zu haben, durch Einpinseln auf die leidenden Körpertheile seiner Patienten aufgetragen, so hat er sich derselben zu Gunsten dieser Patienten entäußert, sie ihnen durch körperliche Anwendung derselben überlassen und sich hiedurch gegen §. 367 Nr. 3 des Strafgesetzbuches verfehlt.

Hieran ändert Nichts, daß bei dieser Art der Uebertragung, wie die Revision einwendet, die treffenden Patienten keine freie Verfügung über diese Arznei erhielten, es nicht in ihrer Willkür stand, ob sie selbe an sich anwenden, wegschütten, oder sonst über sie verfügen wollten. Diese Auslegung würde in das Gesetz ein seinem Zwecke, der, wie schon die Rechtsprechung des bayer. obersten Gerichtshofes anerkannt hat, (siehe Entschd. Bd. VII S. 387, 393) vorzugsweise ein gesundheitspolizeilicher ist, ganz fremdes Thatbestandsmerkmal hineintragen, welches direkt zur Vereitlung seiner Intention, dem arzneibedürftigen Publikum Schutz gegen die Folgen des Mißbrauches medicinischer Substanzen zu gewähren, und zwar gerade bei der bedenklichsten, weil wirksamsten Form der Vermittlung des Ueberganges von Arzneien aus der Hand des Verfertigers derselben an das Heilung suchende Publikum, führen würde, sohin, da bei Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung behufs zweckdienlicher Anwendung derselben vorzüglich die derselben zu Grunde liegende Intention des Gesetzgebers in’s Auge zu fassen ist, als der Tendenz des Gesetzes widersprechend, als unhaltbar sich darstellt.

Unbehelflich ist auch der weitere Einwand der Revision, daß die Begriffe des „Anwendens“ und des „Inverkehrbringens“ in §. 367 Nr. 3 des Strafgesetzbuchs nicht aufgeführt seien, da diese Begriffe gleichbedeutend mit „an Andere überlassen“ sind – wie auch das an „Andere Abgeben“ in den allerhöchsten Verordnungen vom 25. April 1877 und vom 9. November 1882 §. 27 mit dem „unmittelbaren Appliciren“ oder „Anwenden“ gleichgestellt wird.

(Rechtsprechung Bd. II. Seite 633, 636.)